Читать книгу Der Glückliche - Cord Frey - Страница 10
VII
ОглавлениеIm Kellerflur unter dem Heim fühlte es sich heute besonders unruhig an.
Der Moment in dem Felix dort zum ersten Mal eine Erscheinung hatte war schon ein wenig her, vielleicht ein dreiviertel Jahr; das schattenhafte Wesen, dass ihm damals das erste Mal vom Treppenhaus durch den langen Gang bis zum Umkleideraum folgte, war ihm danach auch außerhalb des Pflegeheimes, meist an dunklen Orten oder in der Nacht, in allen möglichen Winkeln der Stadt wiederbegegnet. Es hielt sich immer ein ganzes Stück hinter ihm, verborgen in den Schatten der Umgebung und folgte ihm, den Abstand wahrend, meist eine ganze Zeit.
Als es zum ersten Mal auftauchte, Felix würde diesen Schrecken nie vergessen, rief es laut seinen Namen; augenblicklich wandte er sich um, wahrlich schockiert durch die schrille, scheidende Stimme, und sah das Wesen sofort in der Mauernische neben dem Eingang zum Aufbahrungsraum für die verstorbenen Heimbewohner stehen. Der ganze Flur war nur von zwei schwachen Glühbirnen erleuchtet; eine am Eingang des Treppenhauses, die andere vor der Tür des Umkleideraumes, und die tiefen Schatten in den unbeleuchteten Bereichen des Flures boten schreckliche Möglichkeiten um sich dort zu verstecken oder aus dem Dunkel unerkannt zu agieren; Das Wesen hatte unmenschlich lange Arme und Beine, einen kurzen, extrem gedrungenen, fast gestauchten Oberkörper; es war vollkommen schwarz, überhaupt schien es nur aus Schatten zu bestehen. Es lachte ihn aus, verachtete ihn - er spürte es. Und es war böse! Es war gegen ihn und gegen alles was lebte, sofort hatte er das erkannt. Auch wenn es einfach nur in der Gegend herumstand und Felix anrief: Das Wesen wollte für ihn nur Schlechtes, nur deswegen war es erschienen.
Und es stand vor dem Raum für die Toten. Dem Ort im Hause, an dem es noch nie mit rechten Dingen zuging; und Felix wusste sehr genau, dass die Verstorbenen nicht immer wirklich gleich ihre letzte Ruhe fanden. Vor allen Dingen seit er das erste Mal ihr Summen aus diesem Raum hatte erklingen hören war ihm bewusst, dass sie oft einen Grund hatten zurückzukehren, den Lebenden zu erscheinen, um diesen die Schrecken der Verdammnis vor Augen zu führen; oder sie gleich dort mit hinzunehmen.
Bei der ersten Begegnung war Felix voller Panik in den Umkleideraum geflüchtet und hatte die Tür hinter sich zugeschlagen. Die anwesenden Kollegen, Männer wie Frauen - eine geschlechtliche Trennung gab es dort nicht, fuhren einigermaßen zusammen als sie sein erschrockenes Gesicht und seine panisch aufgerissenen Augen sahen. Die Erklärung für sein Auftreten blieb er ihnen schuldig, er wollte nicht dass sie dachten, er wäre irgendwie auffällig.
Heute war das Wesen wieder da. Und noch etwas: die Toten summten.
Felix hatte keine Ahnung ob eine Leiche im Aufbahrungsraum lag, aber das war auch nicht wichtig. Es waren ihre Seelen, nicht die Körper, und Seelen gab es dort genug - das spürte er jedes Mal wenn er den Keller betrat. Seelen, die wegen irgendwelcher Vergehen nicht in das Paradies eingehen durften; und auch sie waren meist böse.
Der dritte im Bunde, der Mann im Schaltschrank, auch er war wieder gekommen.
Felix hatte auch ihn noch nie wirklich gesehen; nur seine Hände, wenn sie die Türen des Schaltschrankes mit den Sicherungen für die Stromkreise des Hauses, der am anderen Ende des Kellerflures stand, auf die Seite schoben, damit Felix die Flüche und Beleidigungen besser hören konnte. Die kurzen Rufe hallten über den Flur sobald Felix den Mann bemerkte, und es würde jetzt keine Ruhe mehr herrschen solange er den Keller nicht wieder verlassen hatte.
Überhaupt schien der Mann seinen Schaltschrank nun seit einiger Zeit auch selbst hin und wieder zu verlassen. Einige Male hatte Felix ihn auch auf der Straße rufen hören, zuletzt sogar mitten in der Nacht vor dem Personalwohnheim. Es war eine peinliche Situation, wie sollte man denn den Passanten erklären, dass man von einem Mann verfolgt wurde der einem pausenlos Beleidigungen an den Kopf warf? Aber kein Passant, auch kein Mitbewohner des Wohnheimes, hatte in irgendeiner Form auf das laute Geschrei reagiert; höchstwahrscheinlich interessierten sie sich nicht dafür, es betraf ja auch nur Felix - gut möglich, dass sie alle, mittlerweile hatte es sich sicher auch in der ganzen Stadt herumgesprochen, von seiner Schuld wussten. Sie dachten sicher dass es ihm recht geschah. Denn so war es ja auch.
Felix rannte mittlerweile. Es waren nur wenige Schritte zum Umkleideraum, heute aber ein verdammt langer Weg. Er hatte Angst: jede einzelne Erscheinung war manchmal schon schier unerträglich, wenn ihn aber nun alle Dämonen, alle bösen Geister die die Hölle auf ihn gehetzt hatte, gemeinsam heimsuchen würden, er würde binnen kürzester Zeit durchdrehen. Und natürlich wollten sie ihn jetzt holen: ihr Fürst, der Teufel, war höchstpersönlich erschienen, und das doch nicht einfach nur so. Jetzt würden sie Felix gemeinsam mit in ihre höllischen Abgründe nehmen; was nur, um Himmelswillen, könnte er dagegen tun?
Er schmiss die Tür des Umkleideraumes hinter sich zu, lehnte sich an einen der Schränke und versuchte tief durchzuatmen. Es fühlte sich an, als würde es nicht mehr sehr lange dauern bis ihm der gehörnte Teufel wieder erscheinen sollte.
Felix öffnete seinen Schrank, zog seine Straßenklamotten aus und die Dienstkleidung an; unschuldiges Weiß! Er drehte sich nicht zum Kellerfenster um, im Augenwinkel hatte er die Silhouette des Teufels erkannt, er konnte den verfaulten Atem riechen.
Schnell weg, durch den von Schreckgestalten bevölkerten Flur ins Treppenhaus, hinauf ins Erdgeschoss, auf seine Station. Er wurde nicht verfolgt, keines der Wesen, auch nicht der Teufel, verfolgten ihn, alles war still; Felix fühlte sich nicht in Sicherheit, aber wenn er erst bei seinen Kollegen war, wenn er endlich bei den ersten menschlichen Wesen die ihm am heutigen Tage begegnen würden angekommen war, dann würde er sich vielleicht etwas besser fühlen. Gegen das Böse ausrichten konnten auch die nichts, aber es würde ihn beruhigen wenn er mit anderen Menschen, von denen er glaubte, dass sie ihn zumindest ein bisschen leiden konnten, zusammensaß. Und so etwas wie Ruhe, einen halbwegs klaren Kopf der ihm gestattete sich seine nächsten Schritte zu überlegen, das war ihm jetzt das Wichtigste.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass er, seit er sich auf den Weg zur Arbeit gemacht hatte, das Gebet, dass er auf all seinen Wegen seit die Erscheinungen begonnen hatten, in seinen Gedanken sprach, vollkommen vergessen hatte aufzusagen. Ja, das Verderben war wirklich nahe, es brachte ihn sogar von seinen spirituellen Pflichten ab, machte, dass er sie vergaß, füllte ihn mit Angst und Schrecken und stahl ihm die Konzentration für seine Übungen. Also noch schnell ein kurzes Gebet, nicht wieder vor den Kollegen, die sahen ihn manchmal schon etwas merkwürdig an wenn er sich im Stationszimmer auf den Boden kniete und mit gefalteten Händen seine Sprüche murmelte, sondern noch kurz stehen bleiben; dreimal bekreuzigen, so wie sie es ihm in seiner Gemeinde beigebracht hatten, nach jedem Kreuz eine tiefe Verbeugung, danach auf die Knie, Gott um Verzeihung anflehen für die Unvollkommenheit die die Menschen zur Sünde treibt, für die Erbschuld, die jeder Mensch allein durch seine Geburt auf sich geladen hatte. Nicht weiter auffallen, möglichst normal ins Stationszimmer spazieren. Dort saßen noch die anderen und tranken Kaffee.
Felix tat sein Möglichstes, um normal, vielleicht etwas verschlafen auszusehen. Er wünschte guten Morgen, murmelte eine Entschuldigung für sein Zuspätkommen; die Kollegen, zwei Schwestern und ein Pfleger, wünschten auch ihm einen guten Morgen, scheinbar guter Stimmung, es war still und friedlich - sie schienen nichts zu merken. Renate hatte ihn etwas länger angesehen, oder nicht? Egal! Felix nahm sich eine Tasse; erst einmal durchatmen, vielleicht war er hier vorerst in Sicherheit?