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Ein Wiener Neustädter geht nicht unter

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Wenn ich an mein Heranwachsen denk, sehe ich ein Bild vor mir: Ich, ein schmächtiger, aufgeweckter »Bua« im Volksschulalter, schlendere auf dem Schulweg einen zugefrorenen Bach entlang.

Es ist tiefster Winter. Ich trag allerdings kurze Hosen, ein Jopperl und Halbschuhe. Das Eis lockt!

Patsch! Ich breche ein. Mit letzter Kraft rette ich mich ans Ufer …

Der »Bua«, der ich damals war, geht heute rasant auf die 85 zu. Denke ich jedoch an meinen Beinahe-Untergang von damals, muss ich zugeben: Mir sitzt der Übermut noch heute manchmal im Nacken.

Geboren wurde ich am 17. November 1930. Meine Geburtsstadt ist – nein, nicht Wien, wie die meisten fälschlich denken – Wiener Neustadt. Das ist sogar verbrieft, hat mir doch 1995 der damalige Bürgermeister Peter Wittmann diesen Umstand, für den ich nix kann, mit dem Ehrenring der Stadt gedankt. Er hat bei mir im Büro einen Ehrenplatz, der Ring.

Ich streife erinnerungsselig durch »meine« Stadt. Meine ersten 19 Lebensjahre hab ich hier verbracht. Eine Zeit, die ich nicht missen möchte. Beim Anblick der wuchtigen Stadtmauer fällt mir spontan Luis Trenker ein. Und das Kino – meine erste große Leidenschaft. Die zweite Leidenschaft waren die Abenteuer des schneidigen Südtiroler Bergfex. Ein Mannsbild, das kraxelt wie eine Berggämse.

Und was ein Trenker konnte, das konnte ein Merkatz allemal: nämlich auf die Stadtmauer kraxeln. Leider bin ich nicht mehr heruntergekommen, und die Feuerwehr musste, ganz filmreif, ausrücken, um mich aus der lichten Höhe zu retten.

Wir, meine Eltern und meine Schwester Hilda, haben im De-Cente-Hof in der Wiener Straße gewohnt. Ich war ein echtes »Schlüsselkind«. Mein Vater hat als Dreher in den Rax-Werken gearbeitet, die Mutter als Weberin im burgenländischen Neudörfl, einem der vielen Vororte der weitläufigen Region Wiener Neustadt. Schlüsselkind, den Begriff können Sie durchaus wörtlich nehmen. Der Bomben wegen – ich bin ja ein Kriegskind – hätte ich den Schlüssel immer um den Hals tragen müssen. Aber nicht so der kleine Karli. Der trug ihn, wie es sich gehört, in der Hosentasche.


Ehre, wem Ehre gebührt? Mit dem damaligen Bürgermeister Peter Wittmann bei der Verleihung des Ehrenringes der Stadt Wiener Neustadt

Doch zurück zum De-Cente-Hof. Hier befand sich das Elektrogeschäft eines gewissen Herrn Ott. Dort hab ich das erste Mal in meinem Leben ein Telefon gesehen. Ein Telefon! Ich hab den Herrn Ott so lange angebettelt, bis er mir einen Anruf bei meiner älteren Schwester Hilda an deren Arbeitsplatz erlaubt hat.

Sie wurde umständlich zum Telefon gerufen, am anderen Ende der Leitung der kleine Bruder: »Servus, ich wollt dich nur hören!«

Die fernmündliche Schimpfkanonade klingt mir heute noch in den Ohren.

Schauplatzwechsel: der »Liebfrauen-Dom«, ein berühmter spätromanischer Kirchenbau. Da hab ich Julia, meine erste große Liebe, kennengelernt: Maiandacht im Dom. Wir Buben haben in den Betbänken gekniet, daneben standen die Mädchen. Darunter sie. Ich starrte sie blöd an, sie grinste frech zurück. Ein paar Tage später schlenderten wir schon Hand in Hand durch die Stadt, die Julia und ich, ihr Romeo.

Zufällig sah uns der Dom-Kurat: »Hände auseinander, aber sofort!«

Er war ein gar gestrenger Herr, der Herr Kurat. Gut, ich war erst zehn Jahre alt zu dem Zeitpunkt. Früh entwickelt. Der Herr Kurat hingegen muss ein wahrer Spätzünder gewesen sein. Jedenfalls traf ich ihn Jahre später wieder, ich arbeitete damals bereits als Geselle in Wien, in der Weltstadt mit Herz. Deren touristisches Motto nahm der Herr Kurat allzu wörtlich: Hand in Hand schlenderte er mit der Dame seines Herzens durch die Innenstadt.

Ich komme an der Ecke Ungargasse/Hauptplatz zum Stehen – und da ist sie wieder präsent, die unselige Zeit unter einem verhinderten Wiener Kunststudenten und Postkartenmaler namens Adolf Hitler.

An dieser Ecke gab’s 1938 ein Wäschegeschäft. Meine Mutter hat hier auf Raten Bettwäsche gekauft.

Eines Tages sagte die Besitzerin zu ihr: »Frau Merkatz, Sie müssen keine Raten mehr zahlen, es ist alles vorbei!«

Für mich war gerade in dieser schlimmen Zeit die Kirche ein Zufluchtsort. Besonders das Wiener Neustädter Zisterzienser-Stift »Neukloster«, in dem der Pater Bernhard sein Quartier gehabt hat.

Dieser gesellige Herr mit Baucherl war für mich Pubertierenden Beichtvater und Lebensberater in einem. Ihn konnte ich fragen, wie das so ist mit den Mädchen, mit dem Kinderkriegen … Bei solchen Gesprächen hat der Pater Bernhard immer Kaffee gebraut. Für den 15-Jährigen, der ich damals war, knapp nach dem Krieg, eine Sensation, war doch Kaffee zu dieser Zeit absolute Mangelware.

Der Klosterbruder mit dem weltlichen Blick fürs Wesentliche hat mich und meine Frau auch getraut. Er war einer der Ersten, denen ich Martha vorgestellt hab – und bis zur kirchlichen Hochzeit ist sie für ihn immer »das Konkubinatscherl« gewesen.

Dann endlich, im Sommer 1957, die Trauung. Wir stehen vor dem Altar. Und was sagt der Pater Bernhard zu mir: »Wo is der Ring, depperter Bua?!«

Wie »deppert« ich damals in diesem eingangs beschriebenen Winter am sogenannten Fischa-Bacherl gewesen bin, wird mir erst jetzt, wenn ich darüber nachdenke, richtig bewusst. Und dem Schutzengel, der mich seinerzeit zuerst ans rettende Ufer und danach in die wärmende Stube heimgeleitet hat, bin ich wirklich dankbar. Aber, wie heißt’s so schön: Ein echter Wiener Neustädter geht halt nicht unter.

Ein Schamerl braucht vier Haxen

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