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I. Kleopatra und die Ptolemäer Kleopatras Reich
ОглавлениеDas Reich der Ptolemäer war nicht immer so stark auf das Land am Nil beschränkt gewesen wie im ersten vorchristlichen Jahrhundert. Gegründet von Ptolemaios I. mit dem nicht gerade bescheidenen Beinamen Soter (= der Retter/Messias), erstreckte sich das Gebiet unter den ersten Herrschern aus seinem Geschlecht bis tief nach Syrien hinein, Cypern, zahlreiche Inseln in der Ägäis und ganze Teile der kleinasiatischen Küste wurden zeitweise von ihnen kontrolliert; ja bis ins griechische Mutterland reichte gelegentlich der „lange Arm“ der Ptolemäer. Schon der Dynastiegründer hatte als eine seiner ersten außenpolitischen Aktionen die angrenzende Kyrenaika sowie das südliche Syrien (Koilesyrien) besetzt und dem Reich einverleibt.
Ptolemaios I. hatte zuvor am Alexanderzug teilgenommen und sich dabei als hoher makedonischer Offizier bewährt. Als nach dem plötzlichen Tod des Makedonenkönigs in Babylon eine Nachfolgeregelung getroffen wurde, war er zugegen und scheint mit eigenen Vorschlägen durchaus nicht gegeizt zu haben, als es darum ging, die Macht auf die Generale zu verteilen. Damals konnte er sich zwar nicht durchsetzen, denn Alexanders schwachsinniger Halbbruder, Philipp III. Arrhidaios, und sein nachgeborener Sohn, Alexander IV., wurden als Marionetten auf den Thron gesetzt. Der Chiliarch Perdikkas übernahm die Reichsverweserschaft, aber immerhin wurde Ptolemaios bei der Verteilung der Satrapien, der Provinzen des Alexanderreiches, berücksichtigt. Dabei sollte die Reichseinheit zumindest in der Theorie gewahrt bleiben. Ob es sein persönliches Verdienst war und wenn ja, wie er es geschafft hat, Ägypten zugeteilt zu bekommen, wissen wir nicht. Fest steht allerdings, dass ihm die Reichsregierung unter Perdikkas mit Kleomenes von Naukratis einen kompetenten Verwaltungsspezialisten an die Seite gestellt hat, der offenbar seine Macht beschränken und ihn überwachen sollte. Es kennzeichnet Ptolemaios’ Machtwillen und seine Skrupellosigkeit, dass er Kleomenes bereits kurz nach seinem Eintreffen in der zugewiesenen Satrapie beseitigte, eine Maßnahme, die richtungsweisend für die gesamte Dynastie werden sollte. Kaum einer seiner Nachfolger schreckte vor politischen Morden zurück, ja man machte dabei selbst vor Mitgliedern der eigenen Familie nicht halt.1
Ptolemaios sah sich selbst durchaus in der Alexandertradition, er mischte kräftig mit in den jahrzehntelangen Kämpfen der Generale, die das Riesenreich Alexanders oder auch nur Teile davon für sich gewinnen wollten. Ob er jemals eine Gesamtherrschaft anstrebte, ist umstritten – Ägypten als Kernland hatte er jedenfalls in der Hand und einige Außenbesitzungen in der Kyrenaika, Kleinasien, der Ägäis und Syrien hat er hinzugewinnen können. Als erfolgreicher Dynastiegründer hinterließ er seinen Nachkommen gefestigte Herrschaftsstrukturen im Reich am Nil. Von Hause aus Makedone, trat er in die Fußstapfen der Pharaonen und legte den Grundstein für die fast dreihundertjährige Regierung seines Geschlechts: Die Ptolemäer oder Lagiden, nach seinem Vater Lagos, herrschten zwar gestützt auf eine griechisch-makedonische Einwandererschicht, arrangierten sich aber umgehend mit der einheimischen Elite, insbesondere den bedeutenden Priesterfamilien. Aufgewachsen in einer polytheistischen Welt machte es ihnen keine Probleme, in die kultische Rolle des ägyptischen Pharao als König von Unter- und Oberägypten zu schlüpfen, wenngleich manche Rituale anfangs etwas gewöhnungsbedürftig gewesen sein dürften. Schon Alexander hatte dies so gehandhabt und damit den Weg zur Kontrolle des Landes gewiesen.2
In der Interpretatio Graeca konnte man Ammon als Zeus, Dionysos als Osiris und Isis als Aphrodite betrachten, und dies hat den Ptolemäern sicherlich die Adaption der ägyptischen Religion erleichtert. Schon Ptolemaios II. praktizierte nicht nur die im Alten Ägypten gebräuchliche Geschwisterehe mit seiner leiblichen Schwester Arsinoë II., sondern kombinierte den Kult für den vergöttlichten Alexander mit dem für die Dynastie, wobei er seiner Frau sogar eine gesonderte kultische Verehrung zukommen ließ.
Die pharaonische Verwaltung, das berühmte Bewässerungssystem und nicht zuletzt die Besteuerung des Landes wurden übernommen und weiter entwickelt. Ägyptens Lebensader, der Nil, garantierte wirtschaftlichen Wohlstand und machte den König zum reichsten Mann der Alten Welt. Geld regiert die Welt, und so lag es vornehmlich an den gewaltigen finanziellen Ressourcen, dass seine Nachfolger sich angesichts des zunehmenden römischen Drucks auf die hellenistischen Staaten insgesamt mit am längsten behaupten konnten. Gewaltige Bestechungsgelder halfen über manche Klippe hinweg, die stadtstaatliche Organisation des Imperiums tat ein Übriges, schließlich warfen im Lauf der Zeit zu viele römische Politiker ein Auge auf die fette Beute im Orient, als dass einer sich gegen die Konkurrenz im eigenen Lager hätte durchsetzen können.3
Die grandiosen Zeiten hellenistischer Großreiche waren spätestens mit Roms Eingreifen im Osten und den Siegen über Philipp V. von Makedonien (197 v. Chr. bei Kynoskephalai) und den seleukidischen König Antiochos III. (190 v. Chr. bei Magnesia am Sipylos) zu Ende. Als dann am berühmten Tag von Eleusis nahe Alexandria der römische Gesandte Popillius Laenas durch einen bemerkenswerten Auftritt lediglich mit der Androhung eines Krieges den Seleukidenherrscher Antiochos IV. zum Rückzug aus Ägypten zwang (Anfang Juli 168 v. Chr.), rettete er zwar den Ptolemäern den Thron, demonstrierte ihnen aber gleichzeitig ihre Abhängigkeit von der jungen Weltmacht im Westen.4
Von nun an stand die Anerkennung als „Freund und Bundesgenosse des römischen Volkes“ für die Könige Ägyptens im Mittelpunkt ihres außenpolitischen Strebens. Sogar bei innerägyptischen Problemen nahm man des Öfteren Zuflucht bei der Hegemonialmacht. So vermachte bereits im Jahr 155 Ptolemaios VIII., um sich vor Attentaten zu schützen, sein Reich dem römischen Volk – zumindest für den Fall, dass er ohne legitimen Erben das Zeitliche segnen sollte! Sein Beispiel sollte Schule machen, und auch der zehnte Ptolemäer griff möglicherweise zu diesem Mittel im Kampf um seinen Thron. Jedenfalls suchten römische Senatoren und Kapitalgeber seinen tatsächlichen oder angeblichen letzten Willen für eine Einmischung im Nilreich zu instrumentalisieren.5
Schon von den ersten Königen war die Hauptstadt Alexandria als Zentrum von Kunst, Kultur und Forschung ausgebaut worden. Hartgesottene Makedonen entwickelten sich rasch zu beinahe fanatischen Büchersammlern und Förderern der Wissenschaft. Neben dem Wirken als Wohltäter für die Städte und Regionen des Reiches schöpften sie wie die anderen hellenistischen Könige einen Teil ihrer Legitimität aus dem Aufbau einer möglichst umfassenden Bibliothek, die an das berühmte Museion, das Forschungszentrum für Wissenschaftler aus aller Welt, angegliedert war. Hierfür wurden gewaltige Summen investiert. So hinterlegte Ptolemaios III. Euergetes allein 15 Talente als Sicherheit, um das Staatsexemplar der drei großen Tragiker aus Athen zum Anfertigen einer Kopie auszuleihen. Und bezeichnenderweise zögerte er keinen Moment, dieses Pfand verfallen zu lassen und den Athenern eine Abschrift zurückzuschicken – so viel war ihm das Original wert. Kein Wunder also, wenn Museion und Bibliothek einen beispiellosen Aufschwung nahmen. Von Beginn an hatten die Ptolemäer begriffen, dass Eliteförderung adäquate Investitionen erfordert, und der Erfolg gab ihnen recht.6
Daneben existierte das andere Alexandria, eine pulsierende Metropole mit Handelsverbindungen in die entlegensten Gebiete der bekannten Welt, ein Schmelztiegel der Völker. Griechisch geprägt mit ägyptischen Einflüssen und einer starken jüdischen Minderheit, entwickelte die Stadt ein Flair, dem keine zweite das Wasser reichen konnte. Ebenso suchten die Dynamik des Alltags, die Lust am Leben, an Vergnügungen und Festen aller Art ihresgleichen. Was man in den verruchten Kaschemmen und Bordellen der berüchtigten Vororte von Kanopos und Taphosiris erleben konnte, spottete jeder Beschreibung, Alexandria musste man gesehen haben. Über all dem Treiben aber hing der bedrohliche Schatten Roms. Das war die Welt, in die Kleopatra hineingeboren wurde.7