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Kapitel 4

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Paul Jankovich deckte den Frühstückstisch für zwei Personen. Im Hintergrund lief sein Lieblings-Radiosender, der gerade Careless Whisper von George Michael spielte. Jankovich summte leise mit und zündete zwei Teelichter auf dem Tisch an. Er wusste, dass Ruth das gerne mochte. Sie würde jeden Moment aufstehen. Mittlerweile verbrachte Ruth jedes zweite Wochenende bei ihm in seiner Wohnung. Jankovich genoss ihre gemeinsame Zeit. Er freundete sich zunehmend mit der Situation an, wieder eine feste Beziehung zu führen. Daran hatte er nach seiner Scheidung vor knapp 1 ½ Jahren nicht mehr geglaubt. Doch seit er Ruth vor wenigen Monaten kennen gelernt hatte, hatte er ihrer Beziehung eine Chance gegeben – und es bislang nicht bereut. ‚Oder doch?‘, schoss es Jankovich unvermittelt durch den Kopf. Er hielt inne, als er gerade zwei Eierbecher auf den Tisch stellen wollte. Doch bevor das Gedankenkarussell um Ruth und ihn, wie es in den letzten Tagen häufiger vorkam, erneut ausschweifen konnte, maßregelte er sich. ‚Ach, halt die Klappe.‘ Jankovich stellte die Eierbecher mit mehr Schwung als nötig ab. In diesem Augenblick hörte er sein Handy klingeln. Mit drei Schritten erreichte er sein Telefon und sah aufs Display. Als er den Namen las, zog er überrascht die Augenbrauen hoch. Dann hob er ab.

„Ja hallo, Herr Jankovich? Charlotte Bienert hier“, ertönte ihre Stimme etwas atemlos. Ein Lächeln zog sich über Jankovichs Lippen, ohne dass er es verhindern konnte. Ruhig sagte er: „Frau Bienert, das ist aber eine Überraschung. Sagen Sie bloß, Sie sind schon wieder über eine Leiche gestolpert?“, tönte er flapsig. Im selben Moment wurde ihm klar, dass er damit wohl richtig lag. Wie zur Bestätigung sagte Charlotte: „Ja, also, ob Sie’s glauben oder nicht. Das bin ich tatsächlich. Ich... bin hier im Stuttgarter Kongresszentrum und... naja, der Redner ist grade vor unser aller Augen zusammengebrochen... und... ist tot.“ Im Hintergrund konnte Jankovich jetzt deutlich ein Stimmengewirr ausmachen. Irgendjemand forderte Charlotte auf, aus dem Weg zu gehen. Er hörte, wie sie eine Entschuldigung murmelte. Dann lief sie offenbar ein paar Schritte von der Menschenmenge weg, denn die Hintergrundgeräusche wurden leiser. Mit gepresster Stimme fuhr sie fort: „Hören Sie, ich hätte Sie nicht angerufen... wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass hier etwas nicht stimmt. Der Mann ist einfach umgekippt, von jetzt auf gleich. Und ist innerhalb weniger Minuten gestorben. Ich...“ „Moment, Frau Bienert, beruhigen Sie sich“, fuhr Jankovich dazwischen. Er realisierte jetzt, dass sie unter Schock stehen musste, wenn sie direkt vor ihren Augen jemanden hatte sterben sehen. Er schloss kurz die Augen, dann fragte er: „Ist die Polizei schon verständigt?“ Charlotte zögerte, bevor sie antwortete: „Ich weiß es nicht. Ich denke schon, schließlich hat man auch gleich den Notarzt gerufen. Der stellt übrigens grade den Totenschein aus. Aber jemanden in Uniform habe ich noch nicht gesehen.“ Sie machte eine Pause, dann fragte sie mit beinahe flehender Stimme: „Bitte, können Sie nicht kommen?“ Jankovich seufzte. Er warf einen Blick auf den gedeckten Frühstückstisch. Im selben Moment hörte er, wie Ruth die Badezimmertür hinter sich schloss. Sie würde sicher enttäuscht sein, wenn er jetzt ging. Er selbst hatte sich ja auch auf das gemeinsame Frühstück gefreut. Aber andererseits... hatte ihn der Anruf von Charlotte Bienert jetzt ohnehin aus der Ruhe gebracht. Und wenn er sich vorstellte, wie sie alleine dort war und einen Menschen hatte sterben sehen... Ungeachtet der Konsequenzen atmete Jankovich tief durch und sagte: „Ich bin in einer halben Stunde da.“

Nachdem er aufgelegt hatte, meldete Jankovich sich schnell beim Präsidium und kündigte sein außerplanmäßiges Erscheinen beim Kongress an. Dann fuhr er auf schnellstem Weg in Richtung Flughafen, neben dem das Messezentrum lag. Seinen Kollegen, Kommissar Hubert Specht, wollte er an seinem freien Samstag erst einmal nicht behelligen. Jankovich wusste ja selbst noch nicht genau, um was es sich bei dem Todesfall wirklich handelte. Als er seinen Alpha Romeo in der Tiefgarage beim Messegelände abstellte, streifte er seine Lederjacke über und steuerte auf den Messeeingang zu. Als er nur noch einige 100 Meter entfernt war, konnte er erkennen, dass beim Haupteingang ein Streifenpolizist auf ihn wartete. Einige Kongressbesucher standen vereinzelt vor den gläsernen Türen und rauchten oder unterhielten sich. Als er am Eingang angekommen war, begrüßte Jankovich seinen Kollegen mit Handschlag. Gemeinsam betraten sie die weiträumige Eingangshalle des Messegeländes. Der uniformierte Beamte deutete ihm den Weg zum großen Kongresssaal. Während sie gemeinsam dorthin liefen, ließ Jankovich seinen Blick schweifen, erkannte jedoch in keinem der Gesichter, die ihm begegneten, Panik oder Aufruhr. ‚Dann scheint bislang ja noch nichts durchgesickert‘, dachte er beruhigt. Allerdings warfen die Menschen dem Mann in Uniform, der direkt neben ihm lief, neugierige Blicke hinterher. Im Gehen sagte Jankovichs Kollege leise zu ihm: „Der Tote liegt noch dort, wo er gestorben ist. Wir wollten warten, bis Sie ihn sich mal angesehen haben.“ Nach wenigen Minuten erreichten sie den ausgeschilderten Saal. Junge Kongressmitarbeiter hatten sich an den Ein- und Ausgängen postiert, um keine Besucher mehr in den Saal zu lassen. ‚Gut organisiert‘, dachte Jankovich beifällig. Sein Kollege erhielt dank Uniform ohne Probleme Zugang zu einer der schweren Türen und zog sie für Jankovich auf. Als dieser den Raum betrat, ließ er seinen Blick über die leeren Sitzreihen direkt nach vorne zur Bühne schweifen. Dort machte er neben zwei Sanitätern auch einen Notarzt aus. Alle drei standen bei einer Gestalt, die neben dem Rednerpult lag. Jankovichs Begleitung war nun ebenfalls in den Raum getreten und sagte mit gedämpfter Stimme: „Der Tote ist Professor Günther Rehagen. Er ist Professor für Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Hohenheim und ist Chef des dortigen Lehrstuhls. Offenbar ist er direkt nach Beginn seines Vortrages zusammengebrochen und war innerhalb kürzester Zeit tot.“ Er verstummte und Jankovich nickte ihm dankend zu. „Dann mache ich mir mal mein eigenes Bild.“ Mit diesen Worten lief er mit schnellen Schritten über den Mittelgang auf die Bühne zu.

Und während er auf das Rednerpult zulief, erblickte er Charlotte Bienert. Sie hatte die Arme vor dem Oberkörper verschränkt und ein angespannter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Als sie Jankovich näher kommen sah, legte sich ein Ausdruck der Erleichterung auf ihr blasses Gesicht. Jankovichs Züge wurden weich und, als er sie erreicht hatte, fragte er in mitfühlendem Tonfall: „Na?“ Sie zog die Augenbrauen hoch und schüttelte leicht den Kopf, sagte jedoch kein Wort. Jankovich musterte sie kurz. Ihm fiel ihm auf, dass sie heute anders aussah als sonst. Irgendwie... offizieller. Sie trug ein schwarzes Kostüm, das sie adrett wirken ließ. Doch in diesem Moment wirkte sie eher mitgenommen als geschäftsmäßig. Sanft sagte Jankovich: „Das wird ja langsam zur Gewohnheit, Frau Bienert.“ Sie zog einen verbitterten Gesichtsausdruck, so dass er in besorgterem Tonfall hinterherschob: „Sie sehen sehr blass aus. Wollen Sie nicht irgendwo anders warten – abseits der Leiche, meine ich?“ Nun ergriff Charlotte endlich das Wort. Leise sagte sie: „Ich... also… erst einmal tut es mir leid, dass ich Sie an einem Samstagmorgen angerufen habe. Aber...“, Jankovich hob eine Hand, um sie zu bremsen und griff nach ihrem Ellenbogen. „Ist schon in Ordnung. Jetzt bin ich ja da. Kommen Sie, gehen Sie lieber hier raus. Ich schaue mir das hier mal an und danach erzählen Sie mir alles.“ Charlotte ließ sich von ihm ein paar Schritte weit von der Bühne wegführen, dann nickte sie und sagte: „Ist gut, ich warte im Pressebüro.“ Sie erklärte ihm kurz, wo er den Raum finden konnte. Sie wandte sich bereits zum Gehen, als sie sich noch einmal umdrehte und ihm in die Augen sah. Dann sagte sie: „Danke, dass Sie gekommen sind.“ Jankovich erwiderte ihren Blick, deutete ein Lächeln an und nickte schwach. Dann lief Charlotte mit unsicheren Schritten aus dem Saal. Jankovich sah ihr kurz hinterher, dann drehte er sich zur Bühne um und erklomm die wenigen Stufen.

Mord auf Kongress

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