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Stille Wasser gründen tief

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An anderen sehen wir unsere Fehler

Dass im Laufe der Evolution einiges in unserem Kopf durcheinandergekommen ist, zeigen die Attributionen von Schweigen und Reden: Während wir ständig am Reden sind, weil wir glauben, uns verteidigen, rechtfertigen, durchsetzen, mitteilen, profilieren, sympathisch erscheinen lassen zu müssen, schätzen wir gleichzeitig Zeitgenossen wenig, die genau das auch tun. Wir verachten an anderen, was wir selbst falsch machen. (Freud hätte seine Freude an uns und würde das Transferenz nennen.) Daran liegt es, dass in allen Kulturen die Schweigsamen hoch geschätzt werden. Das Sprichwort mit den stillen Wassern dokumentiert das oder Redewendungen wie »Sie schwieg weise«. Schweigen wird mit Tiefgründigkeit, Weisheit, Souveränität, Bildung und Intelligenz in Verbindung gebracht. Wer schweigt, heimst sozusagen die Rendite des Schweigens, den Lohn der Stille ein. Wer schweigt, wirkt auf andere klug, souverän, selbstbewusst, gelassen, gebildet, erfahren, kompetent, glaub- und vertrauenswürdig. Auch wenn er oder sie das gar nicht ist! Wer das noch mit einem Lächeln kombiniert, wirkt gleich 20 Prozent intelligenter, wie Studien zeigen. Dieses Phänomen nennt der Psychologe Attribution (unbewusste Zuschreibung von Eigenschaften). Es ist dasselbe Phänomen, das Brillenträger intelligent erscheinen lässt. Oder das Menschen beim Jogging oder im Fitnessstudio sich schneller verlieben lässt: Sie verwechseln körperliche Aktivierung mit Liebe. »Liebe als Fehlattribution« lautet der Titel einer Studie über das Fitnessstudio-Phänomen. Umgekehrt gilt: Niemand mag Dauerredner. Sie wirken ordinär, unintelligent, rechthaberisch, aufdringlich und wenig vertrauenswürdig. Auch wenn sie keine einzige dieser schlechten Eigenschaften besitzen, sondern einfach bloß den Mund nicht halten können. Selbst Nobelpreisträger wirken so, wenn sie zu oft den Mund offen haben.

Nobelpreisträger können schweigen

Wobei mir kein einziger Nobelpreisträger einfällt, der auch nur halb so viel redet wie ein »normaler« Mensch. Irgendwie scheint unsere Wissenschaftselite den Nutzen und den Lohn des Schweigens bereits erkannt zu haben … Dasselbe kann ich nicht über die Wirtschaftselite sagen. Im Management gilt: »Lautsprecher werden bevorzugt befördert«, wie mir ein Ingenieur eines Weißwaren-Herstellers einmal versicherte und anfügte: »Fachkompetente werden bestraft, Quasseltanten befördert.« Das erklärt, warum wir eben in die schlimmste Wirtschaftskrise der Neuzeit gestürzt sind: Die meisten Manager (es gibt ungefähr 20 Prozent Ausnahmen) können besser reden als denken. Sie können sich mitteilen, aber nicht die Risiken ihrer Taten einschätzen. Sie sind gut im Karrieremanagement, schlecht beim Risikomanagement. Was uns das beschert, beschreibt das Peter-Prinzip: »Jeder steigt auf bis zum Level seiner maximalen Unfähigkeit.« Sein Korrelat lautet: Ab einer bestimmten Hierarchieebene werden wir in Wirtschaftsorganisationen nur noch Nieten im Nadelstreif finden (Ausnahmen bestätigen die Regel). Sozialwissenschaftler nennen das »Adverse Selection«: Es werden genau jene befördert, die der Organisation am meisten Schaden zufügen. Der Volksmund sagt das einfacher: den Bock zum Gärtner machen. Und alles nur, weil die Wirtschaft als eine der ganz wenigen Ausnahmen nicht glauben mag, dass Reden Silber und Schweigen Gold ist (warum sie das nicht glaubt, ist mir ein Rätsel).

Trotzdem sollten Sie jetzt nicht zu der Schlussfolgerung gelangen, dass es am Arbeitsplatz immer besser ist, pausenlos dummes Zeug zu quasseln. Das ist möglicherweise gut für die Karriere, weil Vorgesetzte darauf hereinzufallen scheinen (wiederum: Ich weiß nicht, weshalb). Aber es ist ganz schlecht für Image, Respekt und den Kontakt auf kollegialer Ebene. Betrachten wir ein Beispiel.

Wer schweigt, wirkt weise

Ich kenne eine Akademikerin, die als Quereinsteigerin in einem Pharma-Unternehmen die ersten Wochen im neuen Job nur Bahnhof verstand. Sie ahnte, dass sie mit ein paar coolen Sprüchen ihre Vorgesetzten wohl hätte beeindrucken können. Doch dafür hätte sie sich vor den Kolleginnen und Kollegen geschämt: »Die kennen sich in der Regel besser mit der Materie aus als das Management und hätten meinen Bluff sicher durchschaut. Und ich will es mir auf keinen Fall mit den Kollegen und Kolleginnen verscherzen.« Deshalb hielt sie sich in Meetings und Besprechungen am Anfang mit Wortmeldungen zurück. »Aus vorübergehender Inkompetenz«, verriet sie mir. Ihre Kolleginnen und Kollegen sagten etwas ganz anderes über sie: »Die Neue hat was drauf!«, »Sehr angenehm, sehr kompetent.« Obwohl sie gerade nicht kompetent war! Wie kamen die anderen zu diesem Fehlschluss? Weil die Neue sich in Meetings zwar vornehm zurückhielt, aber den Gesprächen aufmerksam folgte und das in ihrer Mimik und mit nonverbalen Äußerungen (»Reassuring Noises«) auch deutlich signalisierte. Sie hielt sich instinktiv an die alte Empfehlung: Bevor ich etwas Dummes sage, sage ich lieber nichts – und strich den Lohn für ihr Schweigen in Form der Anerkennung ihrer Kollegen ein. Kennen Sie jemanden, der sich noch an diese Empfehlung hält? Eben. Die Leute um uns herum scheinen oft nur dummes Zeug zu reden. In bestimmten Bereichen wie Politik und Management scheint sogar das Gegenteil zu gelten: Lieber etwas Dummes als gar nichts gesagt. Und dann wundern sich (einige) Politiker und Manager noch, warum sie so ein schlechtes Image haben …

Wer schweigt, wirkt intelligent. Wirkt intelligent? Tatsächlich ist er oder sie auch wirklich intelligent. Die naiven Zeitgenossen geben unreflektiert dem Impuls nach: »Ich habe keine Ahnung, aber ich muss doch hier etwas sagen!« Intelligente Menschen verspüren diesen Impuls auch. Doch sie geben ihm nicht nach. Sie widerstehen der Versuchung. Und dafür benötigt es ein beträchtliches Maß an Intelligenz. Intelligenz, die ich vielerorts vermisse. Vor allem in Autowerkstätten.

Können Kfz-Mechaniker schweigen?

Wenn das Auto einer Frau liegen bleibt und sie in einer Werkstatt vorstellig wird, wird sie manchmal mit Sprüchen aus der Steinzeit traktiert: »Sicher haben Sie vergessen zu tanken!« Selbst Akademikerinnen geht das so. Die Logik dahinter ist offensichtlich: Da promoviert eine in Bankbetriebswirtschaftslehre und führt ein Familienunternehmen, ist aber zu blöd, um einen Benzintank zu füllen? Wie intelligent ist diese Annahme? Sicher sind solche voreiligen Monteure nicht dumm – aber sie wirken auf mich und auf die Frauen in ihrem eigenen Betrieb und in ihrer Familie so. Und, meine Herren, lassen Sie mich Ihnen eines verraten: Frauen stehen nicht auf dumme Männer. Das gilt umgekehrt übrigens auch:


Frauen, die gekonnt schweigen, gelten als geheimnisvoll und tiefgründig.

Jeder Monteur, der bei meinem Anblick in seiner Werkstatt nicht gleich mit unausgegorenen Bemerkungen kommt, genießt bereits meine Vorschussachtung. Insbesondere dann, wenn er sich erst einmal schweigend meinen Pannenbericht anhört. Denn dann fühle ich mich verstanden.

Viel sagen, ohne viel zu sagen

Wer schweigen kann, gilt als verständnisvoll, mitfühlend und zustimmend. Das wussten bereits die alten Römer. Sie erhoben diesen Satz sogar zum Rechtsgrundsatz: »Qui tacet consentiret.« Wer schweigt, signalisiert damit seine Zustimmung. Die moderne Rechtsprechung würde das konkludentes Verhalten nennen und wendet es auch auf Geschäftsleute an: Wenn unter Kaufleuten einem Vorschlag nicht widersprochen wird, gilt er als angenommen. Schweigen ist kontraktstiftend. Im Alltag wirkt zwar nicht dieser rechtliche, wohl aber ein beziehungstechnischer Aspekt des Schweigens: Wer schweigend einem anderen zuhört und ihm mimisch Aufmerksamkeit signalisiert, der kommuniziert damit immer auch Zustimmung. Die Wirkung ist manchmal verblüffend. Ein Versuchsleiter erzählte mir einmal, dass nach einem Gespräch unter Laborbedingungen sich eine Probandin geradezu überschwänglich beim Gesprächspartner für dessen Verständnis und »das gute Gespräch« bedankte. Der Versuchsleiter hatte die kommunikative Kompetenz des Gesprächspartners nicht ganz so hoch eingeschätzt und spulte das Tonband zurück, um herauszufinden, was dieses Kommunikationsgenie denn nun so gut gemacht hatte. Er stellte fest: Der angeblich so geniale Partner hatte während des zwanzigminütigen Gesprächs so gut wie nichts gesagt! Hauptsächlich äußerte er zustimmende nonverbale Laute wie »Hmh«, »Ja«, »Logisch«, »Ach, wirklich?«, »Donnerwetter!«. Seine Gesprächspartnerin beschrieb ihn hinterher als »eloqent, verständnisvoll und sehr artikuliert«. Ein Hochstapler? Nein, der Mann ist wirklich ein Genie! Er weiß, wie man viel sagt, ohne viel zu reden. Vor allem: Was hat der Mann auf diese Weise alles über seine Partnerin erfahren! Was uns zum nächsten Lohn des Schweigens bringt.

Einfach mal die Klappe halten

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