Читать книгу Die reiche Zukunft hat ein Double - Christine Schick - Страница 7
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Malik war verdammt müde, aber es half nichts. Der Hauptstandort des Konzerns Kronberg befand sich auf einem westlich von Frankfurt gelegenen großen Gelände, das erst als Kreuzungspunkt der verschiedenen Elektrobikeschnelltrassen ausgebaut und später vom Unternehmen aufgekauft worden war. Wer von weiter her kam, nahm die Unterdruckbahn. Das waren höllisch viele.
Um 5 Uhr reihte sich Malik in die Schlangen ein und versuchte, sich aus dem Gedränge und Geschubse herauszuhalten. Das war schwer, weil immer wieder jemand in der Nähe nervös wurde, schneller nach vorne kommen wollte und sich mit dem Pulk um sich herum anlegte. Nach anderthalb Stunden steckte er in einem der Wagen.
Er konnte von Glück sagen, dass sein Onkel einigermaßen gelassen reagiert hatte. Zwar war er nicht begeistert, unter der Woche auf ihn verzichten zu müssen. Aber Malik hatte sich schon überlegt, über die drei Monate immer die komplette Wochenendschicht anzubieten, was Sohan versöhnlich stimmte. Möglich, dass auch sein Bruder noch ein gutes Wort für ihn eingelegt hatte.
Kurz nach 6.50 Uhr meldete sich Malik am Haupteingang und legte sein Dokument vor. Eine Dame mit indonesischem Aussehen hinter dem marmornen Tresen fasste den Ausdruck mit spitzen Fingern an und las. An der Wand über ihr stand in großen Lettern Kornberg – Verabredung mit der Zukunft.
„Terry, ich hab einen S 100 hier, bring ihn bitte rüber“, rief sie nach hinten.
Das Kürzel klang wie eine Mischung aus einem Automobil des 20. Jahrhunderts und der Bezeichnung für eine ansteckende Krankheit. Würde ihm jemand schräg kommen, hatte er immer noch die Möglichkeit, ganz nebenbei fallen zu lassen, dass der gerade mit einem S 100 sprach, dachte Malik. Er konnte ja nicht ahnen, dass das schneller in Erfüllung gehen würde, als ihm lieb war.
„Bitte, geben Sie mir Ihren Highcontroller, damit wir ihn kurz überprüfen können“, sagte die Empfangsdame.
„Ich habe zurzeit kein Gerät“, sagte Malik.
„Was? Das ist ein Scherz, oder?“ Die Frau wirkte irritiert und genervt. „Jeder hat einen Highcontroller.“
Malik zuckte mit den Schultern. „Brauche ich ihn denn zum Arbeiten?“
„Sie müssen erreichbar sein“, meinte die Frau knapp.
Und überwachbar, fügte Malik in Gedanken hinzu. Er hoffte trotzdem, dass sie nicht auf die Idee kam, ihn wegzuschicken. Auf keinen Fall wollte er die Geduld des Richters strapazieren, im Notfall anbieten, morgen mit einem geliehenen Kommunikator wiederzukommen.
„Gib ihm halt eines der Firmengeräte“, sagte ein Mann, bei dem es sich wohl um Terry handelte und der nun lässig am Tresen lehnte.
„Einem S 100?“
„Du meine Güte, dann soll er dir oder den Kollegen das Ding abends eben wiedergeben, wenn er das Gelände verlässt“, meinte Terry.
Darauf hatte Malik spekuliert und triumphierte innerlich, als er das Gerät ausgehändigt bekam, nachdem er auf gefühlt zehn Bildschirmen unterschrieben hatte. Aus den Voreinstellungen ließ sich einiges ableiten und er war gleichzeitig vor einem Zugriff der Firma auf seine privaten Daten geschützt.
„Können Sie damit umgehen?“, fragte die Empfangsfrau.
„Wenn ich Probleme habe, könnte ich ja die Kollegen fragen“, entgegnete Malik und dachte im selben Moment, dass er es nicht übertreiben sollte.
„Das sind nicht Ihre Kollegen“, sagte sein Gegenüber streng. „Vergessen Sie nicht, weshalb Sie hier sind.“
Terry rollte mit den Augen, winkte ihm und führte ihn in einen Raum, in dem drei Männer und eine Frau standen. Um den Arm der Dame wand sich ein Schlangen-Tattoo. Dadurch, dass sie wild gestikulierte, sah es so aus, als wolle sie das Tier auf ihr Gegenüber hetzen. Sie und ein leger gekleideter Mittfünfziger mit Basecap und Dreitagebart drehten sich zu ihm um. „Hier habt ihr den Letzten für heute“, sagte Terry und machte kehrt.
„Tagchen, mein Name ist Bartholomäus Krüger, kurz Bart, das ist meine Kollegin Sindy Oven. Bitte stellen Sie sich doch kurz vor und sagen uns, welche Qualifikation Sie mitbringen“, sagte der Typ höflich.
„Ich heiße Malik Cerny und habe gerade gelernt, dass ich ein S 100 bin.“
„Tsss, bitte“, murmelte Sindy Oven und machte eine Geste in Richtung ihres Kollegen, die wohl bedeutete, dass der Malik haben konnte.
Bartholomäus Krüger grinste. „Wie sieht es mit einer Ausbildung aus?“
„Ich habe Soziologie studiert, aber ich dachte ich werde hier in der Kantine eingesetzt“, sagte Malik. Dass er auch Informatiker war, musste er ja nicht gleich jedem auf die Nase binden.
Sindy Oven drehte sich überrascht zu ihm, doch Bart hob die Hand. „Selber schuld, wenn du so vorschnell reagierst.“
„Als ob du nicht wüsstest, dass uns auch mal ein Höherqualifizierter guttun würde“, sagte die Schlangenfrau. „Seit du die Managerküche leitest, bist du genauso arrogant wie die. Eigentlich habe ich dieselbe Weisungsbefugnis wie du. Was, wenn ich einfach darauf bestehe, den Jungen zu bekommen?“
Malik kam sich vor wie ein Sklave auf einem orientalischen Basar, bei dem der Studienabschluss von Muskeln und Zähnen als Kriterium abgelöst worden war. „Kann ich kurz auf die Toilette?“, fragte er.
„Klar, gleich hier um die Ecke, zweite Tür rechts“, sagte Bart.
Malik machte seinen Gang, schaute sich um und registrierte hinter der Tür einen Bereich, der im toten Winkel der Kameras lag. Er nahm seinen Highcontroller, öffnete die Klappe für den Akku, griff in seine Jacke und setzte ein Miniaturteil hinter den Herzverteiler. Mal sehen, was über den Tag abgerufen, weitergegeben und gespeichert wurde. Später würde er sein Analysetool wieder herausnehmen und zu Hause auswerten.
Als er zurück in den Raum kam, waren alle außer Bart verschwunden. Malik nickte ihm freundlich zu. Er würde sich jetzt nicht mehr aufregen oder provozieren lassen, sondern in Ruhe seine kleine Studie betreiben. Dabei war es vor allem wichtig, nicht groß aufzufallen. Für einen S 100 sollte das aber kein Riesenproblem sein, sagte er sich. Als Erstes bekam er den Küchenbereich zu sehen, der riesig war. Es gab mehrere Anlieferungszonen, in denen frisches Obst und Gemüse, Fisch, Fleisch und Tofu in rauen Mengen eintrafen und von dort in begehbare Kühl- und Tiefkühlschränke wanderten. Dies war im Großen und Ganzen automatisiert, ebenso wie die Arbeitsinseln der Warmküche, auf denen gegart, gebraten und gedünstet wurde. „Um krebserregende Bestandteile zu minimieren. Das ist der Bereich, dem ich am meisten nachweine“, sagte Bart. „Es gibt aber ein paar wenige Ausnahmen, die zeig ich Ihnen gleich.“
Malik hatte das Gefühl, in einer Hotelanlage zu sein. Jetzt öffnete sich ein riesiger Raum. An den Seiten in mehreren Reihen befanden sich modern und schlicht gehaltene Tische und Sitzgruppen. Die Mitte durchzog ein großes Buffet, immer wieder durchbrochen von schmalen Kochzeilen. „Das ist einer Ihrer Arbeitsplätze“, sagte Bart.
Malik schaute seinen neuen Chef überrascht an. Vorsichtig merkte er an: „Ich bin aber kein Koch.“
„Das ist ganz einfach. Sie müssen den Leuten, die etwas frisch zubereitet haben möchten, ein paar Dinge zusammenstellen. Die Zeiten sind völlig automatisiert. Eine Digitalanzeige leitet Sie an, egal, was Sie anstellen“, sagte der Mittfünfziger. „Es geht nur darum, Hygieneregeln einzuhalten, und ums Gefühl.“
„Ums Gefühl?“ Malik war irritiert.
„Ich weiß, das klingt jetzt seltsam, aber die Kantine ist aus meiner Sicht so was wie die letzte Bastion eines Miteinanders. Gemeinsames Essen. Genuss. Hier finden wichtige Gespräche, Treffen und ein Austausch statt, auch jenseits von Arbeit“, sagte Bart.
Das erschien Malik doch etwas blauäugig zu sein, aber er sagte erst mal nichts. „Später zeig ich Ihnen auch noch das Businessrestaurant für besondere Anlässe und mach Sie mit Hedi, Hedwig Schwaderer, unserer guten Seele im Team, bekannt“, sagte sein Chef. „Aber jetzt müssen wir uns an die Arbeit machen. Wir bringen die Speisen nach vorne zum Buffet. Wenn Sie einen falschen Platz erwischen sollten, meldet sich der Advisor und spielt im Display ein, was Sie korrigieren müssen.“
„Wieso machen Sie das nicht auch maschinell?“, fragte Malik.
„Weil die Führungsleute Wert auf eine ruhige Atmosphäre legen, genauso wie auf die Möglichkeit, auch mal einen Mitarbeiter außerhalb ihrer Abteilung zu sprechen. Wenn Sie mich persönlich fragen, ist es die alte Angst vor der Übernahme der Maschinen“, meinte Bart, „hat mir meinen Arbeitsplatz erhalten.“
Das Einsortieren war wirklich unkompliziert, allerdings spürte Malik, obwohl die Behälter nicht sonderlich schwer waren, nach zwei Stunden durchaus seine Muskeln. Trotzdem hätte er nichts dagegen einzuwenden gehabt, die Tätigkeit bis Arbeitsende fortzusetzen, statt in den Bedien- und Kochmodus zu wechseln.
Small Talk war ihm zuwider, und hinzu kam seine seltsame Rolle als essenanreichender, luxuriöser Maschinenersatz. Was für eine Farce, wenn er bedachte, wie er hierhergekommen war. Auch er hatte auf einer Behandlung durch ein menschliches Gegenüber bestanden und war dafür verknackt worden.
„Seien Sie locker, reden Sie mit den Leuten, wenn die entsprechende Signale aussenden“, meinte sein Chef.
Malik seufzte.
„Schon gut, war nur so eine Idee. Wenn Fragen auftauchen, ich bin direkt hier in der nächsten Foodzone, winken Sie einfach, wenn was ist, ja?“, sagte Bart mit einem Lächeln.
Malik nahm in seiner Kochnische Aufstellung. Er war froh, zunächst nicht angesprochen zu werden, und verlegte sich aufs Beobachten. Nach kurzer Zeit konnte er bereits Typen bilden und versuchte dann, vorherzusehen, welcher seiner Kategorien die Führungskraft angehörte, die als Nächstes ans Buffet trat.
Die Optimierer verbrachten längere Zeit mit ihren Highcontrollern, riefen Daten einzelner Speisen ab und verglichen diese vermutlich mit Eckdaten ihres Konsums und Tagesprogramms.
Die Zwangsvariierer achteten darauf, immer etwas Neues auszuprobieren, und stürzten sich förmlich auf die exotischen Speisen. Sie bescherten ihm auch die ersten Zubereitungseinsätze: asiatische Heuschrecken kurz angebraten, Algenpopcorn, flambierte Tibetschnecken.
Dann gab es noch eine Fraktion, die wenig Wert aufs Essen legte, ihr Menü übersichtlich und lieblos gestaltete, aber sich dem Ritual oder den Kollegen verpflichtet fühlte. Malik nannte sie die Kostverächter.
Bislang lag seine Zuordnungsquote bei 90 Prozent. Dann tauchte eine Gruppe von vier Leuten auf, die auf seine Kochzone zusteuerte. Malik kniff die Augen zusammen. Bei dem Mann, der vorausschritt, handelte es sich um keinen Geringeren als Gerald Kronberg, den Konzernchef höchstpersönlich. Er war im Gespräch mit einem Mann, der ihm nur bis zum Kinn reichte, aber einen körperlich geschmeidigeren Eindruck machte. Eine Mischung aus Gepard und Frettchen, schoss es Malik durch den Kopf.
Hinter den beiden gingen zwei Frauen, eine hochgewachsene Dame mit dunklem Teint und ein schmales Persönchen. Ihre schwarzen, glatten Haare waren in einer Art Helmform geschnitten und wippten beim Gehen. Die dunkel umrandete Brille brachte den wachen Blick der jungen Frau gut zur Geltung.
Malik war schon gedanklich dabei, eine neue Kategorie aufzumachen, und fast enttäuscht, als sie dann doch ihren Highcontroller aus der Tasche holte. Im nächsten Moment musste die Frau heftig niesen, zog ein Taschentuch aus ihrem Jackett und verfiel in ein unterdrücktes Husten.
Das Gepardenfrettchen sah genervt nach hinten, so als wolle es sagen: Gib endlich Ruhe! Dann wandte es sich wieder Kronberg zu.
Malik freute sich, dass die Mitarbeiterin dies gar nicht mitbekam, weil sie wieder hustete. Sie ließ den Blick über die Salate schweifen, blieb bei den Artischocken hängen. Malik ging hinter seiner Theke an den beiden Männern vorbei.
„Soll ich Ihnen ein paar auf einen Teller tun?“, fragte er die junge Frau. Sie blinzelte, lächelte und nickte. „Sehr gerne.“
Wieder musste sie husten. Im selben Moment entglitt ihr der Highcontroller, landete auf der Kante der Schüssel mit dem Lollo rosso und tauchte zwischen den Blättern ab. Die Besitzerin wedelte noch kurz hinterher, griff sich an die Stirn und sah Malik grinsend an. „Mist, Mist, Mist. Tut mir total leid, bitte entschuldigen Sie.“
Malik war völlig baff, wie tief ihre Stimme klang, und fragte sich, wie viel dabei der Erkältung geschuldet war. Er schaute sich nach einem Salatbesteck um. Als er fündig geworden war, schob er das Grünzeug beiseite, lächelte und die Frau nahm sich ihr Gerät heraus.
„Ich wollte gerade diesen Salat, Sie glauben aber nicht, dass ich davon noch nehme, nachdem meine Teamassistentin ihre Bazillenschleuder da reinverfrachtet hat. Beschaffen Sie mal neuen, bitte“, sagte das Gepardenfrettchen.
Im nächsten Moment stand Bart bei ihm. „Wird sofort erledigt, bei dir ist mehr los“, sagte er und reichte der jungen Frau noch ein Abtrockentuch. „Für Madame Temme, mit besten Wünschen des Hauses.“
„Danke, Herr Krüger“, sagte sie und verbeugte sich leicht. Malik sah jetzt auch ihr Minidisplay am Revers, auf dem Suri Temme stand.
„Hören Sie, das ist alles ganz wunderbar, dass Sie so nett zueinander sind und meine arme, kleine Teamassistentin hier unterstützen und zurück in die Spur bringen möchten“, meinte ihr kleinwüchsiger Kollege. „Über die Sinnhaftigkeit dieses Ziels können wir uns gerne später einmal unterhalten, jetzt würde ich es begrüßen, wenn Sie mir das magere Rinderrückensteak kurz anbraten.“
Malik hatte Hemmungen, zu Suri zu sehen, tat es dann aber doch. Ihr Mundwinkel zuckte, ansonsten blieb ihre Miene ruhig, verriet nicht viel darüber, ob sie die Bemerkung verletzt hatte. Natürlich hatte sie das. Jeder wäre verletzt.
Wenn er jetzt ohne ein Wort dazu überging, den Typ zu bedienen, würde er sich schlecht gegenüber Suri fühlen. Er wollte aber unbedingt verhindern, auf sich aufmerksam zu machen, zumal Gerald Kronberg direkt neben ihm stand. Deshalb versuchte er einen Scherz, auch wenn er wusste, dass er nicht sonderlich gut darin war.
„Ich sagʼs ungern, aber Frau Temme hat hier Maßstäbe gesetzt“, sagte Malik. „Sie hat mit ihrem Highcontroller gewählt. Ich würde Sie bitten, sich da ein bisschen einzureihen.“
Suris Mundwinkel zuckte wieder, aber ihre Augen verrieten, wie gut ihr die Intervention tat. Das spornte Malik an.
„Sie können wahlweise auch einen anderen Gegenstand nehmen. Wenn wir jetzt konsequent dranbleiben, könnten wir vielleicht eine echte Challenge draus machen“, sagte Malik.
„Sind Sie übergeschnappt, Sie Pfeife? Kümmern Sie sich lieber darum, dass der Salat herwächst.“
„Ich würde keinen Salat essen. Wenn Sie auf Nummer sicher gehen wollen, müssten Sie sich krankmelden oder von der Homezone aus arbeiten, um sich von Ihrer Kollegin nicht anstecken zu lassen. Wäre doch eine unglaubliche Frechheit, wenn sie das täte. Ich meine, als Chef hat man ja auch Verantwortung dem Betrieb, den Mitarbeitern und der Gesellschaft gegenüber, richtig?“, sagte Malik, weil er sich einfach nicht mehr zusammenreißen konnte.
„Sag mal, willst du dir eine einfangen?“, sagte das Gepardenfrettchen mit gepresster Stimme. Gerald Kronberg drehte sich jetzt nach ihnen um und fing an, zu lachen. „Komm, Hans, lass gut sein“, sagte er und tätschelte ihm die Schulter, wohl wissend, dass der sich fügen würde.
Dann musterte er Malik. Genau das hatte er tunlichst vermeiden wollen. Woran lag es, dass er sich immer wieder in Schwierigkeiten brachte?
„Ich muss zugeben, dass es nicht alle Tage vorkommt, vom Beikoch auf Personalfragen angesprochen zu werden“, sagte der Konzernchef. Geschickt ließ er offen, wie er Maliks Initiative einordnete. „Sie tragen kein Schild?“ Gerald Kronberg tippte sich an die Brust.
„Sie auch nicht“, hörte Malik sich sagen. Wieder lachte Kronberg, jetzt noch lauter. Wenn er nicht stehen würde, hätte er sich dabei noch auf die Schenkel geklopft, dachte Malik. Dann sah Kronberg ihn auffordernd an. Malik spürte förmlich, dass jetzt ein Punkt erreicht war, an dem die Stimmung völlig umschlagen konnte. Er zwang sich zu einem Lächeln und sagte: „Mein Name ist Malik Cerny, und ich bin heute den ersten Tag da.“
Gerald Kronberg nickte zufrieden. Jovial schob er hinterher: „Ich mag es, wenn Menschen ihre Meinung sagen, und wie in Ihrem Fall auch noch mit einem gewissen Esprit.“
Das Entscheidende waren die Feinheiten in der Formulierung, dachte Malik. Das Adjektiv gewiss beispielsweise. Es sollte ihm signalisieren, dass er es schon über den Durchschnitt geschafft hatte, aber für die Kür noch einiges fehlte. Im nächsten Moment registrierte er Barts erschreckten Gesichtsausdruck, der ihn wieder zurück auf den Boden holte.
„Sie glauben mir nicht, hab ich recht?“, sagte der Konzernchef jetzt und lächelte.
Malik konnte physisch spüren, dass Kronberg hochsensible Antennen hatte. Er war wirklich gut beraten, ihn nicht zu unterschätzen. Fast hatte er das Gefühl, dass beim Konzernchef so etwas wie Kampfeslust erwacht war. Malik konnte nur noch nicht genau greifen, wie er ihn aufs Glatteis führen oder welche Art von Arena er ihm eröffnen wollte. Doch in diesem Moment war ihm klar, dass ihn nur eine Art Unterwerfungsgeste retten konnte. Um Zeit zu gewinnen, sah Malik kurz zu Suri und lächelte. Doch auch in ihrem Blick zeichnete sich Nervosität und Unsicherheit ab. Hatte sie Angst um ihn? Wohl kaum nach einem Kennenlernzeitraum von drei Minuten. Trotzdem hätte er sich gefreut. Auch er brauchte Unterstützung, gestand er sich ein.
„Na gut, Suri, gehen Sie nach Hause, kurieren Sie sich aus“, sagte Gerald Kronberg.
„Aber …“
„Papperlapapp.“ Es fehlte nur noch eine Geste, mit der man lästige Fliegen verscheuchte. Suri war zum Nebenschauplatz geworden.
„Herr Cerny, erzählen Sie ein bisschen was über sich! Das ist Ihre Chance. Vielleicht komme ich ja zu dem Ergebnis, dass Sie an verantwortungsvollerer Stelle eingesetzt werden sollten.“
Aha, das war es also. Er würde ihn durch die Arbeit herausfordern, ihm eine Position anbieten, die ihn leicht überfordern würde. Für die man mehr als gewisse Qualitäten benötigte, und leider nicht bestehen konnte.
Das passte. Von dem, was er von Gerald Kronberg gehört und gelesen hatte, schätzte er ihn als krankhaft ehrgeizig und leistungsorientiert ein.
Malik atmete tief durch. Er verlangt es, gib es ihm, sagte er sich. Es muss gut gespielt und getimt sein. Er zögerte, kniff die Lippen nicht zusammen. Das war zu viel. Dann blickte er langsam zu ihm auf. „Herr Kronberg, das ist wirklich sehr freundlich, und ich schätze Ihr Angebot außerordentlich, aber ich bin leider nur zu Gast hier.“
„Was soll das heißen? Sind Sie im Praktikum?“, fragte der Konzernchef. Es zeichnete sich bereits eine leichte Enttäuschung in seiner Stimme ab.
„Nicht direkt, ich bin als S 100 hier.“ Malik vermied den Blickkontakt, schaute nach unten, sodass Kronberg keine Chance hatte, Gefühle abzulesen.
„Verstehe. Dafür lehnen Sie sich ja ganz schön aus dem Fenster, mein Guter.“
Maliks Nackenhaare stellten sich auf. Er hasste diesen gönnerhaften Ton, aber da musste er jetzt durch, das hatte er sich selbst eingebrockt. Er nickte langsam und hoffte, dass Kronberg die Geste akzeptierte.
Der Konzernchef stieß ein kurzes Lachen aus, schüttelte den Kopf und sagte: „Na, dann kommen Sie auf mich zu, wenn Sie Ihre Zeit abgeleistet haben, vielleicht lässt sich ja was machen, wenn Sie sich gut schlagen.“ Dann nahm er sich vom Salat und zog weiter.
Als Malik wieder aufblickte, stand Suri immer noch da. Im Gegensatz zum Konzernchef fühlte er ihr gegenüber nun allerdings eine deutliche Scham. Kronbergs letzter Triumph sozusagen.