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»Der rettet mal wieder den Verein«

Ivo Burmeister hat kein Handy. Aber mit dem KFC Uerdingen einen Lieblingsverein, der gerade den dritten Insolvenzantrag in fünf Jahren gestellt hat. Also muss seine Lebensgefährtin jedem Anrufer ausrichten, dass Burmeister mal wieder in der Grotenburg weilt, um eine Rettungsaktion zu planen. Der KFC wiederum hat sich in den letzten Wochen häufig eine ziemlich fatale Frage gestellt. Die, ob das Schicksal des Vereins »überhaupt noch jemanden da draußen interessiert«. Seit dem 22. Januar 2008 kennt er die Antwort.


Der Dienstag war ein guter Tag. Wobei die Lage beim KFC mal wieder so ist, dass man eigentlich gar nicht von guten Tagen sprechen kann. Schon gar nicht in der Geschäftsstelle des Vereins. Als sie gerade schließen wollten, kam jedenfalls noch dieser Mann mit den 200 Euro. Er habe in der Zeitung gelesen, dass es bald keinen höherklassigen Fußball mehr geben solle in Krefeld, sagte er. Er aber sei Fußballfan, Krefelder Fußballfan, und könne den nahenden Exitus so nicht hinnehmen. Also orderte der Mann einen kompletten Satz Fanartikel – ;vom Trikot bis zum Feuerzeug – ;und eine Rückrundendauerkarte gleich mit dazu. Schwupps, wanderten über 200 Euro über den Tresen.

Wohl nicht einmal ein Tropfen auf einem Stein, der mit einem Fehlbetrag von über 100.000 Euro mal wieder ganz schön heiß geworden ist. Doch so fatalistisch darf man nicht denken, wenn es nur darum geht, jeden Tag möglichst viel Geld einzunehmen, um die Gläubiger zu besänftigen. Denn die drohen dem Verein diesmal wirklich den Saft abzudrehen. Der Insolvenzantrag ist gestellt – ;der dritte innerhalb von fünf Jahren. Man darf gar nicht daran denken, mit welchem Dilettantismus die oberen Herren im Verein Jahr für Jahr so getan haben, als seien 200 Euro ein Betrag, den man mal eben verschleudern könne, weil sich das Selbstwertgefühl mittelmäßiger Funktionäre eben an der Höhe der Beträge bemisst, mit denen sie um sich werfen.

Als zwei Gehaltszahlungen ausstanden, sind fast alle Spieler in einen Streik getreten. Trainer Alexander Ristic, der Mitte März entlassen werden sollte, stand ein paar Tage lang ziemlich verloren auf dem Trainingsplatz herum. Zwischenzeitlich war das Arbeitsamt eingesprungen, doch das will seine Auslagen am 15. Januar ebenso zurückhaben wie manch eiliger Gläubiger. Insgesamt brauchte man 150.000 Euro bis Mitte Januar, danach dann noch mal mindestens 200.000 Euro. 350.000 Euro also – ;solch einen Betrag streicht ein Spielervermittler als Provision für den Transfer eines leicht überdurchschnittlichen Bundesligaspielers ein. In Uerdingen, wo die Sektkorken knallen, wenn zwei Fantrikots verkauft werden, sind das astronomische Summen.

Zum letzten Rückrundenspiel in Speldorf haben sich die Spieler dann doch noch einmal breitschlagen lassen, ihrer Arbeit nachzugehen. Der Gegentreffer zum 1:1 fiel zum dritten Mal in dieser Saison in der Nachspielzeit. Nicht auszudenken, wie gut man dastünde, wenn man einmal ein kleines bisschen weniger Pech hätte. Es überrascht ihn auch nicht, dass ausgerechnet der KFC bei den Krefelder Hallen-Stadtmeisterschaften nicht teilnimmt. Nur zwei Spieler hatten ihre Teilnahme zugesagt, der Rest wartet auf die ausstehenden Gehälter.

Ivo Burmeister war natürlich vor Ort, als der unerwartete Geldsegen eintraf. Seine bemitleidenswerte Lebensgefährtin Lotte musste mal wieder dutzenden Anrufern mitteilen, dass ihr handyloser Freund leider nicht zu sprechen sei: »Der rettet mal wieder den Verein.« Burmeister hat sich noch am nächsten Tag in seiner Düsseldorfer Wohnung über den Mann mit den 200 Euro gefreut. Gar nicht einmal über die zwei grünen Scheine als solche. Sondern weil er die Frage, die ihn seit Jahren umtreibt, endlich einmal wieder mit einem »Ja« beantworten konnte. Es ist die Frage, die sich wohl jeder zigmal gestellt hat, der in den letzten Jahren mit dem KFC Uerdingen zu tun hatte. Sie lautet: »Interessiert das hier überhaupt noch jemanden?«

Der Traum von der Sechstklassigkeit

Im schlimmsten Fall – ;die Alternativen haben sie auf der Vereinshomepage bereits Ende Dezember skrupulös aufgelistet – ;wird das Insolvenzverfahren mangels Masse gar nicht erst eröffnet. Der Verein würde dann aufgelöst und müsste nach einer etwaigen Neugründung ganz unten in der Kreisklasse neu anfangen.

Im besten Fall würde der Verein so viel Geld einnehmen, dass er die Saison ganz normal zu Ende spielen könnte. Einen Großteil der Leis tungsträger würde man wohl dennoch abgeben müssen, allein, um sich die Gehaltskosten zu sparen. Schnitte man dennoch besser als auf Platz elf ab, wäre man dann in der kommenden Saison Fünft-, bei jeder schlechteren Platzierung sogar nur Sechstligist. Schließlich hat der Westdeutsche Fußball- und Leichtathletikverband beschlossen, zusätzlich zur bundesweiten Ligareform noch eine NRW-spezifische durchzuführen: Künftig wird es also noch eine »Nordrhein-Westfalen-Liga« geben, die sich aus den Fünft- bis Elftplatzierten der bisherigen Oberligen Niederrhein und Westfalen zusammensetzt. Für den Zwölften, der noch eine Saison zuvor locker die Klasse gehalten hätte, heißt das allerdings, dass er in der Spielzeit 2007/2008 statt in der Viert- in der Sechstklassigkeit spielen wird.

Für den KFC, findet Burmeister, wäre das allerdings bei weitem nicht die schlimmste Option. Wenn der Insolvenzantrag nicht zurückgezogen werden kann, droht nicht mehr und nicht weniger als das Ende des Vereins. Die Sechstklassigkeit ist also bis zum Jahreswechsel Burmeisters Idealvorstellung für die Zeit ab Sommer 2008. Nun gilt es Geld heranzuschaffen, es bleibt keine Zeit mehr, um diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die den Klub sehenden Auges in die Misere geritten haben. Von Misswirtschaft möchte Burmeister dennoch nicht sprechen: »Misswirtschaft hieße für mich, vorhandenes Geld mit vollen Händen auszugeben. Hier aber war kein Geld, was einzelne Fälle von Größenwahn nicht ausschließt.« Vor der Saison habe man einen Etat auf- und eine Mannschaft in der Hoffnung zusammengestellt, somit gut gerüstet die Plätze eins bis vier anzugreifen. Mit der Qualifikation für die dreigleisige vierte Liga vor Augen würden flugs weitere Sponsoren dazukommen, so das halsbrecherische Kalkül. Da der Klub meist eher remis spielte, wo er hätte gewinnen sollen, entstand die kalkulierte Euphorie jedoch nie.

Allerdings wären die Rahmenbedingungen auch für einen Manager Hoeneß oder Allofs in Uerdingen schwer. Allein schon deshalb, weil das Viertel, das dem Verein den Namen gab, eben zu Krefeld gehört. Von dort aus sind es nur 21 Kilometer nach Mönchengladbach, 39 nach Duisburg, 60 nach Köln oder Schalke. Nicht nur, dass die Konkurrenz nicht schläft, sie logiert quasi im Nachbarhaus. Mancher Klub an Rhein und Ruhr könnte im Mittelkreis ein Skatturnier abhalten; es würde dennoch wohl Jahre dauern, bis nicht mehr alle zwei Wochen über 40.000 Zuschauer in deren Stadien pilgern würden. Beim KFC waren sie in der zweiten Liga froh, wenn so viele in einer Halbserie kamen.

Doch mit dem Standort-Malus hat man zu leben gelernt. Schlimmer in der gegenwärtigen Krise wiegt der Umstand, dass die wenigen Krefelder Unternehmer, die überhaupt etwas mit dem Thema Fußball anfangen können, die Tür in etwa so freundlich öffnen, als hätten die Zeugen Jehovas um einen ausgiebigen Gesprächstermin über das Alte Testament nachgesucht. Die heimatliche Erde ist gründlich verbrannt für seinen Fußballverein, da macht sich auch Ivo Burmeister keine Illusionen: »Die Bank richtet dir kein Konto ein, die Druckerei, der du die Stadionzeitung bringst, lacht dich aus. Es ist nur noch frustrierend.«

Das Schlimmste: Burmeister kann es ihnen nicht einmal verdenken. Bei der letzten Insolvenz 2005 haben die Gläubiger nur 0,2 Prozent der Summe zurückbekommen, die sie einmal in gutem Glauben in den Verein gesteckt hatten. Zwei Euro von 1.000. So richtig glaubwürdig kann dem Krefelder Mittelstand auch keiner erzählen, warum es diesmal anders sein sollte in Uerdingen. »Wer hier noch investiert, muss sich rechtfertigen«, so Burmeister. Er schlägt im Gespräch öfter die Hände über dem Kopf zusammen, wenn er über die jüngere Vergangenheit des Vereins spricht. Doch immerhin lacht er dabei.

Im Grunde ging der wirtschaftliche Niedergang los, nachdem der Bayer-Konzern 1995 seinen Entschluss in die Tat umsetzte, in Zukunft nur noch den Bundesligisten aus Leverkusen zu unterstützen. Bayer Uerdingen benannte sich in KFC Uerdingen um, das »K« für Krefeld sollte die Verbundenheit der Stadt zum Verein symbolisieren. Doch die interessierte sich weiterhin lieber für Eishockey. Anfangs machten sie noch lustige Kinospots mit dem damaligen Trainer Friedhelm Funkel und Kapitän Horst Steffen im Superman-Kostüm, in denen sie den Verein als etwas ganz Neues bewarben. In Interviews erzählten sie, der Abschied vom Chemiekonzern, der in Wahrheit der Abschied des Chemiekonzerns war, werde dem Verein ein sympathischeres Image verleihen.

Doch tatsächlich wussten wohl damals schon fast alle, dass es ihnen in Zukunft so gehen würde wie einem See, dem man die Frischwasserzufuhr kappt. Der Verein trocknete immer weiter aus. Gleich im ersten Jahr der Post-Bayer-Zeitrechnung stieg der frisch umgetaufte KFC aus der Bundesliga ab. Seither schwebt man sanft, aber scheinbar unaufhaltsam, in die Tiefe.

10.000 Löffel, wenn man ein Messer braucht

Dabei hat der Verein vor gar nicht allzu langer Zeit noch Fußballgeschichte geschrieben. Ein Highlight natürlich das legendäre 7:3 gegen Dynamo Dresden 1986. Ein Spiel, das die Uerdinger trotz eines 0:2-Rückstands aus dem Hinspiel und einem zwischenzeitlichen 1:3-Rückstand noch umbogen, weshalb das Match wohl nicht nur dem dreifachen Torschützen Wolfgang Funkel als »Spiel meines Lebens« in Erinnerung geblieben ist.

Im Jahr vorher hatte der Verein bereits aufhorchen lassen, im Pokalfinale besiegte er die übermächtigen Bayern. Wolfgang Schäfer, ein behäbiger, aber nicht ungeschickter Stürmer, wachte am Morgen nach der Feier dezent verkatert in seinem Hotelzimmer auf, den Pokal hielt er immer noch eng umschlungen im Arm. 10.000 Bayer-Fans waren damals in Berlin, bei der Siegesfeier vor dem Krefelder Rathaus platzte die Party aus allen Nähten. Und beim nächsten Spiel nach dem Triumph kamen dann wieder nur 12.000.

Solche Aperçus sind typisch für die Geschichte Uerdingens; kein Erfolg, der nachhaltig bliebe, kein freudiger Tag, der etwas länger hätte genossen werden können. Kaum eine eigene Leistung, deren Früchte man hätte ernten können. Wie bei Stefan Kuntz, Stéphane Chapuisat, Erik Meijer, Brian Laudrup, Marcel Witeczek, Oliver Bierhoff, Manfred Burgsmüller – ;die die Öffentlichkeit mit Kaiserslautern, Dortmund, Leverkusen, Bayern oder dem AC Mailand in Verbindung bringt. Doch sie alle wurden von Uerdinger Nachwuchstrainern oder Scouts entdeckt und haben ihre ersten Profijahre in der Grotenburg bestritten. Gebracht hat das dem Verein, der schon Ausbildungsverein war, bevor es den Begriff überhaupt gab, nichts. Meist noch nicht einmal halbwegs erträgliche Ablösesummen. Und schon gar keinen Platz im kollektiven Gedächtnis der Fußballnation.

10.000 Löffel, wenn man ein Messer braucht; die schwarze Fliege im Chardonnay; der Gnadenspruch, der zwei Minuten nach dem Tod eintrifft – ;wenn Alanis Morissette das Wort »Uerdingen« aussprechen könnte, sie hätte dem Verein ihren Song »Ironic« gewidmet. Es war immer so in Uerdingen, sagt Burmeister, dass der Verein seine schlechteste Saisonleistung zeigte, wenn nach einer imposanten Siegesserie einmal doppelt so viele Zuschauer wie sonst angelockt wurden. Sie kamen niemals wieder.

Zu allem Unglück verkörpert Uerdingen traditionell wenig, das sich in Mythen gießen lassen könnte. Der Klub ist kein Traditionsverein, in dessen Klubheim alte Herren erzählen, wie sie in den 1950er Jahren den Lokalrivalen geplättet haben. Uerdingen ist überhaupt erst Anfang der 1970er zum Namen im bezahlten Fußball geworden. Und ein Klubheim


Zumindest diese jungen Damen und Herren interessieren sich noch für den KFC.

hat man auch nicht mehr. Uerdingen hat keine charismatischen Funktionäre, nicht einmal einen Calmund. Uerdingen hat keine besonders spektakuläre Fanszene, quantitativ schon gar nicht. Kurzum: Die gängigen, heimeligen Geschichten lassen sich über den KFC einfach nicht erzählen. Zumal nicht einmal die Akteure von einst sonderlich motiviert sind, von früher zu erzählen. Das Gefühl der Verbundenheit ist vielleicht auch deshalb unterentwickelt, weil die Cracks von einst im armen Uerdingen selbst als Erstliga-Profis nie besonders gut verdienten. Manch einer – ;so hört man in der Grotenburg – ;lebe heute als gescheiterte Existenz.

Uerdingen, der geborene Verlierer. Das ginge ja noch, das müsste gar nicht einmal uncharmant sein. Doch ein Verlierer, der sich noch nicht einmal als Verlierer präsentieren darf? Der FC St. Pauli scheffele bundesweit Sympathien und damit Geld, ärgert sich Burmeister, mit einem Underdog-Image, das er aufgesetzt findet. St. Pauli, dieser Verein, zu dem sich Tatort-Kommissare, Politiker und jede Menge Rockstars bekennen. St. Pauli mit seinen zigtausenden von Fans. Uerdingen taugt einfach nicht für Stilisierungen. Nicht einmal das.

Burmeister lacht. »Dabei ist der Underdog schlechthin doch Uerdingen.« Er stutzt: »Ich meine, das hier ist richtig Scheiße.«

Prügel für den Grotifanten

Die Liebe zu einem Fußballverein lässt sich nicht rational erklären. Burmeister hat die entsprechende Frage gewittert und ist fast ein wenig empört. Er will sich nicht erklären müssen, als habe er eine seltene Krankheit, deren Symptome dokumentiert werden müssen.

Zumal jeder Fußballfan das Gefühl der Sinnlosigkeit kennt, wenn er durchgefroren in einen Zug steigt, der ihn sechs Stunden später irgendwo ausspucken wird als jemand, der am Wochenende die denkbar sinnloseste Form der Freizeitgestaltung gewählt hat. In einem unbequemen Bus an den Stadtrand einer reizlosen Stadt zu fahren, ein schlechtes Spiel zu sehen, die Niederlage zu quittieren, wieder nach Hause zu fahren. Und dafür noch Geld ausgegeben zu haben. Das Gefühl der Sinnlosigkeit kennen selbst Bayernfans. Kaum vorstellbar, dass man ausgerechnet als Uerdingen-Fan, als Anhänger dieses vielleicht unglückseligsten deutschen Vereins, nicht auch schon sein Fandasein verflucht hat.

Es gibt eben nicht viele, die der KFC Uerdingen je glücklich gemacht hat. Das gilt selbst für den bemitleidenswerten Kerl, der sich ab dem Sommer 1994 in das enge Kostüm eines Stoffelefanten zwängen musste, den sie den »Grotifanten« nannten und dazu verdonnerten, die Stimmung anzuheizen. So etwas galt damals als modern, sogenannte Marketingstrategen fanden, dass sich durch solche »Events« ganz hervorragend ein neues Publikum an den Fußball heranführen lasse. Das neue Publikum kam nicht, manch einer, der schon länger da war, war verstört. Immerhin – ;jede Krise hat auch ihr Gutes – ;sind heute auch die Werbefachleute weg.

In seiner ersten Saison quälte sich der Fan, der das Innere des Plüsch-Elefanten ausfüllte, mit einem viel zu schweren Kostüm über den Rasen, in den folgenden Jahren wurde die Staffage entschlackt. Der Elefant sah nicht mehr ganz so gut aus, konnte sich aber deutlich behänder bewegen. Viele Jahre später sollte sich das als Glücksfall erweisen, auch wenn er zwischenzeitlich einen mehrere Jahre währenden Winterschlaf gehalten hatte.

Im Niederrhein-Pokalhalbfinale der Saison 2004/05 traf man zu Hause auf Fortuna Düsseldorf. Es war nach acht Jahren auch die erneute Heimpremiere für den Grotifanten. Finanziell war Fortuna Düsseldorf ein Glückslos, schließlich gelten die Anhänger der Fortunen als reisefreudig. 10.000 der insgesamt 17.000 Zuschauer kamen dann auch aus der Landeshauptstadt, kurz vor Schluss erzielte Fortuna den Siegtreffer.

Normalerweise ist das eine Ausgangslage, die auch aggressivste Fans in Feierlaune versetzt. Doch Trivialpsychologie ließ sich nicht auf die Fans der Fortuna anwenden, die bereits während des Spiels »Der Grotifant kriegt heut’ aufs Maul« skandiert hatten und nach dem Schlusspfiff wie enthemmt in Richtung gegnerische Kurve rannten, um die zahlenmäßig grotesk unterlegenen KFC-Fans zu vermöbeln. Der Elefant, der nach dem Schlusspfiff nicht rechtzeitig vom Platz gekommen war, konnte sich nur mit Mühe und Not vor einer aufgebrachten Horde Fans in Sicherheit bringen, nicht zuletzt, weil sich einige KFC-Spieler im wahrsten Sinne des Wortes für ihn stark machten.

Von den Scharmützeln existiert ein Foto, das zu den Highlights der Sportfotographie gehört: Es zeigt den Elefanten, wie er – ;den Kopf des Dickhäuters unterm Arm – ;in voller Montur flieht. Hinter sich ein Fan mit rot-weiß geschminktem Gesicht, der mit hasserfülltem Blick die Faust erhebt. Seit diesem grundlosen Gewaltexzess gibt es in Uerdingen zwei Vereine, die die KFC-Fans überhaupt nicht mögen.

Der andere ist traditionell Bayer Leverkusen. Der Verein des Mutterkonzerns, den die Mutter ab dem Moment umso herzlicher päppelte, an dem sie ihr zweites Kind ins Waisenhaus gab. Wenn der KFC Uerdingen heute bei der Zweitvertretung aus Leverkusen ran muss, ist die KFC-Kurve voller Transparente, die den Hass gegen »LEV« artikulieren. Und auf der Gegenseite: »Ein paar von den Leverkusener Althools vielleicht«, so Burmeister, kaum mehr Zuschauer, als wenn es gegen Kleve oder Straelen ginge. »Aber die gehen auch nach ein paar Minuten wieder gelangweilt.« Uerdingen ist eben kein Gegner.

Ivo Burmeister kennt die herablassenden Kommentare auch aus eigener Anschauung. Die dummen Sprüche der »richtigen« Fans von »richtigen« Fußballvereinen, er kennt das Gefühl, als einer von 19 Leuten im Gästeblock des Stuttgarter Neckarstadions zu stehen und sich das Gefeixe der Einheimischen anhören zu müssen. »Ich möchte mal wissen, wie viele von denen am darauffolgenden Wochenende 500 Kilometer gefahren sind, um ihr Team zu begleiten.« Burmeister wird tatsächlich ein klein wenig lauter, als er das sagt. »Die den Spott abgekriegt haben, waren die letzten, die ihn verdient haben.«

Allein unter Bayernfans

Schon Menschen, deren Pass sie als gebürtige Krefelder ausweist, müssen sich in der Grundschule einer Übermacht an Gladbach-, Münchenoder Schalkefans erwehren. Wie also soll es jemandem ergehen, der 600 Kilometer von Krefeld entfernt in Lindau am Bodensee geboren und aufgewachsen ist? Burmeister wäre wohl wie alle anderen Kinder aus seinem Umfeld Anhänger des nächstgelegenen Bundesligisten geworden. Doch seine Eltern stammen aus Krefeld. Und deswegen wurde er nicht zum Bayernfan.

Dabei hatten die Münchner zunächst alle Chancen bei Ivo. Denn sein erstes Spiel war ein Heimspiel der Bayern – ;gegen Nürnberg. Doch Burmeister fühlte sich im weiten anonymen Rund wie im Kino. Kein Initiationserlebnis weit und breit. Interessanter war da schon, was der Vater kurz darauf zu erzählen wusste: »Uerdingen ist aufgestiegen.«

Uerdingen, der Verein aus der Stadt, in die er alle paar Monate mit seinen Eltern fuhr, um Onkel und Tanten zu besuchen. Wie in diesem schicksalhaften Dezember 1983, als er kurz vor Weihnachten am Niederrhein eintraf und dort tatsächlich noch Bundesliga gespielt wurde. Uerdingen gegen Bayern, er mittendrin und der übermächtige Gast gehörig unter Druck. Für den damals Zehnjährigen war das auch deshalb eine neue Erfahrung, weil es in jeder Hinsicht anders zuging als im heimischen Lindau. Man sprach hochdeutsch, na ja, halbwegs zumindest.

»Und jeder hasste die Bayern«, nicht wie bei ihm zu Hause am Bodensee, wo man qua Geburt Fan von Pfaff, Rummenigge und Pflügler wurde. Schon kurze Zeit darauf hatte er »wir« gesagt, wenn er von Uerdingen sprach. Ivo Burmeister war unwiderruflich infiziert.

Die nächsten Schritte kamen wie von selbst: Die Tante schenkte das erste Trikot, irgendwann ging auch der Cousin mit zu den Spielen. Die Bahn erfand das »Tramper-Monats-Ticket«, mit dem man als Jugendlicher einen Monat lang so viel Zug fahren konnte, wie man wollte. Und Burmeister fuhr, was das Zeug hielt: »Ich war bei fast allen Heim- und den halbwegs erreichbaren Auswärtsspielen.«

Was so banal klingt, kann abenteuerliche Züge annahmen, wie die Fahrt zum ersten Saisonspiel 2007. Velbert hieß das Ziel, ein Ort ohne eigenen Bahnhof, nur mit einem Linienbus erreichbar. 299 Uerdinger hatten sich genauso auf das erste Spiel nach der endlos langen Sommerpause gefreut wie Ivo. Doch so einfach, wie sie sich das gedacht hatten, sollte sich die Anreise nicht gestalten. Mitten auf der bergigen kurvenreichen Strecke versagte der völlig überlastete Bus nämlich. Ein schier endloser Treck blau-rot gewandeter Fans zog daraufhin zu Fuß durchs dünn besiedelte Gelände und grüßte freundlich nach rechts und links. »Immer vorbei an Familienvätern, die ihre Gärten in Ordnung hielten,


Old Firm in der Oberliga: Am Niederrhein ist der KFC offenbar auch in Modefragen Vorreiter.

man fühlte sich plötzlich wie beim Wandertag.« Dass Ivo nur mit zehnminütiger Verspätung im Stadion ankam, verdankt er einem vorbeifahrenden Fußballfan: »Der hat sechs von uns hinten auf die Ladefläche seines Malerei-Firmenwagens genommen.« Zwischen Pinseln und Farbeimern gondelte man schließlich langsam, aber sicher in Richtung Saisonstart.

In den letzten Gymnasialjahren spielte Uerdingen in der Zweiten Bundesliga. In Konstanz – ;unweit der Heimatstadt, die ohne Fußballverein deutlich weniger heimatlich wirkte – ;studierte er die ersten Semester Jura. Sein Verein stieg in dieser Zeit abermals ab. Von der zweiten in die dritte Liga. Spielberichte und Ergebnisse fand man nun statt im kicker und der Süddeutschen Zeitung in der Rheinischen Post und dem Reviersport. Die KFC-Homepage war anno 2000 ein Provisorium, vom Internetzeitalter sprachen damals nur Menschen, die man lieber nicht kennen wollte. Auch im Videotext gab es plötzlich nichts mehr über Uerdingen zu lesen. Schon gar nicht an der Schweizer Grenze, wo man andere Sorgen hat, als den WDR empfangen zu wollen. Kurzum: Burmeister fühlte sich, als habe ihn jemand auf einer einsamen Insel ausgesetzt.

Nun kam er wirklich, der Moment, an den Niederrhein zu ziehen. Oder hatte das etwa rationalere oder zumindest gesellschaftlich akzeptiertere Gründe als die Liebe zu einem Fußballverein? Der Freundin wegen? Nein, die stammt auch aus dem Süden. Der Arbeit halber? Nicht direkt. Also doch, weil der KFC dann per U-Bahn zu erreichen sein würde? In seinem Alter würde man so etwas nicht mehr bejahen. Zumindest nicht explizit. Nur so viel: »Ich hatte schon immer den Traum, eine eigene Dauerkarte zu haben und endlich einmal in einer Saison alle Spiele zu sehen.«

Nach so vielen Jahren mit dem KFC verschwimmen die Grenzen. Zum Beispiel die zwischen »Fan« und »Freund«. Freundin Lotte kommt mittlerweile manchmal mit ins Stadion. Nicht etwa, weil sie Oberligafußball so faszinierend fände. Sondern, weil auch sie sich mit so manchem »Fanfreund« ihres Lebensgefährten angefreundet hat. Mancher von ihnen ist nun auch noch zum Arbeitskollegen geworden. Seit zwei Jahren hilft Ivo regelmäßig beim KFC aus. Für den Not leidenden Verein arbeiten viele Fans unentgeltlich. Mancher, weil er weiß, dass der Verein kein Geld hat. Mancher, weil er selbst dann kein Geld annehmen würde, wenn der Verein welches hätte.

Vergangenen Sommer stand Ivo Burmeister mal wieder an der U-Bahn-Haltestelle, von der aus er auch sonst immer zu den Heimspielen nach Krefeld fährt. Alleine, versteht sich, denn in Düsseldorf hat sich auch nie jemand für den nur wenige Kilometer entfernten Klub interessiert, als der noch zwei Ligen über der Fortuna spielte. Doch diesmal war der Bahnsteig gerammelt voll mit Fußballfans. Sie wollten zum Ligacup-Match KSC gegen Schalke in der LTU-Arena. Irgendwann trennten sich die Wege der Fans von dem Burmeisters. Der fuhr zum Hauptbahnhof und von dort aus weiter nach Solingen. Der KFC hatte dort ein Auswärtsspiel.

Old Firm in der Oberliga

Wenn ein Verein, der auch in der zweiten Liga einen ziemlich geringen Fanzuspruch hatte, oft genug absteigt, ändern sich irgendwann die Relationen. Der KFC ist nun im dritten Jahr viertklassig. Und in der Oberliga gilt die Grotenburg als stimmungsvolle Arena. Der KFC ist nun auch auswärts der Zuschauerkrösus. Zwei-, dreihundert Uerdinger fahren immer mit, das ist in der Liga eine wahre Prozession. Manchmal sind es sogar 2.000 wie in der vergangenen Saison in Oberhausen. Rot-Weiß Oberhausen gegen KFC Uerdingen, das klänge als Zweitligaduell katastrophal. In der Oberliga Nordrhein ist es das Old Firm.

Das gleiche Phänomen bei den Heimspielen. Die Grotenburg war mit ihren 34.500 Plätzen schon immer grotesk überdimensioniert. Derzeit 33.300 Plätze bleiben meist leer, eine Tribünenseite ist komplett gesperrt. Etwa 1.200 Zuschauer kommen im Schnitt, »1.200 Bekloppte«, wie Burmeister feststellt. Zu Regionalligazeiten waren es noch fast doppelt so viele, »2.000 Bekloppte«.

Uerdingen und seine Zuschauer, das war schon immer eine problematische Beziehung, man fand sich offenbar wechselseitig einfach nicht sonderlich attraktiv.

Manche allerdings sind immer wieder gekommen. Vor allem die jüngeren. Viele junge Fans aus dem Ultralager haben jetzt eine Dauerkarte, obwohl sie die erfolgreicheren Tage des Vereins nie miterlebt haben, berichtet Burmeister. Er scheint nun für einen Moment seine Motive mit denen der jungen Erlebnishungrigen zu vergleichen: »Ich komme ja, weil es nicht anders geht … «

Burmeister geht nicht zum Fußball, wie ein gläubiger Katholik in die Kirche geht, aber auch nicht wie ein unglücklich Verliebter zu einer Frau, die ihn nie glücklich machen wird. Er geht mit einem seit Jahren antrainierten, fein ziselierten Galgenhumor zum KFC. Vor einem wichtigen Treffen, bei dem Sanierungskonzepte erörtert werden sollen, sagt er, dass da »wieder mal nichts bei rauskommen wird«. Aber darum geht es ja auch nicht bei Sitzungen. Er geht trotzdem hin. Nicht, dass er sich irgendwelche Illusionen über die Perspektive des Vereins machen würde.

Lohnt es denn wirklich, sich Nachmittag für Nachmittag um die Ohren zu schlagen, nur um – ;im idealen Fall – ;in der kommenden Saison Fan eines Sechstligisten zu sein? Burmeister lacht schon wieder. Ein Nein wird man von ihm in dieser Angelegenheit nicht hören. Burmeister würde diesen seinen Verein gegen keinen anderen eintauschen wollen. Auch nicht, wenn es eine zwölfte Liga gäbe und der KFC in ihr spielen würde. In seiner Wohnung im Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk ist ein Raum dem KFC vorbehalten. Aktenordner reiht sich hier an Aktenordner, Ivo hat jeden Zeitungsschnipsel, der je über den KFC verfasst wurde, archiviert, jede Stadionzeitung, jedes Foto. Seit Jahren, seit Jahrzehnten, wandert nichts, was mit dem KFC Uerdingen zu tun hat, in den Papierkorb. Die Relikte fordern ihren Platz. Der Verein ist auch im ganz konkreten Sinne zum Untermieter geworden.

»Weil es nicht anders geht«

Interessiert das noch jemanden? Das ist auch die Frage, die sich die Sponsoren stellen, die dem Verein die Treue gehalten haben. Auch sie, berichtet Burmeister, hätten im Dezember, als so langsam durchsickerte, dass es ums Ganze gehen würde, auf ein Signal gewartet. Ein Signal, dass der KFC doch ein paar Menschen bewegt. Wenn schon nicht die Massen, dann zumindest noch einige hundert mehr als den Fundus an Unerschrockenen, die sich wohl auch von einer Spielabsage nicht vom Stadionbesuch abhalten lassen würden. Sie haben die Zuschauerzahlen der letzten Wochen genau registriert. Beim letzten Heimspiel gegen die zweite Mannschaft von Fortuna Düsseldorf kamen so wenige Fans wie gegen Kleve oder Straelen. Keine Abstimmung mit Füßen, nicht einmal mit ein paar hundert Füßen.

Entmutigen lassen wollen sich Burmeister und seine Mitstreiter vom Krefelder Makroklima dennoch nicht. Zuerst haben sie versucht, prominente Vereine zum Benefizkick in die Grotenburg zu lotsen. Am besten natürlich die Bayern. Aber die waren schon da, als dem Klub das letzte Mal das Wasser bis zum Hals stand. Offiziell 21.000 Zuschauer wollten Ballack, Pizarro und Co. im Januar 2006 sehen. Wahrscheinlich waren es sogar mehr. Die damaligen Einnahmen würden heute wohl fast reichen, um die Unterdeckung auszugleichen. Aber die Bayern bekommt jeder Verein eben nur einmal in der Vereinsgeschichte zum Gratiskick.

Oberhausen und den MSV Duisburg hingegen fragt man nicht so häufig, ob sie zu einem Benefizspiel vorbeikommen würden. Burmeister lacht schon wieder: »Dann muss es eben gegen Duisburg ausverkauft sein.« Burmeister hat über Weihnachten schon mal angefangen und seinen Verwandten je ein Sitzplatzticket aufgenötigt, als er mit den Geschenken unterm Arm bei ihnen vorbeikam.

Doch wie man es dreht und wendet, die Ticketeinnahmen aus den Spielen gegen die Niederrhein-Nachbarn werden nicht ausreichen, um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Deshalb haben sie in der Uerdinger Straße 463a zu Uerdingen schon einige Abende damit verbracht, sich zu überlegen, wie man auf sich aufmerksam machen könnte. Nicht leicht in Zeiten, in denen bereits dutzende havarierende Vereine versucht haben, durch möglichst originelle Aktionen in die Massenmedien zu kommen und den Sympathisanten die Euros abzuluchsen. Da zahlten Sex-Hotlines Provisionen an den Not leidenden FC St. Pauli, da spendeten Union-Berlin-Fans sogar Blut für ihren Verein. Und da kauften


Der KFC Uerdingen brauchte Prominente und bekam Elton.

Union-, Stuttgarter-Kickers- und andere Fans Pixel der eigenen Homepage auf, um deren Betreibern ein paar Euro zuzuschustern.

Auch in Uerdingen ließen sich über einen Anruf bei einer Hotline fünf Euro spenden. Und die lokalen Pressevertreter gelobten, Werbung für die beiden Spiele machen zu wollen, weil man ihnen klar gemacht hat, dass sie sonst in absehbarer Zeit nur noch vom Eishockey berichten werden. Nachrichten, die Mut machen. Gegen Oberhausen lief Stefan Raabs Assistent Elton auf Seiten der Krefelder auf, zusätzlich wurde der Posten des Cheftrainers bei eBay ausgeschrieben. Das schaffte Schlagzeilen, selbst die Washington Post berichtete über den kleinen wackeren Verein vom Niederrhein – ;auch weil Rockstar Pete Doherty, der in Krefeld aufgewachsen war, aus London verlauten ließ, auch er spiele mit dem Gedanken, dem Verein zu helfen. Doherty kam dann natürlich nicht und ließ auch nichts mehr von sich hören. Aber da waren die Schlagzeilen schon geschrieben.

Bei der Onlineversteigerung des Trainerjobs erhielt ein Personalberater aus Bonn für 4.110 Euro den Zuschlag. Gegen RWO saß er dann auf der Trainerbank, das Spiel ging 0:3 verloren, doch die 2.400 Zuschauer brachten immerhin eine Einnahme von 30.000 Euro. Obwohl das Spiel, auf das seit Wochen alle Hoffnungen projiziert worden waren, ja erst noch kommen sollte.

Das Spiel der Spiele

Dienstag, 22. Januar 2008. Es ist trocken, Gott sei Dank hat das Wetter mitgespielt. Vor den Kassenhäuschen treffen bereits eine Stunde vor Anpfiff die ersten Fans ein. Viele davon drücken dem MSV die Daumen, das stört auf Krefelder Seite niemanden, heute nehmen sie beim KFC jeden, der Eintritt zahlt. Etwa 1.000 Meidericher sind es, die übergroße Mehrheit hat sich aber einen Schal oder ein Trikot des KFC übergezogen. 7.112 Zuschauer werden es sein, ein mehr als ordentlicher Besuch. Die Gegentribüne ist fast voll, auch die Stehplätze darunter sind ordentlich gefüllt. Und zwischen Tor und Eckfahne hat sich ein Fanblock eingefunden, der in der Tat lauter und größer ist als zu Zweitligazeiten. Der KFC hat heute in jeder Hinsicht ein Heimspiel, das war früher selbst dann nicht immer so, wenn die Gastmannschaft nur 300 Fans mitgebracht hatte.

Auch beim heutigen Match gegen den MSV denken viele an die alten Zeiten. Ein Fan mit Jeanskutte und einem zwei Jahrzehnte alten Bayer-Uerdingen-Rückenaufnäher erinnert sich gerade an die Epoche, als es zu Zweitligazeiten sehr ruhig in der Grotenburg war. So ruhig, dass er einmal mitten im Spiel einem Abwehrmann zugerufen habe, er, »die fette Sau«, solle »sich mal bewegen«. Uwe Grauer habe ihn daraufhin direkt angeschaut und ihm den Stinkefinger gezeigt: »Dat war vielleicht komisch, sach ich dir!« Heute ist der Fan besser auf die Spieler zu sprechen. »So voll war es schon lange nicht mehr.« Dass der MSV kurz vor Schluss noch zwei Tore schießt – ;geschenkt.

Auch Ivo Burmeister, der rechts neben der Trainerbank lehnt, lässt sich durch die beiden Gegentore nicht die Laune verderben. Er schaut nicht einmal aufs Spielfeld. Stattdessen beobachtet er mit leicht spöttischem Blick, wie ein paar Meter neben ihm Elton Autogramm um Autogramm geben muss. Langsam zieht sich das Lächeln in die Breite, dann sagt er drei Worte: »Wir sind gerettet.«

Ein Investor vom Niederrhein hat sich gemeldet, er will nun 100.000 Euro in den KFC stecken. Zusammen mit den Einnahmen aus den Freundschaftsspielen wird das reichen, den Insolvenzverwalter zu besänftigen. Ohne die Berichterstattung über die Aktionen der Fans hätte der Investor nicht einmal gewusst, dass es den Verein überhaupt gibt, sagt Burmeister. Nun finde er, dass solch ein Verein auf jeden Fall überleben müsse. »Wir sind gerettet«, wiederholt Burmeister und schaut versonnen auf den Fanblock, der in beachtlicher Lautstärke die Mannschaft feiert. Burmeister lächelt. Wer dieses Lachen sieht, weiß, was ein »befreiendes Lachen« ist. Es geht weiter.



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