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3.1.7 Gottes Sein als Mit-Sein in Solidarität

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Die Möglichkeit der Klage steht auf dem Hintergrund der Gewissheit, dass der Gott Israels ein Gott ist, der sich für die sozial Schwachen engagiert. Ein klassischer Ausdruck dieser wichtigen Verbindung von Gott und sozialem Engagement ist in Psalm 82 zu finden:75

|56| Gott steht in der Gottesversammlung, inmitten der Götter hält er Gericht: Wie lange wollt ihr ungerecht richten und die Frevler begünstigen? Schafft Recht dem Geringen und der Waise, dem Elenden und Bedürftigen verhelft zum Recht. Rettet den Geringen und den Armen, befreit ihn aus der Hand der Frevler. Sie wissen nichts und verstehen nichts, im Finstern tappen sie umher, es wanken alle Grundfesten der Erde. Ich habe gesprochen: Götter seid ihr und Söhne des Höchsten allesamt. Doch fürwahr, wie Menschen sollt ihr sterben und wie einer der Fürsten fallen. Stehe auf, Gott, richte die Erde, denn dein Eigentum sind die Nationen alle.

Ohne auf die bis in die spätexilische Zeit verbreitete religionsgeschichtliche Vorstellung eines Pantheon (einer himmlischen Götterversammlung), zu dem der Nationalgott Israels dazugehörte, eingehen zu können, fällt die direkte Verbindung von Eintreten für den Elenden mit dem Gottsein Gottes auf. Gottes Gottsein wird hier verstanden als sein Mit-Sein in Solidarität.76 So also denken und reden die sozial Schwachen, die kleinen Leute wie auch die gebildeten Theologen über Gott: «Im Ringen der Armen und Elenden um ihr Leben und ihr Recht, im Kampf gegen die sie unterdrückenden Frevler, geht es um nichts Geringeres als um das Gottsein Gottes.»77 Denn die Wahrheit des göttlichen Anspruchs erweist sich eben darin, dass Gott mit den Geringen und Elenden solidarisch ist und ihnen zu ihrem Recht verhilft – ihnen, die ihre Not in öffentlicher Klage vor Gott bringen. Damit zeigt sich nochmals die diakonische Bedeutung, die dem Errichten öffentlicher Räume für die Klage über erfahrene Not zukommt.

|57| Aus alttestamentlicher Perspektive ist im Blick auf helfendes Handeln grundlegend festzuhalten:

 Helfen orientiert sich weithin an den überlieferten moralischen Sitten und Gebräuchen, die über Israel hinaus im Alten Orient für das Zusammenleben in Sippe und Volk anerkannt waren. Man hilft, weil man weiss, was gut und recht ist (vgl. Mi 6,8).

 Diese Praxis mitmenschlicher Solidarität und Nächstenliebe entwickelt sich zu einer Kultur sozialen Engagements, die sich auf Rechtssätze stützt. Helfen orientiert sich am Rechtsanspruch der sozial, politisch und kulturell Benachteiligten und greift über das private Engagement im Rahmen des Sippenverbandes hinaus. «Während die Liebe stets an das Subjekt des Handelnden gebunden bleibt, formuliert das Recht eben ein Recht des Betroffenen, des potentiellen Opfers. Dieses Recht sollte nach biblischer Tradition gerade nicht (allein) auf die manchmal schwankende Liebe, schon gar nicht die von Einflussreichen und Mächtigen gegründet werden.»78

 Durch die Interpretation des Anspruchs der sozial Schwachen als Wille und Gebot Gottes wird helfendes Handeln in einem weiteren Kontext begründet. Zugleich gewinnt dadurch der Glaube an Gott, der sein Gottsein durch das Engagement für die Armen und Geringen erweist, ein besonderes theologisches und soziales Gepräge. Der Arme, der Gefangene und die Kranke, die Hungrige werden nicht nur Aufforderung zu helfendem Handeln, sondern zum Gegenstand theologischen Nachdenkens über Gottes Gottsein, und das gottesdienstliche Feiern am Sabbat lässt sich nicht mehr trennen von sozialer Verantwortung im Alltag. Gottes- und Nächstenliebe durchdringen sich aufs Engste.79

Es kann jedenfalls nicht übersehen werden, dass wir es beim Alten Testament in ausgeprägtem Mass mit einer «diakonisch ausgerichteten Schriftensammlung sozialer Gerechtigkeit und Barmherzigkeit»80 zu tun haben, die eine nicht zu unterschätzende, bleibende Bedeutung für diakonisches Handeln in der jüdischen, aber auch in der christlichen Tradition hat.

Diakonie - eine Einführung

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