Читать книгу Der Glückliche - Cord Frey - Страница 8

V

Оглавление

Das Pflegeheim war ein mächtiger, graubrauner Sandsteinbau; vier Stockwerke hoch, ein braunes Ziegelwalmdach auf einem riesig erscheinenden Dachstuhl. Irgendwann zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde es als Neubau des Krankenhauses aufgestellt, dann, als in den Siebzigern das auch jetzt noch benutzte Gebäude fertiggestellt und die Krankenstationen in das neue Haus nebenan umgezogen waren, hatte die Stadtverwaltung beschlossen dort ein Heim für die nicht so sehr begüterten, pflegebedürftigen Alten der Stadt einzurichten.

Die großen 5-Bett-Zimmer hatte man damals größtenteils verkleinert, die über drei Meter hohen Zimmerdecken beließ man auf diesem Niveau; oft ergab das abenteuerliche akustische Effekte, vor allen Dingen wenn man in den etwas kleineren Zimmern laut sprach oder andere lautere Geräusche verursachte. In den Nächten, wenn die diensthabende Pflegekraft ihren Rundgang durch die Zimmer machte, konnte es schnell passieren, dass die Zimmerbewohner durch den unangenehmen Nachklang der Geräusche wach wurden und, vor allen Dingen wenn sie aufgrund ihres Alters oder einer Krankheit schon reichlich morastig unter ihrem Haarschopf waren, für den Rest der Nacht keine Ruhe mehr fanden.

Die Pflegekräfte des Heimes hatten diese Tatsache immer sehr bemängelt; auch Felix, der es anfangs für menschenunwürdig ansah wie die Alten jede Nacht um ihren Frieden gebracht wurden - der dieses ganze verfickte Pflegeheim als menschenunwürdig ansah; so sollte man nicht die letzte Zeit seines Lebens verbringen müssen. Die Menschen dort hatten eigentlich überhaupt nichts mehr; ihre Habe hatte man ihnen fast vollständig genommen, wohl verkauft, um den Aufenthalt in diesem Etablissement finanzieren zu können; viel Platz war in den staubigen Zimmern in der Regel sowieso nicht.

Sie konnten sich nicht mehr allein anziehen, mussten Windeln tragen oder hatten, noch besser, wenn die tumorös geschwollene Prostata der alten Herren die Pisse nicht mehr durchließ, einen Blasenkatheter in ihrem verschrumpelten Penis stecken. Nicht einmal mehr alleine zum Kacken konnten sie gehen - ein toller Ausklang des irdischen Daseins!

Die Bettladen, in denen die Alten schliefen, waren ausgemusterte Krankenbetten des Krankenhauses, dreiteilige Matratzen darauf, und quietschten oder wackelten, waren auf jeden Fall schon reichlich insuffizient in ihrer gesamten Struktur. Die Flecken auf den Matratzen stammten oft von schon längst vergangenen Schissen, den irgendein längst vergessener Heimbewohner im Augenblick seines Ablebens noch als letzten Gruß in die Bettwäsche legte. Kotze und Blut, keiner wollte so genau wissen was das alles für ein Zeug war; die Dinger wurden regelmäßig gereinigt, gewiss, aber das Elend des menschlichen Verfalls ließ sich nicht herauswaschen.

Das Pflegepersonal des Heimes tat sein Bestes um den Alten ein würdiges finales Dasein zu bieten. Es arbeitete ordentlich und motiviert, hatte die Alten in die Herzen geschlossen; den meisten tat es weh, zu sehen wie nach einem langen, oft sicher auch sehr arbeitsreichen Leben, gezeichnet von Krieg, Entbehrungen - auch mancher persönlicher Tragödie, das war den Einzelnen manchmal anzumerken - das ganze Lebensglück der Alten sich auflöste in nichts als Erinnerungen, die manches Mal auch nur noch den Schimmer einer Ahnung eines glücklichen, vergangenen Lebens heraufbeschwören konnten.

Es schien, als hätten jede Schwester und jeder Pfleger dort seinen Traumberuf gefunden. Zumindest dachten sie das von den anderen, man selbst war vielleicht nicht immer so sehr glücklich mit der Tretmühle in die man jeden Tag aufs Neue steigen musste. Immerhin bildeten sie ein nach außen harmonisches Team; das erleichterte für manchen die Arbeit erheblich.

Felix hatte nie besondere Freude für seine Arbeit empfunden; sie zu hassen, das lernte er sehr schnell. Anfangs taten ihm die Alten einfach leid. Er wollte sein Bestes geben um sie zu pflegen, ihnen einen schönen, auch würdigen Lebensabend zu bieten; wahrscheinlich hatte er deswegen diesen Beruf auch ergriffen, irgendwann einmal, damals.

Dann gingen sie ihm auf einmal einfach nur noch gegen den Strich. Die alten Leute waren oft unbeherrscht, wollten ihre Ansprüche meistens sofort befriedigt sehen, ließen ihn nicht in Ruhe, wenn er diese so dringend brauchte.

Morgens um halb fünf aufstehen, andere schliefen noch; der Geruch in den Pflegezimmern, seine morgendliche Tasse Kaffee kam ihm fast hoch. Er musste ihre schlaffen Ärsche waschen, einreiben gegen das Wundliegen, in den Rollstuhl setzen, sie füttern; er tat eigentlich nichts von dem, was er sich einmal als seine beruflichen Aufgaben vorgestellt hatte. Bald wehrte er sich mit all seinen Sinnen gegen diese, ihn so sehr quälende Situation; wohlwissend dass er keine Vorstellung davon bekommen würde, wie er alles hätte ändern können.

Er konnte sich nicht vorstellen, dass einmal der Tag kommen sollte an dem er sein ganzes Leid einfach so akzeptieren würde. Und als dieser Tag dann da war, war er nicht glücklicher als zuvor.

Felix stand vor dem alten Gebäude und wollte nicht hinein. Wenn er jetzt die Schichtübergabe nicht vollends verpassen wollte, musste er sich ziemlich beeilen; ab in den Keller zum Umkleideraum, die weißen Klamotten anziehen, schnell auf die Station.

Aber er konnte nicht.

Eigentlich und unbedingt sollte er jetzt mit Vater Martin sprechen! Dieser war so etwas wie ein Weiser, voll göttlicher Energie, er empfing Botschaften von der Jungfrau Maria und war vermutlich der wohl einzig richtige Gesprächspartner in solch einer Situation.

Vater Martin Fischer war einer der Führer der Gemeinde in die Felix vor etwa eineinhalb Jahren eingetreten war. Damals hatte ihn seine Arbeitskollegin Angelika zu einem Treffen mitgenommen und er hatte sich dort sofort dazugehörig gefühlt. Dort traf er Menschen die, genau wie er, einmal in das Paradies eingehen wollten. So wie auch er kämpften sie alle gegen ihr sündiges Verhalten; alle dort hatten erkannt, dass, wenn sie nicht ihr Leben ändern würden, wenn sie nicht nach den einzig richtigen Regeln dieser Gemeinde des wahren Glaubens leben würden, ihnen nur die Verdammnis blieb.

Als Angelika damals von der Gemeinde zu erzählen begann, schien ihm die ganze Sache zuerst noch einigermaßen fragwürdig: wie konnte es Menschen geben die sich mit Heiligen unterhielten und von sich behaupteten, dass sie, und nur sie, die einzige Wahrheit erkannt hätten?! Zuvor war er immer der Meinung, dass Gott ein Wesen sei das für alle Menschen da wäre, dass Gott keine Unterschiede machte zwischen den einzelnen; Hauptsache wäre, man tat das Möglichste um sein Leben nach den Regeln der Menschlichkeit zu führen. Während dieser Erzählungen hatte er begriffen, dass alles was in seinem Leben bisher so schiefgelaufen war eigentlich nur die göttliche Reaktion auf sein Verhalten, auf die wohl doch nicht so gottgefälligen Dinge die er so tat, sein konnte. Er erkannte, dass sein Leben bisher aus einem einzigen Sündenpfuhl bestand; selbst der kleinste unreine Gedanke, die kleinste Handlung, die nicht den göttlichen Regeln der Gemeinde entsprach, all das war schon Blasphemie - und die wurde bestraft. Die Tatsache, dass er diese Regeln noch nicht kennen konnte galt nicht als Ausrede. Er entschied sich, Angelika zu einem Treffen dieser Leute zu begleiten - sie freute sich sehr, als er es ihr sagte.

Er lernte dann Vater Martin kennen, der natürlich sofort erkannte dass Felix sehr viele Sünden zu bereuen hatte. Sie führten ein langes Gespräch, und als dieses zu Ende war, wusste Felix, dass er angekommen war. Auch als dann die Heimsuchungen begannen war es wieder Vater Martin der die Ursache hierfür erkannte und sogleich wusste, dass es nur die gemeinsame Freveltat von Felix und Angelika sein konnte die jetzt diese Strafe voller Qualen nach sich ziehen würde. Wenn er also jetzt zu diesem Mann gehen und ihm von der Erscheinung berichten würde und ihm erzählen würde das ihm nun der Leibhaftige begegnet sei - es war vor noch nicht einmal einer Stunde geschehen! - was wohl würde geschehen? Vater Martin würde denken dass Felix weiter gesündigt und vielleicht sogar wieder einen anderen Menschen hineingezogen hatte. Man würde ihn fortjagen, aus der Gemeinde ausschließen - es gäbe keine Hoffnung mehr auf die Rettung seiner Seele!

Er durfte auch Angelika nichts erzählen. Heute Vormittag musste er ihr ohnehin nicht begegnen, sie kam erst zum Nachmittags-Dienst und so hatte er also noch etwas Zeit seine Fassung wieder zu finden. Sie erkannte meistens wenn irgendetwas mit ihm nicht in Ordnung war und brachte ihn dazu, sich an die Oberen der Gemeinde zu wenden um seine Verfehlungen zu beichten - im Moment aber fiel ihm überhaupt nicht ein was er denn so Schlimmes getan haben könnte!

Auch Angelika würde es ihm nicht glauben. Seit sie damals gemeinsam zu Vater Martin gingen um diesem von ihrer Schuld zu erzählen war sie ihm gegenüber sehr streng und distanziert. Angelika wurde damals mit Gemeindearbeiten bestraft - Felix wusste nie was das bedeutete, aber sie wurde auch nie von Heimsuchungen geplagt und hatte ihre Schuld somit abgegolten. In Gottes Ansehen stand sie nun wohl schon etwas höher und durfte auf Felix herabblicken; er selbst hatte noch viel zu lernen bis er wirklich zu einem Menschen wurde, der es würdig war sich ein Kind des Herrn nennen zu dürfen.

Das Tagwerk musste verrichtet werden, um jeden Preis. Wenn er jetzt nicht seinen gottgewollten Aufgaben nachkommen würde, würde diese neuerliche Verfehlung seine Situation noch verschlimmern. Er nahm seinen ganzen Mut und seine ganze Kraft, - bloß nichts anmerken lassen, es galt zu kämpfen! Kämpfen gegen das Böse, die Prüfung bestehen - und betrat das Pflegeheim.

Der Glückliche

Подняться наверх