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Hochzeitsnacht

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Wenige Tage nach Evas vollständiger Genesung verlobte sie sich mit Jan Pieterszoon Coen. Im Beisein ihrer Familien – auf Coens Seite lebte nur noch seine Schwester, die aus Hoorn angereist war – gaben sie sich ein feierliches Eheversprechen und tauschten Ringe aus, die von Coen bezahlt worden waren.

Bis zur Hochzeit waren es nun noch acht Wochen.

Eva war zutiefst niedergeschlagen, aber nur Gerrit schien sie zu verstehen. Alle anderen hielten es für selbstverständlich, dass sie ihren Lebensretter, der zudem so angesehen und reich war, nicht abwies. Der Druck war so groß gewesen, dass sie ihren Widerstand aufgegeben hatte. Wenn sie aber daran dachte, dass sie nun den Rest ihres Lebens mit einem Mann verbringen musste, den sie nicht liebte, ja noch nicht einmal mochte, war sie verzweifelt.

Mitunter holte Coen sie nun zu Spaziergängen ab. Er zeigte ihr die Börse, die zur Handelszeit um die Mittagsstunde so voll besetzt war wie eine Kirche während des Ostergottesdienstes. Im Rathaus erklärte er ihr die Bedeutung der städtischen Wechselbank, in deren Keller Geld im Wert von mehreren hundert Tonnen Gold lagern sollte. Eva hörte nicht zu. Stattdessen sah sie einem Liebespaar nach, das ins Rathaus gekommen war, um seine Hochzeit anzumelden. All dies würde sie niemals erleben – das Schönste im Leben würde an ihr vorbeigehen. Ihr schossen Tränen in die Augen.

Wenn halbwegs gutes Wetter war, wanderten sie über die Stadtmauer. Auf der einen Seite blickte man über die Giebel und Dächer der Stadt, auf der anderen Seite auf sumpfige Weiden. Hier oben hörte man nur das Ächzen und Surren der Windmühlenflügel. Wie kolossale Wächter umstanden die Mühlen die ganze Stadt und ruderten Tag und Nacht mit ihren Armen durch die Luft. Coen hatte auch sehr lange Arme … Bald würde er sie damit umschließen, dieser entsetzlich große Mann. Und dann … was dann geschehen würde, daran wollte sie lieber nicht denken.

Jedes Mal war sie froh, wenn der Spaziergang endlich zu Ende war. Dann flüchtete sie nach Hause zu Gerrit. Ihr Bruder war der Mensch auf der Welt, der ihr mit Abstand am meisten bedeutete. Vom Tag der Hochzeit an würde sie zum ersten Mal, seit sie denken konnte, nicht mehr im selben Haus wie er schlafen.

„Auf keinen Fall will ich ein Kind von diesem Mann“, sagte sie.

„Dann halt immer schön die Beine zusammen“, feixte Gerrit.

„Ich meine es ernst. Ich bin viel zu jung für Kinder.“

„Er wird dich aber kaum in Ruhe lassen. Sobald ihr verheiratet seid, kannst du dich nicht mehr weigern.“

„Das weiß ich. Aber es gibt doch zumindest Wege, eine Schwangerschaft zu verhindern.“

„Und welche?“

„Tu nicht so dumm!“

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“

„Genau weiß ich es auch nicht. Aber die Huren wissen alles darüber. Darum möchte ich, dass du hingehst und sie fragst.“

„Was? Ich soll für dich zu den Huren gehen und sie bitten: ,Nun erzählt mir mal schön, wie macht ihr das, dass eure Kunden ihre schmutzigen Pinsel in eure Farbtöpfe stecken und ihr doch sauber bleibt?‘“

„Was spricht dagegen? Du kannst ihnen Geld dafür bieten. Außerdem bist du doch bestimmt schon mal dort gewesen, oder?“

„Nein, bin ich nicht!“ Gerrit schüttelte den Kopf, dass seine Locken hin und her wippten, aber Eva hörte an seiner Stimme, dass er log.

„Ich weiß übrigens, dass du mit deinen Kumpanen neulich Rabatz gemacht hast. Ihr habt Blumenkästen umgeworfen und eine Scheibe zertrümmert.“

„Was … woher …?“

„Ich habe meine Zuträger in der Nachbarschaft, glaub mir. Natürlich habe ich Vater nichts verraten. Ehrensache. Aber ich frage mich, wieso du mir dann nicht diesen kleinen Gefallen erweisen kannst?“

Gerrit stieß einen Seufzer des Missfallens auf, dann sprang er auf und zog sich das Wams gerade. „Also gut, ich gehe. Aber dafür schuldest du mir was.“

Am Abend des übernächsten Tages kam er zu ihr ins Zimmer.

„Ich habe was bekommen“, sagte er. Er öffnete ein kleines Säckchen und holte ein hauchdünnes Stofftüchlein hervor. „Das Ding ist mit allem möglichen Zeug präpariert. Akazie, Koloquinte, und den Rest hab ich vergessen. Das musst du dir in dein Schatzkästlein legen, und dann ist es wohl fast garantiert, dass du keine Kinder bekommst. Die, die mir’s gegeben hat, scheint eine absolute Kennerin zu sein. Sie sagt, sie experimentiert mit so vielen Kräutern, dass man zwei Wiesen damit füllen könnte.“

Eva war sehr erleichtert, als sie das Tüchlein in ihrer Leinentruhe verstaute. Sie hatte das Gefühl, dass sie der Hochzeitsnacht nun nicht mehr wehrlos entgegensehen musste. Sie war gewappnet.

Die Zeit bis zu ihrem großen Tag verging schnell. Es gab viel zu tun: Sie musste die Einladungen schreiben und verschicken, das Aufgebot bestellen, das Brautzimmer schmücken und die Heirat im Vorhinein der städtischen Kommission für Eheangelegenheiten melden. Und dann musste sie natürlich das Hochzeitskleid auszusuchen. Sie entschied sich für ein vorne offenes Übergewand aus glänzendem Seidendamast und einen weit abstehenden Rock. All dies war in vornehmem Schwarz gehalten. Dadurch wurde der Blick des Betrachters wie von selbst auf das spektakuläre Brustmieder gelenkt, das unter dem Übergewand hervorschaute: Es war von oben bis unten in einem komplizierten Blumenmuster mit Gold- und Silberfäden durchwirkt und mit Perlen bestickt. Dazu trug sie einen blütenweißen Mühlsteinkragen, dessen gefältelter Stoff ausgebreitet über alle Stockwerke des Weißen Adlers gereicht hätte. Als sie all das zur Probe angelegt hatte, gaben sich der französische Schneider und seine beiden Gehilfen schier fassungslos und sprachen von einem der schönsten Brautkostüme, das sie je hergestellt hätten. Eva ärgerte sich nur darüber, dass der Schneider beim Anprobieren der Haube die Bemerkung fallen ließ, dieser Kopfputz sei auch deshalb so wunderbar für sie geeignet, weil er ihre feuerroten Haare vollkommen verberge.

Einige Tage vor der Hochzeit feierte Eva mit ihren besten Freundinnen ihren Junggesellinnenabschied. Sie verzierten den Weißen Adler gemäß alter Tradition mit grünen Zweigen – die zu dieser Jahreszeit nicht leicht zu bekommen waren – und aßen und tranken zusammen in der Taverne Im Äffchen. „Du kannst so stolz sein“, sagte ihre alte Schulfreundin Feyntje zu ihr. „Ein solcher Fang, wie du ihn gemacht hast, wird keiner von uns je gelingen.“ Fast begann sie selbst zu glauben, dass alles gar nicht so schlimm war.

Die letzte Nacht in ihrem Elternhaus verbrachte sie bei Gerrit. Wie selbstverständlich kroch sie zu ihm ins Bett und umarmte ihn von hinten, wie früher, als er noch klein gewesen war und sie ihn in dieser Haltung geschützt hatte. Noch einmal versuchte sie, im gleichen Rhythmus zu atmen wie er, aber Gerrits Brust hob sich jetzt viel langsamer als ihre.

Dann kam der Tag. Morgens wurde Eva von zwei befreundeten Nachbarinnen geweckt, die ihr beim Ankleiden und Herrichten halfen. Bis zur Trauzeremonie am Mittag mussten sie dann noch einige Stunden überbrücken. Einige Freunde und Verwandte trafen ein, um sie vorab zu bestaunen. Gerrit hatte sich aus gegebenem Anlass goldene Ohrringe zugelegt und Schönheitsflecken auf sein Gesicht aufgemalt. Allerdings hatte er es damit übertrieben, sodass es nun aussah, als hätte er die Pocken. Jasper trug eine goldene Schleife um den Hals.

Als sie gegen ein Uhr mittags zur Kirche gingen, konnte Eva kaum glauben, wie viele Leute dort schon standen, allesamt in Samt und Seide gehüllt. Herren mit leuchtenden Schärpen um den Leib stemmten die Hand in die Hüfte, auf dass der Ärmelstoff prächtiger leuchte, und präsentierten den Federhut. Vorgestreckte Amtsbäuche und perlengeschmückte Frauenhälse wetteiferten um Aufmerksamkeit. Sie zweifelte nicht daran, dass dieser Auftrieb in erster Linie der Prominenz und dem Einfluss Jan Pieterszoon Coens geschuldet war.

Beim Betreten des Kirchhofs wurde sie mit Hochrufen empfangen, dazu streuten junge Mädchen Blumen vor ihr aus. Dann sah sie ihren Bräutigam auf sich zukommen, alle anderen Menschen auf dem Platz um mindestens eine Haupteslänge überragend. Er trug eine kurze, eng taillierte Jacke, lediglich verziert durch Reihen kleiner Goldknöpfe. Das auffälligste Gewandteil waren die Ärmel, die mit leuchtenden Goldfäden bestickt waren. Dazu hatte er eine leger gefältelte Krause um den Hals und auf dem Kopf einen Hut mit breiter Krempe, die über der Stirn schräg nach oben geschlagen war. Auch wenn ihr seine Gesichtszüge nach wie vor zu hart erschienen, so sah er doch Respekt einflößend aus.

Zur Begrüßung gab er ihr einen scheuen Kuss auf die Wange und flüsterte ihr zu: „Die schönste Madame von Amsterdam …“ Sie errötete. Dann hakte sie sich bei ihm ein, und gemeinsam schritten sie in die Kirche. Zwei Stühle mit Armlehnen standen für sie bereit.

Pfarrer Sylvius hätte angesichts von so viel eitlem Putz eigentlich sofort zu einer Strafpredigt ansetzen müssen, doch Eva hatte schon öfters bemerkt, dass gerade die strenggläubigen Geistlichen immer sehr genau wussten, mit wem sie sich gut stellen mussten.

So beschränkte er sich in seiner Ansprache darauf, Braut und Bräutigam zu Gottesfurcht und Treue zu ermahnen und die Braut außerdem zum Gehorsam.

Dann kam der Moment, in dem Sylvius sie fragte, ob sie Jan Pieterszoon Coen zu ihrem Mann nehmen und ihm treu bleiben wolle bis zum Tod. Eva sagte ohne nachzudenken Ja – es wäre auch undenkbar gewesen, in dieser Zeremonie vor den Augen aller Menschen, die sie kannte, etwas anderes zu antworten. Das Ja von Coen klang fest und klar, wie man es von ihm erwartete. Anschließend streifte Eva ihren rechten Handschuh ab und ließ sich von ihm den Ehering auf den Zeigefinger stecken. Für einen kurzen Moment sah sie sich um, weil sie Gerrits Gesicht sehen wollte, aber er wurde von einer Säule verdeckt.

„Der Himmel gebe“, sagte Sylvius, „dass, bis Euer Leben schließt, die Liebe lebe.“

„Die Liebe!“, dachte Eva. Die Liebe lebte nicht einmal jetzt. Als sie die Alte Kirche verließen, ging ein Blumenregen auf sie nieder. Coen gab ihr einen schnellen Kuss auf den Mund. Kurz danach stürzte Gerrit auf seine Schwester zu, riss sie an sich, umarmte sie stürmisch und küsste sie. Eva meinte aus den Augenwinkeln zu erkennen, dass Coen die Stirn runzelte, doch dann wurde er von Pieter Hasselaer in Anspruch genommen. „Ich hoffe, du vergisst mich nicht“, flüsterte Gerrit ihr ins Ohr.

Ihr Vater umarmte sie ebenfalls und drückte sie an sich, wie er es lange nicht mehr getan hatte. Schon seit Tagen wirkte er beflügelt. Die Aussicht auf die Hochzeit und damit auf das Ende seiner finanziellen Sorgen hatte eine große Last von ihm genommen. „Du wirst sehen, mein Kind, ihr werdet glücklich“, prophezeite er. „Sehr glücklich sogar.“

Eine lange Reihe von Kutschen fuhr vor, die meisten davon Mietkarossen. Die erste, die für das Brautpaar bestimmt war, wurde von sechs Pferden gezogen. Als sich die gesamte Kolonne in Bewegung gesetzt hatte, steckte Eva den Kopf aus dem Fenster und sah so weit, wie sie die Gracht überblicken konnte, nur die Kutschen der Hochzeitsgesellschaft. Leider dauerte die Fahrt nicht lange: gerade einmal eine Brücke, und dann den Oudezijds Voorburgwal hinunter. Am unteren Ende befand sich der Prinsenhof, wo die Hochzeit gefeiert werden sollte. Als sie vor dem stattlichen Backsteinbau vorfuhren, ergriff Coen ihre Hand. Sie stiegen aus, und er geleitete sie in den Gasthof.

Sie traten durch eine Laube aus Blattwerk. Der Zeremonienmeister begrüßte sie und setzte Eva die Brautkrone aus künstlichen Blumen auf. Der Saal selbst war mit Girlanden geschmückt, an den Wänden hingen Blätter mit Sprüchen und Rätseln. Für das Brautpaar standen zwei thronartige Sessel bereit. Nun kamen nacheinander alle Gratulanten zu ihnen und überreichten Geschenke, vor allem kleine Möbelstücke, Silberbesteck und Küchenzubehör. Gerrit übergab ihnen eine Creme, von der er sagte, dass sie sowohl mit Zucker wie mit Salz bestreut sei, was sie zu einem Symbol für die süßen und bitteren Stunden des Ehelebens mache.

Bei Einbruch der Dämmerung wurden die Kerzen entzündet. Nun begab man sich zu Tisch, und es wurde in schier endlosen Gängen aufgetragen: gegrillte Forelle mit Kapern, Lachs in Wein, gebackener Thunfisch in Zitronensauce, herzhafte Braten und überzuckerte Torten. Später am Abend – Pfarrer Sylvius war gegangen – wurden einige Tische beiseite geräumt, und dann wagten sich viele Gäste auf die Tanzfläche. Gerrit spielte auf seiner Fiedel und erntete endlich einmal keinen Tadel, sondern Lob. Er führte den Bogen so schnell, dass man die Bewegungen zuweilen nicht mit den Augen nachverfolgen konnte.

Coen erwies sich während des ganzen Abends als gewandter Gastgeber. Eva spürte zwar, dass er sich zum Scherzen und Schmeicheln erst überwinden musste, doch wenn er wollte, konnte er auch das. Seine Manieren waren tadellos, nie suchte er nach einem Namen oder machte eine spaßhafte Bemerkung, wo sie nicht angebracht war. Das Einzige, was ihm zum perfekten Gesellschafter fehlte, war Herzlichkeit. Seine Freundlichkeit wirkte eine Spur zu souverän, und selbst wenn er lachte, haftete ihm ein Rest von Reserviertheit an.

Mitternacht war längst vorüber, als Eva ihre Brautkrone in die Menge warf – die Nachbarstochter Aletta erhaschte sie, was der Überlieferung zufolge bedeutete, dass sie als Nächste heiraten würde. Die gesamte Gästeschar folgte dem Brautpaar nun mit Kerzen hinunter auf die Straße, nicht wenige nahmen Töpfe und Pfannen mit und schlugen darauf mit Kochlöffeln ein. Dazu wurden zweideutige Lieder gegrölt. Inmitten dieser Katzenmusik bestiegen Eva und Coen ihre Karosse und rauschten davon. Als der Kutscher links abbog, anstatt den Weg zum Weißen Adler einzuschlagen, glaubte Eva für einen kurzen Moment, er hätte einen Fehler gemacht, doch dann fiel ihr ein, dass ihr Zuhause jetzt ein anderes war.

Die Wohnung lag im Dunklen, doch als sie eintraten, bemerkte Eva, dass durchaus Vorkehrungen getroffen worden waren. Im Kamin brannte ein Feuer, ein Dienstbote war allerdings nicht zu sehen. „Ich möchte Euch etwas zeigen“, sagte Coen und öffnete die Tür zu einem Nebenzimmer. Dort war ebenfalls im Kamin vorgeheizt, zudem wurde der Raum von einem Dutzend Kerzen auf einem großen kupfernen Ständer erhellt. Die zuckenden Flammen beleuchteten ein Inventar, das offenkundig neu war. Das größte Möbelstück war ein Himmelbett mit Baldachin und Vorhängen. An der Wand stand ein massiver schwarzer Ebenholzschrank. Ein Tisch mit einer gewebten Decke, ein Wäscheschrank und zwei Armstühle vervollständigten die kostbare Einrichtung. „Ich habe mir erlaubt, Euer Zimmer schon einmal mit dem notwendigsten Mobiliar zu versehen“, erklärte Coen. „Ich hoffe, Ihr könnt Euch damit fürs Erste anfreunden.“

„Anfreunden? Das ist wunderschön! Und ein Zimmer nur für mich?“

„Ich dachte, die Umgewöhnung fällt Euch leichter, wenn Ihr mich nicht die ganze Zeit um Euch habt. Wir sind unterschiedlich alt, was allein schon dazu führen wird, dass wir in unseren Gewohnheiten und Ansichten nicht völlig übereinstimmen werden. Es ist gewiss nicht von Schaden, wenn Ihr einen eigenen Raum habt, in den Ihr Euch zurückziehen könnt.“

Eva wusste gar nicht, was sie darauf sagen sollte. Es war nicht üblich, getrennte Zimmer beizubehalten, wenn man verheiratet war, aber sie nahm es mit großer Erleichterung auf. Sein Verhalten war ausgesprochen rücksichtsvoll, das konnte man nicht anders sagen. Auch gefiel es ihr, dass er den Altersunterschied offen ansprach. „Ich weiß Eure Großzügigkeit sehr zu schätzen.“

Coen deutete eine Verbeugung an. „Bitte entschuldigt mich einen Moment.“ Er verließ den Raum und kehrte kurz danach mit einer jungen Frau zurück, die er Eva als seine Dienstmagd Johanna vorstellte. Sie sollte ihr beim Auskleiden helfen.

Johanna war ein noch sehr junges und schüchternes Mädchen; sie stellte keinerlei Fragen zur Hochzeit oder zu irgendeinem anderen Thema. Nur einmal schien sie zu staunen. Das war, als sie Eva die Haube abnahm und ihr die roten Haare auf ihre schneeweißen Schultern fielen.

Auf dem Bett lag das Hemd für ihre Hochzeitsnacht bereit. Eva betrachtete es eingehend und befühlte den anschmiegsamen, seidenen Stoff. Sie würde es in dieser Nacht tragen – und dann erst wieder auf ihrem Totenbett. So war es Sitte. Bevor Eva das Hemd anzog, bedankte sie sich bei Johanna und entließ sie. Dann blies sie die Kerzen aus und holte hastig das dünne Stofftuch hervor, das Gerrit ihr aus dem Bordell besorgt hatte. Um es nur ja nicht zu verlieren, hatte sie es in der Innentasche ihres Übergewands aufbewahrt und auf diese Weise während der gesamten Hochzeit unter ihrem Herzen getragen. Das Einsetzen des Tuches hatte sie mehrmals geübt. Es fühlte sich unangenehm an, und sie fragte sich, ob es ihrem Gatten nicht auffallen würde. Vermutlich hing es davon ab, über wie viel Erfahrung er verfügte. Dass sie nicht die Erste war, mit der er die Liebe betreiben würde, stand für sie fest. Es gab immer Frauen, die einem Mann in so hoher Position zu Diensten waren.

Eva legte sich ins Bett und wartete. Ihre Aufregung war größer als ihre Müdigkeit. Im Kamin knisterten die brennenden Holzscheite. Einmal glaubte sie, die Wohnungstür zu hören – war Johanna gegangen? Auf die Straße konnte man sie zu dieser nächtlichen Stunde auf keinen Fall mehr hinausschicken, aber vielleicht bewohnte sie eine separate Kammer auf dem Speicher.

Das Feuer im Kamin brannte langsam herunter. Eva deckte sich zu und schloss die Bettvorhänge an zwei Seiten. Das Bett gefiel ihr gut, es war eine gemütliche Höhle, genau wie ihre alte Schranknische.

Nun war im Kamin nur noch glühende Asche übrig. Finsternis legte sich über das Zimmer. Ein Nachtlicht konnte sie nirgends entdecken. Kam ihr Ehemann nicht mehr? War er zu erschöpft? Oder hatte er sich kurz ausruhen wollen und war dabei eingeschlafen? Sie verspürte Erleichterung, aber auch einen Hauch von Enttäuschung. Sie musste wirklich alles andere als begehrenswert sein, wenn ihr eigener Mann sie in dieser magischen ersten Nacht schon verschmähte.

Allmählich wurde sie doch von Müdigkeit ergriffen und kämpfte gegen den Schlaf an. Morgen würde sie beim Wachwerden zum ersten Mal nicht die hölzerne Decke ihrer alten Bettstatt sehen, sondern den Tuchhimmel ihres neuen Schlafplatzes. Es war durchaus denkbar, dass sie ihre Nächte bis ans Ende ihres Lebens in diesem Bett verbringen würde. Vielleicht, so kam ihr in den Sinn, lag sie schon auf ihrem Sterbebett …

Plötzlich schreckte sie hoch. Hatte sie geschlafen? Sie versuchte, etwas zu erkennen, aber die Dunkelheit war undurchdringlich. Nach einigen Augenblicken wusste sie, dass sie nicht mehr allein war. Sie spürte die Nähe eines anderen. Sie hörte sein Atmen. Er stand neben ihr, und er war größer als sie. Viel größer. Stocksteif lag sie unter ihrer Decke und fühlte in sich das Stück Stoff, das sie schützen sollte.

Neben sich nahm sie den Luftzug einer Bewegung wahr. Ein mächtiger Körper war jetzt über ihr. Er berührte sie nicht, aber sie spürte, wie er sich auf der Matratze abstützte, und sie roch ein Gemisch aus Schweiß und etwas Unbekanntem. So verharrte er über ihr, der Eindringling, der noch nicht einmal ein Schatten war, weil ihn die Dunkelheit vollständig verbarg. War sie ebenso wenig sichtbar für ihn? In jedem Fall wusste er genau, wo sie war. Ihr Gesicht war unter ihm, auf Höhe seiner Schultern. Sie konnte nichts tun. Ihn ansprechen, mit ihm reden? Unmöglich! Wie lange er auf diese Art über ihr lauerte, hätte sie nicht sagen können. Aber auf einmal kam der Angriff mit großer Vehemenz. Ruckartig wurde ihr die Decke weggezogen und das Nachthemd über den Kopf gerissen. Zwei große Hände fassten sie an, packten sie wie eine Puppe bei den Schultern und pressten sie in die Kissen. Im nächsten Moment drängte er ihre Schenkel auseinander und war in ihr. Sie lag da und fühlte, wie er sich in ihr regte, fühlte die tief in sie eingedrungene Waffe. Er nahm Besitz von ihr, wühlte ihr Innerstes auf, so tief, so verletzend, wie sie es sich niemals hatte vorstellen können. Sie ahnte, wie er es genoss, sie völlig zu beherrschen, auch wenn ihm dabei kein Ton über die Lippen kam. Sie dagegen konnte ein Wimmern nicht unterdrücken. Da wurden seine Bewegungen schneller, gewannen eine Heftigkeit, als wollte er sie aufspalten. Vor jedem neuen Stoß hatte sie das Gefühl, dieser nächste werde ihren Körper von der Mitte her zerreißen. Dann führte er einen letzten, gewaltigen Streich aus, einen Streich bis ins Herz, wie ihr schien. Sie schrie auf. Seine Lust blieb stumm, doch spürte sie in sich sein jähes Erschaudern. Er hatte sich mit ihr verbunden – endgültig und unwiderruflich. Im Vergleich dazu verblassten die Zeremonien des vorangegangenen Tages zur Bedeutungslosigkeit.

So plötzlich wie er gekommen war, verschwand er auch wieder. Sie blieb zurück wie ein verwundetes Tier. Das Laken war feucht – lag sie in ihrem Blut? Nach einiger Zeit probierte sie, ob sie das Tuch noch ertasten konnte, doch wusste sie schon, dass es fort war. Sie suchte in den darauffolgenden Tagen immer wieder danach, aber sie fand es nicht, weder in den Ritzen ihres Bettes noch in den Tiefen ihres Körpers.

Die Muskatprinzessin

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