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FILMLEBEN: KÖNIG UND DIVA
ОглавлениеOktober 2014. Ein Filmdreh am Land. Genauer gesagt in Ottenthal, einem kleinen Weinviertler Dorf an der Grenze zur Tschechei. Ein windschiefer Stadel, der bereits für einige Wochen die neue Heimstatt von Marianne ist. Sie ist der heimliche Star des Kinofilms »Der Blunzenkönig«, der nach einem Stück von Christoph Frühwirth in Szene gesetzt wird. Eine Sau, die die Rolle ihres Lebens spielt: sich selbst.
Der Protagonist des Films, Franz König senior, ein Fleischerwirt im Unruhestand, sucht immer dann ihre Nähe, wenn er gerade mit der Welt hadert. Ich verkörpere diesen Fleischhauer, der im Gegensatz zum Bockerer, meiner Paraderolle im Theater wie im Kino, nicht nur in der Fleischbank, sondern auch hinter der Schank steht. Die einzige Parallele zwischen den beiden Figuren ist der Beruf – wobei der Franz König, im Unterschied zum Karl Bockerer, mit den geänderten Ernährungsgewohnheiten seines Umfeldes und nicht mit einer sich veränderten politischen Lage zu kämpfen hat.
»Nix im Leben währt ewig, Mariann’!«, sind die ersten Worte, die ich drehbuchgemäß zu sagen habe.
Im Mai 2004, zehn Jahre vor diesem Drehtag, hat das Projekt begonnen – mit meiner Ansage auf dem Anrufbeantworter des Autors: »Hier spricht Ihr Blunzenkönig!«
Banal, launig. Die launige Banalität – eine persönliche Grundentspanntheit bei gleichzeitiger Ernsthaftigkeit in der Arbeit – zeichnet unser Verhältnis aus. Ich hab das Manuskript drei Monate bereits bei mir zu Hause liegen gehabt. Drei Monate, in denen ich Down Under gewesen bin, in Australien. Nach meiner Rückkehr hab ich es gelesen und einen Entschluss infrage gestellt, den ich nach dem für den Oscar nominierten Film »Der Bockerer« gefasst hatte: Du spielst nie wieder einen Fleischer!
Doch dieser Text hat mir vom Bauchgefühl her gefallen. Und trotzdem, auch nach dem Rückruf des Autors ist zwischen uns nichts geklärt gewesen. Ich hab im Laufe meines Lebens eine ganz eigene Art des Mich-Windens entwickelt. Ich versuche eine neue Arbeit gefühlsmäßig zu fassen, ehe ich dann definitiv sage: »Greif mas!«
Wenn ich allerdings ein Projekt »greif«, in diesem Fall war es die Studioaufnahme des Hörbuches zum »Blunzenkönig«, dann geh ich in die Tiefe. Ich klopf den Text hinten und vorne ab, kehr das Unterste zuoberst. Man darf die Worte, die jemand zu Papier gebracht hat, nicht geringschätzen. Literatur ist für mich das Maß, das die Form ergibt.
Die meisten von Ihnen kennen mich vermutlich zwar vor allem als Mundl, aber ich schätze eigentlich François Villon, Samuel Beckett und Franz Kafka. Ich weiß schon gar nicht mehr, wohin mit meinen ganzen Büchern. Vom Dachboden über das Schlafzimmer bis hinunter in den Keller meines Hauses erstreckt sich meine Bibliothek.
Zuerst lese ich einen Text einmal ganz naiv. Danach denk ich ihn durch, mach mir da und dort Anmerkungen. Und beim dritten Durchgehen verlass ich mich nur mehr auf mein Gefühl. Das heißt, ich probier ihn im kleinen Kreis aus. Erreich ich das Publikum, ist es gut, wenn nicht, lass ich es bleiben.
Den »Blunzenkönig« hab ich in der Bankfiliale meines Freundes Franz in Strasswalchen vorgestellt. Er hatte ein paar Kunden eingeladen und ich meine Familie und Bekannte. Eine Handvoll Vertrauter. Ich las den Text, und die Reaktionen waren durch die Bank positiv. Auch der Autor, Frühwirth, war anwesend. Noch am gleichen Abend hab ich zu ihm gesagt: »Greif mas!« Also wurde ein Tonstudio für die Hörbuch-Aufnahme gebucht, für zwei Tage, da auch Musik eingespielt werden sollte.
August 2004. Am Vortag der Aufnahme ruf ich den regieführenden Autor an: »Ich bin stark verkühlt und weiß nicht, ob ich kommen kann.«
Es ist früher Vormittag, mittlerweile unsere fixe Zeit in der Vorbereitungsphase. Am späten Nachmittag bin ich vor Ort. Krächzende Stimme, das Schneuztüchel wie ein Spielrequisit ständig in der Hand.
Wir machen gemeinsam mit dem Musiker, dem Tubisten Johann Grabner, einen lockeren Durchlauf – und anschließend einen feuchtfröhlichen Durchmarsch, um die aufkommende Grippe zu bekämpfen.
Am darauffolgenden Tag geht’s frühmorgens ins Studio. Mein Krächzen ist einer Fistel-Heiserkeit gewichen, die Temperatur gestiegen. Der Tubist wirkt nervös, der Aufnahmeleiter Roland Baumann resignativ. Wieder ein lockerer Durchlauf, der Einfachheit halber gleich zusammen mit dem Tubisten, wie bei der Probe am Vortag.
Ich bitte ihn, gleich live zum Vortrag zu spielen, danach könne man die Aufnahme ja Schritt für Schritt einspielen. Der Tubist agiert souverän, ich selber dilettantisch: Textaussetzer, Timing-Schwierigkeiten, eine kaum verstehbare Stimme. Was tun?
Wir setzen uns erst mal in den Aufenthaltsraum und trinken starken, schwarzen Kaffee! Eine Stille, die mir die Brust zuschnürt, dominiert den Raum.
Irgendwann beim zweiten Kaffee versuche ich Optimismus zu streuen: »Probieren wir’s noch einmal.«
Ich besinne mich auf eine Gabe, die mir gegeben ist: Hab ich eine Figur einmal vom Bauch her erfasst, muss ich mich nur mehr auf dieses Gefühl einlassen. Ich bin ein reiner Gefühls-Schauspieler. Einer, der eine Figur ganz und gar spüren muss. Spüre ich sie, dann sind auch handwerkliche Schwierigkeiten vergessen.
Genauso mache ich es auch dieses Mal. Ich hole den Franz König ganz nahe an mich heran – und schon sind die Stimmprobleme und die Textaussetzer vergessen. Ich bin Franz König.
Eine Stunde später ist das Hörbuch in Echtzeit mit dem Musiker eingespielt. Beim Mittagessen dann die Nachricht aus dem Studio: »Ihr könnt’s das Masterbandl abholen!«
Auf das im Herbst 2004 bei der »Bibliophilen Edition« erschienene Hörbuch folgt 2005 bis 2008 eine ausgedehnte Bühnentournee durch die Bundesländer, die 2014 im windschiefen Stadl des Weinviertler Dorfes Ottenthal endet. Genauer: im Stall der Filmsau Marianne.
Anhand der Dreharbeiten zum Kinofilm »Der Blunzenkönig« möchte ich Ihnen ein bissel einen Eindruck von meiner Arbeit verschaffen.
Weit über 100 TV- und Kinofilme hab ich gedreht, und doch ist es alles andere als Routine, wenn du mit einem Viech drehst. Ich steh also in diesem Stadel und misch in einem Plastikeimer das Körndlfutter für meine Sau ab. An einem morschen Holzgatter im Hintergrund lehnen einige Tafelständer, auf denen in krakeliger Schrift für einen letzten Sautanz geworben wird. – Für die Jüngeren: Der Sautanz, das ist der alljährliche Schlachttag gewesen, an dem die Bauern in der Vorzeit des Kühlschranks und der Gefriertruhe ein ganzes Schwein verarbeitet haben. Leber und Nierndln sind sofort verkocht, der Rest gepökelt, sprich: konserviert worden. Dieses durchaus archaische Treiben ist durch die EU weitgehend verboten.
Bei unserem Dreh ist die Welt aber noch in Ordnung, das Leben in der ländlichen Einschicht nahe der tschechischen Grenze scheint im Lot. Nicht ganz so im Lot ist der Dreh dieser vom handwerklichen Aufwand überschaubaren Szene.
»Innen. Tag. Saustall. Ich füttere meine letzte Sau.« – Das ist die knappe Drehbuchanweisung. Ich bin allein, keine Statisten. Der Drehort ist wetterunabhängig. Aber es gibt einen ganz entscheidenden Faktor, von dem Gedeih und Verderb dieser Szene abhängig sind: die Sau.
Als Blunzenkönig Franz König auf Abschiedstournee durch Österreich (oben). Ein angenehmer Dreh: mit Regisseur Leopold Maria Bauer und dem produzierenden Kameramann Robert Winkler (unten)
Es ist früher Morgen, als sich die technische Crew an den Drehort begibt, um das Licht einzurichten, also die Scheinwerfer zu justieren und die Schienen für die Kamerafahrt zu legen. Unbeeindruckt vom geschäftigen Treiben liegt die Sau fett und schwer im Heu.
Sie müsse von selbst aufwachen, dürfe nicht geweckt werden, hat ihr Besitzer, ein örtlicher Landwirt, der Crew eingebläut. Solange sie am Aufbau sind, kümmern sich die Techniker nicht weiter um das Viech. Doch als Kameramann Robert Winkler und Regisseur Leopold Maria Bauer am Set erscheinen, wird erstmals der eine oder andere Seitenblick auf die vor sich hindösende Sau geworfen. Bei einer technischen Probe (die ohne mich stattfindet) werden die Einstellungen Schritt für Schritt besprochen. Die Sau schläft unbeeindruckt vor sich hin.
Winkler, gleichzeitig auch Produzent des Films, fragt nach der Zeit. Drehtage kosten Geld. Und Dreh-Verzögerungen kosten sehr viel Geld. Der Landwirt steigt in die improvisierte Schweinebucht und versucht sich an einem wirkungsvollen Aufweckmittel: Schmatz-Geräusche. Tatsächlich, die Sau wälzt sich kurz und strampelt sich mit einem Ruck in die Höhe.
Gerade als ich gemütlich vor dem Stadel einen Frühstückskaffee im Pappbecher schlürfe, werde ich ans Set geholt. Ich kann zusehen, wie die Sau mit dem Rüssel im lockeren Erdreich unter dem Heu nach Essbarem gräbt.
Der Landwirt befriedigt das unmittelbar nach dem Aufwachen einsetzende Hungergefühl mit Mais im Schauferl. Die erste Einstellung ist ein treuherziger Blick der Sau auf mich, den sie fütternden Fleischhauer. Doch die Sau, ganz Diva, frisst zwar in ruckartigen Stößen, liefert allerdings nicht den gewünschten Blick ins Kameraobjektiv.
Ich hab mein halbes Leben lang selbst Tiere gehabt und zeige deshalb Verständnis für das tierische Verhalten: »Die könn’ ma ned beeindrucken!«
Doch ein unverstellterDoch ein unverstellter Blick aufs Landleben hat seinen Preis. Der macht sich am Ende eines Drehtages bemerkbar. Also mahnt der Regisseur zu Disziplin. In diesem Fall zur Disziplinierung der Rampensau wider Willen. Ein Balken wird in der Schweinebucht eingezogen und die Bewegungsfreiheit der Sau erheblich eingeschränkt. Anschließend wird mit einem Heuballen nachgeholfen, den die Sau überwinden muss, um ans Futter zu kommen. Dabei hebt sie automatisch den Blick: direkt in die Kamera, die hinter dem Heuballen in Position gebracht ist. Ein zufriedenes Schmatzen, ein erleichtertes Grinsen. Die Sau ist »im Kasten«, wie es der Branchenjargon salopp auf den Punkt bringt.
Auf den tierischen Blick folgt ein Wechsel der Perspektive. Das Spiel beginnt von Neuem: Bewegungsradius begrenzen, Hindernis aufbauen, Schweinsäuglein heranzoomen … Nach einer schweißtreibenden guten Stunde sind die für die Szene notwendigen schweinischen Blicke »eingefangen«.
Erst jetzt bin ich mit meinem Text an der Reihe. Routiniert heb ich an: »Nix im Leben währt ewig …«
Da läuten die Glocken im benachbarten Kirchturm.
Tonmeister Dieter Draxler, der sein Mischpult außerhalb des Stadels aufgebaut hat, stürmt herein: »Schnitt!«
Nächster Versuch. Ein Traktor fährt neben dem Stadel vorbei.
»Schnitt!«
Dritter Versuch. Ich schaufel Körndln aus dem Plastikeimer – und vergesse den Anfangssatz.
Auf einmal stört eine Kreissäge die angespannte Crew auf. Ein Mitarbeiter wird losgeschickt, um den Störenfried zu lokalisieren.
Warten.
Der Mitarbeiter kommt unverrichteter Dinge zurück. Das Geräusch endet so schnell, wie es gekommen ist.
Ich konzentrier mich und fahre fort im Text: »Irgendwann hat ois a End, weil, nur wo a End is, kann’s an Anfang geben …«
Da knarrt das Stadl-Tor.
Die Aufnahme-Crew geht zurück auf Anfang.
Es braucht einen ganzen Vormittag, um das einseitige Gespräch zwischen dem alten Fleischhauer und seiner letzten Sau auf Zelluloid zu bannen.
Beim Drehen am Originalschauplatz ist Disziplin das Allerwichtigste. Andererseits ist mir Authentizität sehr wichtig. Denn ein Film mag zwar verdichtetes Leben sein, das heißt, man bringt in einer kurzen Szene eine Lebenseinstellung auf den Punkt; niemals allerdings – und das ist für mich ein ungeschriebenes Gesetz – darf er abgebildetes Leben sein. Eine Abbildung ist immer etwas Künstliches. Leben aber spiegelt unsere Realität wider: im Hier und Jetzt. Das Leben ist für mich also mehr als ein Fundament. Es ist die Basis all meines Tuns.