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Vorwort zur zweiten Auflage

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Seit der Erstauflage dieses Buches sind nun 10 Jahre vergangen. In dieser Zeit hat sich die Welt in einer ungemein rasanten Art und Weise verändert. In der Kriseninterventionsarbeit hat man immer besonders aufmerksam für jene Probleme und Konflikte zu sein, mit denen sich Menschen in einer sich wandelnden Welt auseinandersetzen müssen. Der wirtschaftliche Umbruch, der technologische Fortschritt, veränderte Geschlechterrollen, die steigende Lebenserwartung, die dazu führt, dass wir heute in den westlichen Industrienationen mit einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung konfrontiert sind, und die Flucht- und Migrationsbewegungen zwingen uns dazu, unsere Konzepte und Vorstellungen an die neuen gesellschaftlichen Bedingungen und vor allen Dingen an die Bedürfnisse der Betroffenen anzupassen. Ich greife drei Themen exemplarisch auf, die unsere Arbeit in den letzten Jahren besonders stark beeinflusst haben:

Die wirtschaftlichen Umbrüche in den Industrienationen, insbesondere die Dominanz neoliberaler Ideen und deren Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte und die Arbeitswelt betreffen natürlich viele unserer Klienten, aber auch uns Helfer und die Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens, in denen wir arbeiten. Der gesellschaftliche Wandel stellt zunehmend große Anforderungen an die Leistungsfähigkeit, Flexibilität und damit an die psychosoziale Stabilität des Individuums. Auch wenn sich die allgemeine wirtschaftliche Situation seit der Erstausgabe des Buches, das ja unmittelbar nach der schweren Wirtschaftskrise 2007/2008 erschienen ist, in den letzten Jahren gebessert hat, gibt es viele Menschen, die verunsichert und/oder marginalisiert sind und am allgemeinen Wohlstand nicht teilhaben können. Verschärfend wirken die z. T. negative Konnotation von Armut in der öffentlichen Diskussion und die damit verbundenen Kürzungen sozialer Leistungen. Die ökonomischen Veränderungen, wie wir sie derzeit erleben, haben also erhebliche, oft negative Auswirkungen auf das Individuum. Sie beeinflussen jene Kernbereiche des Lebens – Partnerschaft, Familie und Arbeitsleben – mit denen wir in der Kriseninterventionsarbeit besonders häufig konfrontiert sind. Die Krisen, mit denen wir aktuell zu tun haben, sind folgerichtig oft komplizierter und komplexer, weil sich die Schwierigkeiten rasch auf mehrere Lebensbereiche erstrecken, aber auch weil sich die Zielgruppen verändert haben.

Eine der aktuell größten gesellschaftlichen Herausforderungen stellt sicherlich die Migrations- und Fluchtbewegung, die in den Jahren 2015 und 2016 einen einstweiligen Höhepunkt erreicht hat, dar. Es stellt sich grundsätzlich die Frage, wie die psychosoziale und gesundheitliche Versorgung dieser Menschen sichergestellt und verbessert werden kann. Gerade jene, die aufgrund von Krieg, Naturkatastrophen und globalen politischen und wirtschaftlichen Krisen aus ihrer Heimat fliehen mussten, sind besonders krisenanfällig und gleichzeitig mit ernstzunehmenden Zugangsbarrieren zu psychiatrisch-psychosozialen Angeboten konfrontiert. Kriseninterventionseinrichtungen müssen auf eine verstärkte interkulturelle Öffnung achten und ihre Angebote, z. B. durch die Möglichkeit durch Dolmetscher gestützte Gespräche zu führen, für diese Zielgruppen adaptieren ( Kap. 5.11 zu diesem Thema).

Der technologische Fortschritt, insbesondere der Umgang mit den neuen Medien, wirft die Frage auf, wie wir Menschen adäquate Hilfe im Krisenfall anbieten können, die großteils über soziale Medien kommunizieren. Manche von ihnen sind nicht in der Lage oder willens persönliche oder telefonische Beratung in Anspruch zu nehmen. Kriseneinrichtungen sind daher gefordert, entsprechende Beratungsangebote im Netz z. B. in Form von E-Mailberatung anzubieten (zu diesem Kap. 5.14).

Diese Entwicklungen stellen auch erhöhte Anforderungen an die im psychosozialen Bereich tätigen Menschen. Wichtiger denn je sind Institutionen, die sich um jene kümmern, die den Belastungen zeitweise nicht mehr gewachsen sind. Kriseninterventionsarbeit ist zeitintensiv und erfordert ein hohes Maß an Flexibilität von Seiten der Helfer, aber auch der Einrichtungen. Es handelt sich um ein sehr personalintensives Angebot, das eine ausreichende ökonomische Basis benötigt. Dem wird von politischer Seite zu wenig Rechnung getragen. Nach wie vor sind wir mit einer unsicheren Finanzierung konfrontiert, was ein Klima ständiger Instabilität erzeugt, wo doch gerade in der Kriseninterventionsarbeit ein wesentliches Ziel darin besteht, Stabilität und Sicherheit für die Betroffenen herzustellen. Ganz abgesehen davon existieren in vielen ländlichen Gebieten nach wie vor keine adäquaten Hilfsangebote.

Erfreulicherweise ist es in den letzten Jahren in Deutschland und in Österreich den jeweiligen Fachgesellschaften für Suizidprävention gelungen, nationale Suizidpräventionsprogramme zu verankern (in Deutschland NASPRO, in Österreich SUPRA), die zu einem deutlichen Rückgang der Suizidraten, sowohl in Deutschland als auch in Österreich, beigetragen haben. Leider wurden aber dennoch keine gesetzlichen Grundlagen geschaffen, die eine ausreichende Finanzierung von ambulanten Einrichtungen der Krisenintervention und Suizidprävention sicherstellen.

Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen finde ich persönlich die Kriseninterventionsarbeit, gerade auch wegen der immer neuen Anforderungen, nach wie vor äußerst lohnend. Keine Situation gleicht der anderen. Es ist immer wieder faszinierend und berührend wie Menschen auch schwierigste Lebensbedingungen bewältigen und ihren jeweils individuellen Weg aus einer subjektiv zunächst oft aussichtslos erscheinenden Situation finden. Sie dabei begleiten zu dürfen ist eine große Herausforderung, aber auch ein Privileg.

Krisen im Allgemeinen und auch die beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungen sind mit Chancen und Risiken verbunden. Beiden Aspekten wird auch in der vorliegenden Neuauflage Rechnung getragen.

Claudius Stein, im März 2020

Spannungsfelder der Krisenintervention

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