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Den Boden bereiten

Mit der Radikalen Vergebung mögen einige Leser bereits sehr vertraut sein, andere hören davon vielleicht zum ersten Mal. Deshalb kann es nicht schaden, noch einmal kurz zusammenzufassen, was das Besondere daran ist und was die Radikale Vergebung von der herkömmlichen Vergebung unterscheidet. Ich möchte, dass Sie verstehen, weshalb die herkömmliche Vergebung möglicherweise Jahre braucht, während die Radikale Vergebung sehr schnell ihre Wirkung entfalten kann.

Wenn Sie genau wissen wollen, was es mit der Radikalen Vergebung auf sich hat, lesen Sie mein Buch Ich vergebe – Der radikale Abschied vom Opferdasein. In der Zwischenzeit mag diese kurze Übersicht genügen.

Die Praxis der Radikalen Vergebung umfasst fünf Stufen, von denen die ersten drei mehr oder weniger der herkömmlichen Vergebung entsprechen. Auf der vierten und fünften Stufe vollzieht sich das Eigentliche. Ich sollte Sie warnen – es könnte passieren, dass der Prozess keinen Stein auf dem anderen lässt.

Geben Sie der Methode eine Chance, denn damit sie funktioniert, müssen Sie nicht daran glauben. Je skeptischer Sie sind, desto besser! Diese Eigenschaft habe ich mir auch zu eigen gemacht und die Ergebnisse werden Sie, wenn Sie erst einmal in den Genuss der Erfahrung kommen, noch mehr beeindrucken als jemanden, der damit gerechnet hätte. Lassen Sie sich von mir durch die fünf Stadien der Radikalen Vergebung führen und Sie werden sehen, was ich meine.

Im ersten Stadium erzählen Sie Ihre Geschichte: warum Sie das Gefühl haben, dass Ihnen Unrecht widerfahren ist, wer schuld daran ist und so weiter. Nichts Ungewöhnliches.

Im zweiten Stadium, das sich für gewöhnlich direkt aus dem ersten ergibt, gestatten Sie sich, die ganze Palette der Gefühle, die mit Ihrer Geschichte verbunden sind, zu fühlen. Das ist ein wichtiger Schritt, denn was man nicht fühlt, kann man auch nicht heilen. Das kann einige Zeit dauern, denn häufig gestatten wir es uns nicht, diese Gefühle wirklich zuzulassen. Fragen Sie sich: „Bin ich wütend, traurig, froh, habe ich Angst?“ Wenn Sie Ihr Gefühl klar benennen können, ist das ein guter Anfang.

Im dritten Stadium betrachten Sie Ihre Geschichte mit etwas Abstand. Versuchen Sie, die Motive der anderen Person (Institution, Gruppe) zu verstehen. Bringen Sie Empathie, Barmherzigkeit und Mitgefühl auf, versuchen Sie es trotz der Dinge, die Ihnen angetan wurden, mit einer gewissen Nachsicht. Sie werfen auch all die Extras aus der Geschichte – die Elemente, die nicht ganz der Wahrheit entsprechen, Ihnen aber gute Dienste geleistet haben, als es darum ging, Gründe für Ihr Opferdasein zu finden.

So weit geht auch die herkömmliche Vergebung. Sie hält Sie immer noch in der Opferrolle fest. Obwohl Sie sich bemühen, der Person zu vergeben, lassen Sie die oder den anderen nicht vom Haken. Er oder sie wird immer noch als Täter gesehen und als verantwortlich für Ihren Schmerz und Ihr Unglück.

Das vierte Stadium. An diesem Punkt trägt uns die Radikale Vergebung dahin, wo bisher die wenigsten gewesen sind. Dieser Schritt fordert uns auf, unsere Annahmen über uns und die Welt, die wir bewohnen, auf dramatische Weise zu verändern. Wir geben der Geschichte einen neuen Rahmen, das heißt, wir betrachten sie aus einer neuen Perspektive. Machen Sie sich bereit!

Die Radikale Vergebung fordert uns dazu auf, eine neue Lebensphilosophie, ein neues Paradigma zu wagen, eine neue Sicht auf das, was wir als Realität bezeichnen. Es geht darum, sich für die Möglichkeit zu öffnen, dass hinter allem eine göttliche Absicht steht und dass es auf spiritueller Ebene nichts zu vergeben gibt. Das ist der Grund, weshalb uns nichts widerfährt, sondern zu unserem Besten geschieht. Alles, was uns passiert, ist Teil unseres ureigenen göttlichen Plans. Es gibt daher keine Fehler. Alles hat seinen Grund.

Das fünfte Stadium. Am Beginn Ihrer Geschichte war die Energie Ihrer Opfergeschichte fest in der zellulären Struktur Ihres Körpers verwurzelt. Nachdem Sie Ihre Geschichte aus einer anderen Perspektive betrachtet und Ihre Opferrolle überwunden haben, können Sie die alte Opfergeschichte durch eine neue Geschichte ersetzen. Dabei helfen Ihnen körperorientierte Verfahren wie etwa die „Satori“-Atmung, Tanzen, Chanten oder Laufen.

Das ist es im Großen und Ganzen. Erstaunt? Oder davon überzeugt, dass das alles Unsinn ist? Sie haben allen Grund zu zweifeln, denn dies deckt sich nicht unbedingt mit dem, was Sie bislang für vernünftig und möglich gehalten haben, oder? Auch wenn Ihr Geist diese Idee noch nicht vollständig verworfen hat, möchte ich wetten, dass er bereits viele Beispiele gesucht hat, in denen das garantiert nicht funktionieren kann. Habe ich recht?

Ihr kritischer Verstand ist schließlich dafür gemacht, alles zu hinterfragen und hinter jeder Idee Denkfehler zu entdecken. Er muss dem eigenen Realitätsmodell entsprechend Sinn konstruieren. Da hat die Radikale Vergebung es zunächst natürlich schwer. Doch ich kann Ihnen versichern, dass es in Ihnen einen anderen Teil gibt, der die Wahrheit kennt und alles genau versteht. Machen Sie sich also keine Sorgen – der Prozess mag noch so lächerlich klingen, funktionieren tut er trotzdem.

Ich kann Ihnen versichern, dass die Methode funktioniert, weil wir in den vielen Jahren festgestellt haben, dass Menschen, die mit der Radikalen Vergebung in Berührung kommen und sich auf sie einlassen, tiefgreifende Veränderungen in ihrem Leben erfahren. Die alten Leiden haben ausgedient und können sich auflösen. Jahrzehntelang festgehaltener Groll schmilzt dahin. Beziehungen finden Heilung. Neue Verbindungen entstehen und Dinge passieren (scheinbar zufällig), die zeigen, dass auf einer anderen Ebene ganz andere Gesetzmäßigkeiten am Werk sind. Probleme lösen sich auf, und das Leben läuft einfach runder.

Im Nachwort von Ich Vergebe heißt es dazu: „Radikale Vergebung stellt die Perspektive unserer Beziehung zur Welt und zu unseren Mitmenschen radikal in Frage. Wir sind eingeladen, uns auf einen Prozess einzulassen, der in einem Modell der Realität wurzelt, das wir noch nicht völlig verstehen. Auch gibt es wenig Beweise für die Wirksamkeit, außer der Tatsache, dass wir an uns selbst tiefgreifende Veränderungen bemerken, wenn wir uns auf ihn einlassen.“

Was ist Radikale Selbstvergebung?

Es wäre eine grobe Vereinfachung zu sagen, dass Radikale Selbstvergebung das Gleiche ist wie Radikale Vergebung, nur dass wir selbst es sind, dem vergeben wird. Die Wirklichkeit ist etwas komplizierter. Zum einen stimmen die meisten Menschen zu, dass es weitaus schwieriger ist, sich selbst zu vergeben als anderen, selbst wenn es sich um eine radikale Version der Selbstvergebung handelt.

Außerdem ist es nicht einfach, zugleich der Vergebende und derjenige zu sein, dem vergeben wird. Wenn ich sage: „Ich vergebe mir“, dann stellt sich die Frage: „Wer vergibt hier wem?“ Hier liegt die Wurzel des Problems.

Des Rätsels Lösung finden Sie im Anwendungsbereich 15: „Sich selbst lieben und akzeptieren“. Die Frage hat ein eigenes Kapitel verdient.

Der Einfachheit halber sind in diesem Buch immer auch Radikale Selbstvergebung und Radikale Selbstakzeptanz gemeint, wenn von Radikaler Vergebung die Rede ist. Der Ansatz, der diese drei Bereiche zusammenführt, wird als „Tipping-Methode“ bezeichnet.

Eine praktische Spiritualität

Radikale Vergebung ist mehr als das Heilen alter, psychischer Wunden. Die Theorie und Praxis der Radikalen Vergebung ist eine Methode zur Verarbeitung der unterschiedlichsten Probleme, die uns in unserem täglichen Leben begegnen. Dies war die zündende Idee und die Inspiration zu diesem Buch, das Ihnen viele praktische Anwendungsmöglichkeiten der Radikalen Vergebung aufzeigt.

Ich bin der Überzeugung, dass spirituelle Ideen und Praktiken nur sinnvoll sind, wenn sie praktische Konsequenzen für unser alltägliches Leben haben. Sie müssen eine Brücke zwischen den Welten schlagen, damit das, was wir als Menschen in der Welt tun, eine spirituelle Bedeutung hat und nicht nur unserem Überleben und unserem Glück dient.

Eine andere Beobachtung, die wir beim Anwenden der Radikalen Vergebung gemacht haben, ist, dass die Idee zwar einfach zu verstehen und zu praktizieren ist, aber dass sie nur funktioniert, wenn man von den verfügbaren Hilfsmitteln Gebrauch macht. Auf den ersten Blick scheint es sich um einfache Arbeitsblätter und audiovisuelle Medien zu handeln, aber an ihnen führt tatsächlich kein Weg vorbei.

Der Grund dafür ist, dass unser rationaler Verstand immer Probleme mit der Radikalen Vergebung haben wird, weil die Idee zunächst wirklich fremdartig anmutet. Die Hilfsmittel zur Radikalen Vergebung – Arbeitsblätter, Audioaufzeichnungen und Online-programme – ermöglichen uns, unseren zweifelnden Verstand zu umgehen und stattdessen direkten Kontakt mit unserer spirituellen Intelligenz aufzunehmen. Noch sind wir uns der Fähigkeiten des Geistes nicht voll bewusst, aber unsere spirituelle Intelligenz wird trotzdem aktiviert, sobald wir mit diesen Hilfsmitteln arbeiten. Sie ist der Teil von uns, der uns mit der universalen Intelligenz verbindet. Sie ist der Teil von uns, der weiß, wer wir sind und warum wir hier sind. Dies ist der Grund, warum die Arbeitsblätter so wichtig sind, auch wenn der rationale Geist sie für Nonsens hält.

Radikale Vergebung beruht im Grunde auf einem „Tu so, als ob es klappt – bis es wirklich klappt“-System. Die Hilfsmittel versetzen uns in die Lage, so zu tun, als ob. Denn sie verlangen von uns lediglich die Bereitwilligkeit, uns für die Möglichkeit zu öffnen, dass die im neuen Paradigma enthaltenen Ideen richtig sein könnten. Dadurch wird der rationale Verstand vorläufig zufriedengestellt, und er kann seinen Widerstand aufgeben. Die höhere, spirituelle Intelligenz kann das Ruder übernehmen.

Dies ist einer der wesentlichen Züge der Radikalen Vergebung und der rote Faden, der sich durch dieses Buch zieht. Radikale Vergebung ist eine optimistische Form von Spiritualität, die uns von Vorurteilen, Vorwürfen, Ressentiments, Schuld und Angst befreit. Sie akzeptiert das seelische Bedürfnis, Erfahrungen zu machen, die unserer spirituellen Evolution dienen.

Wenn Sie Radikale Vergebung auf Ihre alltäglichen Herausforderungen anwenden, werden die Dinge sich von Grund auf zum Besseren wenden. Sie werden in der Lage sein, mit sehr viel mehr Gelassenheit und Akzeptanz durchs Leben zu gehen, mehr als je zuvor. Sie werden mehr Mitgefühl und Weisheit entwickeln. Ihre Beziehungen werden mehr Sinn haben und mehr zu unserer spirituellen Evolution beitragen. Sogar unsere Gesundheit kann sich verbessern, und wir haben mehr Energie zur Verfügung, in unserem Leben aus dem Vollen zu schöpfen.

Hier noch einmal in Kurzform die wesentlichen Merkmale der Radikalen Vergebung und der Tipping-Methode:

a) Es sind keine besonderen Fähigkeiten oder Vorkenntnisse erforderlich, um die Methode anzuwenden. Jeder kann sie nutzen, auch Skeptiker – sie funktioniert. Nicht einmal an die Grundidee – dass es keine Zufälle gibt, und dass unsere Seele unsere Lebensumstände zur Begünstigung unserer spirituellen Evolution ausgesucht hat – muss man glauben. Es ist lediglich die Bereitschaft erforderlich, für die Möglichkeit offen zu sein, dass die Methode funktionieren könnte.

b) Radikale Vergebung findet auf energetischer Ebene statt, außerhalb von Raum und Zeit. Auswirkungen sind unmittelbar. Die räumliche Entfernung spielt keine Rolle, wenn es um die Wirkung geht, die sie auf alle Beteiligten haben kann, ebenso wie auf die Situation, die zur Enttäuschung beigetragen hat.

c) Es gibt keinen Widerspruch zwischen unserem Bedürfnis zu verurteilen und unserem Wunsch zu vergeben, da aus spiritueller Sicht nichts Falsches passiert ist und es nichts zu vergeben gibt.

d) Radikale Vergebung befreit uns aus unserer Opferhaltung. Aus spiritueller Perspektive gibt es keine Opfer und keine Täter – nur Lehrer und Lernende.

e) Die Radikale Vergebung umfasst einen schrittweise aufgebauten, bewährten Prozess – auch als „Tipping-Methode“ bekannt –, der bei der herkömmlichen Vergebung fehlt. Diese Methode bietet Werkzeuge, mit denen jeder einen Prozess Radikaler Vergebung oder auch mehrere durchlaufen kann – jederzeit, überall und was auch immer der Grund sein mag.


Ich vergebe - Das Praxisbuch

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