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1940 bis 1951: Vom Lausbuam zum Lehrbuam

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Reife, also charakterliche Reife, ist eine Frage des Alters. Die heutige Jugend darf mit 16 Jahren wählen. Ich frag mich, ob sie reif genug ist in ihrem jugendlichen Übermut. Zu meiner Zeit hat man als Schwelle zum Erwachsenwerden den 21. Geburtstag herangezogen. Meiner Meinung nach ist das eine Maßeinheit, die in Ordnung geht. Vorher weißt du doch gar nicht, woher der Wind weht. Und danach weht er dir oft kräftiger um die Nase, als dir lieb ist. Aber heutzutage darf man mit 16 Jahren seinen Bundespräsidenten wählen.

Wir waren in der Schulzeit, 1937 bis 1945, noch saublöd, Lausbuam eben. Und das war auch gut so! Man muss sich austoben können, kindisch sein dürfen. Der Ernst des Lebens kommt früh genug. Und spätestens, wenn gewisse Interessen in den Vordergrund treten, hat man auch die Konsequenzen zu tragen. Aber zum Vatersein komm ich noch.

In meiner Kindheit, in den 1930er-Jahren, hab ich höchstens das Vaterunser gebetet. In der Kirche. Nach dem Beichten. Wenn ich wieder einmal was angestellt gehabt hatte. Apropos: Als Schlüsselkind war es meine nobelste Aufgabe, meinem Vater, der um fünf Uhr am Nachmittag von der Arbeit heimgekommen ist, das Essen zu wärmen. Dabei gab es doch viel sinnvollere Freizeitvergnügungen als Essenwärmen. Tschicken zum Beispiel.

Schon als Schulbub hab ich geraucht wie ein Erwachsener. Also bin ich eines Tages, statt mich ums Essen zu kümmern, auf ein Sprüngerl in die Trafik ums Eck gelaufen, um »sieben Flirt für’n Vota« zu kaufen. Wieder zu Hause, schaute ich auf die Uhr: knapp vor fünf. Bei mir war ein Freund, dessen Vater bei der Feuerwehr war. Der hat nur mit den Schultern gezuckt und gemeint: »Hast Petroleum, ich zünd den Turbo!«

Selbstverständlich hatten wir Petroleum im Haus. Er schüttete großzügig das Brandmittel ins Ofenloch – und es machte einen Schnalzer, dass wir geglaubt haben, das Haus fällt zusammen.

In dem Moment hat unsere Nachbarin, Frau Kornfeld, aus dem Fenster geschaut und die Bescherung gesehen – eine Stichflamme, die aus dem Rauchfang schoss. Sie riss die Küchentür auf, stürmte herein und sah uns beide mit kohlrabenschwarzen Gesichtern, die Küche voller Rauch. Meinen Freund hat sie gleich verjagt und mich ins Freie geschickt, damit ich mir (Winter war’s) mit dem Schnee das Gesicht abreib.

In dem Moment, in dem ich gerade den Kopf in den Schnee gesteckt hab, ist mein Vater des Weges gekommen: »Karli, was machst denn da?«

»Ich spiel Schneemann!«

Solche Streiche waren ein willkommener Anlass für ein Beichtstuhl-Vaterunser. Vorher hat es jedoch meistens noch eine saftige Watschen gesetzt, als irdische Strafe.

Ordnung in mein Leben gebracht hat, ich muss es gestehen, erst die Zeit bei der Hitlerjugend. Ich hab mich zwar mit Händen und Füßen gewehrt, weil mir die braunen Rabauken überhaupt nicht koscher gewesen sind. Aber ein Gutes hatte das Strammstehen wenigstens: Du hast dich Befehlen unterordnen müssen. Das nannte sich Disziplin. Und die kann bekanntlich nie schaden.

Disziplin konnte ich in der Lehrzeit dann gut gebrauchen. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, heißt es so schön. Und wenn ich diese Feststellung ganz persönlich ergänzen darf: Die Lehrjahre, die ich vom 3. Jänner 1946 bis zum 2. Jänner 1949 erlebte, waren Hundsjahre. Aber in meiner Jugendzeit hab ich ja fürs Leben gelernt – und da wahrscheinlich meinen unbändigen Freiheitsdrang entwickelt.

Zuerst musste ich mich allerdings nach der relativ unbeschwerten Lausbuam-Zeit mit 15 Jahren an die straff organisierte Lehrbuam-Zeit gewöhnen. In der Wiener Neustädter Tischlerwerkstatt gab es eine Dreiteilung: Ganz oben im System stand der Meister. Unter ihm arbeitete der Geselle. Und der lernte die Lehrlinge an.

Der Lehrling war der sogenannte »Gspode«. Wörtlich übersetzt: der Zuspätkommende. Damit war er als derjenige gebrandmarkt, der zuletzt in den Betrieb eingetreten ist. Und den Letzten beißen bekanntlich die Hunde.

Für mich hat das im ersten halben Jahr ganz pragmatisch geheißen: Schutt räumen. Wir schrieben das Jahr 1946, der Krieg war vorbei. Die Tischlerei war in einem halbverfallenen Haus untergebracht. Die Maschinen mussten repariert werden. Und eben der Schutt weggeräumt werden.

Erst nach dieser anstrengenden Arbeit wurde ich mit der vielleicht wichtigsten Tätigkeit eines Tischlers vertraut gemacht: dem Holzrichten. Das heißt in der Praxis: mit einem Plateauwagen an den Rand der Stadt zum Holzplatz fahren, Bretter und Pfosten aufladen und die in die Tischlerei bringen. Dort hatte ich dann mit einem zweiten Lehrling am Lagerplatz das Holz nach einem vorgegebenen System zu stapeln: bis zu sechs Meter hoch. Lag nur ein einziges Brett am Stoß verkehrt, musste der ganze Stoß wieder abgetragen und von Neuem aufgestapelt werden. Das war keine Schikane eines tyrannischen Meisters, sondern Teil des notwendigen Ordnungssystems, denn die Bretter durften nicht durchhängen, sie mussten kerzengerade sein, um anschließend mit dem Hobel in Form gebracht zu werden.

Das Hobeln, und zwar noch mit der Hand, war die zweite Tätigkeit, die ich ausüben musste – bis ich Schwielen an den Händen hatte. Aber auch dieses »Zurichten« ist Teil der notwendigen Vorbereitung. Heute überkommt mich jedes Mal ein Hochgefühl, wenn der Span aus dem Hobel zischt: G’lernt ist halt g’lernt.

Erst nachdem ich diese beiden Arbeitsschritte aus dem Effeff beherrschte, durfte ich den dritten Schritt machen: mein erstes Werkstück. Ein Schamerl.

Seither weiß ich, was es heißt, Ordnung zu halten. Ein Sitzbrett. Vier Haxen. Das Sitzbrett ist so etwas wie das Fundament. Du gewinnst es aus einem Holz, das du vorher sorgsam gelagert und ausgehobelt hast. Dann bringst du es ins richtige Maß, passt ihm die vier Haxen an. Und wehe, nur ein einziger dieser Haxen ist zu lang oder zu kurz. Dann wackelt das ganze Schamerl!

In meiner Lehrzeit hat es bei Ungenauigkeit eine Watschen vom Gesellen gegeben. Im Leben gibt dir das Schicksal die Watschen. Wenn ich es mir aussuchen darf: Die Gesellen-Watschen waren weniger schmerzhaft.

Nach drei Jahren war ich schließlich selbst Geselle. 2. Jänner 1949 – auf dieses Datum datiert mein Gesellenbrief, der Tag meiner Freiheit. Er hat mich direkt aufs Arbeitsamt geführt. Ich wollte nach Wien. Raus aus der kleinstädtischen Enge Wiener Neustadts. Rein ins brodelnde Zentrum der Kultur und Unterhaltung. Der Ruf der großen, weiten Welt.

Meine erste Stelle hab ich in einer Möbelfabrik bekommen. Fließbandarbeit. Gefertigt wurden Küchenkredenzen. Ich durfte in die oberen Türen das Glas einsetzen. Geätztes Glas, sauteuer. Gleich beim ersten Mal ist das Glas zu Bruch gegangen, wenig später wieder. Nach 14 Tagen hab ich freiwillig gekündigt.

Daraufhin hat mich der Betreuer am Arbeitsamt in eine Sargtischlerei vermittelt. In einer riesigen Halle waren sie meterhoch geschlichtet, die Särge – einer auf den anderen. Ich bin mir vorgekommen wie in einer Aufbahrungshalle. Für meinen Geschmack ein bissel zu viel des morbiden Wiener Charmes. Ich hab also am Absatz um- und am Arbeitsamt aufgedreht: »Sind S’ mir ned bös, aber z’Tod g’fürcht’ is ah schon g’storben!«

Gott sei Dank wurde gerade ein Antiquitätentischler gesucht. Eine winzige Souterrain-Werkstatt: verrußt und verdreckt, aber angeräumt mit wunderschönen Biedermeier-Möbeln. Dort wurde meine lebenslange Liebe für diese Epoche geweckt – meine gesamte Biedermeier-Einrichtung in unserem Haus in Irrsdorf hab ich im Lauf der Jahre selbst restauriert. Ich hätte in dieser kleinen Werkstatt vermutlich gearbeitet bis zur Pension, wenn, ja wenn nicht das Politieren gewesen wären. Das Politieren, das heute fast niemand mehr beherrscht, obwohl ein altes Möbel erst dadurch seinen Hochglanz bekommt. Aber der Reihe nach.

Politur wird hergestellt, indem man Schellack mit reinem Spiritus versetzt. Dann benetzt man einen Stoffballen mit der Politur und trägt sie kreisrund auf die Furnier auf. Ein fataler Vorgang, hatten die drei in der Werkstatt tätigen Gesellen doch die Angewohnheit, bei jedem Benetzen des Stoffballens auch die eigenen Lippen zu benetzen. Zwischendurch wurde mit einem Vierterl Rum-Verschnitt nachgegurgelt. So war’s der Brauch in dieser wunderbar heimeligen Werkstatt.

Und dieser Brauch hat nach einigen Monaten zu meinem Bruch geführt. Meine Leber dankt’s mir noch heute. Wenn ich für meine Enkerl ein Intarsientischerl politiere, mach ich am späten Vormittag eine Pause, um ein »Fiakervierterl« auf die drei »Rumkugeln« zu heben.

Ein Schamerl braucht vier Haxen

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