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Gestaltungsspielraum der Politik im Gesundheitsschutz

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Bei der Entscheidung, welche Ziele der Gesetzgeber verfolgt, hat er einen Gestaltungsspielraum. Der rechtspolitische Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ist in Krisenzeiten, in denen Neuland betreten werden muss, laut dem VfGH größer.73 Der Gesundheitsschutz ist in der Rsp des VfGH sogar als „schwerwiegendes öffentliches Interesse“ anerkannt.74 Anerkannt hat der VfGH auch, dass der Gesetzgeber grundsätzlich berechtigt ist, dem Gesundheitsschutz umfassend zum Durchbruch zu verhelfen.75 Dieser Ansatz des „umfassenden Gesundheitsschutzes“ birgt bei genauerer Überlegung einigen Sprengstoff.

Demgegenüber stehen die Grundrechte, die in ihrer Substanz nicht angegriffen werden dürfen. Der VfGH sollte sich bewusst sein, dass es die Grundfeste unserer Verfassung zu schützen gilt, ansonsten könnten die Worte Hararis Wirklichkeit werden, der für die westliche Kultur prognostiziert, „zwischen Gesundheit und Privatsphäre werden die Menschen fast immer bereit sein, letzteres zu opfern.“76 Dies würde aber bedeuten, dass die Grundrechte am Ende ihres Daseins angelangt sind, die Demokratie gescheitert ist und eine neue Form des Überwachungsstaates Einzug hält, den Weg geebnet durch den „umfassenden Gesundheitsschutz“, den die totalitäre Überwachung sicherstellt.77 Hier stellt sich die Frage, ob sich der VfGH durch diese Aussage nicht schon selbst zu sehr gebunden hat, oder ob er noch eine Wende schafft, um die Grundrechte davor zu bewahren vom „umfassenden Gesundheitsschutz“ überrannt zu werden. Denn was würde es wohl bedeuten, wenn wir klinisch gesund, aber seelisch verkümmert sind? Wie weit ist der Gesundheit dann gedient? Es bleibt zu hoffen, dass der Weitblick hier nicht verloren geht und unser Blick durch das Maskentragen nicht derart verstellt ist, dass wir die wahre Gesundheit nicht wahrnehmen. Am Ende bleibt ein degeneriertes Volk, dem nicht einmal die Gesundheit bleibt, das wird das Paradox dieser Geschichte sein, die Einforderung des Gesundheitsschutzes wird uns das Menschsein nehmen und damit in ein Menschtum überführen, das ich nicht kennenlernen möchte, so wie es in vielleicht in einem Jahrzehnt Wirklichkeit sein könnte, wenn wir nichts tun. Bestätigt wird diese Sichtweise durch deutsche Verfassungsexperten. Es brauche viel Optimismus um anzunehmen, dass die komplexe Verbindung von Freiheit und Verantwortung nicht nur aus- sondern wieder angeschaltet werden könne.78 „Es entstand in der Krise anscheinend der Fehlschluss, der große Handlungsspielraum sei mit großen materiellen Freiräumen zur Beeinträchtigung anderer Rechte gleichzusetzen.“79 Dieser Kritik ist beizutreten, denn die Spielräume des Gesetzgebers müssen sich doch innerhalb des durch die Verfassung vorgegebenen Wertekatalogs verwirklichen. Man müsste folglich untersuchen oder zumindest hinterfragen, ob die Gesetzgebung in der Pandemie sich innerhalb dieses Wertekatalogs verwirklicht. Es ist eine gewisse Tragik in der Pandemiesituation, dass die rechtswissenschaftliche Perspektive von der Politik kaum genutzt wurde.80 „Es ging nicht um Leben oder Tod, sondern um Gesundheitsschutz, also ein relationales Schutzgut, das sich nicht im Entweder-Oder, sondern im Mehr oder weniger, Je- desto beweist, das Zielkonflikte bewältigen und Prioritäten bestimmen muss.“81 Dazu müssen aber die konfligierenden Schutzgüter in den Blick genommen werden, sonst wird der Gesundheitsschutz absolut, was er der Natur nach schon nicht sein kann.82 Wer den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anwendet, erhält Kriterien, die die unübersichtlichen Wirkungszusammenhänge klären helfen. Wenn zentrale Entscheidungsparameter unklar sind, hilft eine Orientierung an der Verhältnismäßigkeit.83 Damit wird erklärt, dass diese Maßstäbe bereits in die Gesetzgebung einfließen hätten müssen. Die Verhältnismäßigkeit hätte sicher dazu beigetragen, die Vernunft in das Recht einfließen zu lassen. Dabei gilt: Je intensiver der Eingriff, desto schwerer die Rechtfertigung.84 Kropfitsch und Roßmann gelangen zu einem ähnlichen Ansatz wie in diesem Werk vertreten. An anderer Stelle wird ausgeführt, dass die Gesundheit einem umfassenden Verständnis unterliegt, und nicht einseitig auf Covid-19 allein reduziert werden kann. Kropfitsch und Roßmann dazu: „Konkret auf die aktuelle Pandemiesituation angewendet bedeutet das, dass (Schutz-)Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von Sars-Cov- 2 zwar (unter der Bedingung der Verhältnismäßigkeit) Grundrechtseinschränkungen rechtfertigen können, ihre Grenzen aber dort finden, wo diese den Boden defensiver Gefahrenabwehr verlassen und zur Gefahr für andere werden. Der Schutz der Gesundheit des einen (oder einer bestimmten Risikogruppe) darf niemals die Gesundheit eines anderen (oder einer anderen Bevölkerungsgruppe) gefährden.“85 Bedenkt man, dass Leidtragende vieler Maßnahmen die Jungen sind, die Depressionen haben dementsprechend zugenommen, was wiederum zur Steigerung der Selbstmordrate geführt hat, so muss man hinterfragen, ob der von Kropfitsch und Roßmann vorgegebene Rahmen nicht schon durch die bisherigen Einschränkungen gesprengt wurde.

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