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Wissen ist der Lohn des Schweigens

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Wer redet, hört nicht zu

Ein besonders eindrückliches Beispiel für den reichen Lohn des Schweigens erzählte mir jüngst der Vorstand eines Bankenverbundes: »Zwei Banken auf dem Lande, die eine ist jetzt fast bankrott, der anderen geht es gut. Die eine hatte massiv US-Schrottkredite gekauft, die andere nur in geringem Umfang. Bei beiden wusste mindestens ein Mitarbeiter im Risk-Management schon frühzeitig, dass die Papiere Schrott sind. Doch bei der einen erfuhr sein Vorgesetzter niemals im nötigen Umfang von diesem Wissen. Obwohl in beiden Unternehmen die Vorgesetzten wöchentlich mit ihren Risk-Managern sprechen.« Doch in der einen Bank laufen die Gespräche (auch heute noch!) nach folgendem Muster ab: »Das müsst ihr noch machen, und wo bleibt jenes, und warum kommt Projekt X nur so langsam voran?« Der Vorgesetzte redet 80 Prozent der Zeit, seine Mitarbeiter 20 Prozent. In der anderen Bank spricht der Vorgesetzte 40 Prozent der Zeit, also gerade die Hälfte seines redseligen Kollegen, dessen Bank jetzt bankrott ist. Der Preis der Quasselei: Wer redet, kann nicht zuhören. Und dieses Unvermögen kann ganz schön teuer kommen. »Careless talk costs lives.« Wer als Führungskraft seinen Quasseldrang nicht im Zaum halten kann, gefährdet das eigene Unternehmen. Das hat direkt etwas mit der Unfähigkeit zu schweigen (siehe Kapitel 3) und übergeordnet etwas damit zu tun, dass Menschen das, was sie wissen, höher bewerten als das, was sie nicht wissen.

Was Sie wissen, ist wichtig; wichtiger ist, was Sie nicht wissen

Alle beklagen sich, wie dynamisch, sprich sprunghaft die Welt doch geworden ist. Doch kaum einer denkt über die Konsequenzen seiner Klage nach: Wenn die Welt sprunghaft geworden ist, dann ist das Wissen, über das ich nicht verfüge, das wichtigere Wissen. Denn mit meinem eigenen Wissen kann ich die Sprünge nicht antizipieren (deshalb erscheinen sie mir ja sprunghaft – sie sind aufgrund meines Wissens nicht prognostizierbar). Um Sprünge vorauszusehen und zu verstehen, benötige ich Wissen, das ich noch nicht habe. Über diesen Gedanken allein hat Nicholas Taleb übrigens den Bestseller The Black Swan geschrieben. Der springende Punkt: Wie will ich zu diesem Wissen gelangen, wenn ich ständig den Mund offen habe? Wenn ich also stets auf meinen eigenen, lückenhaften Wissensfundus zurückgreife und nicht die Option nutze, an fremdes Wissen heranzukommen?

Wie gravierend diese Plappersucht unsere Wirtschaft schädigt, zeigen auch kalauernde Bürosprüche wie: »Wenn Siemens wüsste, was Siemens alles weiß.« Damit wird darauf angespielt, dass in großen Unternehmen (und in Familien) die Lösungen meist schon an Stelle X vorhanden sind, die Stelle Y schmerzhaft vermisst und möglicherweise teuer bezahlt. Aber dass die Lösung intern nicht von X nach Y kommt – weil die Leute nicht aufeinander hören und sich ständig nur im Saft der eigenen Sprechblasen wälzen. Keiner hört dem andern zu.

Den Vogel schoss in dieser Hinsicht jüngst eine Familie ab, deren Eltern sich einen ganzen Abend lang um die Reisekosten für den Schullandheimaufenthalt der Tochter stritten, während die Tochter in Hörweite im Wohnzimmer saß und fernsah. Irgendwann schaltete sie aus, ging auf ihr Zimmer und sagte im Vorübergehen: »Ach übrigens, Schullandheim ist abgesagt. War zu vielen Eltern zu teuer.« Die Eltern wollten empört wissen, warum sie das nicht früher schon gesagt habe. Die Antwort der Tochter: »Ihr habt mich nicht gefragt. Und ich wollte euch nicht stören, wenn ihr euch streitet.« Wer streitet, kann nicht hören. Reden ist manchmal eine sehr gefährliche Zeitverschwendung. Weil es Wichtigeres gibt. Schweigen und Zuhören zum Beispiel. Nur wer zuhört, erkennt die Welt.

Warum so oft die Falschen eingestellt werden

Besonders gravierende Folgen hat dieses Unvermögen zu schweigen bei der Einstellung von neuen Mitarbeitern. Die Fehlerquote ist auch im Zeitalter der interstellaren Raumfahrt irrwitzig hoch. Es gibt kaum verlässliche Zahlen darüber (weil das jedem Manager peinlich ist). Doch ich kenne Führungskräfte, die von ihrer eigenen Einstellungspraxis behaupten: »Jeder zweite neue Mitarbeiter erfüllt nicht die Erwartungen, die ich aufgrund der Einstellungsgespräche von ihm hatte.« Warum? Sind die Neulinge alle Hochstapler, die im Vorstellungsgespräch Sachen versprechen, die sie nie halten können? Das wäre schön. Tatsächlich ist die Sachlage viel unheimlicher. Wie Studien zeigen, ist eine zuverlässige Einschätzung der Fähigkeiten von Bewerbern in den meisten Vorstellungsgesprächen gar nicht möglich, weil sich in diesen Gesprächen der Bewerber gar nicht bewirbt. Er bekommt den Mund dafür nicht auf, weil der einstellende Manager ihn zuquasselt! Gesprächsanteile von 80 Prozent aufseiten des Einstellenden sind keine Seltenheit! Der Manager missbraucht das Einstellungsgespräch, um die Vorzüge des Unternehmens herauszustreichen, um eigene Verdienste zu propagieren, mit seinem Fachwissen zu glänzen und die wenigen, spärlichen, kurzen und ständig von ihm unterbrochenen Einlassungen seines Bewerbers mit biblisch langen Kommentaren von herzzerreißender Trivialität zu analysieren. Dabei bemerkt er das noch nicht einmal! Werden diese 80-Prozent-Quassler danach gefragt, wie groß ihr Gesprächsanteil war, dann geben sie diesen regelmäßig als unter der 50-Prozent-Marke liegend an! Das heißt: Selbst Manager mit Spitzengehältern wissen buchstäblich nicht, was sie tun – und machen trotzdem Karriere. Sie sollen globale Netzwerke führen, Konzerne managen und uns vor den Risiken einer wild gewordenen Globalisierung schützen. Dabei können sie noch nicht einmal die Klappe halten in einem Vorstellungsgespräch! Das Ausmaß der Inkompetenz im Management wird allerorten immer noch sträflich unterschätzt. Und zum wiederholten Male: Es gibt rühmliche Ausnahmen. Circa ein Fünftel der Manager auf allen Ebenen kann nicht nur schweigen, diese Leute können auch noch jede Menge anderer nützlicher Dinge. Sie sind zum Beispiel konfliktsicher. Auch diese schöne Fähigkeit hat mit der Kunst des Schweigens zu tun.

Einfach mal die Klappe halten

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