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Nadel im Heuhaufen

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»Von anderen schlecht zu denken ist zwar eine Sünde, aber man hat oft recht damit.«

Giulio Andreotti

Monrovia, Liberia (2016)

Samuel und seine Frau Musu stehen an ihrem Stand auf dem Markt. So kann es nicht weitergehen, sagt Samuel zu seiner Frau. Nein, kann es nicht, antwortet sie. Dann schweigen sie und beobachten, wie einkaufende Frauen an ihrem Stand vorbeiziehen. Samuels und Musus Traum ist zerstört.

Vor zwei Jahren begannen sie, Hähnchen zu mästen. Hilfsorganisationen aus Europa unterstützten sie und finanzierten den Beginn ihrer Existenz. Sie fuhren mit lebenden Hühnern zum Markt, schlachteten sie dort und verkauften sie frisch an ihre Kunden. So wie andere Züchter und Händler auch. Denn wer will schon Fleisch, welches am Vortag geschlachtet wurde und dann stundenlang bei dreißig Grad und sengender Sonne auf einem Marktstand liegt? Und schnell mit Keimen verseucht ist?

Die anderen Hühnerhändler erscheinen nicht mehr auf dem Markt, sie haben aufgegeben. Nur Samuel und Musu stehen noch dort. Doch auch sie überlegen aufzuhören.

Samuel und Musu haben mehrmals den Preis für ihre Hühner gesenkt. Aber mit den Importen aus Europa, und besonders aus Deutschland, können sie nicht konkurrieren. Noch weiter senken können sie ihn nicht, wenn sie über die Runden kommen wollen.

In Deutschland, hat Samuel gelesen, werden 630 Millionen Hühner jährlich geschlachtet, um Hähnchenbrust, Flügel und Keulen zu verkaufen. Der Rest der Tiere, etwa dreißig Prozent eines Hühnchens, zählt als Abfall. Hähnchenrücken, Hähnchenhälse und Hähnchenfüße.

Der Export nach Afrika hilft, die Abfallentsorgungskosten zu senken; die Entsorgung tierischer Abfälle ist teuer in Europa. Ob die Kühlkette bis auf den Markt von Monrovia hält?

42 Millionen Kilo Geflügelteile aus Deutschland überschwemmen Afrikas Märkte. Da bleibt kein Platz für Samuels und Musus frische Hühnchen. Und auch nicht für die anderer Kleinbauern. Die Käufer fragen nicht nach der Keimbelastung des Fleisches, denn der niedrige Preis schont den Geldbeutel, in dem sowieso viel zu wenig ist.

Lass uns einpacken, schlägt Samuel seiner Frau vor. Ja, sagt Musu. Heute Abend brate ich uns ein Hähnchen. Frisches Fleisch, nicht so wie das aus den aufgetauten Tiefkühlpackungen. Das ist gut, antwortet Samuel. Er freut sich. Musu kann gut kochen.

Auf den Markt in Monrovia werden sie nicht mehr fahren. Samuel überlegt, ob er es mit Schweinefleisch versuchen sollte. Ob das eine Zukunft für sie ist?

Im Moment lässt sich damit noch Geld verdienen, aber Samuel hat auch gelesen, dass die Lieferungen von Schweinefleisch aus Europa nach Afrika zunehmen.

Die Welt im Viertel

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