Читать книгу Mord auf Kongress - Christine Zilinski - Страница 4
Kapitel 2
Оглавление„Bienert, Charlotte Bienert.“ Charlotte stand am Samstagmorgen ungeduldig am Presseschalter. Sie wartete darauf, ihren Ausweis ausgehändigt zu bekommen. Dabei kippelte sie nervös mit ihrem rechten Fuß. Die Pumps waren relativ neu und noch nicht eingelaufen. Ein Fehler, wie Charlotte schon nach wenigen Gehminuten feststellen musste: An ihrem rechten großen Zeh bildete sich bereits eine Blase. Aber Charlottes bester Freund Max hatte ihr die Schuhe bei ihrer letzten Shopping-Tour regelrecht aufgeschwatzt. „Ich schwöre dir, diese Schuhe zu deinem Kostüm – das passt wie Arsch auf Eimer!“ Max war ein begnadeter Modeberater. Kein Wunder, als freiberuflicher Visagist hatte er ein Auge dafür, was Frauen schöner machte.
Die junge blonde Frau hinter dem Tresen des Presseschalters suchte nun in einer Kartei voller Plastikausweise nach Charlottes Namen. Während sie wartete, beobachtete Charlotte verstohlen die Kongresshelferin. Simone Fischer stand auf ihrem Namensschild. Schließlich wurde die Frau fündig. „Ach, da hab ich Sie ja. Hier, Ihr Badge“, sagte sie und reichte Charlotte ihren Presseausweis über den Tresen. Der Ausweis hing an einem langen Schlüsselband. „Danke“, lächelnd nahm Charlotte das Band entgegen und legte es sich um den Hals. „Und hier ist noch das Programm“, sagte die Blondine und schob Charlotte ein daumendickes Büchlein über den Tresen. Ablehnend hob Charlotte die Hand. „Vielen Dank, aber das brauche ich nicht. Ich bin nur zu einem Vortrag da. Dem Highlight-Vortrag.“ Die Frau sah auf die Uhr an der Wand neben sich. „Da sind Sie aber früh dran. Geht ja erst in ‘ner halben Stunde los. Aber der Professor Rehagen ist ja auch schon da – wahrscheinlich grade bei der Medienannahme.“ Jetzt lächelte sie, und Charlotte erwiderte ihr Lächeln, bevor sie zum Abschied nickte und sich abwandte. Charlotte ignorierte tapfer die brennende Stelle an ihrem Zeh und steuerte auf das Pressebüro zu, das sich direkt neben der Medienannahme befand. Auf einem kleinen Aufsteller neben der Tür zur Medienannahme stand:
Für Sprecher: Abgabe der Präsentationen hier.
Kurz bevor Charlotte das Pressebüro erreicht hatte, spürte sie ihr Handy in der Blazertasche ihres Kostüms vibrieren. Im Gehen zog sie ihr Telefon hervor. Es war Max. Mit zusammengezogenen Augenbrauen ging Charlotte ran. „Max? Es ist noch nicht mal 8 Uhr morgens – was ist denn los?“ Und schlagartig, ohne dass sie es verhindern konnte, stieg ein mulmiges Gefühl in ihr auf.
Vor einigen Monaten hatte ein unerwarteter Anruf Charlotte schon einmal aus dem Alltag gerissen: Damals hatte Sanne gerade eine Leiche im Zoo gefunden. Sanne hatte Charlotte angerufen, weil sie wollte, dass ihre Schwester sich den Leichnam und den Tatort ansah. Und das nur, weil Charlotte zuvor bereits bei der Aufklärung eines anderen Mordfalles mitgeholfen hatte. Charlotte war vollkommen entsetzt gewesen, als Sanne von ihr ernsthaft eine Leichenbeschauung forderte. Aber aus irgendeinem Grund dachte Sanne, dass Charlotte quasi einer Ermittlerin gleichkam. Und das nur, weil sie bei ihren bisherigen „Todes-Erfahrungen“ mit Kriminalhauptkommissar Jankovich zusammengearbeitet hatte – und beide Fälle mit aufklären konnte. Allerdings sehr zu Jankovichs Missfallen. Denn er hatte beide Male, die sie miteinander zu tun hatten, deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er nichts von Charlotte Einmischungen hielt. Und da Charlotte bei diesen „Ermittlungen“ auch immer selbst in Gefahr geraten war, hatte sie nun das ungute Gefühl, sich schon bald in der nächsten Katastrophe wiederzufinden.
‚Ach Unsinn, entspann dich‘, schalt sich Charlotte trotzig. Sie wischte die aufkeimende Unruhe beiseite und lauschte in die Stille der Leitung. „Max? Sag doch was!“ Auf einmal hörte sie ein Wimmern und Schluchzen, dann brach sich Max‘ bebende Stimme durch die Leitung: „Er hat Schluss gemacht!“ Charlotte blieb stehen. Sie fühlte eine Erleichterung in sich aufsteigen. Denn das war keine schockierende Nachricht, sondern etwas, was sie schon kannte. „Was?“, hakte sie nach. Wieder schniefte es in den Hörer. „Ja, Mann, der Max hat Schluss gemacht! Grade eben. Ich steh voll unter Schock, ich weiß nicht mal, wieso er Schluss gemacht hat!“ Irritiert schüttelte Charlotte den Kopf. „Wie, er hat ohne Begründung Schluss gemacht? Schon wieder?“ Max Freund und Namensvetter hatte tatsächlich bereits einige Male mit ihm Schluss gemacht. Nur, um ihn anschließend wieder um Verzeihung zu bitten und in seine Arme zu laufen. Max schnäuzte sich jetzt geräuschvoll und Charlotte hielt den Apparat einige Zentimeter vom Ohr weg. Schluchzend stotterte er: „Diesmal ist es ernst. Er hat... mir... einen Brief geschickt. Den hatte ich grade in der Post. Er... er schreibt, er kann endgültig nicht mehr mit mir zusammen sein. Schluss, aus, finito. Ohne Grund...“, Max brach ab und schluchzte hemmungslos. Charlotte atmete einmal tief durch und sprach dann mit der sanftesten Stimme, die sie aufbringen konnte: „Max, bitte, beruhige dich. Das klärt sich doch garantiert. Hör zu, wenn du mich fragst, rufst du ihn nachher gleich mal an und fragst ihn, warum er dieses Mal mit dir Schluss macht. Eine Erklärung ist ja wohl das Mindeste, was er dir schuldet.“ Max schniefte und Charlotte hörte, wie er undeutlich sagte: „Gnja schon. Aber iffil gar nicht!“ Beharrlich, aber immer noch sanft erwiderte Charlotte: „Doch Max, tu das, du wirst sehen, das hilft dir dann auch, damit besser umzugehen. Und wer weiß, vielleicht kriegt ihr das ja auch wieder hin“, fügte sie mit aufmunternder Stimme hinzu. Beinahe beleidigt nölte Max: „Wieder hinkriegen? Was gibt es denn da bitte hinzukriegen? Der Arsch hat mich einfach abserviert! Per Brief, ist das zu fassen?“ Charlotte seufzte. „Max, muss ich es jetzt echt aussprechen? Offenbar geht’s bei euch zweien halt nicht ohne Drama, also würde ich das jetzt auch nicht überbewerten.“ Als Max nichts sagte, fuhr Charlotte fort: „Hör mal, ich bin jetzt leider unterwegs für die Arbeit, ich muss gleich auflegen. Aber bitte, ruf ihn an, Max. Wie gesagt, das klärt sich, glaub‘s mir.“ Kleinlaut maulte Max: „Na schön. Aber ich ruf dich dann trotzdem nochmal an, nachdem ich mit ihm gesprochen habe.“ „Ich bitte darum“, sagte Charlotte lächelnd. Dann legte sie kopfschüttelnd auf und lief, ohne sich umzusehen, in den nächstliegenden Raum.
Verwundert ließ sie ihren Blick schweifen und sah einen recht karg ausgestattetes Zimmer, in dessen Mitte einige Tische mit Rechnern zusammenstanden. Der Raum war menschenleer, außer einem jungen Mann mit braunen Locken, der an dem Tischpulk saß. Er sah aufmerksam auf, als Charlotte eintrat. Als sie den Rechner ansteuerte, der ihr am nächsten stand, sprang der Mann mit hektisch aufgerissenen Augen auf. Er lief um den Tisch herum auf Charlotte zu: „Äh Moment, darf ich fragen, wer Sie sind? Sind Sie Speaker?“ Charlotte runzelte angesichts des strengen Tonfalls die Stirn und erwiderte: „Nein, ich bin von der Presse.“ Dabei hielt sie dem jungen Mann ihr Badge entgegen und er warf einen Blick darauf. „Dann sind Sie hier aber falsch“, sagte er schnell. „Hier ist die Medienannahme für Speaker. Das Pressebüro ist direkt nebenan.“ Charlotte seufzte. Sie war von Max‘ Anruf so abgelenkt gewesen, dass sie ins falsche Zimmer gelaufen war. „Ach so... ja, sorry, dann gehe ich mal rüber.“ Mit diesen Worten drehte sie sich in Richtung Ausgang. In Gedanken versunken lief sie eilig auf die Tür zu. Als sie wahrnahm, dass sich etwas auf sie zubewegte, war es beinahe zu spät: Im Türrahmen stieß sie fast mit einem Mann zusammen. „Passen Sie doch auf, junge Dame!“, herrschte der Mann Charlotte an. Er war hochgewachsen, Mitte 50 und hatte gepflegtes, dichtes Haar, das an den Seiten erste graue Strähnen zeigte. Er strahlte etwas Autoritäres aus und sein Tonfall ließ keinen Zweifel, dass Charlotte sich in seinen Augen einen groben Fehler geleistet hatte. Überrumpelt wich Charlotte zur Seite und murmelte „Entschuldigung.“ Doch sofort stieg Wut in ihr auf: ‚Warum entschuldige ich mich eigentlich? Er hätte genauso gut aufpassen können!‘ Doch der Mann achtete gar nicht mehr auf Charlotte, sondern schritt energisch an ihr vorbei auf die Rechner zu. Charlotte schluckte ihren Ärger herunter und wandte sich wieder dem Ausgang zu. Aus den Augenwinkeln sah sie noch, wie der lockenköpfige junge Mann auf den Griesgram zulief. Er verwies ihn an den Rechner, an den Charlotte sich eben noch hatte setzen wollen. ‚Na, der Herr ist wohl dann ein echter Speaker‘, dachte Charlotte missbilligend.