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Gipfeltag, 16:00 Uhr

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Im Redaktionskeller der Stadtrundschau hat sich Hektik eingenistet. Auf den Straßen der Stadt überschlagen sich die Ereignisse, die die Redakteure zu Zeitungsartikeln verarbeiten müssen. Der Tag brachte nicht nur unzählige kreative und friedliche Aktionen, nicht nur die Blockaden auf den Zufahrtswegen, sondern auch angezündete und ausgebrannte Autos auf der Elbchaussee und zerstörte Schaufenster in Altona.

»Wir müssen den kreativen Protest und seine Inhalte darstellen. Die Mehrheit protestiert friedlich, da passen keine brennenden Autos und Vermummte auf die Titelseite«, fordert Nele. »Das wäre nur Sensationslüsternheit.«

Soeben haben sie den Drucktermin um zwei Stunden nach hinten verlegt; sie wollen so aktuell wie möglich berichten. Die Drucker sind nicht begeistert, dass sich ihr Feierabend hinauszögert, und die Auslieferung disponiert um.

»Kommt mal!«

Bernd winkt aufgeregt Nele und Max zu sich.

»Geht nicht, ich muss jetzt endlich fertig werden.«

Nele reagiert ablehnend.

»Es muss gehen. Kommt schon.«

Widerstrebend bewegen sich die Gerufenen zu Bernds Arbeitsplatz.

»Schaut mal, die Mail da.«

Bernd weist mit einem seiner beeindruckend schlanken Finger auf den Bildschirm.

Gestern wurde in Hamburg eine Polizistin hingerichtet. Sie gehörte nicht nur dem Repressionsapparat an, der die Proteste gegen den Gipfel niederschlagen soll, sondern auch dem Gewaltapparat, der schuld an Svens Ermordung ist …

»Meint ihr, die Mail ist echt und das ist ernst gemeint?«, blickt Nele skeptisch in die Runde.

»Klar, bei der Sprache.«

Im Gegensatz zu Nele ist Max sich sicher. Doch sie ist sich unsicher, ob er das beurteilen kann. Irgendwie glauben die jungen Leute heute alles, zumindest viel zu viel, denkt sie und schaut Max an, wie er neben ihr in seiner Studentenkleidung steht. Ob es anstrengend ist, dafür zu sorgen, dass die Länge der Barthaare der der Kopfhaare entspricht?

»Wir könnten mit dem Absender Kontakt aufnehmen«, schlägt sie vor.

»Das kannst du vergessen.«

Bernd, in dessen Haaren sich mit zunehmender Geschwindigkeit Grau einnistet, mischt sich in die Diskussion ein.

»Der Mailaccount wurde sicher nur für diese Mail eingerichtet. Und wenn der Absender klug ist, dann wurde die Mail quer durch das Internet geschleust, sodass der sendende Server niemals ermittelt werden kann. Da nützt auch keine Speicherung der Verbindungsdaten etwas. Aber lest mal zu Ende.«

… Die Stadtrundschau hat die Gelegenheit, dieses Schreiben in ihrer morgigen Ausgabe zu veröffentlichen. Tut sie das nicht, geht diese Information morgen früh an alle Zeitungs- und Radioredaktionen in Hamburg …

»Einverstanden? Veröffentlichen wir?«

Bernd ist Feuer und Flamme.

»Moment! Nicht so schnell!«, bremst Nele.

»Wieso Moment? Das ist unsere Chance! Die Stadtrundschau trumpft mit einer exklusiven Meldung auf, nach der alle anderen Medien sich reißen würden.«

Max springt Bernd bei.

»Wir haben uns eine Satzung gegeben. In der haben wir Ansprüche an unsere Arbeit definiert, haben wir festgelegt, dass wir die Wahrheit schreiben wollen und keinen Sensationsjournalismus. Und bis wir die Wahrheit kennen, sammeln wir Fakten und analysieren diese. Das ist doch unser Vorgehen. Oder gilt das alles plötzlich nicht mehr, weil irgendeine Mail im Radaktionspostfach landet?«

Nele redet sich in Rage, beginnt unwillkürlich mitten in ihrer Rede eine Zigarette zu drehen und vergisst, dass sie im Redaktionskeller nicht rauchen darf. Max und Bernd vergessen, gegen Neles Verhalten zu protestieren, die ihren Vortrag mit einem Vorschlag beendet.

»Wir müssen sofort die Polizei informieren.«

»Ich glaube, nicht. Die haben die Mail bestimmt auch bekommen.«

Bernd zeigt deutlich seine Ablehnung.

»Weißt du das?«

»Natürlich nicht, es ist nur wahrscheinlich. Aber sicher ist, du bist überarbeitet, Nele. Wir haben die Chance, exklusiv berichten zu können, überregional zum Gesprächsthema zu werden, und du sträubst dich dagegen.«

»Aus gutem Grund: Wir machen uns zum Sprachrohr eines Mörders. Genau das werden wir, wenn wir die Mail veröffentlichen!«

»Quatsch! Wir informieren die Öffentlichkeit, was es mit der toten Polizistin auf sich hat, warum sie erschossen wurde. Nur wir haben den O-Ton.«

»Aber wir müssen den Mailtext redaktionell begleiten. Sonst lassen wir uns zu einer Plattform des Mörders machen. Und da mache ich nicht mit.«

»Wir nehmen deinen Artikel, setzen ein paar Sätze darunter und die Mail dazu. Und außerdem müssen wir die Titelseite noch umbauen. Einverstanden?«

»Unter einer Bedingung: Ich gebe die Mail an die Polizei, oder besser, an Hauptkommissar Jensen. Den kenne ich.«

Nele hängt den Preis für ihre Zustimmung hoch.

»Kläre mit ihm ab, dass vor morgen früh keine andere Zeitung davon erfährt. Das muss er dir versichern; am besten unterschreiben. Wenn du das gegen den Baum fährst, bin ich stinksauer und mache das zum Thema auf unserer nächsten Vollversammlung.«

Bernds Drohung bleibt unkommentiert, der verlegte Drucktermin rückt mit rasantem Tempo näher. Noch sind nicht alle Artikel geschrieben. Sie müssen Widersprüche und Ungereimtheiten aushalten.

Die Welt im Viertel

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