Читать книгу Ungewollte Grenzerfahrung - Corinne Miller - Страница 9
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ОглавлениеEnde August hat Lore Geburtstag und Vater wird das Wochenende mit ihr und Frank verbringen. Dieses Jahr haben weder meine Geschwister noch ich eine Einladung erhalten und wir sind deswegen nicht unglücklich. Wir sind froh, wenn wir Rita nicht begegnen müssen. Wie im Juli, regnete es auch im August sehr häufig aber die Wetteraussichten für dieses Wochenende sind nicht schlecht. David und ich nutzen die vaterfreien Tage und machen mit Struppi einen Ausflug in den Schwarzwald. Tatsächlich hält Petrus die Schleusen geschlossen und wir schlendern stundenlang durch die Wälder, begegnen ab und zu anderen Wanderern oder Pilzsammlern. Am Ende des Schluchsees steigen wir in die nostalgische Dampfbahn ein.
»Bist du dir bewusst, dass es seit fünf Jahren der erste Ausflug ohne deinen Vater ist?«, fragt David, als wir im Zugabteil auf den Holzbänken sitzen.
»Ja ich weiß und eigentlich ist es traurig.«
»Ich habe bis jetzt nichts gesagt, aber mir kam es manchmal vor, als würde ich das Leben eines Neunzigjährigen führen, weil wir das Programm und das Tempo deinem Vater angepasst und unser Leben nach ihm ausgerichtet haben. Ich finde es schön, dass wir zwei einmal alleine etwas unternehmen.«
»Ich finde es auch sehr schön, aber ich habe nicht vor, das zu ändern. Es ist unser Glück, dass Vater so rüstig und robust ist und schließlich sind wir eine Familie. Diese Zugfahrt würde ihm auch gefallen.«
»Schon gut. Ich verstehe dich ja.«
Gemächlich tuckert der Zug durch die Wälder, vorbei an kleinen Dörfchen und schönen Höfen und wir lachen, als der Zugwind den mit Kohlestaub angereicherte Rauch mit dem penetranten Geruch nach Maschinenöl durch die offenen Türen hereinweht und das Abteil in Nebel hüllt.
Kurz vor dem Titisee ruft David. »An der nächsten Station steigen wir aus. Ich habe von einem Arbeitskollegen die Adresse eines Schlemmerlokals erhalten. Das ist hier irgendwo. Das suchen wir jetzt und lassen uns kulinarisch verwöhnen. Wir haben es uns verdient.«
Gut gelaunt fahre ich am Montagmorgen ins Büro und mache mich voller Tatendrang an die Arbeit. Leider führte die Offerte, die ich letzte Woche doch noch rausgelassen hatte, nicht zu einem Auftrag. Ich habe sie zu spät eingereicht, die Konkurrenz war schneller. Mit dem, was ich sonst zu tun habe, komme ich gut voran bis Lena um halb zehn an die Türe klopft und den Kopf durch den Türspalt streckt.
»Dein Vater ist da.«
Ich stehe auf und gehe in die Lobby. Das erste, das mir auffällt ist sein kummervolles Gesicht. Ich ziehe ihn ins Sitzungszimmer und bitte Lena, uns zwei Tassen Kaffee zu bringen. Als sie den Kaffee serviert hatte, lässt sie uns allein. Vater nimmt einen Würfelzucker und rührt ihn minutenlang in den Kaffee. Ich stehe auf und schließe die Türe.
»Was ist los?«
Er nimmt den Blick nicht von der Tasse.
»Was ist los?«, wiederhole ich meine Frage.
Vater greift in den Hosensack, zieht ein Taschentuch heraus und wischt sich damit über die Augen. Ich sehe erst jetzt, dass er weint.
»Es ist wegen Lores Geburtstagsfest.«
»Aha.«
«Frank und Lore haben mich abgeholt und wir sind zu Rita nach Mattenau gefahren. Frank ist den ganzen Tag Rita hinterhergedackelt und brachte damit Lore zum Weinen. Auch ich bin enttäuscht, denn ich habe mir von Rita Zuneigung erhofft, nachdem sie von mir so viel Geld bekommen hat. Sie ließ mich die ganze Zeit sitzen und ist zwischendurch mit Frank verschwunden. Auch gegenüber Lores Cousin hat Rita sich unmöglich benommen. Weil er und seine Frau früher als erwartet eingetroffen sind stauchte Rita ihn zusammen. Nur aus Rücksicht auf Lore sind sie nicht auf der Stelle wieder gegangen. Es ist auch ihnen aufgefallen, dass Frank und Rita nicht immer anwesend waren und sie haben Lore getröstet. Am Schluss waren alle froh, als diese komische Feier endlich zu Ende war. Meinst du, Frank und Rita haben etwas zusammen?«
»Ihr Verhalten ist sehr auffällig«, antworte ich zögernd, weil es für mich unvorstellbar ist, dass Rita eine sexuelle Beziehung zu Vater und Sohn hat.
»Frank will mich im Tirol besuchen und mir die Zeit mit Rita stehlen. Aber da kommt er an die falsche Adresse, wenn er meint, ich kümmere mich wie letzten Sonntag um seine Frau, während er sich mit Rita vergnügt«, ereifert er sich.
Ich weiß, dass Vater in der letzten Septemberwoche für eine Woche ins Tirol fährt. Seit vielen Jahren verbringt er dort, früher zusammen mit Mutter, eine Woche Ferien, meist in Begleitung eines oder aller Familienmitglieder. Diese Tradition wurde auch nicht unterbrochen, nachdem Mutter nicht mehr unter uns war.
»Du nimmst Rita mit ins Tirol?«, frage ich verwundert.
»Das ist doch prima, dann bin ich nicht allein.«
»Du warst nie allein. Wieso sagst du das. Ich fasse es nicht, dass du sie nach dieser Erfahrung mitnehmen willst. Diese Frau ist nichts für dich. Gib ihr den Laufpass.«
»Du hast Recht. Ich warte die Ferien ab, dann sehen wir weiter.«
»Nein, nicht warten. Mach Schluss. Jetzt. Du kannst dich im Tirol erholen. Du bist dort nicht allein, Toni kommt mit.«
»Rita hat es aber versprochen«, quengelt er.
»Bezahlt sie oder du?«
»Ich bezahle das Zimmer. Für Essen und Getränke muss sie selbst aufkommen.«
»Besucht sie dich diese Woche wieder?«, frage ich und hoffe, sie lässt sich nach diesem Wochenende nicht mehr blicken.
»In der Regel immer am Montag und Freitag. Manchmal auch am Mittwoch. Und immer mit Frank. Wieso ist er immer dabei?«
»Weil sie eine Affäre haben.« Langsam glaube ich es selbst.
»Das stimmt nicht. Letzte Woche hat Rita vor dem Bären einen anderen Mann geküsst. Ein Stammtischkollege hatte es gesehen und mir später erzählt. Das würde sie doch nicht machen, wenn sie mit Frank eine Affäre hätte, sie würde ihn ja hintergehen.«
»Dass sie dich hintergeht interessiert dich nicht?«
»Doch. Ich habe Rita am Abend angerufen und gefragt, weshalb sie das gemacht hätte. Sie sagte, die vom Stammtisch sind eifersüchtig und haben es erfunden. Ich weiß, sie gönnen mir die junge Frau nicht.«
»Das hat dir Rita eingebläut. Es ist nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen. Papa, ich bitte dich, du darfst nicht mit dieser Frau verkehren. Sie ist dubios und behandelt dich nicht fair. Ist dir deine Ehre nichts wert?«
Er zuckt kommentarlos mit den Schultern. Nach einer Stunde breche ich das Gespräch ab, weil ich keine Lust habe, meine Arbeitszeit dem Verhalten dieser falschen Schlange zu opfern. Wäre Vater einsichtig gewesen, hätte ich mir alle Zeit der Welt genommen. Aber so bringt das nichts.
»Mach Schluss«, flehe ich ihn an, als ich ihn zur Türe bringe. Als er auf dem Gehsteig steht, frage ich ihn: »Holst du morgen Struppi ab?«
Er dreht sich um.
»Ähm. Darüber wollte ich auch noch mit dir reden. Ich will mehr Zeit mit Rita verbringen, darum kann ich ihn nicht mehr nehmen.«
»Bleibe trotzdem in Bewegung, die tut dir gut«, antworte ich.
Er hebt die Hand zum Gruß, dreht sich um und läuft davon. Ich sehe Vater hinterher und mache mir Sorgen. Er ist sich nicht bewusst, dass er mit Vollgas ins Verderben rennt. Die Liebe treibt ihn blind voran.