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3.1.6 Errichtung von öffentlichen Räumen für die Klage von Not

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Nach Frank Crüsemann ist «für die Menschen der Bibel die Klage die erste, wichtigste und alles andere erst ermöglichende Reaktion auf sie treffende Nöte. Wer in aktuelle Not gerät, klagt – laut, unüberhörbar, massiv, wild. Nahezu ein Drittel der Psalmen gehören zur Gruppe der Klagen einzelner, in Not geratener Menschen.»71

Ein Beispiel dafür ist Ps 13:

Wie lange, HERR! Willst du mich ganz vergessen?

Wie lange verbirgst du dein Angesicht vor mir?

Wie lange soll ich Sorgen tragen in meiner Seele,

Kummer in meinem Herzen, Tag für Tag?

Wie lange noch soll mein Feind sich über mich erheben?

Sieh mich an, erhöre mich, HERR, mein Gott.

Mache meine Augen hell, damit ich nicht zum Tod entschlafe,

damit mein Feind nicht sage: Ich habe ihn überwältigt,

meine Gegner nicht jauchzen, dass ich wanke.

Ich aber vertraue auf deine Güte,

über deine Hilfe jauchze mein Herz.

Singen will ich dem HERRN,

denn er hat mir Gutes getan.

Geklagt wird in drei Richtungen: 1. Gegenüber dem einen Gott, der als für alles zuständig erachtet wird. Klagen sind insofern immer Gebete. 2. Im Blick auf sich selbst, und zwar mit ganz allgemeinen, stereotypen Aussagen, die auch heute von Leid Geplagten Sprache verleihen können. 3. Gegenüber den Feinden, indem schonungslos ausgesprochen wird, was alles als das eigene Leben bedrohend und als verängstigend erfahren wird.

Die überlieferten Klagepsalmen sind bis auf den heutigen Tag immer wieder benutzte Gebete, obwohl die Antworten Gottes genauso wie die Riten, in die die Gebete einst eingebunden waren, nicht überliefert sind. Die Klagen können für sich stehen, weil in ihnen die authentische Stimme der sozial, wirtschaftlich, kulturell und gesundheitlich Bedrängten zu hören ist. |55| Nach Herbert Haslinger kommen in den Klagen «die Stimmen der von Not betroffenen Menschen authentisch zu Gehör. Folglich muss das Klagen in der Diakonie notwendig einen Ort haben und die Ermöglichung des Klagens in sich als eine Realisierung der Diakonie gesehen werden.»72

Nicht nur die Klage an und für sich gehört zur Hilfekultur Israels. Das bedeutsame Moment liegt im Öffentlichmachen privater Not. Denn «diese Öffentlichkeit der menschlichen Anklage und des göttlichen Zuspruchs, bei der die Notsituation aus dem Raum des individuellen Erlebens der betroffenen Person herausgeholt, in den Raum der Gesellschaft hineingestellt und so zur Sache aller wird, kann eine Hilfe sein, den Mechanismus von Notlage, gesellschaftlicher Isolierung und existentieller Bedrohung aufzubrechen».73

Tempelplatz und Vorhof waren öffentliche Räume der Klage. Weniger Trostzuspruch oder Segenswort, sondern vielmehr die Möglichkeit öffentlicher Klage auf öffentlichen Plätzen war das Hilfreiche, was religiöses Handeln anzubieten hatte.74 Diese Vernetzung von individueller Ohnmachtserfahrung und öffentlicher, kollektiv wahrgenommener Klage kann gesellschaftlichen Zusammenhalt restituieren und Sprachlosigkeit überwinden helfen.

Diakonie - eine Einführung

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