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Kapitel 6

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Jankovich sah Johannes noch einen Augenblick hinterher, dann nahm er den Platz seines Vorgängers, gegenüber von Charlotte, ein. Doch statt Charlotte nach dem Ablauf ihres Vormittags zu befragen, betrachtete er nur besorgt ihr Gesicht. Er fragte: „Wie geht es Ihnen?“ Automatisch erwiderte Charlotte: „Gut. Mir geht’s gut.“ Jankovich hob eine Augenbraue, sagte aber kein Wort. „Naja, gut nicht direkt. Ein bisschen mitgenommen vielleicht“, räumte Charlotte ein. „Aber ich komme schon klar. So langsam habe ich wohl Übung mit Toten“, sagte sie und bemühte sich, unbeschwert zu klingen. Doch es gelang ihr nicht. Jankovich seufzte, dann lehnte er sich im Sessel nach vorne. Damit die übrigen Anwesenden im Pressebüro nicht mitbekamen, worüber sie redeten, senkte er seine Stimme. „Also, was das angeht... Der Notarzt hat was an der Leiche entdeckt, was tatsächlich darauf schließen lässt, dass er keinen normalen Infarkt hatte.“ Charlottes Augen weiteten sich. „Nämlich?“, fragte sie angespannt. „Naja, Genaueres kann uns erst der Gerichtsmediziner sagen. Aber es gibt offenbar Anzeichen dafür, dass das Opfer erstickt ist. Das ist merkwürdig, da es nichts am Körper des Opfers gab, das seine Atemwege irgendwie abgedrückt hätte. Und für eine Thromboembolie der Lunge ging das Ganze wohl zu schnell, haben die Sanitäter gesagt. Das hat ihnen zumindest einer der Ersthelfer erzählt, der wohl Tierarzt ist und versucht hat, Rehagen wiederzubeleben.“ Tonlos flüsterte Charlotte: „Also schon wieder Mord?“ Jankovich zuckte die Schultern, verzog die Lippen zu einem traurigen Lächeln und sagte: „Gut möglich.“ Dann lehnte er sich in seinem Sessel zurück und schlug die langen Beine übereinander. Charlotte ließ das Gesagte einen Moment sacken. Doch unwillkürlich tauchte eine Frage in ihrem Kopf auf und sie erhob die Stimme: „Aber dann müsste man hier doch sofort alles abbrechen, den ganzen Kongress. Läuft hier jetzt alles einfach weiter?“ Jankovich machte eine beruhigende Geste mit der Hand, als er merkte, dass sich einige der Journalisten im Raum zu ihnen umgedreht hatten. „Ich habe schon mit der Kongressorganisation gesprochen. Um hier keinen Aufruhr zu provozieren, bleibt es beim geplanten Ablauf. Und Professor Rehagens... Zusammenbruch wird erstmal nicht kommuniziert.“ Er ließ den Blick schweifen und nickte den Journalisten freundlich zu, die ihn neugierig beobachteten. Das schien sie zu beruhigen und sie wendeten sich wieder ab. Jankovich sprach wieder zu Charlotte: „Seine Vorträge werden gestrichen. Alle anderen finden wie geplant statt.“ Charlotte schüttelte ungläubig den Kopf. Jankovich entfaltete seine Beine und beugte sich wieder zu ihr: „Das ist besser so, glauben Sie mir. Bei der Menge an Leuten wäre hier die Hölle los, wenn wir voreilig von Mord sprechen. Und da wir hier auch noch direkt neben dem Flughafen sind, könnte sich das Ganze noch in ein viel größeres Chaos entwickeln. Und das, obwohl wir nur vermuten können, dass es kein natürlicher Todesfall ist.“ Charlotte schluckte trocken, doch sie sah ein, dass Jankovich recht hatte. Trotzdem spürte sie, wie sich Widerstand in ihr aufbäumte. Sie fand es unverständlich, wie der Tod eines Menschen einfach als Nebensache unter den Teppich gekehrt werden konnte. Doch sie schwieg. Jankovich betrachtete Charlotte und sagte: „Langsam werden Sie mir unheimlich. Sie sind ja wie ein Leichenspürhund.“ Schnell schob er nach: „Das meine ich im nettesten Sinne.“ Dann wurde sein Gesichtsausdruck entschlossen, und er holte tief Luft, bevor er sagte: „Aber ehrlich gesagt möchte ich diesmal wirklich, dass Sie sich raushalten. Das ist einfach nichts für Sie.“ Abrupt stand er aus dem Sessel auf.

Charlotte starrte apathisch auf den Tisch vor sich. ‚Was hat er gesagt?‘ Mit dieser schnellen Abfuhr hatte sie nicht gerechnet. Plötzlich schob sich Jankovichs Hand in ihr Sichtfeld. Offenbar wollte er ihr zum Abschied die Hand schütteln. Doch Charlotte ergriff seine Hand nicht. Stattdessen erhob sie sich ebenfalls aus ihrem Sessel. Dabei verzog sie kurz das Gesicht, als sie den Druck ihres Pumps auf den verletzten Zehen spürte. Doch trotz ihrem Absatz war sie immer noch kleiner als er und musste zu ihm hochblicken: „Das glauben Sie ja wohl selber nicht. Ich habe Sie angerufen! Wenn ich Ihnen nicht Bescheid gegeben hätte, wäre der Tote wahrscheinlich gar nicht in Ihren Zuständigkeitsbereich gefallen. Oder vielleicht hätte man bei ihm tatsächlich nur einen Infarkt vermutet!“ Überrascht hob Jankovich beide Augenbrauen. Doch Charlotte war in Fahrt: „Das schminken Sie sich mal schön ab. Natürlich bin ich wieder bei den Ermittlungen dabei!“ Jankovich starrte sie ungläubig an. Doch dann zog er die Stirn in strenge Falten, reckte sein Kinn ein wenig und sagte: „Frau Bienert, das steht hier nicht zur Diskussion. Ich sehe doch, wie fertig Sie sind. Und ich will nicht, dass Sie schon wieder...“, er brach ab. Er schüttelte den Kopf und setzte mit mühsam gesenkter Stimme fort: „Nein, das geht einfach nicht. Bitte, gehen Sie hier meinetwegen Ihrer weiteren Arbeit nach oder fahren Sie nach Hause. Aber bleiben Sie vom Tatort fern und lassen Sie mich und meine Kollegen unseren Job machen.“ Charlotte starrte ihn empört an. Sie rechnete damit, dass Jankovich sie jeden Moment stehen ließ und sich wegdrehte. Doch er blieb stehen. Sie reckte ebenfalls ihr Kinn und sagte trotzig: „Nein. Ich bleibe und ich stelle auch meine Fragen. Sie können mich nicht daran hindern. Sie wissen doch selber, dass mein Chef mich auf die Geschichte ansetzen wird. Spätestens, sobald klar ist, woran Professor Rehagen gestorben ist. Ist also quasi auch mein Job, den ich hier machen muss.“ Jankovich verschränkte die Arme vor der Brust. Für einige Augenblicke standen sie einander reglos gegenüber und funkelten sich wütend an. Dann nahm Jankovich seine Arme wieder herunter, schüttelte den Kopf und sagte: „Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Ich kann Sie ja offenbar nicht daran hindern. Aber halten Sie sich aus meinen Ermittlungen raus.“ Beinahe widerwillig, aber in sanfterem Tonfall schob er hinterher: „Und bringen Sie sich nicht schon wieder in Gefahr.“ Dann drehte er sich um und verließ das Pressebüro. Charlotte blieb verdattert zurück. Sie drehte ihren Kopf und sah Jankovich nach. Dabei konnte sie erkennen, wie er beim Gehen den Kopf schüttelte.

Charlotte atmete einmal tief durch. ‚Was ist hier gerade passiert?‘, fragte sie sich verwirrt. ‚Ich hab ihm doch nichts getan. Warum blockt er mich gleich so ab?‘ Sie schüttelte den Kopf und ließ sich wieder in den Sessel fallen. Einige Minuten lang blieb sie einfach sitzen und ließ ihre Diskussion mit Jankovich Revue passieren. Schließlich kam sie zu dem Schluss, dass sie das kein Stück voranbrachte. Sie rief sich zur Ordnung und versuchte, ein rationales Vorgehen zu planen. ‚Ok, was mache ich als nächstes?‘, fragte sie sich. Charlotte zog ihren Notizblock hervor und schrieb sich als Gedankenstütze ihre nächsten Schritte auf:

 Die letzten Stationen von Rehagen hier auf dem Kongress durchgehen

 Wer hat hier mit ihm gesprochen?

 Wo und woran hat er gearbeitet (Lehrstuhl, Themen)?

 Wer könnte etwas gegen ihn haben? Feinde

Charlotte las sich durch, was sie soeben geschrieben hatte. Dabei ließ sie gedankenverloren den Stift ihres Kulis ein paar Mal klicken, bevor ein Räuspern sie veranlasste, hochzusehen. Eine grauhaarige Frau fixierte Charlotte mit bösem Blick. Offenbar fühlte sie sich vom Klick-Geräusch gestört. „Entschuldigung“, hauchte Charlotte. Sie legte den Kuli zur Seite und senkte den Blick wieder auf ihre To-Do-Liste. Sie nahm sich vor, gleich Punkt Nummer eins ihrer Liste anzugehen. ‚Wie kriege ich raus, wo Rehagen hier überall war?‘ Ihr fiel die junge Kongressmitarbeiterin ein, die ihr ihren Pressebadge überreicht hatte. ‚Simone Fischer hieß sie glaube ich.‘ Zu ihr würde Charlotte als Erstes gehen. Sie raffte ihre Siebensachen zusammen und erhob sich aus dem Sessel. Als sie erneut der Schmerz der immer größer werdenden Blase am Zeh durchfuhr, sog sie schnell die Luft ein. ‚Warum habe ich mir bloß keine Ersatzschuhe mitgenommen?‘, dachte sie und war wütend auf sich selbst.

Mord auf Kongress

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