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Kapitel 7

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Travniczek und Brombach verließen die Polizeidirektion, bestiegen ihren Dienstwagen und fuhren los in Richtung Neuenheim. Brombach war selbstverständlich am Steuer und sagte lachend zu seinem neuen Chef: „Dieser Fall entwickelt sich, als wäre er vom Fremdenverkehrsamt eigens für Sie organisiert. Zuerst der Tatort im Schlosspark, und jetzt führt uns die erste Spur zu einem weiteren touristischen Highlight von Heidelberg, dem Philosophenweg29. Von dort aus hat man einen grandiosen Blick auf die Altstadt mit allen ihren Sehenswürdigkeiten. Ein beliebter Standort für Ansichtskartenfotografen. Wir fahren jetzt zunächst dieselbe Strecke, die Sie schon von heute Morgen kennen. “

„Unser Ziel ist jetzt ja diese Bismarcksäule. Was hat man sich darunter vorzustellen?“ fragte der Hauptkommissar.

„Nun, das ist eine ganz interessante Sache. Das Ding wurde irgendwann so um 1900 erbaut. Ich weiß jetzt nicht, inwieweit Ihnen die Geschichte dieser Zeit geläufig ist.“

„Eher weniger, nur, dass Bismarck der erste deutsche Reichskanzler war. Außerdem wurde nach ihm ein Hering benannt. Aber das gehört vielleicht doch nicht in die Abteilung Geschichte.

Brombach musste schmunzeln.

„Also, der Bismarck bekam Probleme, als 1890 Kaiser Wilhelm zwo an die Macht kam. Dem Kaiser war Bismarck zu sehr Realpolitiker, während Wilhelm zwo der deutschen Großmannssucht frönte: ‚Am deutschen Wesen soll die Welt genesen’ und ähnlichem Unfug. Wilhelm überwarf sich schnell mit Bismarck und entließ ihn. Aber bei großen Teilen des Volkes war die Verehrung für den Architekten der Reichsgründung noch nahezu ungebrochen. So entstand eine Bewegung, an verschiedenen Orten im Deutschen Reich, selbst in den Kolonien, Bismarckdenkmäler zu errichten, eben solche Bismarcksäulen, auf deren Spitzen an Bismarck-Gedenktagen weithin sichtbare Feuer entzündet wurden. So brachte man die Verehrung für Bismarck zum Ausdruck. Es wurden insgesamt weit über zweihundert solcher Bismarcksäulen errichtet. Eine davon ist die Säule in Heidelberg. So weit ich weiß, wurde sie finanziert durch die Heidelberger Studentenschaft und mit Spenden von Bürgern der Stadt Heidelberg. Wilhelm zwo war gar nicht glücklich über diese Bismarckverehrung und versuchte, sie einzudämmen, aber vergebens.30

Joseph Travniczek, der interessiert zugehört hatte, antwortete lächelnd: „Ich sehe, mein Dienst hier in Heidelberg wird zu einer Bildungsreise.“

Sie waren jetzt vom Adenauerplatz in die Sofienstraße eingebogen. Brombach erklärte weiter:

„Wir fahren jetzt über den Bismarckplatz, eigentlich Heidelbergs Zentrum, und kommen dann gleich über den Neckar, und zwar über die Theodor-Heuss-Brücke. Sie hieß übrigens früher Friedrichsbrücke. Wenn wir den Neckar erreichen, sehen Sie rechts hinten das Kurfürst-Friedrich-Gymnasium, an dem ein gewisser Meyer-Hampel sein Abitur gemacht haben will. Auf der Brückenmitte unbedingt nach rechts sehen! Da haben Sie einen herrlichen Blick auf das berühmte Altstadt-Panorama mit dem Schloss und dem Königstuhl. – Der Stadtteil auf der anderen Neckarseite heißt Neuenheim. Ganz früher war das mal ein selbständiges Dorf, gehört aber schon seit weit über hundert Jahren zu Heidelberg31.“

Sie bogen kurz hinter der Brücke in die Ladenburger Straße ein, kreuzten die Bergstraße und fuhren dann den Philosophenweg steil bergauf, vorbei am schlossähnlichen Physikalischen Institut32, und mussten vor der Schranke anhalten, die den weiteren Weg für Kraftfahrzeuge sperrt.

„So, bis hierher und nicht weiter“, meinte Brombach. „Es ist vielleicht auch ganz gut, wenn wir uns möglichst unauffällig der Bismarcksäule nähern, wir wissen ja nicht, wer oder was uns dort erwartet. Ich will den Fußweg nutzen, um meinen Crashkurs ‚Heidelberg für Anfänger’ fortzusetzen, wenn Sie nichts dagegen haben.“

„Wenn wir dabei nicht vergessen, weswegen wir eigentlich hergekommen sind, soll es mir recht sein“, antwortete Travniczek, der nach den kurzen Eindrücken, die er bis jetzt von Heidelberg gewinnen konnte, durchaus begierig war, mehr zu erfahren. Sie waren mittlerweile am vorderen Eingang zum Philosophengärtchen angekommen, einer kleinen Parkanlage, die mit vielen Bänken und Blumenbeeten zum Verweilen einlädt.

„Jetzt genießen Sie erst einmal diesen Blick auf ‚Der Vaterlands Städte schönste einer …’, wie es der Dichter Hölderlin in seinem berühmten Heidelberggedicht33 zum Ausdruck gebracht hat.“

Brombach überließ seinen neuen Chef eine Weile diesem Eindruck, bevor er weitererzählte.

„Also, hier haben Sie jetzt Heidelberg gewissermaßen im Überblick. Das Schloss kennen Sie ja schon von heute Morgen. Der Tatort ist dort hinter der Terrasse, genannt Scheffelterrasse, von hier nicht einzusehen. Der Berg oberhalb mit den Türmen ist der Königstuhl, Heidelbergs Hausberg, gut 560 Meter hoch.“

„Und was ist das dort für eine geradlinige Einkerbung im Wald?“ ,fragte Travniczek.

„Das ist die Bergbahn, eine ganz besondere Attraktion. Das untere Teilstück ist schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts gebaut worden und führt bis zur Station Molkenkur34, die Sie dort vorne sehen. Früher war da auch mal eine Burg. Heute ist es ein sehr edles Hotelrestaurant. Der zweite Abschnitt von dort zum Königstuhl hinauf folgte dann Anfang des 20. Jahrhunderts. Dieser zweite Abschnitt ist was ganz Besonderes, weil hier noch die Originalbahn von 1907 fährt, während der untere Abschnitt schon mehrfach modernisiert wurde. Auf diese Weise haben wir hier gleichzeitig die älteste und modernste Standseilbahn der Welt.“

„Aha, das klingt ja sehr interessant“, meinte Travniczek, „die werde ich bald mal ausprobieren. Aber jetzt müssen wir doch wohl weiter.“

„Natürlich, natürlich“, erwiderte Brombach etwas enttäuscht, „wir sind ja leider nicht zum Vergnügen da. Aber vielleicht noch das Wichtigste im Telegrammstil, dafür sollten wir uns die Zeit nehmen. Die Brücke dort über den Neckar mit den Steinbögen ist die Alte Brücke, mit dem zweitürmigen Tor, eines der bekanntesten Heidelbergmotive. Dahinter das Karlstorwehr, eine von über zwanzig Staustufen, mit denen man Anfang des 20. Jahrhunderts den Neckar reguliert und damit gezähmt hat. Dominierend im Stadtbild sind vor allem die Kirchen. Direkt unterhalb des Schlosses die Heiliggeistkirche, gebaut im 15. Jahrhundert, größte gotische Kirche im weiten Umkreis. Dann etwas weiter rechts die Jesuitenkirche, eine Barockkirche35. Sie ist die katholische Universitätskirche. Dort finden auch häufig Konzerte statt. Und sehen Sie noch etwas weiter rechts die Kirche mit dem Kupferhelm? Das ist die Peterskirche. Sie ist die evangelische Universitätskirche.“

Travniczek war im Zwiespalt zwischen seinem Interesse für die noch unbekannte Stadt, die ihn aber schon in ihren Bann gezogen hatte, und dem Bestreben, die Ermittlungen in ihrem aktuellen Fall zügig voranzubringen. Er gedachte beides zu verbinden und sagte zu Brombach: „Mir fallen hier noch einige große Gebäude auf, die ich noch nicht kenne. Da gleich rechts neben der Jesuitenkirche und unterhalb davon am Neckar. Wenn Sie mir dazu noch in Kurzform etwas sagen können. Aber dann müssen wir Tempo machen.“

Brombach entgegnete scherzhaft: „Ich habe mir ja schon manchmal überlegt, mich hier als Fremdenführer zu verdingen, wenn mir der Polizeidienst mal zu stressig wird. Ich weiß, wenn ich jetzt hier richtig ins Erzählen komme, kriegen wir unseren Mörder nie. Es ist gut, dass Sie mich bremsen. Also, so kurz wie möglich zu diesen drei Gebäuden. Sie wissen vielleicht, dass Heidelberg die älteste deutsche Universitätsstadt ist. Die Uni wurde schon Ende des 14. Jahrhunderts gegründet. Dort vor der Jesuitenkirche die beiden großen Gebäude: da ist unten das Dunkle, die Alte Uni, gebaut im 18. Jahrhundert, also nicht etwa der erste Bau aus dem Mittelalter. Und das weiße Gebäude da drüber, die Neue Uni, wobei ‚neu’ aus heutiger Sicht irreführend ist. Sie wurde 1937 in Betrieb genommen. Ob die deshalb so potthässlich ist, weil sie aus der Nazizeit stammt, kann ich nicht sagen. Die heute neuen Teile der Uni liegen weit draußen im Westen, von hier nicht zu sehen. Und – damit will ich Schluss machen – der große Gebäudekomplex am Neckar ist der Marstall, früher Vorratsspeicher und Pferdestall für das Schloss, heute von der Uni genutzt, vor allem als Mensa.“

Brombach atmete zweimal tief durch und fuhr fort: „So, das wär’s erst mal. Wir verlassen jetzt gleich den Philosophenweg und gehen links hoch in den Wald. Wir werden dann in fünf Minuten vor der Bismarcksäule stehen.

„Haben Sie erst mal vielen Dank für Ihre instruktiven Erläuterungen. Eines wird mir jetzt schon klar. Es war sicher eine gute Entscheidung, nach Heidelberg zu gehen. Ich denke, in diese Stadt werde ich mich sehr schnell verlieben.“

„So geht es fast jedem, der hierher kommt. Sie kennen vielleicht den volkstümlichen Schlager“, und singt mit krächzender Stimme: „Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren … – So, jetzt schau ich noch mal eben auf das Display unseres schlauen Geräts. – Ja, das rote Kreuz blinkt noch an der gleichen Stelle wie vorhin. Ich bin ja sehr gespannt, auf was wir jetzt stoßen.“

Oberhalb des Philosophengärtchens wandten sie sich nun nach links in den steil ansteigenden Bismarcksäulenweg und bogen nach etwa hundertfünfzig Metern nochmals links in einen kleinen Pfad ein, der, unterbrochen von Steintreppen, an einem kleinen Sportplatz vorbei steil aufwärts durch dichten Wald führte. Ganz unvermittelt standen sie dann vor ihrem Ziel.

Travniczek erschrak fast ein wenig. Eine Weile blieb er reglos stehen und versuchte, das Wesen dieses Bauwerks zu erfassen. Er spürte, wie ihn dieser Turm abwies und zurückstieß, da er überhaupt nichts Lebendiges an sich zu haben schien. Alles war wuchtig, klobig, schwer. Die Basis von zwei großen, massiven, übereinander geschichteten Steinquadern, die außer dem Bossenmauerwerk keinerlei Differenzierungen aufwiesen, erschien ihm überdimensioniert. Darauf erhob sich der Schaft, gebildet aus vier viel zu dicken Dreiviertelsäulen, zwischen denen nicht viel Platz für die glatten, geraden Wände blieb. Ein kleines Relief an der der Stadt zugewandten Südwand, auf dem der Reichsadler eine Schlange bändigte, konnte diese kompakte Masse aus Stein kaum beleben, auch nicht ein kleines, schmales, schießschartenartiges Fenster an der Ostwand und ein um die ganze Säule gezogenes, abgerundetes Steinband etwas unterhalb des Architravs. Dieser glich einer gewaltigen Schale, in der der Turmkopf ruhte, ein riesiger, vierfach abgestufter, scharfkantiger Steinquader, auf dessen Oberseite eine schwere, gusseiserne Schale aufgesetzt war, in der seinerzeit zu den Bismarck-Gedenktagen die großen Feuer entfacht wurden.

Travniczek kam ins Grübeln: Was mögen das für Menschen gewesen sein, die sich solche Bauten hinstellten, um bedeutende Persönlichkeiten zu ehren. Und es war ja, wie er gehört hatte, vor allem die Studentenschaft, also junge Intellektuelle, die sich hier engagierten. Da kamen ihm alte Filmaufnahmen in Erinnerung, von Fahnen schwenkenden jungen Männern, die begeistert in den Ersten Weltkrieg zogen. Und diese Bilder schienen ihm sehr gut zu dieser lebensfeindlichen Architektur zu passen.

Da riss ihn Brombach aus seinen Gedanken: „Chef, die Pflicht ruft!“

Schlag auf Schlag

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