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2. Kapitel


Der Minister, ein großgewachsener, schlanker älterer Mann mit kurzgeschorenem weißen Haar, saß hinter einem langen Tisch mit polierter Platte und studierte einen Computerausdruck. Die Papierfahnen raschelten leise in der Zugluft der Klimaanlage. Die Fingerspitzen seiner linken Hand schlugen einen schnellen, harten Wirbel. Dann legte er die Druckfahnen zur Seite und sagte seufzend: »Sie wollen damit andeuten, die Sache –« er sagte wirklich Sache, obwohl es sich um Menschenleben handelte, »– wäre gescheitert?«

Stryker nickte. Trotz seines hohen Ranges fühlte er sich unbehaglich. Jedesmal, wenn er die Räume des Innenministers im Weißen Haus betrat, trug er eine Hiobsbotschaft mit sich, fiel ihm ein.

»Wann haben Sie das letzte Mal von ihm gehört?«

»Vor vier Tagen, Herr Minister.«

»Versprachen Sie mir nicht, Ihren besten Mann mit dieser wichtigen Mission zu betrauen?«

General Stryker wich dem bohrenden Blick des Ministers nicht aus. »Brett Foss ist einer unserer besten Männer«, erwiderte er; er weigerte sich aus irgendeinem rational nicht zu erklärenden Grund, in der Vergangenheitsform von Foss zu sprechen, obwohl er im Grunde wusste, dass er das hätte tun müssen. »Wenn er schweigt, müssen wir davon ausgehen, dass er schwerwiegende Gründe hat.«

»So, so... schwerwiegende Gründe. Sie meinen damit sicher, dass er nicht mehr lebt. Richtig?«

Stryker sagte: »Darauf läuft es möglicherweise hinaus, Sir. Wir haben aber noch keine definitiven Beweise für diese Annahme.«

Der Innenminister starrte einen Moment ins Leere.

»War es klug, diesem... diesem Foss die Mission zu übertragen?«

Ungerührt ob der implizierten Kritik erwiderte der General: »Foss brachte jede nur denkbare Voraussetzung für eine solche Aufgabe mit. Seine bisherigen Erfolge ließen seinen Einsatz gerechtfertigt erscheinen.«

Wieder seufzte der Innenminister.

»Offensichtlich haben ihm diese Erfolge« – er betonte das Wort fast unmerklich – »diesmal wenig genützt. Sehe ich das falsch?«

»Nein, Herr Minister.«

Für einen Moment blieb das Schwirren eines Comp-Terminals in der Tiefe des Raumes das einzige Geräusch.

Strykers Miene blieb unbewegt. Momentan erlebte man eben eine jener Pechsträhnen, die sich manchmal einfach nicht vermeiden ließen.

Jetzt sagte er: »Ich stehe zu meiner Entscheidung, Sir.«

»Natürlich tun Sie das«, erwiderte der Innenminister und grinste sardonisch. »Würde ich auch tun, in Ihrer Lage...«

Eines der altmodischen Tastentelefone auf seinem auf Hochglanz polierten Schreibtisch aus unsäglich teurem Wurzelholz läutete. Er riss den Hörer ans Ohr, ohne den Blick vom General zu wenden. Seine Miene veränderte sich von einer Sekunde zur anderen.

»Ja... ja, Herr Vizepräsident. Ich habe verstanden. Doch, General Stryker ist hier bei mir... selbstverständlich. Ich komme gleich rüber.« Er legte wieder auf und wandte sich dem General zu.

»Unglücklicherweise müssen wir mit den Konsequenzen dieser – hmm – Entscheidung fertig werden«, fuhr er genau der Stelle fort, an der ihn der Telefonanruf unterbrochen hatte. »Konnte Foss wenigstens ein paar brauchbare Informationen liefern?«

»Seine letzte COMSAT-Nachricht besagte, dass er einer Spur nachging. Wohin diese führte...« Stryker hob die Schultern unter der steifen Uniform und ließ sie wieder sinken.

»War Foss denn gänzlich ohne jegliche Rückendeckung?«

»Er hatte einige Kontaktleute. Die Namen finden Sie in meinem Bericht. Kurier war allerdings Darren DeMile von der Botschaft der FSA in Bombay.«

»Aha. Hat man schon überlegt, DeMile abzusichern?«

»Natürlich. Das Außenministerium hat ihn zu einem Rapport nach New Washington bestellt. Damit schien gewährleistet, dass er unverfänglich ausfliegen konnte.«

Der Minister hob den Kopf. »Schien gewährleistet... ausfliegen konnte...? Sie sprechen in der Vergangenheitsform?«

Mit flacher Stimme erwiderte der General:

»Er fiel einem Shuttle-Unglück zum Opfer. Die Nachricht ging gestern um die ganze Welt.«

»Flug 222 etwa?« Im Minister schien etwas hörbar einzurasten. Mühsam beherrscht fuhr er fort: »Sie haben zu erkennen gegeben, General, dass wir wieder am Anfang unserer Bemühungen stehen. Das wird dem Präsidenten aber gar nicht gefallen. Etwas zu Ihrer Verteidigung zu sagen?« Er starrte den General direkt an.

Stryker zuckte erneut mit den Schultern.

»Wie Sie meinen.« Der Innenminister griff nach den Schriftstücken. Die Unterredung war beendet.

General Stryker stand auf und ging.

An der mit rotem Leder bezogenen Tür erreichte ihn die scharfe Stimme des schlanken, grauhaarigen Mannes.

»General! Noch einmal ein derartiges Desaster, und ich überlege mir ernsthaft, ob ich dem Komitee nicht vorschlagen soll, Ihre Sondereinheit aufzulösen. Klar?«

»Ich verstehe, Sir«, murmelte Stryker.

Er konnte seinen Zorn nicht einmal an der Tür auslassen. Sie hatte einen automatischen Schließer und ließ sich nicht zuknallen.

*


C. H. Stryker marschierte ans Ende seines Schreibtisches, blieb stehen, machte einen Hundertachtzig-Grad-Schwenk und marschierte zurück zum anderen Ende. Dabei blieb sein Blick unablässig auf Richard Sheehy gerichtet; der Oberst stand in Habacht vor dem Schreibtisch des Generals.

Draußen vor den großen Fenstern war New Washington in gleißendes Sonnenlicht getaucht. Die Temperatur lag bei gut siebenundzwanzig Grad, und da nahezu völlige Windstille herrschte, war es schwül und stickig in der Hauptstadt der FSA.

Im vierundzwanzigsten Stockwerk des MILCOM-Hauptquartiers war die Atmosphäre allerdings um erhebliche Grade niedriger. Tatsächlich war sie frostig.

Und das lag nicht an der Klimaanlage.

»Stehen Sie bequem, Sheehy.«

Dreisternegeneral C. E. Stryker – das »C« stand für »Cyril«, das »E« für »Eugene« – war hinter seinem mächtigen Formsessel zum Stehen gekommen und stützte sich auf dessen Lehne ab. Sein Gesicht spiegelte seine Laune wider, die man nur als mörderisch bezeichnen konnte. Die Unterredung mit dem Minister des Inneren lag noch nicht lange zurück.

Dann zeigte er auf einen Sessel vor seinem Schreibtisch.

»Setzen Sie sich, Oberst!«

»Danke, Sir!«

Richard Sheehy ließ sich auf dem Besuchersessel nieder.

Stryker setzte sich ebenfalls, sah seinen Gegenüber herausfordernd an. Sein hageres Pferdegesicht wirkte auffallend verdrossen.

»Man hat Foss gefunden«, sagte Sheehy.

Sekunden vergingen, ohne dass ein Wort gesprochen wurde.

Der General starrte mit zusammengekniffenen Lippen auf ein Dossier in einer Klarsichthülle. Als er endlich den Mund aufmachte, klang seine Stimme mürrisch, fast schroff.

»Berichten Sie!«

Sheehy machte eine vage Geste. »Foss ist tot!«

»Tot, sagen Sie?«

»Tot!«, echote der Oberst. Er räusperte sich nervös, um dann fortzufahren: »Indische Fischer haben seine Leiche vor achtundvierzig Stunden in der Nähe ihres Dorfes aus dem Fluss Dschilam gezogen.«

»Wo?«

»Schrinagar, Kaschmir«, präzisierte Sheehy.

Eine Falte erschien über Strykers Nasenwurzel.

»Wie?«

»Genick gebrochen. Die dortigen Polizeiorgane haben den Fall unter die Lupe genommen und sind zu dem Schluss gekommen, es sei ein Unfall gewesen. Man nimmt an, jemand habe ihn angefahren und in den Fluss geschleudert.«

»Und?«

»Was, und?«

»War es das? Ein Unfall?«

»Es sind ein paar Spuren gefunden worden, die diese Annahme bestätigen könnten. Ich betone ausdrücklich ›könnten‹! Sie wissen ja selbst, Sir, wie so was gehandhabt wird. Außerdem haben wir definitiv Kenntnis davon« – er sagte nicht, wie er zu dieser Erkenntnis gelangt war – »dass eine Pathologin im dortigen MedLab bei der Obduktion Spuren gefunden hat, die auf eine vorsätzliche Tötung hinwiesen.«

»Spuren welcher Art?«

»Reste starker Halluzinogene.«

»Wahrheitsdrogen?«

»Anzunehmen.«

»Hat er was ausgeplaudert? Was meinen Sie?«

Sheehy hob die Schultern und ließ sie wieder fallen.

Stryker räusperte sich.

»Ich habe Informationen bekommen, wonach in den letzten acht Wochen rund um den Globus neun im Untergrund am Projekt Exodus arbeitende Agenten liquidiert wurden. Was besonders beunruhigend daran ist, die getöteten Agenten waren in einer Datenbank des Pentagon erfasst. Ich wüsste wirklich zu gern, was da geschehen ist.« Er sah Sheehy hart an. »Eine Idee, weshalb es dazu kommen konnte?« Der Sarkasmus des Generals war nicht zu überhören.

Sheehy beugte sich vor. »Schwer zu sagen, was da wirklich vorgefallen ist«, sagte er.

Als Leitender Direktor von SY.N.D.I.C. verfügte er zweifellos über das profundere Wissen als der General. Und wenn er sagte, dass er nicht wüsste, was sich da abgespielt hatte, konnte man davon ausgehen, dass er gründlichst recherchiert hatte.

»Richard«, sagte Stryker ungehalten, »ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?«

»Leider ja. Alles deutet darauf hin, dass irgendjemand Zugriff auf die Datenbanken hier im HQ genommen hat. Vielleicht handelt es sich sogar um jemanden, dem wir seit Jahren vertrauen und...« Er verstummte verbittert, in seinem Gesicht arbeitete es.

»Keine Idee, wo sich das Leck befinden könnte?«, fragte Stryker. Der Oberst starrte unglücklich auf seine Fingerspitzen.

»Sorry, General«, bedauerte er. »Leider nein. Obwohl eine Reihe von Techs darauf angesetzt sind, gibt es noch keine gesicherten Ergebnisse. Aber wir arbeiten daran.«

»Wie schön«, schnarrte der General, »dass überhaupt jemand daran arbeitet! – Wo hat man die Leiche von Foss hingeschafft?«

»Man bewahrt sie noch immer in der Pathologie auf. Sie wird solange dort bleiben, bis WNN die Frage der Überführung geklärt hat...«

»WNN?«

Sheehy erklärte: »Foss' Legende war die eines Korrespondenten der WORLD NET NEWS Toronto...«

»Ah, ja«, nickte der General. »Es ist Ihnen doch klar, dass Sie jemand anderen schicken müssen.«

Grimm stieg in Sheehy auf, aber er ließ sich nichts anmerken.

Er räusperte sich erneut.

»Natürlich, Sir«, erwiderte er mit einem spröden Ton in der Stimme, der ein wenig von seiner aufgestauten Ungeduld über diese Unterredung verriet. »Haben Sie vielleicht einen Vorschlag?«

Wenn der General Sheehys Sarkasmus überhaupt wahrnahm, so ging er jedenfalls darüber hinweg. »Lassen Sie sich was einfallen!« Er schlug die flache Hand auf den Tisch, dass Sheehy schon befürchtete, die Holographieprojektoren würde zum Teufel gehen. »Sie sind doch der Experte für sowas, gottverdammt noch mal!«

Das InternKom auf seinem Schreibtisch brachte sich nachhaltig in Erinnerung und unterbrach ihn.

»Aktivieren!«, schnaubte Stryker.

Der Holoschirm entfaltete sich in bequemer Augenhöhe. Eine weibliche Ordonnanz – eine von vielen aus dem Labyrinth seiner Vorzimmer – blickte ihn an.

»Sir! Die Besprechung der Gruppenleiter des Generalstabs beginnt in vier Minuten.«

»Danke. Bin gleich drüben.«

Stryker deaktivierte das Holo.

»Das war's für heute, Oberst«, sagte er. »Wie gesagt: Sie sollten sich ganz, ganz rasch etwas einfallen lassen. Ich höre mir alles an. Selbst wenn es noch so verrückt ist. Und soll ich Ihnen etwas sagen, Richard? Ich bin überzeugt, dass Sie jemanden für die Aufgabe finden werden. Reaktivieren Sie doch einfach jemanden vom ehemaligen Blackwatch-Regiment.«

Er erhob sich, und deutete damit an, dass die Besprechung beendet war.

»Aber Sir! Die Ultra Force-Einheiten sind nach den Ölkriegen aufgelöst worden«, erinnerte ihn Sheehy, der ebenfalls aufgestanden war und seinen Sessel mit den Kniekehlen zurückschob. »Auf Befehl des Kriegsministeriums, wie Sie sehr gut wissen. Viele Mitglieder sind tot. Viele landeten in den Psychiatrien. Und in den Straflagern versucht man, den Rest zu resozialisieren.«

»Na und? Durchforsten Sie die Datenbanken nach geeigneten Kandidaten! Es wird doch in dem ganzen verkorksten Haufen wohl jemanden geben, der seine fünf Sinne noch einigermaßen beisammen hat und nicht lange fackelt, wenn man ihm in die Quere kommt. Denken Sie immer daran: Projekt Exodus hat absolute Priorität!«

Sechs utopische Thriller

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