Читать книгу Du - Cora Brand - Страница 11

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Der Knall meiner Reisetasche beim Aufprall auf den Granitboden pflanzt sich wie ein Donnerschlag fort. Die sonst so vertrauten Möbelstücke erscheinen mir wie fremdartige, feindliche Körper. Stumm starren sie mich an.

Auf dem Esstisch ruht der Inhalt des Briefkastens von schätzungsweise drei Tagen. Der Anrufbeantworter blinkt. Ich ignoriere beides und lege mich für ein Nickerchen auf das Sofa.

Das Abendrot wird durch die Schlitze der Rollos gefächert und fällt in orangefarbenen Streifen auf den hellen Teppich.

Es tut unendlich gut, die Augen zu schließen und den prasselnden Regentropfen zu lauschen. Allmählich entfernen sie sich, und hinter meinen Lidern werden böse Bilder lebendig.

»Bleib hiiier!« So schnell ich kann, renne ich mit meinen kurzen Beinen meiner Mutter hinterher, die mit wehenden Haaren auf ihrem Areion davongaloppiert. Sie einzuholen, ist aussichtslos. Ihre Haare wehen im Wind. Sie lässt die Zügel los und winkt mir zu. Dann ist sie weg. Und ich starre in den Abgrund, der unter mir aufklafft. Während ich falle, schreie ich.

Mit rudernden Armen lande ich auf dem Boden und vernehme wie durch Watte gedämpft einen Knall. Es folgen Schritte, die direkt vor mir verstummen. Es ist Fred. Er wirkt wie ein Riese.

»Yasa, auf dem Sofa würde ich auch Albträume bekommen. War’s schön in Belgien?« Offenbar erwartet er keine Antwort, denn er dreht sich gleich wieder um und läuft davon.

Ich blinzle ins Halbdunkel und lausche dem Wind, der um das Haus pfeift. Kann es mir nicht einfach mal gut gehen, wie jedem anderen normalen Menschen auch? Ich rapple mich hoch und beschließe, mich mit einem Gläschen Burgunder auf der Terrasse zu trösten.

In meinem Schaukelstuhl, eingemummelt in meine Lieblingsdecke aus Yakwolle, blicke ich auf zum Himmel und nehme einen kräftigen Schluck.

Es ist derselbe Himmel wie heute Morgen, nur jetzt ist er rabenschwarz und sternenlos.

Sternenlos … wie hoffnungslos?


Hardy hat den Zeigefinger an seine Wange gelegt und betrachtet wie ein Intellektueller die glatt polierte Skulptur aus Feigenholz.

»Fasziniert dich das?«

»Ah, da bist du ja wieder. Komm mit.« Er zieht mich an der Hand zwischen den Besuchern hindurch Richtung Rosa Salon.

An der Steinskulptur ›Irdischer Stern‹ weigere ich mich weiterzugehen. »Hardy, es gibt ein schlimmes Problem.«

Wie eingefroren bleibt er stehen und präsentiert mir seinen Was-ist-denn-schon-wieder-Gesichtsausdruck.

»Ich will ja nicht quengeln, aber ich brauche noch ein Glas Sekt. Auch die Münchner wissen, was gut ist.«

Hardy schaut auf den Zeigefinger, den ich in die Höhe strecke und ich sage: »Nicht weglaufen. Bin gleich wieder da.«

An der Bar warte ich hinter einem untersetzten Kerlchen mit Hornbrille und Glatze und einer brillantdekorierten Dame, die trotz ihres Sumoringer-Gewichts ein hautenges Kleid trägt. Der Barhäuptige erklärt ihr in bayrischem Dialekt, warum der Künstler Edelstahl und keine Titanlegierung gewählt hat.

Mit zwei Gläsern Champagner kehre ich zu Hardy zurück. »Hier, Schatzilein.«

Er verdreht die Augen und fasst das Glas am Stiel, als sei es ekelig. »Du weißt doch, dass ich das Blubberzuckerwasser nicht mag.«

»Es ist eine Frage des Stils, eines in der Hand zu halten. Es ist auch nur Nullkommaeins, Hardy. Gar nicht viel.« Ich proste ihm zu und trinke es auf ex, nehme ihm das Glas aus der Hand und trinke es ebenfalls in einem Zug leer. »Siehst du? Gar nicht viel.«

»Gib das her, verflixt! Ich entsorge das.« Er reißt mir beide Gläser aus der Hand und stampft davon.

Der Boden unter mir wird lebendig. Die Stimmen im Saal rauschen wie die Meeresbrandung. In meinem Nacken kribbelt es, als würde mich dort ein Sonnenstrahl kitzeln. Ich drehe mich um.

Im Torbogen zum Blauen Salon steht ein Schwarzer; er könnte ein Football- oder Baseball-Star sein. Der Siegerblick in seinem kantigen Gesicht glänzt ebenso wie der lilafarbene Anzug und das fliederfarbene Hemd. Und glitzert da nicht ein Ohrring? Neben ihm reckt eine Art blonde Kleopatra im rosafarbenen Tweed-Kostüm ihren Hals und schaut über die Köpfe der Besucher hinweg, als würde sie nach etwas Ausschau halten. Mit gespreizten Fingern streicht sie durch ihr aalglattes Haar und der überdimensionierte Stein ihres Ringes blitzt in der Abendsonne, die durch das mannshohe Fenster flutet.

Sie hakt sich bei ihm unter und die beiden schreiten genau in meine Richtung. Er mit der Geschmeidigkeit eines Panthers und sie graziös, auf flamingohaften Beinen, die in Riemchenlackpumps enden. Sie trägt ein echtes, seliges Lächeln im Gesicht, als würde sich direkt hinter mir ein Traualtar befinden.

Doch sie gehen an mir vorüber, und ich stelle fest, mit dem Alkohol kommen auch die Wahnvorstellungen.

»Was ist? Hast du einen Geist gesehen?« Hardy steht neben mir.

»Ich weiß nicht.« Ich beobachte, wie Lady Flamingo und Black Panther auf den Treppen zum Untergeschoss verschwinden.

Hardy nimmt meine Hand und zieht mich mit sich. Ich erhasche einen Blick auf seine Cartier. Siebzehn Uhr, in England sechzehn Uhr. Bald wird er zu Abend essen und anschließend an der Hotelbar eine Piña Colada bestellen. Eine Bartenderin wird mit ihm flirten. Sie, oder eine andere.

Hardy bleibt an einem mit Ackererde gefüllten Glaskasten stehen. Ein dicker Knochen ragt aus der dunkelbraunen, feuchten Erde. Ich kichere. »Dir ist ja wohl klar, was das bedeutet, oder?«

Er schaut mich an, als hätte ich klingonisch gesprochen.

Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und flüstere ihm obszöne Dinge ins Ohr, aber statt mit mir zu lachen, packt er mich am Oberarm. »Jetzt reiß dich zusammen und hör auf rumzukichern, die Leute gucken schon.«

Ich presse meine Lippen zusammen, denn ich bin kurz vor einem apokalyptischen Lachanfall. »Darf man nicht mal lustig sein? Das ist auch eine Kunst, weißt du?«

»Aber nicht nach drei Gläsern Sekt, oder waren es vier?«

Es waren fünf, mit den heimlichen. »Och, sei doch nicht so böse. Ich habe auch eben darüber nachgedacht, sowas zu machen. So’ne Aus– … Ausstellung. Ist eine feine Sache …« Ich kreise mit dem Zeigefinger um seine Nasenspitze. »Wenn du aber die Güte hättest, mich jetzt zu entschuldigen. Ich möchte mich ein bisschen frisch machen, wenn du verstehst, was ich meine. Aber ich geh ganz alleine, denn ich bin schon ein großes Mädchen, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Du wirst mir nirgendwo alleine hingehen.«

»Sehr wohl, Herr Steiner. Aber meinst du, es besteht die Möglichkeit, ein Lachsbrötchen zu ergattern? Eins, wo die Dillzweige raushängen? Das hilft immer, wenn du verstehst –«

»Bleib hier, ich hol dir eins.« Hardy klingt wie ein Oberfeldwebel und marschiert auch so davon. Ich ebenso, aber in Richtung Toilette. In Anbetracht der Höhe meiner Absätze und der Instabilität des Bodens muss ich wählen: Schnelle oder elegante Flucht. Ich entscheide mich für Ersteres. Auf den Treppen nach unten muss ich mich am Handlauf festhalten.

Ich drücke die Klinke zum Damen WC nieder. Sie ächzt, jedoch rückwärts – uchuchuch … Himmel! Bin ich so betrunken?

Mir ist, als hätte ich ein Kichern gehört, doch hier ist keine Menschenseele. Ich strecke die Arme seitlich von mir, um die Balance zu halten, denn die holzvertäfelten Wände, der Kronleuchter an der Decke, der ganze verdammte Raum beginnt sich plötzlich wie eine Raumkapsel zu drehen.

Wieder dieses Kichern. Oder ist es ein Stöhnen? Das kommt eindeutig aus der Kabine. Leute! Ich bin hier!

Klatsch. Klatsch. Es ist das typische Geräusch, das nur zwei aufeinanderklatschende Körper verursachen können.

»Yeah … oh, Baby …«

Flamingo und schwarzer Panther treiben es im Klo! Sie müssen mich doch gehört haben. Schämen die sich nicht? Das ist doch irre!

»Come on. Oh yeah.«

Er stöhnt rau und mir stellen sich sämtliche Härchen auf. Ich sollte gehen, stattdessen ziehe ich ein paar Papiertücher aus dem Spender, benässe sie mit kaltem Wasser und tupfe mir damit die Stirn ab.

Im Spiegel beobachte ich, wie die Türklinke niedergedrückt wird. Es folgt ein hochfrequentes »Oouiooui«, das sich zu einem jammerähnlichen Stöhnen entwickelt; auch ich verziehe mein Gesicht und beiße auf meinen Daumenknöchel. Jetzt wird es leiser und ebbt völlig ab, so als habe jemand Erlösung gefunden.

Es rumst zweimal und im Geiste sehe ich die Szene vor mir: Er rammt ihr seinen Prügel zwischen die halb gespreizten Beine und ihr Kopf donnert gegen die Tür.

Wow! Jetzt gerät die Kabine aus den Fugen. Das Klatschen wird immer schneller. Genauso klingt es, wenn ich Steaks mit dem Fleischhammer weichklopfe.

Ich halte mir die Haare aus dem Gesicht, beuge mich zur Armatur hinunter und das Wasser sprudelt aus der Düse, hinein in meinen geöffneten Mund; zwischen meinen Beinen wird es feucht vor Erregung.

In der Kabine spitzt sich die Lage zu. Drei, vier, fünf Hiebe, begleitet von Stöhnen, oder vielmehr Schmerzjaulen.

»Take it, my slut! Take it!«

Soll das Vergnügen sein?

Es folgt ein einzelner, zischender Laut, der wie eine Tonleiter in die Höhe klettert. Auf dem Höhepunkt wird daraus ein Wimmern, das sich zu einem Seufzen dehnt und schließlich in einem letzten Keuchen erstirbt.

Danach – Stille.

Schließlich: gedämpfter Applaus. Ich schaue zur Decke. Entweder kommt die Band zurück oder die Führung beginnt. Hinter mir öffnet sich die Kabinentür.

Miss Flamingo erscheint mit einem Lächeln, das nicht von dieser Welt ist. Durch ihre aalglatte Frisur scheint ein Pflug gefahren zu sein und die Partie um ihre Augen ist schwarz wie bei einem australischen Prachtfinken.

Sie schreitet auf mich zu, als würde sie einer choreographischen Anweisung folgen und streicht dabei immer wieder über ihren Rock. Ist sie stoned? Ihre Augen schillern geradezu, und die Wangen lodern in hellem Purpur. Sie stellt sich neben mich und fixiert mich im Spiegel. In dem Moment, da sie ihren Mund öffnet, um zu sprechen, trommelt es an der Tür.

»Sofia! Bist du da drin?«

Hardy! Die Blondine und ich lassen uns nicht aus den Augen. Sie zieht einen Mundwinkel nach oben, als reiche die Kraft nicht mehr für beide, und neigt ihren Kopf Richtung Tür.

Ich räuspere mich und rufe: »Ja, ich bin hier. Ich – ich komme gleich.«

Schwarzer Panther kommt nun ebenso aus dem Verschlag, mit dem Lächeln eines Champions. Er bleibt einen Schritt hinter mir stehen und mustert mich von Kopf bis Fuß, ohne jegliche Eile. In seinem Ohr funkelt ein Diamant in der Größe eines Stecknadelkopfes.

Miss Flamingo, die ihren verzückten Ausdruck scheinbar wie ein Tattoo für immer behalten will, rückt noch näher an mich heran, und ich kann einen Hauch ihres Parfüms und die flirrende Hitze ihres Körpers wahrnehmen. Sie duftet nach Orgasmus.

Der Riese hinter mir fixiert mich im Spiegel, legt seine Hand auf meinen Po und beschreibt Viertelkreise. Das Futter meines Rockes knistert, und ich öffne meinen Mund einen Spalt.

»Sofia. Hallo!« Hardy klopft mit einem Tremolo an die Tür.

»Alles gut, Hardy-Schatzi. Momentchen noch!«

Die Augen des Riesen schauen in meine Spiegelaugen, zur Tür und wieder zurück. Auf seiner rechten Schläfe hocken glänzende Schweißtröpfchen. Sein Blick saugt mich auf. Saugt mich aus. Ich glaube, er hat mich hypnotisiert.

»Sofia, ist alles in Ordnung?« Jetzt trommelt er hemmungslos. Wäre Hardy nicht so altmodisch, wäre er schon längst hereingeplatzt.

Die Lady streichelt mit dem Zeigefinger an der Innenseite meines Mittelfingers, während die Hand des Riesen immer noch auf meinem Hintern kreist und sich eine Nuance weiter nach unten bewegt.

Meine Kehle fühlt sich staubtrocken an.

Was zum Geier tue ich hier? Ich trete einen Schritt zur Seite und breche damit den Bann.

Einen Schritt hinter den anderen, bewege ich mich rückwärts, Richtung Tür. Flamingo lächelt beharrlich weiter und Black Panther kneift die Augen zusammen, als wäre ich schon in weiter Ferne. Ich drehe mich um und die Hitze zweier Augenpaare brennt mir Löcher in den Rücken.

»Ich komme jetzt da rein!« Hardy drückt die Klinke nieder. Ich greife danach, schiebe die Tür auf und schlüpfe hinaus.

»Was machst du denn für Sachen? Ich habe mir schon Sorgen gemacht.« Hardys Gesicht ist vor Zorn verzerrt. »Da, nimm.« Er drückt mir ein Brötchen in die Hand.

»Das ist aber aufmerksam von dir, Schätzelchen.«

»Quatsch! Wie ist dein Zustand? Und lass das Schätzelchen.«

»Hungrig und normal«, antworte ich und versuche, auch so zu klingen.

Er schüttelt den Kopf. »Hungrig glaube ich. Wir gehen jetzt in ein Restaurant, in dem man ein anständiges argentinisches Angus-Steak bekommt, und zwar exakt halb durch, und ich will endlich ein gescheites Bier.«

»Aber –«

»Keine Widerrede. Betrachte das Lachsbrötchen als Vorspeise.« Er hakt seinen Arm unter meinen und führt mich ab, als habe ich eine Straftat begangen.


»Wir haben noch einen Tisch am Panoramafenster, Herr Steiner. Wenn Sie mir bitte folgen möchten.« Ein junges Ding im schicken Dirndl, Marianne, wie das silberne Namensschild verrät, schenkt uns ein professionelles Lächeln und klappt fröhlich ihr Reservierungsbuch zu. Meine Ponyfransen wehen aus der Stirn. Hardy folgt dem Dirndl. Ich folge Hardy.

»Bitteschön, die Herrschaften. Darf ich Ihnen einen Aperitif bringen?«

»Wir hätten gern ein Veltins und einen Martini Bianco.«

»Mit Zitrone bitte und zwei Eiswürfeln«, füge ich, leicht näselnd hinzu.

»Bitte gern. Der Ober wird gleich bei Ihnen sein.« Das Dirndl verschwindet in den Untiefen des Restaurants.

»Diese Aussicht hier ist wirklich – superb, Schatzilein.« Ich vollführe mit der Hand einen weiten Bogen durch die Luft.

»Letztes Jahr, bei den München Open war ich mit der Clique aus Hammetweil hier. Ich hätte dich gerne mitgenommen, aber du warst ja … krank.« Hardy setzt ›krank‹ in Anführungszeichen. »Von hier aus kann wunderbar den Fairway sehen. Schau mal, da ist Loch acht, neben dem Wasserhindernis, siehst du?« Er umklammert die Armlehnen und stemmt sich aus dem Sessel. »Zwölf Schläge habe ich gebraucht, an diesem Sch… äh … Loch. Bei einem Par fünf! Ich musste eine Runde zahlen. Für zwei Flights!« Hardy rast wieder in seinen Sitz zurück.

»Armer Hardy.«

Der Ober serviert die Getränke und Hardy bestellt das Essen. »Hast du das eigentlich ernst gemeint vorhin? Du willst richtig ausstellen, überregional?«

»Es ist an der Zeit, das Richtige zu tun, finde ich.«

»Bravo, sag ich nur; endlich kommst du zur Vernunft. Wenn du mir jetzt noch verrätst, was du letztes Wochenende gemacht hast … Es war, als hätte dich der Erdboden verschluckt.«

»Es heißt ›wie vom Erdboden verschluckt‹.«

»Meinetwegen.«

»Ich war in Belgien.« Ich proste ihm zu und nippe an meinem Martini. Er schmeckt so köstlich, dass ich ihn am liebsten auf ex trinken würde.

»Sightseeing?«

»Hab jemanden kennengelernt.«

Hardy war im Begriff, den ersten Schluck von seinem Bier zu nehmen, aber sein Arm erstarrt auf halber Strecke, als habe er das Ende seiner Beweglichkeit erreicht. »Du bist für ein Date nach Belgien gefahren?«

»Es ist schon etwas mehr als ein Date.«

»Verstehe.« Er setzt das Glas wieder ab, ohne davon getrunken zu haben. »Ich finde es gut, wenn du dich neu orientierst, aber über solche Entfernungen … ist das ’ne schwierige Sache.«

»Wer will, findet Wege. Wer nicht will, Gründe.«

Auf Hardys Stirn schieben sich die Falten zusammen wie bei der Entstehung des Atlasgebirges. »Hauptsache, es bist nicht immer du, der wo Wege findet. Und Hauptsache, du wirst nicht jedes Wochenende dort hinfahren. Ich möchte mit dir auch noch an deinem Schwung arbeiten.«

In der darauffolgenden Stille verfinstert sich Hardys Blick zunehmend, und ich betrachte den Schein der Kerze, der sich im goldschimmernden Martini widerspiegelt.

»Hab ich etwa ins Schwarze getroffen?«

»Nein. Gar nicht. Bei mir ist alles leise und leicht wie eine Sommerbrise.« Die Lüge spannt sich künstlich über die untere Gesichtshälfte. »Hör zu, Hardy. Es ist schrecklich einfach. Ich habe jemanden kennengelernt. Er lebt und arbeitet für die nächsten zwei Jahre in Brüssel und ich will ihn möglichst oft sehen. Ende der Durchsage.« Das klang gut, finde ich, wie die Ansage einer Tagesschau-Sprecherin.

»Du redest wirr, Sofia, und du solltest dich sehen. Du bist hypernervös. Ich betone: hyper. Der Martini erlebt gerade seinen ersten Tsunami, so zittrig wie du das Glas hältst.«

Im Zeitlupentempo stelle ich es wieder ab und lege meine Hand in den Schoß.

»Na schön. Aber sobald sich die Situation seltsam anfühlt, musst du sie verlassen. Und zwar bereits beim ersten Anzeichen. Niemandem sonst würde ich so etwas raten. In deinem Fall aber ist Flucht deine Rettung. Hörst du?«

»Rettung?«

»Ich möchte dich nicht von der Straße kratzen müssen wie letztes Jahr.«

»Du denkst wirklich, ich könnte auch wie meine Mutter …«

Er seufzt. »Ich bin kein Arzt, Sofia, jeder Mensch reagiert anders …«

Eine dunkle Wolke des Schweigens schwebt über uns und Hardys Blick wandert hin und her. »Aber eines weiß ich: Deine Mutter war keineswegs verrückt, wie manche es behauptet haben. Das waren Neider. Sie war fragil und äußerst sensibel, eine Künstlerseele eben. Und dein Vater –«

»Erzeuger, Hardy. Erzeuger. Er hat lediglich seinen –«

»Okay, okay, du hast ja recht. Erzeuger.«

»Ich sollte mich an ihm rächen, im Namen meiner Mutter, an diesem – diesem –« Ich kralle meine Fingernägel in meine Faust.

»Du musst Frieden schließen, Sofia. Für mich war es auch nicht leicht, damals. Auch wenn es verrückt klingt, aber ich fühle mich schuldig. Immer wieder hab ich mir die gleiche Frage gestellt. Hätte ich ihr helfen können? Aber Herrgott! Ich war doch bloß ihr Stalljunge, ein junger Hengst mit zwanzig.« Hardys Wangen lodern.

»Das ist verrückt, Hardy, denn du hast damit ja überhaupt nichts zu tun.«

»Für das, was man liebt, trägt man auch die Verantwortung, das solltest du wissen als Mutter.« Hardy lächelt versonnen und streicht mit dem Daumen über die Wölbung seines Bierglases. »In Künstlerkreisen wurde sie ›Schneewittchen‹ genannt, wegen ihrer blassen Haut und den schwarzen Haaren. Jeder hat sie geliebt.«

»Du warst in meine Mutter verliebt?« Im Stillen rechne ich: Er war zwanzig, sie siebenunddreißig, ein halbes Jahr jünger als ich jetzt.

»Dass du das nicht missverstehst: Ich hatte kein Verhältnis mit ihr. Aber ja … ich war verliebt in sie, habe sie verehrt. Wer hat das nicht?« Er seufzt. »Manchmal, wenn ich ihren Areion gestriegelt habe, brachte sie mir eine heiße Schokolade in den Stall. Ich mochte heiße Schokolade. Sie wollte mir sogar das Polospiel beibringen. Aber dazu ist es nicht mehr gekommen …« Er senkt seinen Blick und betrachtet seine Hände. Hardy redet sonst nicht über ›Seelenkram‹, wie er es immer nennt. Nur im Notfall.

»Hardy?«

»Ja?«

»Was denkst du, wie viel von meiner Mutter steckt in mir?« Ich kämpfe die aufkommenden Tränen nieder.

Hardy hebt seinen Blick und blinzelt ein paar Mal. »Sie hatte immer diesen Fernblick. Den hast du auch. Mit allem anderen bin ich mir nicht sicher. Bis jetzt hast du dich wacker geschlagen. Jeder Mensch reagiert anders auf … Schicksalsschläge. Deine Mutter konnte nicht gut damit umgehen.« Ein friedhöfliches Lächeln umspielt seine Lippen und in seinen Augen tut sich ein Abgrund auf. Traurigkeit legt sich über uns wie ein dunkles Tuch, und wir schweigen für einige Sekunden.

»Aber denkst du, ich könnte auch einmal so …« ›Enden‹ hört sich schrecklich an. »… werden?«

»Du bist eine Kämpferin und ich hoffe, das bleibt so. Du bist zwar auch ein bisschen verrückt, aber wenn du immer auf mich hörst, kann nichts schiefgehen.« Er lächelt schräg und nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Glas.

»Verstehe, also cool bleiben.«

»Aber eines lass mich noch sagen.« Hardy langt über den Tisch und schüttelt meine Faust, die wie ein Stein neben meinem Glas ruht. »Hörst du mir zu? Wir Männer sind einfach gestrickt, verstehst du? Einfach. Wenn er etwas von dir will, bleibt er dran. Er wird dich anrufen, er wird nach dem nächsten Date fragen, er wird alles tun, um bei dir sein zu können, alles klar? Einfach gestrickt. Männer sind Jäger, das ist ihre Natur. Wenn ein Mann etwas will, will er ihm hinterherlaufen. Er will nicht, dass es ihm hinterherläuft. Vergiss das niemals.«

Autsch, das hat getroffen! »Ja, Meister. Weisheit ich bei dir spüre.« Ich erhebe mein Glas. »Einfach gestrickt. Jäger. Natur.«

»Wenn du Hilfe brauchst, will ich Bescheid wissen. Hab ich mich klar ausgedrückt?«

»Ich schwöre, o du mein Gebieter und Meister. Beschwörer der Finsternis.«

Er schüttelt den Kopf: »Mach keinen Scheiß, Sofia.«

Du

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