Читать книгу "Ist doch ein geiler Verein" - Christoph Ruf - Страница 9
Оглавление»In Ruhe den Schiedsrichter beschimpfen«
Thomas Traumer (47) ist in seiner Freizeit Museumsdirektor bei Altona 93. Nebenbei hat er die Zuschauerzahl des Oberligisten verdoppelt. Das freut auch den Fan, der beim AFC seine eigene Anzeigetafel hat.
Es ist ja schon außergewöhnlich, einen Oberligisten als Lieblingsverein zu haben. Wie aber kam es zu der Idee, für Altona 93 auch noch ein Museum einzurichten?
Präsident Dirk Barthel hatte das schon länger vor, wir sind eben ein Traditionsverein. Im Juni vor einem Jahr trafen wir uns dann auf ein Glas Wein in seinem Restaurant und beschlossen, seine Idee mit einem Fanshop zu kombinieren. Der wiederum war seit Jahren mein Traum.
Was erwartet den Besucher?
Allerlei Pokale und Schwarz-Weiß-Bilder, teilweise über 100 Jahre alt. Am besten gefallen mir diese gestellten Studioaufnahmen vor gemalten Landschaftshintergründen. Aber von 1903, als der AFC im Halbfi nale der Deutschen Meisterschaft war, gibt’s gar nichts mehr. Das Stadion ist im Krieg ordentlich bombardiert worden. Was noch übrig blieb, fand man im Keller des Klubhauses. Jetzt ist alles mit dem Fanshop unter einem Dach.
Und dort gibt es Strampelanzüge und Fähnchen von Altona 93?
Keine Strampler, aber vom Trikot über den Aschenbecher bis zur Mütze sind wir gut sortiert. Der Umsatz ist natürlich gering, aber ein paar hundert Klamotten habe ich schon verkauft. Wir haben auch Videos von den Spielen.
90 Minuten Altona gegen Eintracht Nordhorn?
Gegen Bergedorf. Und natürlich ohne lästigen Kommentator. Es gibt Leute, die kaufen das. Für Altona ist das alles ein Quantensprung, die haben vorher gar nichts verkauft. Zumal keine Personalkosten anfallen, ich arbeite ehrenamtlich. Seit ein paar Wochen bin ich arbeitslos, da kann ich auch mal außerhalb der Öffnungszeiten eine Führung veranstalten oder mir Gedanken über ein neues Sweatshirt machen.
Die Nachfrage stimmt offensichtlich?
Ich habe schon Fanartikel nach Österreich geschickt. Und hier im Laden waren schon Leute aus Singapur, Hongkong und Australien.
Kundschaft aus Singapur: ThomasTraumer verkauft AFC-Fanartikel.
Jetzt übertreiben Sie aber, südlich der Elbe kennt den Verein doch kein Mensch.
Das sind Hamburger, die bis in die 1950er Jahre zum AFC gegangen und danach ausgewandert sind. Als 80-Jährige wollten die dann noch mal ihre Familien besuchen. Jetzt fahren die wohl mit einem AFC-Aufkleber durch Sydney. Aber Sie täuschen sich: Altona 93 ist immer noch ein Name. Wenn du dich als AFCer zu erkennen gibst, sagen auch Süddeutsche: Mensch, da war doch mal was.
Und wie sieht die Gegenwart aus – ist da noch was?
Wir stehen gut da in der Oberliga Nord, die Regionalliga ist also drin. Zwischenzeitlich hatte unser Präsidium ja beschlossen, dass sie lieber gar nicht melden – eine Verarschung sondergleichen. Wie hätten sich denn jetzt die Spieler noch motivieren sollen, wo es ganz egal ist, wie sie am Saisonende abschneiden? Was sie bisher geleistet haben, war ja super. Und das trotz unseres Etats von gerade einmal 300.000 Euro. Cloppenburg oder Kiel laufen hier mit einem Etat von 2,5 Millionen auf. In Altona wird jeder Ehrenamtliche und jeder Zuschauer gebraucht.
Sie sollten zusätzlich noch Zuschauer werben …
Mache ich doch. Im vorletzten Sommer habe ich zum Präsidenten gesagt, lass uns doch mal die Zuschauerzahlen pushen. Fand er eine gute Idee.
Und dann?
Zu unseren Zuschauern gehören traditionell die Punks vom Altonaer Bauwagenplatz. Ich habe die gefragt, ob sie vor den Spielen 10, 15 Plakate in Apotheken und Läden aufhängen würden. Im Gegenzug hat der Präsident jedem eine ermäßigte Dauerkarte versprochen.
Klingt nicht gerade nach Tariflohn.
Die fanden das aber toll, weil sie sich keine Sorgen mehr um das Eintrittsgeld machen mussten. Die Plakate hängen jetzt auch im Schanzenviertel und auf St. Pauli. Auch Familien mit Kindern kommen jetzt verstärkt zu uns. Da wird die Decke ausgebreitet, die Kinder und die ganzen Punk-Hunde spielen rum, die Mütter klönen miteinander, auch mancher Ex-Hool trinkt hier sein Bier. Seit kurzem gibt es sogar Pommes. War ein langer Kampf, aber mit dem Argument, dass er nur so auch die Kinder als Kunden gewinnen könne, konnten wir den Pächter der Vereinsgaststätte schließlich davon überzeugen, dass das eine gute Idee wäre.
Zurück zu den Zuschauerzahlen. Wie erfolgreich war denn Ihre Drückerkolonne?
Drückerkolonne? Statt 450 Leuten kommen jetzt jedenfalls fast 800 im Schnitt. Und viele davon waren früher am Millerntor.
Sie auch?
Ich auch. Jahrzehntelang, aber irgendwann war mir da selbst auf den Rängen zu viel Kommerz und Dogmatismus. Mit diesen ganzen Choreographien und dem einstudierten Support machte das keinen Spaß mehr, das war irgendwie der gleiche Leistungsdruck wie auf dem Rasen. Vielen St.-Pauli-Fans ging’s wie mir, die kommen jetzt hierher, weil sie in Ruhe Fußball schauen wollen. Einfach geil meckern, dumme Sprüche reißen, was eben so dazu gehört.
Und die beiden großen Konkurrenten verspotten.
Über den HSV ist doch jedes Wort zu viel. Und St. Pauli schlagen wir nur mit ihren eigenen Waffen. Als sie mal wieder pleite waren, hat doch sogar Bürgermeister Ole von Beust »Retter«-T-Shirts für St. Pauli verkauft. Und selbst zum Cheeseburger konntest du die Lappen kaufen. Mein Trauzeuge, ein gebürtiger Gelsenkirchener vom Bauwagenplatz, hatte dann vor dem Spiel gegen die St.-Pauli-Amateure ein lustiges Transparent gemalt: »St. Pauli, McDonald’s und die CDU«. Das kann man wunderbar skandieren und danach schön ein »Und Geld stinkt doch« hinterher brüllen.
Gemein.
Wir dürfen das, schließlich haben wir den Dino unter den St.-Pauli-Fans in unseren Reihen: Mabuse, der brachte damals den Totenkopf von der Hafenstraße ans Millerntor.
Der ist heute Symbol des Klubs und prangt selbst auf den Spielertrikots.
Dabei fand Mabuse nur die Vereinsfarben braun-weiß hässlich, also hat er sich von seinem Sozi-Geld auf dem Dom (der Hamburger Jahrmarkt, d.V.) so eine Fahne gekauft, auf einen Besenstiel getackert und ist damit ab ins Stadion. Irgendwann haben das dann Hunderte gemacht. Mabuse ist das egal, der war seit zehn Jahren nicht mehr am Millerntor. So einen Service wie bei uns bekommt er da nicht geboten.
Es gibt also doch VIPs beim AFC.
Zumindest hat Mabuse seine eigene Mini-Anzeigetafel. Immer wenn er betrunken war, hat er alle genervt mit seiner Fragerei nach dem Spielstand. Irgendwann ist ein Kollege mit einer Mütze rumgegangen. Mit dem Geld hat er eine Holztafel gebastelt, etwa ein Meter auf einen Meter, die jetzt bei Spielen in den Zweigen über deren Kurve hängt und per Hand betätigt wird. Jetzt ist auch Mabuse immer im Bilde und die anderen können in Ruhe den Schiedsrichter beschimpfen.