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»Hurra, das ganze Haus ist da!«

TeBe Berlin hat nur wenige Fans. Weil sich das herumgesprochen hat, bleiben auch die Neugierigen und die Jugendlichen weg. Was sie verpassen, ist eine Fankultur, die sich in prallvollen Stadien nicht umsetzen ließe.


Endi und Tobias sitzen in einer Kneipe in Friedrichshain. Über das morgige Spiel reden sie, als gelte es, zu einer lästigen Familienfeier zu fahren. Auch wenn endlich mal wieder deutlich über 1.000 Zuschauer erwartet werden und damit wieder so etwas wie Fußballatmosphäre durchs Charlottenburger Mommsenstadion wabern dürfte – lieber würden sie gegen Anker Wismar oder den Berliner AK spielen, sagen sie: »Zu viel Stress gegen den BFC.« Die Fans des BFC haben in der Tat keinen besonders guten Ruf. Zu DDR-Zeiten wurde der Klub, dessen prominentester Fan Erich Mielke war, so oft mit tatkräftiger Hilfe der Schiedsrichter Meister, dass er landauf, landab »Schiebermeister« genannt wurde. Befragt man Zeitzeugen aus der damaligen DDR-Oberliga zum Thema BFC, heißt es allerdings auch, »dass die jahrelang auch die beste Mannschaft hatten, die wären auch ohne die Hilfe der Stasi Meister geworden«.

Identitätsstiftend war der Ruf als Mielkes Schoßhündchen dennoch: »Euer Hass macht uns stark«, steht auf einem Transparent, das noch Jahre im Sportforum Hohenschönhausen, der Heimstätte des BFC, hing. Nach wie vor gehen zum BFC viele in die Jahre gekommene Hooligans, zahlreiche Stadionbesucher sind im Schulter-Brustbereich gut einen halben Meter breiter als im Bundesdurchschnitt – auch wenn viele davon heute zu Bier und Wurst einen Becher Fanta ordern, weil sie als treu sorgende Familienväter mittlerweile ihre Kinder mit ins Stadion nehmen. Doch zum BFC, das fällt in den Medien gerne einmal unter den Tisch, gehen ebenfalls zahlreiche Normalbürger, die ihrem Verein seit Jahrzehnten die Treue halten. Auch vereinzelte Linke finden sich im Sportforum ein – und Freigeister wie Andreas Gläser, dessen Buch »Der BFC war schuld am Mauerbau« sich aus nicht nachvollziehbaren Gründen schlechter verkauft hat als Hornbys »Fever Pitch«. Und dennoch: Nur allzu gerne wäre man beim BFC ein deutsches Millwall, seit jeher der Inbegriff für eine unzähmbare, gewalttätige Fanszene und in London zunehmend eines der authentischeren Gegenmodelle zum sterilen, grotesk überteuerten Hightech-Fußball à la Chelsea oder Arsenal. Der rotzige Slogan »No one likes us – we don’t care« wurde zuerst in Millwall skandiert. In Berlin und Umgebung hat sich der BFC – ob zu Recht oder zu Unrecht – ein zweifelhaftes Image erarbeitet, das dem eines Millwalls in Miniaturformat nahe kommt. Jugendliche, die statt zu Hertha oder zu Union lieber zum BFC gehen, tun das jedenfalls nicht wegen des guten Fußballs oder der bombastischen Stimmung. Denn beides findet man dort nicht vor. Wenn für Endi und Tobias aus Friedrichshain das heutige Spiel dennoch keine Vorfreude auslöst, hat das einen einfachen Grund: Die Gegner in der Oberliga Nordost-Nord sind so dermaßen unattraktiv, dass sich der BFC-Anhang geradezu zwangsläufig den Verein zum Rivalen auserkoren hat, der wenigstens noch ein paar Fans in der Kurve hat und sich ebenfalls lieber heute als morgen aus der Liga der Rathenows und Neustrelitze verabschieden würde. Zumal sich Tennis Borussia vordergründig betrachtet bestens dazu eignet, sich als dekadenter, blutleerer – und vor allem westdeutscher – Neureichenklub stilisieren zu lassen.

»In drei Tagen Europacup«

Beim ersten Aufstieg 1994 profitierte TeBe davon, dass dem Tabellenersten Union Berlin, dem Klub aus dem Oststadtteil Köpenick, die Lizenz wegen einer gefälschten Bankbürgschaft verweigert wurde (woran TeBe unbeteiligt war). Seit stattdessen der Zweite TeBe in die zweite Liga aufstieg, galt man im Ostteil der Stadt als reicher Schnöselverein, der sich als Projektionsfläche für die absurdesten, gerne auch mal antisemitisch aufgeladenen, Verschwörungstheorien geradezu anbot. Dass TeBe schon bald wieder abstieg, wurde zumindest in Berlin-Köpenick mit Genugtuung zur Kenntnis genommen.

Ende der 1990er Jahre wurde dann der kleine, aber seit jeher mit einer feinen Fanszene gesegnete Klub aus Charlottenburg vom Wahnsinn heimgesucht. Mit Hilfe der »Göttinger Gruppe«, einem höchst dubiosen Versicherungskonzern, wollte man in möglichst kurzer Zeit mit Millionensummen in die Bundesliga aufsteigen. Spätestens unter Winni Schäfer, der es so rein gar nicht verstand, lauter hoch bezahlte, meist schon etwas betagte Individualisten zu einem Team zu formen, und noch nach Monaten die Namen der Spieler verwechselte, machte


Kaum einer mag den BFC. Darauf sind sie beim BFC stolz.

man sich bundesweit unbeliebt. TeBe hatte damals in den Fanszenen zwischen Hamburg und München ein ähnliches Image wie die TSG Hoffenheim heute.

Die Pläne des Unternehmens scheiterten, TeBe musste Insolvenz anmelden. Doch das Image weigerte sich standhaft, ebenfalls in Konkurs zu gehen. Endi und sein Kumpel, beides dezidierte Linke, haben sich schon damals über die pauschalen Verurteilungen geärgert: »Es wäre ja schön gewesen, wenn man mal zur Kenntnis genommen hätte, dass die ›Göttinger Gruppe‹ von keiner Seite so viel Druck bekommen hat wie von uns Fans.« Vor allem über eines der besten Fanzines Deutschlands, die Lila Laune, mischten die sich kräftig ein.

Aus Protest zog man von den angestammten Plätzen unterhalb der Haupttribüne auf die gegenüberliegende Seite, der Größenwahn der Investoren wurde mit ironischen Sprechchören karikiert: »Wir steigen auf und niemals ab – in drei Tagen Europacup.« Trotz kurzzeitigen sportlichen Erfolgs – der Aufstieg in die zweite Liga gelang, wo man zunächst auch halbwegs erfolgreich mitspielte – strömten die Zuschauermassen nach wie vor nicht. Etwa 4.000 Zuschauer kamen im Schnitt – das war damals für Zweitligaverhältnisse solides Mittelmaß im unteren Drittel der Zuschauertabelle. Doch verglichen mit der Vergangenheit war das verschwindend wenig. Im Endspiel um die Berliner Meisterschaft 1952 sahen 75.000 Zuschauer im Olympiastadion einen 4:2-Sieg TeBes über Union 06. Auch in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga in der Saison 1973/74 kamen deutlich über 20.000 Zuschauer zu den Heimspielen. Mehr Fans wären Ende der 1990er Jahre durchaus möglich gewesen, doch besonders für die bisherige Zielgruppe, den kritischen Teil der Berliner Fußballfans, war der Deal mit der »Göttinger Gruppe« alles andere als eine Werbemaßnahme.

Die anfänglichen Hoffnungen, man werde doch in einer Riesenstadt wie Berlin wenigstens ein paar hundert Leute in den Block kriegen, zerstoben dann allmählich: Schon im alten Westberlin galt TeBe als irgendwie niedlich, aber rettungslos uncool. Nicht nur wegen des weitläufigen Stadions in einem Stadtteil fernab der Szeneviertel.

Die wenigen, die TeBe zu ihrem Lieblingsverein auserkoren haben, unterscheiden sich jedoch wohltuend von den Fans vieler anderer Vereine. Zum Beispiel dadurch, dass sie die 100-Jahr-Chronik des Vereins zum großen Teil selbst gestalten. Martin Hoffmann und Martin Endemann beschreiben die Stimmung Ende der 1990er Jahre darin wie folgt: »Auf TeBe-Seite stellte sich langsam ein kleiner Haufen Fans zusammen – eine recht amüsante Mischung aus älteren Fans besserer Zeiten und Jugendlichen, die auf Hertha keine Lust hatten. (…) Nach dem Abstieg sollten vier anstrengende Jahre in der neuen Regionalliga Nordost folgen. Egal, ob in Stendal, in Leipzig oder eben bei Erzfeind Union – die TeBe-Fans sahen sich praktisch überall blankem Hass, erstaunlich salonfähigem Antisemitismus und generationsübergreifender Ausländerfeindlichkeit ausgesetzt.«

Auch wenn die Anfeindungen gegenüber TeBe in den letzten Jahren weniger geworden sind – aufgrund seiner eher linken Fanszene, vor allem aufgrund seiner jüdischen Wurzeln wird der Verein, dessen Ehrenpräsident der verstorbene Entertainer Hans Rosenthal ist, noch heute zuweilen zur Zielscheibe dummdreister Rassisten.

»Fast immer bleibt er da«

Doch auch der letzte Satz des Artikels aus der Chronik beschreibt die aktuelle Lage bestens: »Dann und wann findet wieder ein ›Neuer, der vom etwas anderen Verein‹ gehört hat, den Weg zu den Spielen. Fast immer bleibt er da.« Massen an Neugierigen hat man allerdings am Eichkamp noch nie willkommen heißen dürfen – nach all den Jahren gegen häufig unattraktive Gegner, die gerade einmal fünf Fans mitbringen, ist die Strahlkraft des Vereins zuletzt nicht unbedingt gewachsen.

Mancher Fanveteran ertappt sich dennoch hin und wieder bei höchst anschaulichen Tagträumen. Wenn nur einmal 1.000 Zuschauer mehr kommen würden, würde sich das in der trendsüchtigen Metropole schnell herumsprechen, der Schneeball würde ins Rollen kommen. »Ein Bruchteil derer, die in Berlin zu St. Pauli gehen, wenn die in der Stadt spielen … « Endi bringt den Satz nicht zu Ende. TeBe steht eben auf verlorenem Posten, zumal mancher alternativ gesonnene Berliner sich zu Union und vor allem zu Babelsberg aus dem nahen Potsdam hingezogen fühlt.

Auch Hagen Liebing ist schon vor 15 Jahren aufgefallen, wie viele Leute, die so ticken wie er, von Berlin aus ans Millerntor fahren. »Früher gab es von TeBe-Seite aus eine fast schon sklavische Zuneigung zu St. Pauli«, erinnert er sich. Als dann einzelne Hamburger zarte Bande zu Unionfans knüpften, verstand das bei TeBe keiner. Liebing findet das nicht so schlimm: »Hier in Berlin rennen doch Hunderte mit ›Retter‹-Shirt rum, die gar nicht richtig zum Fußball gehen.«


TeBes wohl bekanntester Spieler anno 1927: Sepp Herberger.

Hagen Liebing geht »richtig« zum Fußball. Seit 1974 zu TeBe. Hertha kam für ihn schon damals nicht in Frage: »zu prollig«. Liebing, der später als »The incredible Hagen« Basser der »Ärzte« war, fand dann als Punkrocker auch politisch einige Gründe für die Abneigung gegen den nur zwei S-Bahn-Stationen vom Mommsenstadion entfernten heutigen Bundesligisten. Schon in den 1970ern existierten dort Fangruppierungen wie »Zyklon B«, die sich nicht zufällig so nannten, auch die »Hertha-Frösche« begründeten damals ihren schlechten Ruf. In Berlin waren die Fronten damals klar: Wer politisch nach rechtsaußen tendierte und sich parallel für Fußball interessierte, ging zu Hertha, wer politisch anders tickte, mied das Olympiastadion aus genau diesem Grund.

Heute ist Hertha kein Nischenverein mehr, sondern eine Art Berliner Volkspartei, die Menschen aus allen Bevölkerungsschichten anspricht, doch die alteingesessene rechte Szene fühlt sich hier immer noch am wohlsten. Auch deshalb würde TeBe-Fans die Atmosphäre wohl nicht gefallen. Hagens Vater ging damals zu Hertha, »dann kam der Bundesligaskandal und er blieb zu Hause«. Die Liebings kamen aus Charlottenburg, also wurde TeBe zu Hagens Verein. Doch geographische Gründe allein hätten wohl nicht ausgereicht, um den jungen Hagen zu infizieren: »Als ich lange Haare hatte, gingen mehr Langhaarige zu TeBe als zu Hertha, später, als ich Punkrocker war, waren dann hier die Punkrocker.« Kurzum: Hagen wusste immer, dass er bei seinem Lieblingsverein unter seinesgleichen sein würde. TeBe war einer von vielen Treffpunkten der Subkultur. Nicht dass man unbedingt unter sich bleiben wollte. Aber mangels öffentlichen Interesses war es ein exklusives Schicksal, Anhänger von Tennis Borussia Berlin zu sein.

»Die Leute, die heute dazu kommen, sind meist auch schon Anfang 20«, berichtet Hagen. Viele kämen aus dem Unimilieu und würden von bereits amtierenden Fans mitgeschleppt. Die Kids gehen nicht zu TeBe, sie gehen dahin, wo erste Liga gespielt wird oder eine aktive Ultraszene ihr lautstarkes Wesen treibt. Mit beidem kann TeBe nicht dienen. Seit einigen Jahren ist Liebing, der hauptberuflich als Redakteur bei einem Veranstaltungsmagazin arbeitet, auch noch Pressesprecher bei TeBe. Unbezahlt natürlich. Eigentlich wollte er das nur so lange machen, bis der Verein wieder aus den gröbsten finanziellen Zwängen raus sein würde und sich in der Drittklassigkeit vielleicht endlich wieder einen hauptamtlichen Pressesprecher würde leisten können. »Aber die Halunken steigen und steigen ja nicht auf.« Gut möglich, dass sich das in der Saison 2007/08 ändert. Mario Weinkauf, der ehemalige BFC-Präsident, hat sich dem Verein angedient. In der Vergangenheit hatte er hin und wieder seine Schwierigkeiten, sich vom problematischen Teil der BFC-Klientel abzusetzen. Mal gerierte er sich als Vorkämpfer in Sachen demokratischer Kultur, mal deckte er auch die offensichtlichsten Entgleisungen.

Ebenso dubios kommt den TeBe-Fans der neue Brustsponsor vor, für den der Verein seit dem Winter 2007 wirbt. Womit die »Treasure AG« ihr Geld verdient, wissen die Fans jedenfalls immer noch nicht. Dass sie zunächst mal über Geld zu verfügen scheint und vor allem, dass sie von Mario Weinkauf angeschleppt wurde, steht jedoch fest. Was Mario Weinkauf umtreibt, außer der Sehnsucht, als großer Player im kleinen Berliner Fußball dazustehen, weiß jedoch nur Mario Weinkauf.

Das Derby

Langsam wird es dunkel über Charlottenburg, in dem Wäldchen zwischen S-Bahn-Station Eichkamp und Mommsenstadion treffen sich einzelne Grüppchen TeBe-Fans. Die S-Bahn, die um diese Zeit noch häufig fährt, spuckt mal 10, mal 20 lila-weiß Gewandete aus. Sonderbahnen wird die BVG wohl auf absehbare Zeit nicht einsetzen müssen, wenn Tennis Borussia Berlin zum Heimspiel bittet. Eine halbe Stunde vorher hat die Polizei etwa 1.000 BFC-Fans in ihre Kurve begleitet. Die Fantrennung funktionierte bislang bestens.

Nach dem Schlusspfiff zeigt sich die Polizei weniger gut in Form: Ein Platzsturm einiger hundert siegestrunkener BFC-Fans kann nicht unterbunden werden, weil die Einsatzkräfte zu hunderten genau da postiert wurden, wo mit absoluter Sicherheit nichts passieren würde. Hätten die


The kids are united: So voll ist das »Mommse« selten.

BFCer an diesem Abend vorgehabt, die TeBe-Kurve zu stürmen, wäre wahrscheinlich eine Katastrophe passiert. Doch dazu kommt es nicht – TeBe ist in Sachen Faustrecht kein Gegner. Dabei hatten die Heimfans vorher die ein oder andere Frechheit Richtung BFC-Fanaten geschleudert. Obwohl die etwa 1.000 Fans in der Gästekurve das Heimspiel zum Auswärtsspiel machten, hielt das keinen der etwa 500 TeBeler in der Fankurve davon ab, den prallvoll gefüllten Gästeblock mit einem Hinweis auf das Plattenbauviertel zu beleidigen, in dem das BFC-Stadion steht: »Hurra, das ganze Haus ist da!« Auch ein laut skandiertes »Wendeverlierer« als Replik auf »Westberliner Scheiße« sorgt im anderen Lager nicht für ungeteilten Applaus. »Hühnerhof« statt »Düüünamooo« auch nicht.

Was hier gesungen wird, ist weder abgesprochen noch einstudiert. Einer hat eine lustige Idee, wirft sie ins alles andere als weite Rund und löst damit im Idealfall einen Schneeballeffekt aus, an dessen Ende die ganze Kurve mitsingt. Fußball war früher nicht nur bei TeBe so. Aber bei TeBe ist Fußball noch immer so. Dass das nicht allzu viele mitkriegen, ist die Tragik, unter der Tennis Borussia Berlin und seine Fans leiden. Doch das tun sie nur vordergründig. Eigentlich wissen sie, dass es verdammt viele Vorteile hat, wenn man nicht »everyone’s darling« ist.



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