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Kleopatras Familie und ihre Jugendzeit
ОглавлениеSelten ist die Erinnerung an eine schillernde Gestalt der Antike so abhängig von der Retrospektive der Sieger. Kaum irgendwo sonst werden wir so deutlich mit den Folgen der im römischen Sinne ausgestalteten Überlieferung konfrontiert wie bei der Frage nach Herkunft und Jugend Kleopatras. Tatsache ist, dass uns die Quellen hier weitgehend im Stich lassen. Immerhin wissen wir einiges über ihren Vater Ptolemaios mit dem Beinamen Auletes (= Flötenspieler), dem die moderne Forschung mehrheitlich die Ordnungszahl XII zuerkennt.8
Die Zählung der aus der ptolemäischen Dynastie hervorgegangenen Herrscher ist ein Konstrukt moderner Forschung und sollte eigentlich einer leichteren Orientierung dienen, was leider infolge einiger Differenzen bezüglich Ptolemaios’ VII. noch immer nicht ganz der Fall ist. Der antike Mensch unterschied die Ptolemäer dagegen aufgrund ihrer Beinamen, wie etwa Soter für Retter oder Messias beim Dynastiegründer oder Philadelphos im Fall seines Nachfolgers. Philadelphos heißt so viel wie „der Geschwisterliebende“, was in diesem Fall durchaus wörtlich zu verstehen war, hatte doch Ptolemaios II. in zweiter Ehe seine leibliche Schwester Arsinoë II. geheiratet. Bewusst spielte er mit dieser dynastischen Heirat auf die ägyptischen Geschwistergötter Isis und Osiris an, da Arsinoë schon zu Lebzeiten mit Isis gleichgesetzt wurde und nach ihrem Tod eine besondere kultische Verehrung genoss. Derartige Konstellationen traten bei Eheschließungen späterer Generationen nicht gerade selten auf. Zum Beispiel war Kleopatra nacheinander mit ihren beiden jüngeren Brüdern verheiratet.
Auch bei ihr gibt es einen Disput um die Ordnungszahl, wozu etwa Berenike III., die Tochter des neunten und Gattin des zehnten Ptolemäers, Anlass gibt. Sie hatte sich nach ihrer Heirat Kleopatra genannt und wird daher gelegentlich als sechste Herrscherin dieses Namens gezählt, wodurch „unsere“ Kleopatra auf den achten Platz rutschen würde. Zu allem Überfluss fiel Berenike unmittelbar nach ihrer Ermordung und der damnatio memoriae aus der offiziellen Königsliste der Ptolemäer wieder heraus. Heute wird von der überwiegenden Mehrheit der Historiker Caesars und Antonius’ Geliebte als Kleopatra VII. geführt. Dabei sollten wir es belassen.9
Auf seine Weise gehörte auch Kleopatras Vater zu den zahlreichen Persönlichkeiten des Königshauses, die sich durch eine extravagante Lebensart auszeichneten. Dies spiegelt nicht zuletzt seine ungewöhnliche Neigung zur Musik und insbesondere zum Flötenspiel wider. Er liebte es, selbst den Chor im Theater zu unterstützen, und musste sich daher nicht wundern, wenn ihm die Bevölkerung alsbald den für einen König eigentlich wenig schmeichelhaften Namen Auletes (Flötenspieler) beilegte. Strabon fällt diesbezüglich ein geradezu vernichtendes Urteil: Nach dem dritten König aus ihrer Familie seien die Ptolemäer, korrumpiert durch luxuriöses Leben, nur noch schlechte Herrscher gewesen, am schlimmsten von allen aber der vierte, der siebte und der mit dem Beinamen Auletes, der abgesehen von seinen anderen Ausschweifungen die Flöte zur Begleitung des Chores blies und diesbezüglich so stolz auf sich gewesen sei, dass er nichts Anstößiges darin sah, Wettkämpfe (Agone) im königlichen Palast zu veranstalten, in denen er selbst wetteifernd mit den Gegnern auftrat.10 Musische Agone waren jedoch eng verknüpft mit Dionysos, in dem die Ägypter wiederum Osiris erkannten, und so bekommt das Geschehen eine hochpolitische Note. Offensichtlich ging es keineswegs nur – wie Strabon meint – um persönliche Belustigung, sondern vielmehr um Herrscherlegitimation und -repräsentation.
Tatsächlich trug Ptolemaios XII. den (Kult-)Namen Theos Neos Dionysos, ein deutlicher Hinweis auf göttliches Charisma und ein Auftreten als eine Art Reinkarnation des Gottes Dionysos. Dieser war nach antiker Vorstellung nicht nur für Wein oder Erotik und sexuelle Ausschweifung, sondern auch allgemein für das Überschreiten von Grenzen in und außerhalb der Gesellschaft zuständig und spielte damit eine wichtige Rolle bei der Integration verschiedener sozialer Gruppen. Ptolemaios’ Gleichsetzung mit Osiris konnten die Untertanen im Gegensatz zu den von römischem Denken geprägten Autoren unserer Quellen sehr wohl nachvollziehen, die hellenisierten hingegen verstanden die kultische wie künstlerische Anknüpfung an Dionysos ebenso gut wie die Ägypter die Anspielung auf Osiris.11 Wie sehr der Kulttitel und das Gehabe als Auletes auf dem Hintergrund eines propagandistischen Gesamtkonzepts zu sehen sind, wird noch deutlicher, wenn man zwei weitere Bestandteile des Titels berücksichtigt: Mit der Bezeichnung Philopator, der Vaterliebende, und Philadelphos, der Geschwisterliebende, stellt er sich bewusst in die Tradition der Familie. Der erste Titel betont angesichts einer gewissen Unsicherheit im Hinblick auf die Identifikation seiner Mutter die Abstammung von seinem Vater Ptolemaios IX. und damit den rechtmäßigen Thronanspruch. Möglicherweise stellt die Tatsache, dass der immerhin in der Abwehr Antiochos’ des Großen recht erfolgreiche vierte Ptolemäer ebenfalls den Beinamen Philopator trug, einen beabsichtigten Nebenaspekt der Propaganda dar, zumal Letzterer unter Königen seines Geschlechts als bislang profiliertester Verehrer des Dionysos hervorgetreten war.12 Mit dem zweiten Titel knüpft Ptolemaios XII. ideologisch an den Sohn und Nachfolger des Dynastiegründers an, der ja den gleichen Beinamen führte und als vorbildlicher Herrscher galt.
Politisch stand er in vielerlei Hinsicht auf schwachen Füßen und so wurde Kleopatra VII. im Zeitraum zwischen Dezember 69 und Januar 68 in eine politisch aufgeladene und brisante Umgebung hineingeboren. So unübersichtlich wie die innen- und außenpolitischen Verhältnisse gestaltete sich auch die familiäre Situation ihres Vaters. Ptolemaios XII. war getreu einer in Ägypten bereits lange vor den Ptolemäern gepflegten Sitte schon seit 80/79 mit seiner Schwester Kleopatra VI. Tryphaina verheiratet. Dies hinderte ihn anscheinend nicht, daneben noch eine weitere Frau zu ehelichen. Damit stand er durchaus in der Tradition sowohl makedonischer Könige wie Philipps II. oder Alexanders des Großen als auch des eigenen Hauses. Polygamie war keine Seltenheit in diesem gesellschaftlichen Umfeld. Auffällig ist allerdings das Verschwinden Kleopatras VI. aus den Datierungszeilen der ptolemäischen Papyri zwischen August 69 und Februar 68, also genau zur Zeit der Geburt Kleopatras (VII.). Der Haussegen in der Herrscherfamilie hing anscheinend reichlich schief. Vielleicht hatte sich das Paar getrennt, möglicherweise war ihr Zorn über die zweite Ehe noch gut zehn Jahre später nicht verraucht, als sie nach der zwischenzeitlichen Vertreibung ihres Mannes für kurze Zeit die Regierungsgeschäfte in Ägypten übernahm. Dafür spricht nicht zuletzt die Orientierung ihrer Mitregentin hin auf die Seleukiden.13
Von seiner Schwestergemahlin hatte Ptolemaios XII. bei der erneuten Heirat bereits eine Tochter namens Berenike, die zwischen 78 und 75 geboren worden war. Die Identität seiner neuen Frau lässt sich nicht mit Gewissheit ermitteln. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um eine Ägypterin aus dem Geschlecht der Hohenpriester von Memphis, der alten ägyptischen Königsstadt. Dies wäre im Übrigen eine gute Erklärung für Kleopatras außergewöhnliche Sprachkenntnisse, denn folgen wir Plutarch, „wusste sie ihre Zunge wie ein vielstimmiges Instrument mit Leichtigkeit in jede ihr beliebende Sprache zu fügen und bediente sich nur im Verkehr mit ganz wenigen Barbaren eines Dolmetschers. Den meisten erteilte sie persönlich Bescheid, so den Äthiopen, Troglodyten, Hebräern, Arabern, Syrern, Medern und Parthern. Noch vieler anderer Völker Sprachen soll sie verstanden haben, während die Könige vor ihr es nicht einmal fertiggebracht hatten, die ägyptische Sprache zu beherrschen, einige sogar das Makedonische verlernt hatten.“14 Selbst wenn die Nachricht auf Kleopatra selbst oder eine ihr gewogene Quelle zurückgehen sollte, wirkt sie recht glaubwürdig, weil außer der Sprache ihrer einheimischen Untertanen noch erheblich weiterreichende Kenntnisse aufgeführt werden. Falls sie nur einigermaßen diesem Bild gerecht wurde, können wir ein gutes Niveau des Ägyptischen voraussetzen. Dazu passt im Übrigen ganz ausgezeichnet die wahrscheinliche Abstammung ihrer Mutter aus einer hervorragenden ägyptischen Familie. Viel Mühe wird Kleopatra demnach mit dem Erlernen der Landessprache nicht gehabt haben, vermutlich wuchs sie sogar zweisprachig auf.
In jedem Fall war die Ehe ihrer Mutter fruchtbar, denn sie bekam im Lauf der nächsten Jahre allein drei jüngere Vollgeschwister, Arsinoë, Ptolemaios XIII. und Ptolemaios XIV. Dabei scheint es hinsichtlich der Anerkennung der Kinder als legitime Nachkommen des Herrschers und damit auch bezüglich einer etwaigen dynastischen Nachfolge keine ernsthaften Probleme gegeben zu haben. Wenn diese tatsächlich wegen der nichtgriechischen Herkunft ihrer Mutter einen Nachteil gehabt hätten, wäre dies sicher von der kleopatrafeindlichen Überlieferung mit Genuss ausgeschlachtet worden. Insofern dürfte gegebenenfalls die althergebrachte griechische Sichtweise, die Verbindung mit einer fremdstämmigen Frau sei als illegitim zu betrachten, in der Spätzeit des Ptolemäerreiches zumindest in Bezug auf die Ehe des Herrschers keine große Bedeutung mehr gehabt haben. Schließlich war schon ihr Vater Ptolemaios XII. mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer ägyptischen Mutter geboren worden.15
Hinsichtlich Kleopatras Kindheit lassen uns die weitgehend im Sinne ihres Feindes Oktavian verfassten Quellen im Stich; es fehlen die in der griechischen Geschichtsschreibung so beliebten Vorzeichen und Anekdoten aus der Kindheit, die auf die spätere Rolle als Königin hinweisen und als literarische Erklärungen für ihr Verhalten und ihre Mentalität fungieren würden. Immerhin können wir die Atmosphäre am ptolemäischen Hof und die politischen Wirren nachzeichnen, die Kleopatra zum guten Teil aus nächster Nähe erlebt hat. Wenn wir ihr politisches Streben als Königin und die Art betrachten, wie sie später die Register der Macht unter hohem persönlichem Einsatz zu ziehen versuchte, zeigt sich, wie tief sie das Geschehen bei Hofe beeindruckte und wie stark es ihre Weltsicht beeinflusst hat.