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Kapitel 9

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Es war mittlerweile 14 Uhr 45. Martina Lange saß an ihrem Computer im Büro der Mordkommission und suchte nach Vermisstenmeldungen in der weiteren Umgebung, die auf das Mordopfer passten. Da klingelte das Telefon und sie nahm den Hörer ab.

„Hallo, hier Martina Lange, Mordkommission Heidelberg, was kann ich für Sie tun?“

„Guten Tag, hier Elisabeth Jakob“, erwiderte eine dunkle Stimme mit nicht zu verleugnendem Pfälzer Akzent am anderen Ende der Leitung. „Ich bin Sekretärin am Kurfürst-Friedrich-Gymnasium Heidelberg. Es geht um eine ganz merkwürdige Geschichte. Heute Morgen ist einer unserer Lehrer nicht zum Unterricht erschienen, ohne sich krankzumelden. Er ist ein sehr gewissenhafter Kollege, und daher war das schon sehr ungewöhnlich. Ich habe dann bei ihm zu Hause angerufen und dort seine Frau erreicht. Die reagierte auf meinen Anruf mit Panik. Sie hatte offenbar keine Ahnung, wo ihr Mann sein könnte. Sie wollte Nachforschungen anstellen und uns dann wieder Bescheid geben. Ich bin wegen der extremen Reaktion der Frau ziemlich besorgt. Mindestens zehn Mal schon habe ich versucht sie zu erreichen, aber sie geht nicht ans Telefon. Was mich jetzt zusätzlich erschreckt, ist, dass man mich zur Mordkommission durchgestellt hat.“

„Nun, wir arbeiten zurzeit an der Aufklärung eines Tötungsdelikts, bei dem die Identität des Opfers noch nicht geklärt ist. Deswegen landen bis auf weiteres alle Vermisstenmeldungen routinemäßig direkt bei uns. Können Sie mir zunächst Namen und Adresse des verschwundenen Lehrers nennen?“

„Es handelt sich um Dr. Gottfried Wolters, wohnhaft in Handschuhsheim, Mühltalstraße 150.“

„Könnten Sie mir den Herrn auch noch kurz beschreiben, Alter, Größe, Haarfarbe usw.?“

„Mmh, als Frau würde ich mal sagen, ein ausgesprochen schöner Mann.“

„Geht es auch etwas genauer, die Geschmäcker sind bekanntlich sehr verschieden.“

„Natürlich, aber das mit dem schönen Mann ist hier so allgemeine Redensart, wenn es um Dr. Wolters geht, deswegen ist es sicher wichtig. Ich habe jetzt sein Geburtsdatum nicht griffbereit, aber er muss so Mitte vierzig sein, ja, und groß ist er, ich würde sagen, so zwischen 1,80 und 1,85, dunkelbraune, relativ lange, leicht gelockte Haare und eben ausgesprochen schöne Gesichtszüge. Das passt doch hoffentlich nicht auf das Mordopfer.“

„Dazu kann ich jetzt leider nichts sagen. Wenn Sie mir noch Telefon- und Handynummer von Herrn Wolters geben könnten.“

Martina Lange schrieb die beiden Nummern auf einen Zettel, bedankte sich und versprach, sich wieder zu melden, sobald sie etwas Konkretes herausgefunden hätten. Sie legte den Hörer auf und warf einen Blick auf das Foto des Getöteten, das an einer Pinnwand neben der Tür hing. Die Übereinstimmung mit der Beschreibung der Schulsekretärin war so offensichtlich, dass eigentlich kaum ein Zweifel bestand: Dieser Dr. Gottfried Wolters musste das Mordopfer sein. Sie beschloss, sich sofort in die Mühltalstraße aufzumachen, und griff nach ihrem Handy, um ihre Kollegen zu informieren. Da hörte sie Schritte auf dem Gang. Die Tür öffnete sich und Travniczek und Brombach traten mit Kläuschen Heintz ein.

„Wen bringt ihr denn da?“, fragte Martina Lange. Sie wusste, dass sie den Gefangenen zwar von irgendwoher kannte. Aber an die näheren Umstände ihrer Begegnung konnte sie sich nicht mehr erinnern.

„Wir waren erfolgreich“, entgegnete Brombach mit stolzgeschwellter Brust. „Das ist unser alter Freund Klaus Heintz. Bei unserem Besuch an der Bismarcksäule hat uns der Sender zu einem Aktenkoffer mit 100.000 Euro geführt. Und diesen Aktenkoffer hatte unser alter Freund hier bei sich. Also, wenn der jetzt nicht wirklich plausibel erklären kann, wie er in seinen Besitz gelangt ist, dann sieht es schlecht für ihn aus.“

Martina Lange schaute in das durch und durch gutmütige Gesicht von Kläuschen Heintz, warf Travniczek einen fragenden Blick zu, den dieser mit leichtem Kopfschütteln beantwortete, und murmelte vor sich hin: „Also, Mörder sehen in der Regel anders aus.“

Brombach öffnete den Mund, um etwas von sicher grundsätzlicher Wichtigkeit zu sagen. Doch seine Kollegin kam ihm zuvor. „Auch ich war erfolgreich. Die Identität des Mordopfers scheint mit hoher Wahrscheinlichkeit geklärt.“

„Bevor Sie weiterreden“, unterbrach sie Travniczek, „wollen wir doch erst einmal Herrn Heintz in einem Verhörraum einquartieren. Frau Siebert, rufen Sie doch bitte jemanden von der Bereitschaft, der dann eine Weile bei ihm bleibt.“

Sie warteten, bis ein Bereitschaftsbeamter kam und Kläuschen Heintz aus dem Raum führte. Dann berichtete Martina Lange von ihrem Telefongespräch mit der Sekretärin des Kurfürst-Friedrich-Gymnasiums.

„Ich denke“, meinte Travniczek, „Sie gehen jetzt direkt in diese Mühltalstraße und versuchen, die Sache genau abzuklären. Wir werden uns erst einmal mit Herrn Heintz befassen. Denn der ist entweder der Täter oder zumindest ein wichtiger Zeuge.“

Martina Lange verließ das Büro. Travniczek wollte ihr sofort folgen, doch Brombach hielt ihn zurück und sagte: „Bevor wir Heintz vernehmen, sollten Sie etwas Hintergrundinformation zu ihm haben.“

„O ja“, antwortete Travniczek, „das hätte ich jetzt fast vergessen.“

Also“, fuhr Brombach fort, „er ist auf jeden Fall ein ganz armes Schwein. Früher war er mal ein ziemlich helles Bürschchen, wohl ein hochbegabter Musiker. Er hat Klavier gespielt, Jazz, und zwar richtig gut. Er hat Konzerte gegeben und Preise gewonnen. Die Kritiker sprachen von einem deutschen Keith Jarrett. Aber dann hatte er einen schlimmen Unfall. Und eine Hand war so schwer verletzt, dass er nicht mehr spielen konnte. Da fiel er völlig aus der Spur. Er fing zu trinken an. Tja, und dann war’s vorbei mit der Karriere. Das Ganze spielte sich in Frankfurt ab, seiner Heimatstadt. Er ist dann völlig abgetaucht und hat sich irgendwann hier in Heidelberg niedergelassen, wenn man das so nennen kann. Meist treibt er sich im Schlosspark herum. Ich glaube, den empfindet er als sein Zuhause. Auf jeden Fall lebt er in seiner eigenen Welt.“

„Irgend so etwas dachte ich mir schon“, antwortete Travniczek und die beiden Kommissare gingen zwei Zimmer weiter in den nur mit einem Tisch und vier Stühlen karg ausgestatteten Verhörraum, wo Klaus Heintz mit einem Bereitschaftsbeamten auf sie wartete. Sie entließen den Kollegen und setzten sich beide Heintz gegenüber. Brombach schaltete das Aufnahmegerät ein, das auf dem Tisch stand, und sprach ins Mikrofon: „15 Uhr 25, Verhör mit Klaus Heintz. Anwesend außerdem Hauptkommissar Joseph Travniczek und Oberkommissar Michael Brombach.“

Travniczek bedeutete Brombach mit einer kurzen Handbewegung, dass er gerne selbst das Verhör beginnen wollte. Er sah seinem Gegenüber eine ganze Weile wortlos mit gütigem Blick in die Augen und begann dann: „Also, Herr Heintz, dann …“

„Bitte, Herr Kommissar“, unterbrach ihn Heintz, „entschuldische Se vielmals, wenn isch Sie unnerbresch. Saache Se doch Kläusje zu mir. Des tue alle, un bei ‚Herr Heintz’ weiß isch gar net rischtisch, wer da gemeint is.“

Wieder ließ der Hauptkommissar einige Augenblicke verstreichen und begann dann erneut: „Sehen Sie, das ist ja vielleicht das Problem. Ich nehme Sie so ernst wie jeden anderen, der hierher kommt, ganz gleich, ob er Bankdirektor ist oder auf der Straße lebt. Und deswegen sind Sie für mich Herr Heintz und dabei wird es bleiben. – Also, jetzt erzählen Sie bitte genau und der Reihe nach, was in der vergangenen Nacht geschehen ist und wie Sie in den Besitz des Geldkoffers gelangt sind.“

Es entstand eine längere Pause. Heintz war zu verwirrt, um sofort zu beginnen. Er konnte sich nicht mehr erinnern, dass ihn jemand so angesprochen hatte. Plötzlich kamen Bilder hoch, die er lange vergessen glaubte. Erinnerungen an den zwanzigjährigen Klaus Heintz, wie er im Hindemithsaal der Alten Oper Frankfurt den enthusiastischen Beifall des Publikums entgegennahm, nachdem er einen zweistündigen Soloabend gespielt hatte.

Während Brombach schon unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte und sich nur mühsam beherrschen konnte, seinerseits das Verhör zu beginnen, hielt Travniczek weiter seinen Blick fest auf das Gesicht seines Gegenüber gerichtet und wartete ohne die geringsten Anzeichen von Ungeduld. Schließlich hatte sich Heintz wieder gefangen und begann seine Erzählung.

„Also, Herr Kommissar, isch bin ja fast jede Nacht im Schlosspark, weil isch find, des is zum Schlafe de schönste Platz uff de Welt. Wenn alle Touriste gegange sin un isch den Park fast für misch allein hab. Höschstens mal e Liebespaar, sonst nur isch un dieser Park, un am schönste isses, wenns anfängt hell zu werde, un dann alle Vööschel gemeinsam zu singe anfange, wisse Se, kein Komponist der Welt hätt so was Schönes schreibe könne. Abber vielleischt langweil isch Sie ja nur. Also will isch zu gestern Nacht komme. Isch hatt mir diesmal en Platz uff der obere Terrass hinne im Park gesucht. Es war ne sehr klare Nacht. Isch lag da so uffem Rücke und guckt in die unermesslische Zahl von Sterne, da hör isch unne Schritte. Isch bin nun mal von Natur aus neugierisch un wollt natürlisch wisse, was da is.“

Hier hielt er inne, räusperte sich einige Male und fuhr zögernd fort: „Sie müsse entschuldische, Herr Kommissar, isch bin net gewohnt lang zu rede und hab jetzt en förschterlisch trockene Hals. Sie habbe net zufällisch e Bier hier, dann könnt isch viel besser erzähle.“

Brombach wollte heftig antworten, doch Travniczek kam ihm zuvor und fragte ihn freundlich lächelnd: „Kollege Brombach, haben wir ein Bier im Haus?“

Der wirkte etwas pikiert und meinte: „Also, in unserem Bürokühlschrank ist sicher keins.“

„Sie sehen“, wandte sich Travniczek jetzt wieder an Kläuschen Heintz, „ich kann Ihnen da jetzt nicht mit dienen. Kann es auch ein Kaffee oder ein Glas Wasser sein?“

„Also, Kaffee vertraach isch net“, entgegnete Heintz sichtlich enttäuscht, „dann halt e Glas Wasser. Besser als gar nix.“

Brombach rief Frau Siebert an und bat sie, ein Glas Wasser zu bringen. Und Heintz erzählte erst einmal weiter:

„Also, isch hab Schritte gehört. Da guck isch dorsch die steinerne Balustrad und seh en Mann langsam uff de Vatter-Rhein-Brunne zusteuern. Un mir fiel gleisch uff, dass der so en Aktekoffer debei gehabt hat. Un des hat misch schon emal stutzisch gemacht. Was macht en Mann mit nem Aktekoffer um Mitternacht am Vatter-Rhein-Brunne, hab isch misch gefraacht. So was gibts doch eischentlisch net. Am Brunne blieb der Mann stehe, schien uff was zu warte, ging e paar Mal hin un her. Un dann hat sei Handy geklingelt, des hab isch bis zu mir enuff gehört. Wenn isch des rischtisch gesehe hab, hat der Mann nur zugehört, abber selber nix gesacht. Dann isser langsam zu der Grotte hinnerm Brunne gegange un hat den Koffer links nebe des Gittertor gestellt. Un dann is der Mann rückwärts aus der Grotte raus gekomme, werklisch rückwärts, un gaanz langsam in Rischtung Brunne. Da dacht isch, der ist doch komplett verrückt. Doch dann wurd die Sach spannend. Isch hab von der annere Seit en annere Mann gesehe, der sisch ganz tief geduckt auch in Rischtung Brunne beweescht hat. Was sollen des jetzt werde, hab isch gedacht.“

In diesem Moment wurde Heintz durch Klopfen an der Tür unterbrochen. Frau Siebert trat ein mit einem Tablett, auf dem ein Glas Wasser und zwei dampfende Kaffeetassen standen. Nachdem sie wieder gegangen war, blieb es zunächst still in dem Raum, bis Travniczek den vor sich auf die Tischplatte starrenden Heintz bat fortzufahren.

„Also, wo warn wir stehegeblibbe? Ach ja, bei dem annere Mann. Also, dann seh isch, dass dieser annere Mann irschendwas Langes in der eine Hand gehabt hat, en große Knüppel oder so was. Un dann nähert der sisch immer weiter dem erste Mann und hat dabei sei Handy am Ohr und sprischt manschmal was rei, doch der merkt nix, weil er ja rückwärts geht. Un als se sisch nah genuch sin, machts plötzlisch en dumpfe Schlaach un der erste Mann, der mit dem Koffer, krischt eins mit dem Knüppel übber de Kopp gezooche un fällt um. Wisse Se, mer hat rischtig die Hirnschal knacke hörn. Der war all, des war mir sofort klar. Dann is der annere erst mal e Weil stehe geblibbe, hat sisch dann gebückt un dem Tote was aus de Tasch gezooche, wenn isch des rischtisch gesehe hab – auch wenn an mir schon mansches kaputt gegange is im Lauf der Jahre, die Auche funktioniere immer noch bestens – also, des war e Brieftasch un e Handy. Dann is der Mann widder e Weil stehegeblibbe un hat nix gemacht, bisser den Tote an de Arme gepackt hat, ihn zum Brunne gezooche un ins Wasser bugsiert hat. Widder is e ganze Weil nix passiert, dann geht der zu der Grotte und holt den Aktekoffer. Un da hab isch gedacht, jetzt hab isch die Sach verstanne, der hat den annere weesche dem Aktekoffer oder dem, was da drinne is, abgemurkst. Un was dann passiert is, werde Se mir net glaube, abber es war so, so wahr isch Kläusje Heintz heiß. Der nimmt den Koffer un stellt den dort, wo er den Tote hat ins Wasser plumpse lasse, einfach uff de Brunnerand. Dann bleibter widder stehe und tut widder nix. Isch uff meim Beobachtungsposte wurd langsam zappelisch, wisse Se, isch hatt nämlisch vorher e paar Weizebierscher getrunke, un des musst widder raus, abber da war jetzt nix zu mache, des musst isch jetzt aushalte. Abber Gott sei Dank war die Sach dann gleisch zu End. Der Kerl hat sisch nämlisch geschlische in Rischtung Scheffelterrass, un weg warer.“

Brombach, der während dieser ausladenden Erzählung zunehmend unruhiger geworden war und dem schließlich die Zornesröte ins Gesicht stieg, konnte sich jetzt nicht mehr halten und platzte dazwischen: „Mann, Kläuschen, du solltest Kriminalromane schreiben, da könntest du vielleicht viel Geld verdienen!“

Sein neuer Chef gab ihm mit einer unwirschen Handbewegung zu verstehen, dass er keine Einmischung von ihm wünschte. Er nahm wieder Blickkontakt mit Heintz auf und verharrte eine Weile schweigend. Dann meinte er ruhig: „Herr Heintz, wenn Sie diese Geschichte erfunden hätten, dann hätten Sie genug Fantasie bewiesen, um Romane schreiben zu können, da hat mein Kollege schon recht. Aber genau deswegen neige ich dazu, Ihre Geschichte für eine exakte Beschreibung des tatsächlichen Tathergangs zu halten. Jetzt wüsste ich allerdings noch gerne, wie Sie sich dann diesen Aktenkoffer angeeignet haben.“

„Des find isch ganz großartisch von Ihne, dass Se mir glaube. Damit hätt isch nie gereschnet. Des mit dem Koffer war dann ja ganz einfach. Als dieser Kerl weg war, hab isch vorsischtshalber noch e bissi gewart, um sischer zu gehe, dasser net doch noch zurückkommt. Isch hatt ehrlisch gesacht kei Lust, dem in die Finger zu gerate, sonst hätt der aus mir noch Hackfleisch gemacht. Nach so ner halbe Stund bin isch dann runner an de Brunne un hab mer des Köffersche angeguckt. Des war sischer en Fehler, isch hätts stehe lasse solle. Aber dann wollt isch halt unbedingt wisse, was da drinne is. Isch hab mer des Ding gegriffe un festgestellt, dasses gar net abgeschlosse war. Un als isch dann uffgemacht hab, dacht isch, misch tritt e Pferd. So viel Geld uff eimal hab isch im Lebe noch net gesehe. Hatt natürlisch kei Ahnung, wie viel des war. Un dann gings ganz fix: Isch pack des Köffersche unnern Arm un renn los. Isch kenn misch ja so gut im Schlosspark aus, dass isch de Weesch auch find, wenns stockduster is. Isch also übber de Friesebersch runner bis zum Karlstor. dann übber de Wehrsteesch uff die annere Seit die Hirschgass hoch, bis isch schließlisch ganz außer Atem obbe an de Bismarcksäul ankomm. Und da erst hab isch angefange nachzudenke. Hab die ganz Nacht hin und her überleescht, was isch jetzt mache soll, un kurz un gut, isch war schon so weit, dass isch gemerkt hab, so viel Geld, des passt net zu Kläusje Heintz. Isch wollts widder zurücktraache un isch hätts auch gemacht, wenn Se misch net uffgestöbert un festgenomme hätte, des müsse Se mir glaube.“

Brombach wollte wieder etwas sagen, aber Travniczek kam ihm zuvor: „Also, gehen wir mal, ganz hypothetisch, davon aus, dass Ihre Geschichte stimmt. Dann können wir Sie dennoch nicht einfach laufen lassen. Auch wenn Sie nicht der Täter sind, Sie haben sich trotzdem einiges zu Schulden kommen lassen: Sie haben den Aktenkoffer mit dem Geld widerrechtlich an sich genommen, Sie waren Zeuge eines Kapitalverbrechens und haben es nicht angezeigt. Da der Mordverdacht natürlich auch nicht wirklich ausgeräumt ist, werden wir Sie jetzt zunächst für zwei Tage hier behalten, das heißt, Sie haben in der Zeit hier bei uns freie Kost und Logis, und danach sehen wir weiter. Herr Brombach, was müssen wir Herrn Heintz noch fragen?“

Brombach, nach außen etwas verlegen, aber innerlich ziemlich wütend, antwortete: „Also, Kläuschen, der Herr Travniczek, unser neuer Chef, ist heute den ersten Tag im Amt, und da hat er ein bisschen Feierlaune. Das war jetzt dein Glück. Was weiter mit dir geschieht, hängt natürlich auch davon ab, inwieweit du uns hilfst. Und vielleicht geht das ja jetzt gleich. Kannst du die beiden Männer beschreiben?“

„Hm, schwierisch. Dazu wars dann doch zu dunkel. Der Schlääscher war sischer größer un auch breiter als der annere. Aber mehr - tut mir aufrischtisch leid, Kommissar. Isch hätt gern geholfe.“

„Na gut, dann beziehst du jetzt erst mal dein Quartier.“

Brombach rief einen Beamten herbei, der Heintz in eine Zelle führen sollte. Alle vier verließen das Verhörzimmer, der Beamte und Heintz in Richtung Untergeschoss, Travniczek und Brombach in ihr Büro. Sie setzten sich an den Besprechungstisch und schlürften eine Weile schweigend, aber genussvoll den Kaffee, den ihnen Frau Siebert eingeschenkt hatte. Dann meinte Brombach: „Sagen Sie, Chef, glauben Sie die Story wirklich?“

Travniczek verharrte eine Weile in Schweigen. Sein konzentrierter Blick ging ins Nirgendwo. Er war in tiefes Nachdenken versunken und Brombach getraute sich nicht, ihn zu stören. Es dauerte fast zehn Minuten, bis plötzlich ein Ruck durch Travniczeks Gestalt ging und er seinen Kollegen sehr bestimmt ansprach:

„Spätestens nach dem, was Sie mir vorhin erzählt haben, bin ich sicher, Klaus Heintz ist nicht unser Mann. Das passt psychologisch überhaupt nicht. Aber dann halte ich es auch für sicher, dass wir soeben eine genaue Schilderung des Tathergangs erhalten haben. Die Schilderung war zu präzise, als dass sie erfunden sein könnte. Das bedeutet, wir sind einen ganz großen Schritt weiter. Wir wissen zwar noch nichts über das Tatmotiv, aber es wird möglich sein, erste Hypothesen zur Klärung des Geschehens zu bilden.“ Er schenkte sich Kaffee nach, den er schwarz und ohne Zucker trank, und fuhr fort: „Was haben wir? Ein Mann kommt um Mitternacht in den Schlosspark. Er hat einen Aktenkoffer mit 100.000 Euro bei sich und eine Pistole. Ferner hat er den Aktenkoffer mit einem Sender ausgestattet, der ihm erlaubt ihn wiederzufinden, nachdem er ihn aus der Hand gegeben hat. Was sagt uns das?“

Brombach bemerkte gar nicht, dass sein neuer Chef ihn examinierte. Dieser wollte bei der Gelegenheit herausfinden, wie klar sein neuer Mitarbeiter denken konnte.

„Erstens, denke ich, kann man ausschließen, dass das spätere Opfer zufällig um diese Zeit im Schlosspark war. Es hat ihn jemand hinbestellt, und zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter. Das Opfer sollte die 100.000 Euro dem Täter übergeben.“

„Was für Gründe kann es für die Geldübergabe geben?“ prüfte Travniczek weiter Brombachs Kombinationsfähigkeit.

Dieser überlegte einige Augenblicke. Dann schien er Klarheit gefunden zu haben: „Also, ich sehe im Wesentlichen drei. Am wahrscheinlichsten ist: Das Opfer wurde erpresst und zur Geldübergabe an den Vater-Rhein-Brunnen bestellt. Eine zweite Möglichkeit wäre: Das Opfer hat für den Täter irgendein Geschäft erledigt und wollte das dabei eingenommene Geld übergeben. Drittens wäre denkbar, dass umgekehrt der Täter für das Opfer ein Geschäft erledigen sollte, und Letzterer wollte ihm das dafür vereinbarte Honorar übergeben.“

„Da stimme ich Ihnen zu. Aber was wollte das spätere Opfer mit der Pistole, und wozu der Sender?“

Brombach überlegte wieder eine Weile: „Die Pistole hatte er entweder zur Selbstverteidigung, also für den Fall, dass der andere von ihm nicht nur das Geld wollte, sondern vorhatte, ihn zu töten. Oder er wollte das Geld gar nicht übergeben, sondern den anderen seinerseits töten. Zu dieser Option passt der Sender. Ihn hat er in den Koffer eingebaut für den Fall, dass es ihm bei der Geldübergabe nicht möglich gewesen wäre, zum Schuss zu kommen, und er so den anderen später wieder hätte ausfindig machen können.“

„Damit ist welche Ihrer drei Möglichkeiten hinfällig?“

„Die Letzte. Das Opfer wollte nichts vom Täter. Und die Erste ist die Wahrscheinliche, weil nur dazu Pistole und Sender passen.“

„Richtig. Aber wir sind ja hier bei den Motiven des späteren Opfers. Was können wir aus den Fakten in Bezug auf das Motiv des Täters herauslesen? Was ist da vor allem wichtig für uns?“

Hier zögerte Brombach einen Augenblick, da er sich nicht klar darüber war, was der Chef jetzt meinte. Er versuchte es mit einer Gegenfrage: „Meinen Sie die Tatsache, dass der Täter das Geld am Tatort zurückgelassen hat?“

„Natürlich, und dazu kommt noch, dass der Täter seinem Opfer Brieftasche und Handy abgenommen hat. Darin ein zielgerichtetes Handeln zu erblicken, ist schwer. Eines sagt uns das aber auf jeden Fall über den Täter. Nämlich was?“

„Er war am Geld nicht interessiert. Das Mordmotiv hat also nichts mit Geld zu tun. Aber eine Sache ist mir völlig schleierhaft: Welcher normale Mensch lässt 100.000 Euro einfach stehen, mit dem Risiko, dass irgendein Wildfremder es sich unter den Nagel reißt?“

„Ihre Frage enthält eine unzulässige Prämisse!“

„Das verstehe ich jetzt nicht.“

„Sie fragen: ‚Welcher normale Mensch …?’ Wissen wir, dass es sich um einen solchen handelt?“

„Sie meinen, unser Täter ist ein Psychopath?“

„Wenn die Geschichte von Heintz stimmt, und davon gehe ich aus, dann spricht vieles dafür. Und jetzt wird es schwierig. Denn Psychopathen handeln in der Regel auch nach klaren Gesetzen. Nur sind es ihre Eigenen. Und wir werden diesen Täter nur überführen, wenn wir lernen, nach welchen Gesetzen er funktioniert.“

Schlag auf Schlag

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