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Prolog

Afghanistan – Provinz Zabul

Mehrere Granaten flogen übers Tor und explodierten im Innenhof. Kleine Steine zischten wie Geschosse durch die Gegend, ohne dabei Schaden anzurichten, denn die rund zweieinhalb Meter hohen Lehmmauern waren fast einen Meter dick. Das Tor war die einzige Öffnung, die sie ernsthaft sichern mussten. Die Soldaten aus der Spezialeinheit hatten es mit zwei stabilen Leitern, einer Schubkarre und einer großen Holzbank verrammelt. Wie bei allen befestigten Bauernhöfen dieser Gegend gruppierten sich kleine Wirtschaftsgebäude, ein Stall und ein Wohnhaus mit einem Flachdach um einen Innenhof. Das Ganze hatte die Form eines U und war im Fall eines Angriffs einfach zu sichern. Der gestampfte Lehm hatte den Vorteil, nicht zu brennen.

Die Soldaten hatten die Bewohner natürlich sofort vom Grund vertrieben. Bei dem Ausbruch, bei dem es ihnen gelungen war, ihren Gegnern die Panzerfäuste und Granaten abzunehmen, hatten sie die Schafe und Rindviecher durchs Tor getrieben und scheu gemacht, um mit dem wilden Durcheinander in dem kleinen Dorf für Aufregung zu sorgen und die Russentruppe zu verwirren. Das war auch gelungen. Was die Russen nicht bemerkt hatten, war die schmale Pforte zwischen dem Ziegenstall und einem Pferch.

Der Agent hatte sie im Schutz der Nacht zufällig entdeckt. Dieser Durchlass war sinnvoll, denn hinter dem Anwesen erstreckten sich Obstgärten und Weideflächen, und niemand würde sich die Mühe machen, die Schafe und Ziegen um den ganzen Besitz herumzutreiben, damit sie grasen konnten.

Der Agent hoffte, dass er richtig kalkuliert hatte. Für die Überlebenden aus der Spezialeinheit war das enge stinkende Loch der einzige Ausweg aus ihrer Misere. Sie hatten kaum noch Munition. Drei Männer waren im Kampf gefallen. Die beiden Schwerverletzten hatten vielleicht noch eine kleine Chance zu überleben, falls der Rettungshubschrauber es schaffte, sie innerhalb der nächsten Stunde zu evakuieren. Peret war nur leicht am Bein verwundet. Er würde durchhalten.

Mit einer gereizten Handbewegung wischte der Agent sich Schweiß, Blut und Dreck von der Stirn. Er fühlte sich hilflos und er hasste sich dafür, obwohl er wusste, dass er alles Menschenmögliche getan hatte. Die Medical Task Force kannte die exakten Zielkoordinaten. Irgendwie hatten seine eigenen Leute zu Hause in Frankreich mitgehört und begriffen. Und irgendwer hatte umgehend dem ISAF-Hauptquartier in Kandahār die Hucke voll gelogen und den Flugauftrag für seinen MedEvac erbettelt. »Sie« hatte ohne viele Worte verstanden, dass es einen Grund gab, warum er keine CSAR von OEF haben wollte. Die bewaffneten Such- und Rettungsmissionen der Anti-Terror-Koalition Operation Enduring Freedom (OEF) wurden immer von amerikanischen Hubschraubern und amerikanischen Besatzungen geflogen.

Die ganze Situation war dem Agenten unheimlich. Die Erinnerung an ein anderes Desaster verdrängte für einen kurzen Augenblick das aktuelle Horrorszenario aus seinen Gedanken: der unglückliche Befreiungsversuch der Journalistin Florence Delmas und ihres Fotografen vor drei Jahren im Osten Afghanistans. Unweit des berüchtigten Höhlenlabyrinths von Tora-Bora waren es nicht die Taliban gewesen, die ihnen zum Verhängnis geworden waren, sondern genau die gleichen Männer, die heute im Hauptquartier der Special Operations Forces auf der Bagram-Airbase das Sagen hatten: Amerikaner! Angehörige einer Special Operation Group aus der Special Activities Division des US-Geheimdienstes CIA hatten damals einer mit ihnen verbündeten Truppe afghanischer Kämpfer befohlen, die lästige Mitarbeiterin des französischen Nachrichtensenders France-Inter und ihren genauso lästigen Pressefotografen, nachdem sie sie zuvor entführt hatten, umzubringen. Die amerikanischen Operators wollten um jeden Preis verhindern, dass ein Einsatzkommando französischer Special Forces ihre Landsleute befreiten und sie nach Hause zurückbrachten. Delmas und der Mann, der für die Fotoagentur Sipa Press arbeitete, waren Zeugen eines blutigen Zwischenfalls geworden, den die CIA verheimlichen wollte. Für den Agenten hatte diese Mission damals fast in einer Katastrophe geendet: Damit die Special Forces-Soldaten vom Commandement des Opérations Spéciales – COS – überhaupt eine Chance hatten, mit den beiden befreiten Journalisten die Landezone ihres Evakuierungshubschraubers zu erreichen, hatte er seine Gruppe tadschikischstämmiger Kämpfer opfern müssen und sich dabei selbst eine Kugel in der linken Schulter eingefangen: Mit den beiden überlebenden Tadschiken waren sie verletzt und geschwächt fünf Tage lang durch die Berge geflohen – das von den Amerikanern gesponserte paschtunische Killerkommando im Nacken – bis sie endlich die relative Sicherheit von Ahmed Shah Massouds ehemaliger Heimat, das Pandschir-Tal, erreichten. Der Agent erinnerte sich an frühmittelalterliche Chirurgie in einem schlecht ausgestatteten Krankenhaus in der Provinzhauptstadt Bazarak, Riesenprobleme, in seinem angeschlagenen Zustand heimlich wieder aus Afghanistan zu verschwinden, einen absoluten Höllentrip durch die zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken und einen dreimonatigen Rekonvaleszenz-Urlaub. Zurück geblieben waren eine hässliche Narbe an seiner linken Schulter und eine gigantische Allergie gegen die Amerikaner und ihre gedankenlose Hoppla-jetztkomme-ich-Politik. Die Narbe an der Schulter zog gerade wieder einmal heftig. Er wusste natürlich, dass das nur Phantomschmerzen waren. Doch die kamen immer dann, wenn er fühlte, dass sich eine neue Katastrophe anbahnte.

Es kostete den Agenten Überwindung, seine schwarzen Gedanken zu verdrängen. Er musste sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren, wenn sie alle überleben wollten. Der Landeplatz für den Helikopter war vorbereitet. Er hatte die Lasermarkierungen für die Piloten aktiviert. Seit seinem Notruf waren fünfundvierzig Minuten vergangen. Der MedEvac konnte nicht mehr weit sein. Er rechnete kurz im Kopf: Es waren vielleicht hundertsechzig Kilometer Luftlinie. Bei einer Geschwindigkeit von hundertfünfzig Knoten waren fünfzig bis sechzig Minuten Flugzeit realistisch. Die ganze Rettungsaktion war natürlich ein Spiel mit dem Feuer, doch ihre Gegner hatten nichts bemerkt. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, die Satellitenverbindungen und Radiofrequenzen der Special Forces zu stören. Sie waren nicht auf die Idee gekommen, dass man Hilfe auch über zivile Systeme herbeirufen konnte. Eine der Bodenstationen stand in Toulouse und der CSAR-Code-Satz für seine Leute im Fort de Noisy im Hauptquartier der Division Action des französischen Auslandsnachrichtendienstes DGSE hatte funktioniert.

Der Agent schloss für einen kurzen Augenblick die Augen und schickte ein Stoßgebet gen Himmel: »Saint Michel Archange, Lieutnant de la Sainte Mère Marie, protégez-nous dans çe combat!« Die Notärzte aus der ISAF Medical Task Force Kandahār hatten einen ausgezeichneten Ruf. Vielleicht hatten die beiden Schwerverletzten aus der Spezialeinheit, LeGoff und Durand, doch noch eine Chance zu überleben. Wie als Antwort auf sein Stoßgebet knatterte plötzlich ein Maschinengewehr los. Der Agent hörte im gleichen Augenblick das typische Motorengeräusch. Es wurde immer lauter und deutlicher. Der Black-Hawk-Rettungshubschrauber war endlich da. Ein gellender Schmerzensschrei gefolgt von mehreren Wutschreien übertönte den Lärm. Peret, der unverletzte Special-Forces-Soldat hatte wenig Munition. Er schoss nur noch, wenn er sicher war zu treffen.

Der Agent huschte an der Mauer entlang zum Wohngebäude.

»Wenn wir dieses jämmerliche Drecksnest lebend verlassen sollten, dann werde ich herausfinden, welche miese, kleine Ratte mit den Kryptoschlüsseln meiner Männer, dem OPLAN und den Q-Comms hausieren gegangen ist«, fluchte er leise. In einem früheren Leben hatte er in einer der fünf Spezialeinheit der französischen Kriegsmarine gedient. Damit waren die Verletzten und die Toten der Spezialeinheit auch »seine« Kameraden. Er schwor sich, dass der Verräter bezahlen würde. Wer auch immer es gewesen war, er würde ihn töten.

Codename Corvus Thriller

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