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2. Ursachen des Antisemitismus

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Wer die Ursachen von Judenfeindschaft vollständig erklären wolle, meinte der liberale Politiker und Jude Ludwig Bamberger 1880, müsste „die halbe Weltgeschichte zu Hilfe nehmen“ (218, S. 163). Bis heute hat es derjenige, der sich über die Hintergründe von Judenhass informieren will, kaum einfacher. Es gibt zwar nicht wirklich „Tausende von Versuchen, den Antisemitismus zu definieren und seinen Ursachen auf die Spur zu kommen“ (16, S. 29). Und es wäre auch (etwas) übertrieben zu behaupten, dass es so viele Theorien über die Gründe von Judenfeindschaft gibt wie Forscher, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben. Aber zweifellos existiert eine „verwirrende Fülle“ von Erklärungen des Antisemitismus (22, S. 1). Sich in diesem Dschungel von Meinungen und Thesen zurecht zu finden, fällt nicht leicht. Das gilt umso mehr, als viele Erklärungsansätze oft weitgehend unverbunden nebeneinander stehen. Ansätze zur Verbindung verschiedener Interpretationen sind eher selten, und keiner davon ist bisher auf allgemeine Zustimmung gestoßen. Das „Fehlen einer umfassenden Theorie zu den Ursachen des Antisemitismus, die nicht nur Auskunft über die politischen, psychologischen und sozialen Wirkungsfaktoren gibt, sondern auch deren Wechselverhältnis im Bedingungsgeflecht bestimmt“ (34, S. 159), ist deshalb zu Recht beklagt worden.

Tendenziell monokausale Theorien

Theorien über die Ursachen von Antisemitismus betonen stattdessen vielfach einzelne Faktoren. Solche Theorien sind in der breiteren Öffentlichkeit wesentlich populärer als komplexere Interpretationsversuche. In populärwissenschaftlichen Darstellungen wird ihre Tendenz zur monokausalen Erklärung des Phänomens zudem noch verstärkt. Ein besonders eklatantes Beispiel dafür ist das weit verbreitete Buch von Gerald Messadié, der sonst vor allem als Bestsellerautor historischer Romane bekannt geworden ist. Seiner Ansicht nach war allein eine besondere im Religiösen wurzelnde Mentalität der Juden die Ursache ihrer permanenten Anfeindung: „Die Juden hatten Ehrgefühl und Mut genug, um dem 23 Jahrhunderte dauernden Wirbelsturm zu trotzen. Daher rühren die Verfolgungen“ (31, S. 16). Diese „Erklärung“ grenzt freilich ans Groteske. Nicht nur vertauscht sie Ursache und Folge. Sie übersieht auch, dass Verfolgungen nicht von den Verfolgten, sondern von den Verfolgern ausgehen. Nicht das Verhalten der Juden, sondern die Motive der Antisemiten können Aufschluss über die Ursachen des Antisemitismus geben.

Bei weitem nicht alle monokausalen Erklärungen sind allerdings so absurd wie diese. Viele Antisemitismustheorien, die einen Faktor hervorheben, ignorieren auch keineswegs andere Aspekte. Und es hat beträchtliche Vorteile, eine Übersicht über die Kontroversen zu den Ursachen von Judenfeindschaft mit diesen nur tendenziell monokausalen Theorien zu beginnen. Denn solche Interpretationen sind im Vergleich zu komplexeren Erklärungsversuchen leichter zugänglich. Mögliche Faktoren lassen sich so zunächst analytisch voneinander getrennt betrachten. In einem zweiten Schritt sollen dann Antisemitismustheorien vorgestellt werden, die verschiedene Aspekte miteinander zu Ursachenbündeln verweben.

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