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Eine schwierige Frage: Wie würden Sie »Musik« definieren, objektiv, aber auch möglicherweise für Sie selbst?

Ich zitiere Textanfänge aus sechs Musiklexika, ohne sie weiter zu kommentieren; in Klammern steht das Erscheinungsjahr. »Musik« ist …

die Kunst des Vortrags, bestehend aus Gesang und Ton. Und sie ist dreifach, Kunst des Gesanges, der Instrumente und des Rhythmus (1495!),

die Ton-Kunst, die Wissenschaft wohl zu singen, zu spielen, und zu componiren (1732),

die Kunst, durch Töne Empfindungen auszudrücken (1802),

die Kunst, welche ihr Gebilde aus dem flüchtigen, schnellvergänglichen Element der Töne formt und daher bezüglich des Materials in dem denkbar größten Gegensatze zur Architektur steht (1922),

die Kunst, das von der Natur gegebene Tonmaterial auswählend so zu ordnen und zu begrenzen, dass es […] mit künstlerisch konzipierten Formeln (Stilmitteln) den Eindruck einer einheitlichen Form vermittelt (1962),

die produktive Gestaltung des Klingenden (1989).

Die herangezogenen Lexika setzen je eigene Akzente. Ein Blickwinkel hat sich dagegen immer gehalten: Dass instrumentale Musik, die keine Sprache hat, selbst eine Sprache sei, ist eine alte Überzeugung. Johann Mattheson definierte 1739 die Sprachähnlichkeit von Musik mit dieser Gleichsetzung: Instrumentalmusik sei eine »Ton-Sprache und Klang-Rede«. Als Sprache in Tönen entspricht sie in ihrer musikalischen Grammatik der Wortsprache, als Rede in Klängen entspricht sie in ihrem Ablauf einer sprachlichen Rede. »Der musikalische Vortrag«, schreibt Johann Joachim Quantz 1752 in seinem Lehrbuch Versuch einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen, »kann mit dem Vortrag eines Redners verglichen werden«, »ein Redner und ein Musikus« verfolgten dieselbe Absicht, »nämlich: sich der Herzen zu bemeistern, die Leidenschaften zu erregen oder zu stillen, und die Zuhörer bald in diesen, bald in jenen Affect zu versetzen.«

Musik kann sogar, mit ihren sprachlichen Mitteln, Sprechsituationen nachahmen. Die klassische Form dafür ist das Streichquartett [Komposition für vier Streichinstrumente]. Geadelt wurde es durch Goethes Ausspruch von »vier vernünftigen Leuten«, die sich darin »untereinander unterhalten«, sodass man »glaubt, ihren Diskursen etwas abzugewinnen«. Im Anfangssatz von Beethovens Streichquartett B-Dur op. 18 Nr. 6 sind die erste Violine und das Cello führende Akteure, die zweite Geige und die Bratsche zunächst Zuhörer. Die erste Violine trägt einen Gedanken vor, das Cello reagiert darauf, und was nun beide daraus machen, ist richtig amüsant zu verfolgen. Worüber sie sprechen – etwas Trauriges ist es sicher nicht – und wie das komplette Gespräch bis zur ersten deutlichen Pause verläuft, könnte man sich als Hörer überlegen.

Noch ein zweites, auf andere Weise eindrucksvolles Beispiel: der langsame Satz im Vierten Klavierkonzert Beethovens. Man hat den Eindruck, dass sich anfangs die beiden Parteien – die Streicher und das Solo-Klavier – aus tiefster Seele widersprechen oder aneinander vorbeireden. Wie aber verändert sich ihre Rolle im weiteren Verlauf?

Laub, lieb, Lob, leise, Lampe, Lupe, leer, Loch, lustig, Leckerbissen, leblos …: Konsonanten geben der Sprache Struktur, Vokale bilden sprachliche Klangfarben. So also, wie sich Musik sprachähnlich verstehen lässt, kann Sprache musikähnlich gestaltet sein. An einem Gedicht von Clemens Brentano (1778–1842) soll das erfahrbar werden. Brentano war in seinen Gedichten mehr als ein romantischer Dichter, er war ein Virtuose und Magier der Sprache. Nebenstehend das ausgesuchte, erlesene Beispiel.

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