Читать книгу Diese Sehnsucht nach Leichtheit - Corinna Bürger - Страница 12
BOOM
ОглавлениеMax lehnte sich im Stuhl zurück und legte demonstrativ die Hände auf seinen Bauch. „Nein, danke, Ingrid. Ich kann wirklich nicht mehr. Ich bin so satt.“ Ingrid blickte ihn an mit der Fleischgabel in der Hand. „Ach komm, so ein kleines Stück. Das schaffst du doch noch.“ Max schnaufte aus. „Na gut, weil du's bist.“ Triumphierend legte ihm Ingrid das letzte Stück Pute auf den Teller und noch eine Kartoffel hinterher, bevor Max protestieren konnte. „Du kriegst ja die ganze Woche nichts richtiges zu Essen. Hast du überhaupt noch Zeit für so etwas Profanes?“ „Essen? Ja doch. Ich geh meistens abends mit meinem Kollegen etwas essen, und ungefähr einmal die Woche auch mit dem Kunden.“ „Wie läuft es denn so? Larissa hat schon erzählt, dass alles sehr anstrengend ist.“ „Ja, das stimmt. Der Kunde ist eigentlich in Ordnung. Nur mein Chef macht immer so extrem viel Druck. Dabei würde der Kunde bei einigen Sachen sicher auch mit sich reden lassen, und bräuchte nicht immer alles so schnell, wie mein Chef es ihm zusichert. Aber zum Glück ist das Projekt ja bald um. Und dann hab ich wieder mehr Zeit für alles.“ Max legte seine Hand auf die von Larissa und lächelte ihr zu. Sie mochte diesen warmen Blick in seinen Augen. In Momenten wie diesen schien die Anspannung wie verflogen und alles war wieder gut. Bald würde er wieder hier bei ihr sein. Es gäbe keine traurigen einsamen Sonntagabende mehr voller Abschiedsschmerz, sondern sie könnten das ganze Wochenende zusammen genießen, jeden Abend zusammen einschlafen, so viele schöne Dinge zusammen unternehmen. Verträumt strich Larissa mit den Fingern über seine Hand, die so zuversichtlich in ihrer lag. „Und, Larissa, hast du eigentlich schon was von deinen Prüfungsergebnissen gehört?“ fragte Gerhard. „Nein, Papa, die lassen sich da wieder mal ziemlich Zeit. Aber eigentlich hatte ich bei allen ein gutes Gefühl.“ Gerhard nickte wissend. „Ich bin mir sicher, dass du gut abgeschnitten hast. Du hattest ja so viel gelernt. Hoffentlich wird es dieses Semester auch etwas lockerer bei dir.“ „Ja, das hoffe ich auch. Wenn alles gut geht, bin ich zum Ende dieses Semesters scheinfrei. Dann nur noch die Masterarbeit, und dann mach ich so dicke Kohle wie Max.“ Schelmisch grinste Larissa Max an. Max knuffte sie spielerisch in den Arm. „Unsere Managerin der Zukunft. Wenn du so weitermachst, ist dein Gesicht in ein paar Jahren auf der Titelseite der Times.“ Ingrid und Gerhard lachten auf. Aus ihren Augen blitzte ein gewisser Stolz auf ihre Tochter. „Wer mag noch alles einen Kaffee?“ rief Gerhard und war schon auf dem Sprung in die Küche. Alle stimmten zu und zogen gemeinsam Richtung Sofa. Es gab noch so viel zu erzählen. Larissa hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie schon mehrere Wochenenden nicht mehr hier gewesen war. Dabei wohnten ihre Eltern gar nicht so weit außerhalb. Aber sie war einfach froh, wenn sie die Wochenenden in Ruhe mit Max alleine genießen konnte. Doch jetzt genoss sie die Gesellschaft ihrer Eltern und das gemeinsame Plaudern, von Weltpolitik bis hin zum Liebesleben der Nachbarin. Das Gespräch perlte so dahin, der Kaffee duftete und Gerhard sorgte dafür, dass die Kanne und die Tassen stets gut gefüllt blieben. Ingrid reichte selbstgebackene Kekse herum. Wie offensichtlich ihre Eltern sich über ihren Besuch freuten, und sich so um sie bemühten. Schuldbewusst biss Larissa in den Keks hinein. Max nahm seine Hand aus der von Larissa, klopfte sich auf die Schenkel und stand auf. „Es tut mir wirklich leid, aber ich muss los. Ingrid, Gerhard, vielen Dank für die Gastfreundschaft. Es ist immer wieder schön bei euch.“ Auch Larissas Eltern standen auf und umarmten Max, um sich zu verabschieden. „Gute Reise, Max. Halt die Ohren steif. Es sind ja nur fünf Arbeitstage diese Woche.“ klopfte Gerhard ihm kumpelhaft auf die Schulter. Max lachte und ging in den Flur, um sein Jackett anzuziehen. Larissa begleitete ihn. Leise zog sie die Tür zum Wohnzimmer hinter sich zu und ging auf Max zu. Mit traurigen Augen blickte sie ihn an. Wie sehr sie Sonntag Abende hasste. „Hey.“ Max zog sie sanft an sich und küsste sie auf den Kopf. Larissa spürte, wie ihre Augen heiß wurden und versuchte, dieses Gefühl zu verdrängen. Suchend fuhr sie mit den Händen an Max Körper entlang. Wenn sie ihn doch nur irgendwie festhalten könnte. Wenn er doch nur hierbleiben würde, hier bei ihr. Max drückte sie zärtlich. „Ich will nicht, dass du gehst.“ Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Sie wusste doch selbst, dass das nicht ging. Warum sagte sie ausgerechnet jetzt so etwas? „Ach, Schatz, ich würde so gerne, aber du weißt doch, dass das nicht geht.“ Larissa verkroch sich in seinen Armen. Sie fühlte sich albern, wie ein dummes kleines Kind. „Mach dir eine schöne Woche, geh zu dem Tanzkurs, mach was mit Sandra. Und am Freitag abend sehen wir uns wieder, ja?“ Larissa nickte still. Ihr Blick war auf den Boden gewandt. Ihr fiel es schwer, ihn direkt anzusehen. Max gab ihr einen Kuss auf die Wange und trat aus der Haustür hinaus. Wie benommen hörte Larissa den Z3 anspringen. Aus dem Fenster winkte Max ihr noch einmal zu, dann brauste er davon. Larissa fühlte sich wie in Trance. Ihr Körper war auf einmal so schwer. Unfähig sich zu bewegen, blieb sie in der Tür stehen. Ein kalter Windhauch erfasste sie, und brachte sie wieder ein Stück in die Realität zurück. Schweren Herzens schloss sie die Haustür und ging wieder ins Wohnzimmer zu ihren Eltern. Betroffen sahen diese sie an. In der Luft lag ein unangenehmes Schweigen. Nur zu gut konnten sich ihre Eltern vorstellen, welche Szene sich gerade hinter der Tür ereignet hatte, und Larissa wusste das. Still setzte sie sich wieder auf das Sofa und nippte an ihrem Kaffee. „Weißt du, wir hatten früher auch eine Zeit lang eine Fernbeziehung.“ begann Ingrid sanft. Wieder spürte Larissa ihre Augen heiß werden und kämpfte mit aller Kraft dagegen an. „Ach, Mädchen.“ Ingrid kam zu Larissa, setzte sich neben sie und nahm sie in den Arm. „Das wird schon. Alles wird gut. Jetzt ist es schwer, aber diese Zeit geht auch wieder vorbei.“ „Ja genau.“ stimmte Gerhard ein. „Er hat doch vorhin selbst gesagt, dass das Projekt bald vorbei ist.“ „Dieses Projekt.“ schniefte Larissa. Inzwischen konnte sie die Tränen doch nicht mehr vollständig zurückhalten. „Aber dann gibt es ja ein Nächstes.“ „Aber da wollte er doch dafür sorgen, dass er eines in der Nähe bekommt, oder?“ „Ja.“ murmelte Larissa nur und tupfte sich eine Träne aus dem Auge. Schweigend saßen sie da. Larissa fühlte die Wärme ihrer Kaffeetasse in ihrer Hand und studierte das Muster des Teppichs. „Darf ich heute nacht noch einmal bei euch schlafen?“ Überrascht sahen ihre Eltern auf, und sahen sich dann gegenseitig verwundert an. „Aber natürlich darfst du.“ fasste Ingrid sich schnell wieder. „Hast du denn morgen keine Uni?“ „Doch, aber ich muss morgen nicht so früh hin. Es reicht bestimmt auch, wenn ich nach dem Frühstück hier losfahre.“ „Wie du meinst. Du darfst gerne hier bleiben. Wir freuen uns.“
Den restlichen Abend verbrachten sie mit belanglosem Geplänkel. Larissa hatte keine Lust, über die Sache mit Max zu reden. Auch ihre Eltern schienen das Thema instinktiv zu meiden. Sie konnte selbst nicht so recht begreifen, was sie so traurig stimmte. Max hatte ihr doch versprochen, dass er bald wieder mehr hier wäre und bisher hatte er alle seine Versprechen immer gehalten. Er liebte sie, und sie liebte ihn. Wie könnte es denn besser sein. Während Larissa ihren Gedanken nachhing, hatten ihre Eltern wieder das Gespräch von vorher aufgenommen und gaben sich sichtlich Mühe, nur über belanglose Themen zu reden. Sie wollten nicht aus Unachtsamkeit Larissa noch zusätzlich verletzen. Larissa kannte ihre Eltern in dieser Hinsicht nur zu gut und war in diesem Moment extrem dankbar um diese Eigenschaft von ihnen. Larissa lauschte, nickte hin und wieder und warf ein paar Kommentare ein, wenn ihr danach war. Ihre Mutter brachte ein paar Decken, und gemeinsam kuschelten sie sich auf die Couch, um den Tatort zu schauen.
Als Larissa später ins Bett ging, fühlte sie sich seltsam leer und ruhig. Sie kuschelte sich unter die Decke und nahm einen leichten Duft von Max ein, der noch am Kopfkissen haftete. Sie wollte weinen, doch alles in ihr fühlte sich trocken und dörr an. Kurz danach fiel sie in einen traumlosen Schlaf. Zu Beginn jedenfalls. Später in der Nacht begann sie zu träumen. Ihr Körper drehte sich um die eigene Achse, und wie auf einer Spirale schraubte sie sich in den Himmel hinein. Ihr war schwindlig von dem Sog, der sie erfasste und immer weiter nach oben zog. So unheimlich ihr diese Kraft auch erschien, genoss sie doch die Sicherheit, mit der sie immer weiter nach oben getragen wurde. Schließlich breitete sie ihre Arme aus und der Strudel verlangsamte sich. Larissa begann klar zu sehen. Sie sah die blaue Luft um sich herum. Sie sah nach unten und sah die grünen Felder und Wiesen tief unter ihr. Sie sah nach vorne und sah die imposanten Silhouetten der Bergketten. Unter ihren Armen fühlte sie den Wind, der sie trug und auf den sie sich aufstützen konnte, wie auf einem dicken weichen Polster. Sie drehte ihren Körper leicht zur Seite und flog eine Kurve. Wie unglaublich das alles war. Noch viele weitere Kurven flog Larissa. Sie würde nie mehr aufhören zu fliegen.