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Zwischenruf Wie eine Leinwand

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Paul Klee (1879–1940): Im Bachschen Stil (1919)© akg-images

Es gibt Bilder, die von einer bestimmten Musik inspiriert wurden, so Paul Klees Aquarell Im Bachschen Stil (1919). Umgekehrt wurde Musik zu bestimmten Bildern geschrieben, so Giselher Klebes Orchesterwerk Die Zwitschermaschine (1949/50) mit dem Untertitel »Metamorphosen über das gleichnamige Bild von Paul Klee«. Und es gibt Musik, deren Ablauf sich wie eine Bilderfolge auffassen lässt, so Joseph Haydns Vorspiel zu Die Schöpfung, in Station 19 vorgestellt.

Eigentümlich aus solcher Perspektive ist die Musik von Claude Debussy (1862–1918). Debussy ist der bekannteste Vertreter des Impressionismus, des musikalischen Pendants impressionistischer Malerei von Künstlern wie Claude Monet, Auguste Renoir, Paul Cézanne, deren Bilder, gern in freier Natur gemalt, sich auszeichnen durch Farbenspiele, aufgelöste, weiche Konturen und das Atmosphärische der eingefangenen Situation. Ein Werk von Debussy ist wie ein Bild. Dafür möchte ich Sie zu einer besonderen Hörerfahrung einladen. Hören Sie sich bitte aus dem ersten Band von Debussys Préludes für Klavier das sechste Stück an, das den Titel Des pas sur la neige trägt, »Schritte im Schnee«; Debussy schreibt Triste et lent vor, traurig und langsam, das Stück ist gut zu verfolgen. Notieren Sie bitte während des Hörens den musikalischen Ablauf als Folge von Buchstaben: Was neu ist, erhält einen neuen Buchstaben. Für den Anfang des Stückes lautet meine persönliche Buchstabenkette, jeweils kurz begründet: a, gleichbleibende kleine Bewegungen, darüber nacheinander zwei melodische Gesten; b, ähnlich, aber jetzt abwärts schreitende Klänge daruntergelegt; c, die gleichbleibende Bewegung nun oben, die tiefste Stimme schreitet; d, liegende Klänge, darunter eine ruhige Melodik; e, Wiederkehr der Anfangsbewegung, dazu erst unten, dann oben …

Unabhängig davon, ob Sie dieselbe oder eine andere Gliederung vorgenommen haben, werden Sie zwei Erfahrungen bestätigen. Erstens bleibt zwar die musikalische Stimmung haften, aber es ist schwer, sich die Musik zu merken; am ehesten wird man die in Melodie und Rhythmus gleiche, nahezu das komplette Stück hindurch bleibende »Bewegung« erinnern. Zweitens wirkt die Reihenfolge von a bis e nicht zwingend. Der Beginn mit a ist insofern einleuchtend, als die Musik noch sehr dünn daherkommt, erst in b wird sie durch die tiefen Klänge und den geweiteten Tonraum fülliger – und doch könnte das Stück, ohne dass es jemandem als »falsch« auffallen würde, auch bei e einsteigen oder sogar mit d, um einen Klangteppich auszubreiten, und im Grunde könnten auch b und c ihre Position tauschen, ohne dass es »unlogisch« wäre.

Beide Erfahrungen ergeben sich aus einer spezifischen Eigenart der Musik: Sie hat kein gerichtetes »Vorher« und »Nachher«. Zum Vergleich: Der Anfang von Beethovens Erster Sinfonie, angesprochen in der Station 11, gestaltet die Musik als einen Verlauf hin zu der Grundtonart; dadurch erhält die Musik eine Richtung, mit einem verbindlichen »Vorher« und »Nachher«, deren Stadien nicht einfach umgestellt werden könnten. Debussys Musik funktioniert nicht so. Ein Ereignis in ihr ist keine Folge des Vorhergehenden und keine Vorgabe für das Anschließende. Es ist, wenn auch verknüpft mit seiner Umgebung, ein in sich erfüllter Moment. Theodor W. Adorno hat diese Eigenart in seiner Philosophie der neuen Musik (1948) nachdrücklich geschildert: »Das Gehör muß sich umschulen, um Debussy richtig wahrzunehmen, nicht als einen Prozeß […], sondern als ein Nebeneinander von Farben und Flächen, wie auf einem Bild. Die Sukzession [das musikalische Nacheinander] exponiert bloß, was dem Sinne nach simultan ist: so wandert der Blick über die Leinwand. Es gibt kein ›Ende‹: das Stück hört auf wie das Bild, von dem man sich abwendet.«

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