Читать книгу Mord auf Kongress - Christine Zilinski - Страница 11
Kapitel 9
ОглавлениеAls Charlotte 15 Minuten später ihre Wohnungstür aufschloss, hatte sie Max immer noch in der Leitung. „Nein, wirklich, du brauchst nicht vorbeizukommen. Ich... muss jetzt eh was recherchieren und dabei kannst du mir nicht helfen.“ Angespannt fragte Max: „Du willst dich doch nicht ernsthaft schon wieder in die Ermittlungen einmischen, Charlotte? Ne ehrlich, ich hab keinen Bock mir in ein paar Tagen wieder anzuhören, dass dich schon wieder fast ein Mörder erwischt hätte. Oder eine Mörderin“, setzte er patzig hinterher. Charlotte klemmte das Handy zwischen ihr Ohr und die Schulter, während sie sich die Hände wusch. Anschließend lief sie in ihr Zimmer, um ihren Arbeitsrechner hochzufahren. Dabei versuchte sie, Max vom Thema abzulenken. „Komm, lass es gut sein. Hilf mir lieber, ‘ne Wohnung zu finden. Sanne und Christoph schauen sich nämlich grade ihr mögliches neues Zuhause an.“ Charlottes Rechner war inzwischen hochgefahren. Während Max missmutig einige Wohnungsanzeigen laut vorlas, die er nebenher im Internet ansah, rief Charlotte ihr Arbeits-Outlook via VPN-Verbindung auf. Sie wollte Richling eine E-Mail schreiben. Da ihr Chef seine Nachrichten auch am Wochenende abrief, wollte Charlotte ihm gleich schildern, was passiert war. Und ihm auch sagen, dass er sich den Kongressbericht abschminken konnte. Doch bevor sie eine neue Nachricht aufsetzen konnte, zeigte ihr Posteingang eine eingegangene neue Nachricht an. ‚Merkwürdig, ohne Absender‘, dachte Charlotte.
Als sie die Mail öffnete, riss sie die Augen auf. „Max, ich muss auflegen, ich erklär’s dir später“, würgte sie ihren Freund unvermittelt ab und legte auf. Sie las sich die Nachricht durch. Dann noch ein zweites Mal, nur um sicher zu gehen. Charlotte sah, dass in der Mail ein Anhang mitgeschickt worden war. Zwei Fotos. Obwohl sie sich davor fürchtete, betätigte sie mit zitternden Fingern die Maus. Als sich die Bilder öffneten, hatte Charlotte für einen Augenblick das Gefühl, ihr Herz würde stehen bleiben. Doch dann begann es umso heftiger zu schlagen. Ohne zu überlegen, warum sie es tat, wählte sie Jankovichs Nummer. Jankovich hob sofort ab: „Frau Bienert, wenn ich sagen würde ‚Das ist ja eine Überraschung‘, wäre das gelogen. Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt? Sie sollen sich raushalten und sich nicht in Gefahr bringen“, sagte Jankovich streng. Charlotte sagte mit zitternder Stimme: „Ich fürchte, dafür ist es zu spät.“ Eine Sekunde blieb es ruhig in der Leitung, dann fragte Jankovich alarmiert: „Was ist passiert?“ Charlotte schluckte. „Ich... ich habe eine Drohnachricht bekommen. Mit... Fotos von mir im Anhang. Von heute, als ich beim Kongress war.“ Sie machte eine kurze Pause, dann holte sie Luft und sagte: „Die Bilder hat jemand von mir gemacht, als ich auf der Toilette war.“ Wieder blieb es einen Augenblick still, dann fragte Jankovich: „Wo sind Sie jetzt?“ „Bei mir zuhause“, antwortete Charlotte. „Gut, Sie bleiben dort, wo Sie sind. Ich komme vorbei. Ich meine es ernst, bleiben Sie, wo Sie sind.“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, legte Jankovich auf.
Eine knappe halbe Stunde später klingelte es bei Charlotte an der Wohnungstür. Mit klopfendem Herzen lief sie über den Flur und nahm den Hörer der Gegensprechanlage ab. „Ja, hallo?“, fragte sie unsicher. „Ich bin’s, Paul Jankovich“, sagte dieser und erleichtert drückte Charlotte den uneren Türöffner, um ihn hereinzulassen. Sie öffnete die Wohnungstür und hörte, wie Jankovich mit schnellen Schritten die Treppenstufen in den zweiten Stock nahm. Als er ihre Tür erreicht hatte, blieb er stehen und sah sie mit ernstem Ausdruck an. Charlotte trug immer noch ihr Kostüm von heute Vormittag. Ohne ein Wort zu sagen, machte Charlotte Jankovich Platz, damit er eintreten konnte. „Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“, fragte Charlotte, als wäre Jankovichs Kommen ein Höflichkeitsbesuch. „Nein, danke“, erwiderte er automatisch und hob die Augenbrauen. „Wo ist Ihr Rechner?“ Charlotte hob den rechten Arm, um in Richtung ihres Zimmers zu deuten. „Da drin“, sagte sie. Jankovich nickte und lief auf ihr Zimmer zu, gefolgt von Charlotte. Als er an der Türschwelle stehen blieb, sah er Charlotte kurz an. „Ich hoffe es stört Sie nicht“, hob er an. „Unsinn“, Charlotte schüttelte den Kopf. „Gehen Sie schon rein.“ Jankovich trat in ihr Zimmer und ließ den Blick unauffällig durch den Raum gleiten. Charlotte hatte in Windeseile aufgeräumt, so dass ihr Zimmer jetzt halbwegs passabel aussah: Das Bett war gemacht, es lagen keinerlei Klamotten auf dem Boden oder auf dem Stuhl. Das Papierchaos auf ihrem Schreibtisch hatte sie zu einem Haufen gestapelt. An der Wand hing ein großer Kalender mit den schönsten Bibliotheken Europas. Der Monat September zeigte die Wiener Nationalbibliothek von Innen. Auf dem Fensterbrett standen einige Orchideen, die vor kurzem angefangen hatten zu blühen. Charlotte bemerkte verlegen, dass Jankovich ihr Zimmer neugierig betrachtete und räusperte sich. Dann wies sie auf ihren Rechner. „Die Mail habe ich auf mein Arbeitspostfach bekommen“, sagte sie und Jankovich trat an ihren Schreibtisch. Er streifte sich seine Lederjacke ab und hängte sie über Charlottes Schreibtischstuhl. Dann setzte er sich darauf. Augenblicklich nahm Charlotte wieder seinen typischen Geruch wahr: eine Mischung aus Leder und Aftershave. Aus irgendeinem Grund hatte sie die ihr mittlerweile vertrauten Geruchsnoten auf dem Kongress gar nicht gerochen. Dafür wurde ihr jetzt schlagartig bewusst, dass Jankovich bei ihr war. In ihrem Zimmer. Schnell schüttelte sie den Kopf und trat neben den Kommissar an ihren Tisch. Jankovich öffnete die Nachricht und las:
„Ich beobachte dich. Every step you take, every move you make. Halte dich aus der Angelegenheit Rehagen fern. Oder du wirst es bitter bereuen.“
Jankovich wandte den Kopf zu Charlotte. Sie hatte die Arme um ihren Oberkörper geschlungen und sagte: „Na los, schauen Sie sich auch die Fotos im Anhang an. Keine Sorge, er hat mich nicht beim Pinkeln abgelichtet.“ Jankovich nickte schwach, dann klickte er auf den ersten Anhang. Das Foto war bei den Waschbecken eines Toilettenraums aufgenommen worden. „Ich hab mir dort eine Blase am Zeh abgeklebt“, erklärte Charlotte. Jankovich warf daraufhin einen Blick auf Charlottes Füße, die immer noch in der Strumpfhose steckten. An ihrem rechten großen Zeh war das Pflaster gut zu erkennen. Dann wandte er den Blick wieder auf den Monitor und betrachtete das Foto. Es zeigte Charlotte, wie sie sich die Hände wusch und gleichzeitig im Spiegel betrachtete. Dann öffnete Jankovich das zweite Foto. Es zeigte Charlotte immer noch vor den Waschbecken, diesmal mit ihrem Notizbuch in der Hand. Jankovich atmete geräuschvoll durch die Nase aus. „Das gefällt mir nicht“, sagte er, den Blick starr auf den Monitor gerichtet. Mit einem bitteren Lachen sagte Charlotte: „Und mir noch viel weniger!“ Sie seufzte, dann machte sie zwei Schritte rückwärts und ließ sich gedankenverloren auf ihr Bett plumpsen. Charlotte zog die Beine dicht an ihren Oberkörper und umklammerte ihre Knie mit den Armen. Dabei rutschte der Rock ihres Kostüms ihre Beine herunter, doch sie merkte es nicht. Jankovich warf ihr einen Blick zu, wandte ihn jedoch schnell wieder ab. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte Charlotte ihn mit verzweifeltem Unterton. Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Aber ich möchte Ihren Rechner mitnehmen und ihn von der KTU untersuchen lassen.“ Mit schwachem Protest erwiderte Charlotte: „Aber ich brauche ihn doch spätestens am Montag wieder für die Arbeit!“ Jankovich fuhr ihren Rechner herunter und sagte, den Blick immer noch auf den Schreibtisch geheftet: „Vielleicht können Sie in der Zwischenzeit Ihren privaten Rechner verwenden. Das ist jetzt wichtiger, glauben Sie mir.“ Nun drehte er sich doch in ihre Richtung und konzentrierte seinen Blick auf ihr Gesicht: „Ich möchte, dass Sie vorsichtig sind. Sie unternehmen ab sofort nichts weiter in dem Fall. Sie recherchieren nichts, Sie fragen niemanden nach irgendwas über die Person Rehagen. Und Sie lassen am besten auch den gesamten Kongress außer Acht. Wenn Ihr Chef Anstalten deswegen macht, werde ich persönlich mit ihm reden.“ Damit stand er auf, zog mit einer Hand seine Jacke vom Stuhl, mit der anderen klemmte er sich Charlottes Rechner unter den Arm. Charlotte schwang die Beine über den Bettrand und stand von ihrem Bett auf. Dabei bemerkte sie, dass ihr der Rock hochgerutscht war, und sie zog ihn hastig wieder nach unten. „Ja, aber...“, protestierte sie schwach. „Nichts aber“, sagte Jankovich bestimmt. Doch in seinen blauen Augen lag ein sanfter Ausdruck. „Wenige Stunden nach dem Tod Rehagens so eine Nachricht zu bekommen, das ist kein Spaß, Frau Bienert.“ Charlotte schluckte trocken, dann nickte sie. Er hatte ja recht. Matt sagte sie: „Ich begleite Sie noch zur Tür.“ Jankovich nickte und lief voraus in Richtung der Wohnungstür. Im Flur stellte er Charlottes Rechner auf der Kommode ab, streifte sich seine Jacke über und griff nach der Türklinke. Doch bevor er die Türe öffnete, drehte er sich zu Charlotte um und sagte: „The Police. Merkwürdig, dass er einen Song von ihnen zitiert.“ Charlotte wiegte den Kopf: „Naja, geht ja um Stalking… vielleicht will er damit unterstreichen, dass er mich beobachtet?“ Dann zuckte sie mit den Schultern und sagte: „Schade, dabei mag ich das Lied eigentlich total gern. Aber ab jetzt wird es für mich noch eine ganz andere Bedeutung haben.“ Jankovich sah auf einmal traurig aus. „Das tut mir leid. Das Ganze. Das sollte Ihnen nicht passieren.“ Doch bevor er weiter ausführen konnte, was er damit meinte, zog er die Tür auf. Charlotte fragte hoffnungsvoll: „Sie halten mich aber schon auf dem Laufenden? Wenn ich schon nicht selber recherchieren darf? Zumindest was die Analyse meines Rechners ergeben hat.“ Nun wiegte Jankovich den Kopf. „Wir werden sehen. Ich melde mich auf jeden Fall, sobald Sie Ihren Rechner wiederhaben können.“ Er nickte ihr kurz zu und wandte sich dann zum Gehen.