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4. Kapitel

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Sie kamen früher als erwartet.

Mitten in der Nacht.

Conroy war bereits hellwach, als die Geräusche lauter wurden und näherkamen. Er konnte die Schritte von zwei Männern unterscheiden. Auf dem von der Notbeleuchtung diffus erhellten Katzensteg vor den Käfigen waren Stimmen zu hören. Klappern von Stiefeln auf geriffeltem Stahlblech, Klirren von Waffen. Ein Flüstern und Raunen erhob sich. Dann ein zuckender Aufruhr hastiger Bewegungen, als die Häftlinge links und rechts in den Käfigen sich herumwarfen und nach draußen starrten, um zu sehen, was vor sich ging.

Die Schritte verklangen vor seiner Zellentür.

Er blinzelte, als ihn der grelle Lichtkreis einer Lampe traf.

Das elektronische Schloss seiner Käfigtür entriegelte sich mit einem vernehmlichen Klacken. Ein Wärter trat ein, der andere blieb draußen vor der Tür. Da er seine Hände verdächtig nahe an der Waffe hatte, hütete sich Conroy, eine Bewegung zu machen, die der Mann als Widerstand oder gar tätlichen Angriff hätte interpretieren können.

»Könnt ihr einen nicht mal in der Nacht in Ruhe lassen?«, knurrte er.

Wortlos kam der Wärter näher.

Er war kaum kleiner als Conroy, aber in seiner Carbon-Kevlar-Panzerung wirkte er ungemein massig. Ein Panzer auf zwei Beinen. Eine Hand wie der Greifer eines Ladedroiden packte Conroy am Oberarm, riss ihn unsanft hoch und stellte ihn auf die Füße.

»Mitkommen!«, knurrte er mit Nachdruck.

Conroy konnte die Gewalt förmlich riechen, die der Kerl ausdünstete wie einen strengen Körpergeruch.

»Na gut!«, spottete er ätzend. »Wir machen also eine kleine Besichtigungstour durch die Anstalt. Einmal um den Park, Henry, und dann bringen Sie mich bitte wieder in mein Domizil.«

»Maul halten, Arschloch!«

Der Gepanzerte schnaubte verächtlich und versetzte ihm einen Stoß. Conroy flog durch die Zellentür, landete in den Armen des anderen, der draußen wartete und ihn mit einem angewiderten Grunzen zurückstieß. Ein Kolbenhieb zwischen die Schulterblätter drosch ihn gegen die Gitterstäbe; Conroy fing den Aufprall mit hochgerissenen Unterarmen ab und warf sich keuchend herum. Als er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, wurde er angeblafft: »Vorwärts jetzt. Besser für dich, keinen Widerstand zu leisten, sonst sähen wir uns gezwungen, unsererseits ein wenig gemein zu werden.«

Conroy glaubte ihm das unbesehen, die Sache mit dem Gemeinwerden. Trotzdem höhnte er: »Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ihr mich nicht leiden könnt.«

Der Stämmige knurrte: »Willste schon wieder Ärger machen, Klugscheißer?« Die Mündung der kurzläufigen Automatik in seinen Pranken zeigte wie unbeabsichtigt auf Conroy.

Der starrte ihn an. Dann schüttelte er den Kopf.

»Nein, ich mache keinen Ärger«, sagte er. »Aber wenn, würde ich's dir nicht auf die Nase binden.«

»Dann komm endlich in die Hufe!«, wiederholte der zweite, nun schon etwas nachdrücklicher, und er forderte ihn mit einer unmissverständlichen Handbewegung auf, sich in Bewegung zu setzen. Die beiden traten auseinander und ließen Raum für ihn. Conroy ging mit langsamen Schritten los. Seine Wärter waren direkt hinter ihm.

Conroy war mit den baulichen Gegebenheiten von STRALAG-2 halbwegs vertraut. Halbwegs deshalb, weil das wahre Ausmaß der Anlage mit ihren effizienten Schutzmechanismen, ihren Sprengfallen, toten Korridoren und den hochwirksamen Energiefeldern keinem Außenstehenden wirklich geläufig war. Außenstehende waren in diesem Fall nun mal alle, die nicht unmittelbar im STRALAG arbeiteten oder zur Führungsspitze der lunaren Strafvollzugsanstalt gezählt werden durften.

Das Hochsicherheitsgefängnis der FSA war ein ehemals eishaltiges Gesteinsflöz, das im Tagebauverfahren ausgebeutet worden war. Die Narbe, die davon zurückblieb, bildete eine mehrere hundert Meter lange und hundertsechzig Meter tiefe Schlucht, die sich leicht nach unten verengte.

Man zog eine Decke aus einer Carbon-Leichtstahl-Legierung, wie sie im Raumschiffsbau zur Anwendung kam, über die Schlucht und häufte Mondgeröll darauf. Die Wände wurden geglättet, Versorgungsstollen angelegt und die nötigen sanitären Einrichtungen installiert. Dann wurden die Käfigreihen übereinander an die Schluchtwände gehängt und die einzelnen Ebenen durch Entstofflichungsfelder voneinander getrennt. Auf der Mondoberfläche wies lediglich ein kleiner Raumhafen und eine 120 Meter durchmessende Kuppel von 60 Metern Höhe auf seine Lage hin. Unter dem Dom lagen die technischen Einrichtungen zur Lebenserhaltung, die Energiemeiler für die wirkungsvollen Schutzmechanismen, die Fahrzeughangars sowie die Unterkünfte der Wärter. Ein zentraler, strengstens gesicherter Versorgungs- und Liftschacht führte an der nördlichen Stirnseite von der Kuppel bis hinab auf die Sohle der Schlucht. Er verband die mit Stahlschotts und High-Tech-Sperren gesicherten Zugänge zu den Zellenebenen. Es hieß, noch nie wäre jemandem die Flucht aus STRALAG-2 gelungen.

Die Wärter nahmen einen Weg durch den Zellentrakt, der direkt zum zentralen Versorgungsschacht führte. Keine Menschenseele begegnete ihnen. Nur hin und wieder ertönte der gespenstische Widerhall von Stimmen, als kämen sie geradewegs aus der tiefsten Hölle. Ein unheimliches Requiem für all die Verdammten, die hier unten schon verreckt waren.

Die Korridore wurden breiter.

Öffnungen taten sich auf, hinter denen tiefe Dunkelheit klaffte.

Nach etwa einer Viertelstunde traten sie auf eine Galerie hinaus, die den Hauptschacht kreisförmig umschloss, und wandten sich nach rechts zur Liftanlage.

»Stopp!«

Einer der Männer tippte einen Zugangskode ein. Vor ihnen öffneten sich die großen Schiebetüren des Aufzugs.

»Rein mit dir, Großkotz!« Der MPler hatte eindeutig eine Aversion gegen alle militärischen Ränge, die über seinem eigenen lagen.

Der Lastenaufzug war groß genug, ein Fahrzeug zu befördern. Die Kabine wurde von einer flackernden, zischenden Xenonröhre erhellt. Sie erzeugte ein stroboskopisches Licht, das Conroy veranlasste, unwillkürlich mit den Augen zu zwinkern.

Die Türen glitten zu.

Eine Hand bewegte sich vor der Sensorplatte, und der Lift setzte sich in Bewegung.

Conroy murmelte: »›Immerhin‹, sagte der Frosch im Storchenschnabel, ›es geht nach oben‹.«

Die Männer blieben stumm. Musterten ihn nur. Mit Blicken, als sei er ein besonders ekliges Exemplar von Mondschabe, das sie jeden Moment unter ihre Stiefelabsätzen zu zertreten gedachten.

Conroy zuckte mit den Schultern und schwieg ebenfalls, während der Lift nach oben glitt.

Die Fahrt dauerte nicht lange. Als die Kabinentür wieder aufglitt, blickte Conroy in eine Halle hinaus, die als Hangar diente. Auf Rampen und in Boxen waren massiv gepanzerte Fahrzeuge zu sehen. Dazwischen ein paar Mondrover, die mit ihren Druckkabinen aufgeblasenen Ochsenfröschen mit Ballonrädern glichen.

»Raus!«

Conroy bekam einen Stoß in den Rücken.

»Du gehst zwischen uns!« Sie nahmen ihn in die Mitte, einer vor ihm, einer hinter ihm. »Mach voran!«

Während sie quer durch die Halle der anderen Seite der Kaverne zustrebten, hatte Conroy Grund, sich massiv zu wundern. Die beiden mochten ausgebildete Spezialisten sein, aber sie handelten nicht wie solche. Sonst hätten sie nie diese nachlässige und unter Umständen lebensgefährliche Art der Eskorte gewählt.

Wenn er es darauf anlegte, könnte er sie überwältigte.

Leicht.

Ich hätte zwei Möglichkeiten, es ihnen zu zeigen, dachte Conroy. Ich könnte den hinteren auflaufen lassen und als Deckung gegen den vorderen benutzen.

Oder umgekehrt!

Der vor ihm gehende Wärter trug neben seiner üblichen Automatik eine Handwaffe im Holster. Ein normales Schnellziehholster mit einer Diebstahlsicherung, die es jedem normalen Menschen erschwerte, ihm die Waffe zu entwenden. Für Conroys antrainierte Reflexe war das kein Hindernis. Anders sähe die Sache aus, wenn es sich um eine Handsiegel-Waffe handeln würde, dann hätte er keine Chance. Trotzdem, so erkannte er glasklar, würde es mehrere Bewegungsabläufe bedeuten, sie ihm zu entwenden und in die Hand zu bekommen. Blieb nur die Automatik. Der Wächter hinter ihm hielt seine, so gewann Conroy den Eindruck, sträflich nachlässig in der Hand; eine Otoschi-Steyer .II für den Nahkampf. Nichts für ein Gefecht im offenen Gelände, da sie erstens nicht weit genug trug und zweitens ab einer gewissen Entfernung streute wie eine Pfefferbüchse oder die Düse einer Sprinkleranlage. Aber die richtige Waffe innerhalb von Gebäuden und Einrichtungen – oder gegen Gefangenenrebellionen. Das Magazin fasste zweihundert Schuss 5,6-Millimeter-Weichmantelgeschosse. Eine Salve von fünf Kugeln, mit Hochgeschwindigkeit abgefeuert, zerriss jeden Gegner. Sie explodierten beim Aufprall, wurden breiter und entfesselten ihre ganze kinetische Energie im Körper, ohne diesen jedoch zu durchschlagen.

Es sah vielversprechend aus.

Sollte er es tun?

Natürlich!

Es schien ihm höchste Zeit, herauszufinden, welches Spiel hier ablief. Inzwischen war Conroy immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass alles, was ihm während der vergangenen vierundzwanzig Stunden widerfahren war, einem Schema folgte. Und wenn es das war, was er vermutete, dann würde man sich hüten, ihn zu erschießen.

Ansatzlos und für seine Wächter nicht vorhersehbar drehte er sich halb um seine Achse. Sein Fuß zuckte hoch, traf das Kniegelenk des hinter ihm gehenden Wärters. Der Getroffene stöhnte auf – es hörte sich seltsam hohl an in der Halle – aber anstatt abzudrücken, versuchte er nur, seine Waffe in Sicherheit zu bringen. Während Morton dies mit einer merkwürdigen Befriedigung registrierte, hatte er bereits das Handgelenk des Mannes gepackt und ihm mit der anderen Hand die Waffe entrissen. Er wirbelte sie hoch und rammte dem Kerl die Mündung unters Kinn, genau an der Schwachstelle zwischen Brustpanzerung und Helmkragen. Der MPler versteifte sich, erstarrte zur Reglosigkeit. Conroy sah Schweißperlen über sein Gesicht rinnen; in der Schwärze hinter seinen Pupillen erschien so etwas wie pure, beschissene Angst.

Dann hörte Conroy hinter sich ein glucksendes Lachen.

Er tat ihnen den Gefallen, fuhr herum – und blickte genau in die Mündungen der Vierlingsautomatik des Wächterrobots, der wie eine überdimensionale Spinne unbemerkt von der Hallendecke gefallen war und nun auf seinem Magnetfeldpolster über ihren Köpfen schwebte. Die Laserzielerfassung war aktiviert. Als Morton an sich heruntersah, entdeckte er das rote Zielkreuz, das wie die abgespeckte Version eines Kruzifixes für Obdachlose auf seiner Brust leuchtete.

»Waffe runter«, zischte der zweite Wächter.

Einen Augenblick war Morton versucht, es hinauszuzögern, um herauszufinden, wie weit sie gehen würden. Aber die Präsenz des Wächter-Bots war ein zu großer Unsicherheitsfaktor.

Er ließ die Waffe sinken. Trat einen Schritt zurück.

Pfeifend entwich die angehaltene Luft aus den Lungen des Wächters. Er schluckte, streckte die Hand aus.

»Gib die Kanone her!«

Conroy händigte ihm die Steyer .II mit einem schwachen Grinsen aus. »War einen Versuch wert«, sagte er mit einem Achselzucken. Der Wärter baute sich vor ihm auf. Unter dem hochgeklappten Helmvisier starrte ihn Augen voller Wut an; die buschigen Augenbrauen wuchsen über der Nasenwurzel zusammen. Dann schlug er ihn mit der flachen, in einem Gliederhandschuh steckenden Hand ins Gesicht.

Der Hieb drosch Conroys Kopf in den Nacken; er ignorierte den Schmerz, sah den Mann nur ausdruckslos an.

»Weh getan?«, fragte sein Peiniger mit falscher Freundlichkeit.

Morton kniff die Augen zusammen, spürte salzigen Blutgeschmack auf der Zunge. Er machte Anstalten, etwas zu erwidern. Aus den Augenwinkeln sah er den anderen warnend den Kopf schütteln. Es war eine Geste, die Conroy nicht erwartet hatte, weshalb er schon allein aus Überraschung darüber schwieg.

Der vor ihm Stehende knallte ihm noch einmal die flache Hand ins Gesicht. Conroy hätte den gnadenlos hart geführten Schlag abwehren können. Er tat es nicht. Ließ den brennenden Schmerz gewähren, der in seinem Gesicht explodierte.

»Na, wie fühlt man sich, wenn man so etwas einstecken muss, du Flasche?«, kam erneut die hämische Stimme.

Conroy schwieg auch dazu. Er kannte die Merkmale. Der Clown vor ihm hatte noch mit seiner Niederlage zu kämpfen und durfte jetzt um keinen Preis noch weiter gereizt werden.

»Was ist denn los? Hast du gar nichts zu sagen, Klugscheißer?«

Er hob erneut die Hand, schlug wieder zu. Doch diesmal erreichte der Schlag sein Ziel nicht. Conroy fand, dass es genug war, wich in einem blitzartig schnellen Reflex aus. Und der Hieb fuhr ins Leere.

Der Militärpolizist stolperte fast.

Conroy verkniff sich das Grinsen; ihm reichte der hämische Ausdruck auf dem Gesicht des zweiten vollauf.

Zorn flammte in den Augen des Schlägers auf wie die Glutpunkte einer brennenden Zigarette.

»Das war ein Fehler«, knurrte er wutentbrannt und schüttelte strafend den Kopf. »Vielleicht sollte ich dich der Einfachheit halber wegen Fluchtversuchs abknallen, was?«

»Genug!«, rief der andere. »Schluss jetzt!«

Sein Partner wirbelte herum und fauchte ihn an: »Wer sagt, dass es genug ist?«

»Ich. Und ich führe hier das Kommando, falls du das vergessen haben solltest. Wir haben nun mal unsere Anweisungen. Reiß dich am Riemen, oder du hast ein echtes Problem, Mann.«

Sie maßen sich mit Blicken.

Sekundenlang.

Dann gab der andere klein bei.

»Schon gut – schon gut. Aber ich wüsste genau, was ich mit diesem Bastard anfangen würde...«

Er starrte einen Moment überlegend seine Waffe an. Dann knurrte er: »Los, liefern wir den Hundesohn ab.« Er stieß Conroy vorwärts hinein in die Halle.

»Beweg' die Hufe, Mann! Man wartet bereits sehnsüchtig auf dich.«

Sie durchquerten den Hangar in Richtung auf die Röhren eines weiteren Turbolifts.

Während Conroy zwischen den beiden Wachhunden zum Lift ging, überlegte er angestrengt, was wohl hinter den »Anweisungen« stecken mochte. Hoffentlich nicht das, was er befürchtete: seine endgültige Verurteilung.

Sie erreichten den Lift, ehe er den Gedanken zu Ende verfolgen konnte und fuhren weiter hinauf.

Es war wie der Schritt in eine andere Welt, als sich diesmal die Lifttüren vor ihm und seinen Bewachern öffneten. Nur dass Conroy diese Welt ebensowenig zusagte wie die, welche er vor wenigen Minuten verlassen hatte. Vor ihm lag ein großer, hell erleuchteter Raum, der aussah wie die Hightech-Zentrale eines Softwarekonzerns. Er war mit Reihen halbrunder, abgeschrägter Systemkonsolen und unzähligen kleinen und großen Monitoren ausgestattet und hätte genauso gut in einer der Megastädte auf der Erde stehen können. Überall flimmerte und blinkte es. In dem Tohuwabohu von Rechnern, Bildgebern und Arbeitstischen wirkten die uniformierten Techs der Gefängnisverwaltung irgendwie verloren. Dominiert wurde der Raum jedoch von einer etwas erhöht angebrachten, kreisförmigen Plattform in der ungefähren Mitte, zu der eine flache Stufe hinaufführte. In der Mitte der Plattform ein drehbarer, schwerer Gliedersessel, von dem aus man einen Rundumblick auf sämtliche Überwachungseinheiten hatte. Im Augenblick war er unbesetzt.

Weiter im Hintergrund der Überwachungszentrale, von einer Wand aus zentimeterdickem, transparentem Plastik vom Monitorraum getrennt, ein weiteres Büro.

Zwei Personen waren darin zu erkennen.

Ein Leutnant näherte sich ihnen, die Waffe hatte er lässig geschultert. Er winkte ab, als Mortons Wachhunde eine Meldung machen wollten, drehte sich schweigend um und ging quer durch den Saal auf das Büro zu. Conroy fühlte die schwere Hand eines Wärters auf der Schulter, die ihn in die gleiche Richtung schubste.

Der Leutnant klopfte an, wartete einen Augenblick und betrat dann mit seiner Eskorte den Raum.

Der STRALAG-Direktor mit den Insignien eines Hauptmanns an den Kragenspiegeln saß hinter seinem Schreibtisch und betrachtete ein paar Datenfolien. Sein Bild wurde von der spiegelnden Oberfläche des Holotech-Tisches zurückgeworfen, auf dem die Benutzer-Interfaces für manuelle Abfragen deaktiviert waren.

Der auf der anderen Seite des Schreibtisches sitzende Mann drehte sich beim Näherkommen herum und betrachtete die Neuankömmlinge, aber sein Interesse galt einzig und allein Conroy.

»Hallo, Conroy«, sagte er schließlich, »wie fühlen Sie sich?«

»Mir geht es gut, Major«, versicherte Conroy und versuchte, sein Erstaunen, das in ihm hochschoss wie eine heiße Woge, nicht nach außen dringen zu lassen. Er stieß ein freudloses Lachen aus. »Wie Sie sehen, bin ich noch am Leben.«

Santana gab einen knurrenden Laut von sich.

»Haben Sie...« Er suchte offensichtlich nach Worten.

»Ob ich psychische oder physische Schäden davongetragen habe, möchten Sie wissen?« Conroy schüttelte den Kopf. »Bis auf die paar unbedeutenden Blessuren, die ich mir den vergangenen vierundzwanzig Stunden einfing – einfangen sollte? – nein!«

Der Gefängnisdirektor ließ mit einem unwilligen Laut die Datenfolien sinken. Sein Gesicht nahm einen ärgerlichen Ausdruck an. Er öffnete den Mund, aber eine winzige Handbewegung des Majors ließ ihn verstummen.

Angus Santana furchte eine Sekunde lang irritiert die Stirn, dann lehnte er sich in seinem Sitz zurück. »Ich glaube, Sie sollten sich besser setzen«, sagte er knapp. »Und Sie, Hauptmann Devore«, wandte er sich an den Direktor, »lassen uns bitte allein. Vergessen Sie nicht beim Hinausgehen, die Wachen mitzunehmen.«

Als sie allein waren, geschah für Minuten nichts.

Das gab Conroy Gelegenheit, ein paar Gedanken an den Major zu verwenden.

Santana hatte sich kaum verändert. Noch immer das gleiche, harmlos wirkende Schuljungengesicht. Doch das war Maskerade, wie Morton aus Erfahrung wusste. Eine Maske, die vor allem dazu diente, Gegner von seinen wahren Absichten abzulenken. Das war schon damals so, als er und Morton sich auf den tristen Schulhöfen diverser Militärstandorte mit anderen prügelten, wie auch später auf der Militärakademie Camp Lejeune als grüne Leutnants. Jetzt trug er die Insignien eines Majors. Hatte inzwischen Karriere gemacht. Und besaß noch immer den gleichen Gesichtsausdruck.

»Freut mich, dich zu sehen«, sagte er jetzt und bedachte Morton mit einem forschenden Blick. Dann reichte er seine Hand über den Tisch. »Du siehst besser aus, als ich dachte.«

Morton Conroy lächelte trübe, die vertrauliche Anrede widerspruchslos akzeptierend. »Was hast du erwartet? Einen Leichnam?«

Santana sagte: »Davon wüsste ich, nein. Aber...«

Morton wartete auf das, was nach dem »Aber« kommen musste. Doch er wurde enttäuscht.

Eine neue Erfahrung.

Angus Santana sagte plötzlich ohne Übergang: »Wir haben einen Job zu vergeben, Morton!«

Der abrupte Themenwechsel verwirrte Conroy zunächst. Dann begriff er, was Santana da gesagt hatte, begriff, dass da eine Chance war, dem Leben hinter Gittern zu entkommen.

»Wir?«, dehnte er.

»Wir!«, bekräftigte der Major.

»Wer ist ›wir‹? Was soll das heißen?«

»Frag mich nicht, was sich dahinter verbirgt. Noch nicht. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich dir keine verbindliche Auskunft geben. Solltest du allerdings dem zustimmen, was wir dir vorzuschlagen haben, wirst du umfassend informiert und bekommst Einblick in sämtliche Interna. Darauf hast du mein Wort! Und...« er beugte sich vor und fixierte Conroy eindringlich, »... du bist ab dem Moment ein freier Mann, an dem du akzeptierst. Sag ja, und wir fliegen noch heute zur Erde.«

»Du könntest das arrangieren? Hättest wirklich die Macht dazu?«

Santana zuckte die Schultern und bestätigte: »Ja. Meine Vollmachten sind recht weitreichend, um es einmal so zu formulieren.«

»Warum machst du das?«

»Wir suchen Leute wie dich. Wir brauchen Männer, für die ein Wort ein Wort ist, die noch schätzen können, was ein Eid ist und die ein Versprechen zu würdigen wissen.«

Conroy sah ihn mit hochgezogenen Brauen an.

Schweigend, mit einem ironischen Zug um den sensiblen Mund.

Schließlich sagte er: »Okay, Angus. Jetzt habe ich alles gehört, was du so normalerweise als Moraloffizier von dir gibst. Du vergisst, mein Lieber, dass ich die gleiche psychologische Scheiße über mich ergehen lassen musste, als ich ins Blackwatch-Regiment eingetreten bin. Ich will jetzt die Wahrheit von dir hören!«

»Okay!« Angus Santana tat zerknirscht. »Sagen wir um der alten Zeiten willen.«

Conroy sah ihn lange an. Hinter seiner Stirn arbeitete es. Alles ging so schnell; es war wie schwarzes Loch, das sich plötzlich vor ihm öffnete, ihn in seinen mahlenden Strudel hineinzog, um ihn dann – wo? – wieder auszuspeien. Andererseits: Was immer man ihm anbot, nichts konnte so schlimm sein, wie im STRALAG-2 auf das endgültige Urteil zu warten und dabei langsam zu verrotten. Die Militärgerichtsbarkeit war nach dem Tohuwabohu, das die Kriege hinterlassen hatten, völlig überfordert und ständig überlastet.

»Nun?«, brachte sich Santana wieder in Erinnerung. Sein Gesicht hatte jenen Ausdruck, den auch Luzifer gehabt haben musste, als er auf der Spitze eines Berges vor ein paar tausend Jahren jemanden überreden wollte, sich auf seine Seite zu schlagen.

Doch das war eine andere Zeit, eine andere Geschichte.

Und wer war er schon, durchfuhr es Conroy, dass er ein solches Angebot ablehnen konnte?

Außerdem: Hatte er seine Entscheidung ohnehin nicht schon längst getroffen?

»Okay«, sagte er schließlich, »ich nehme den Job an.«

Sechs utopische Thriller

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