Читать книгу Einfach mal die Klappe halten - Cornelia Topf - Страница 27
Pacing – der Weg ins Schweigen
ОглавлениеSarah hat einen umsatzstarken, aber schwierigen Kunden, der jede Woche einmal reklamiert. Immer schimpft er dabei über die »unnötig komplizierte Steuerung von euren Maschinen! Das versteht doch keine Sau!« Sarah zuckt jedes Mal zusammen und versucht ihm zu erklären, dass die Steuerungsprozesse ganz logisch und einfach sind, wenn man sich eingehend mit ihnen beschäftigt. Sie unterstellt dem Kunden, dass er die Bedienungsanleitung nicht ausführlich genug gelesen hat. Und so reden die beiden jede Woche eine halbe Stunde aneinander vorbei. Seit der Vorgesetzte das mitbekommen hat, sagt er ebenso oft zu Sarah: »Wenn Sie diesen Kunden verärgern, dann versetze ich Sie in die Packerei!«
Als der Kunde das nächste Mal anruft, sagt Sarah: »Ach, Sie Ärmster, spinnt die Steuerung schon wieder? Das ist alles viel zu kompliziert? Ja, ich kann mir vorstellen, dass das ganz schön frustrierend ist. Schließlich hält Sie das von der eigentlichen Arbeit ab.« Auf diese Weise geht Sarah sozusagen einige Schritte (Paces) mit dem Kunden mit – und schweigt dann. Keine Widerrede, keine Belehrungen, keine Überzeugungsversuche. Nur Schweigen. Was passiert? Nach zwei Minuten hat er sich ausgetobt (früher dauerte es zehn), weil er sich verstanden fühlt. In der Zwischenzeit hat er auch schon zaghaft nach den Schulungstarifen von Sarahs Firma gefragt …
Sie kommen ganz schnell in ein harmonisches und produktives Schweigen, wenn Sie den Gesprächspartner pacen, das heißt einige Schritte neben ihm herlaufen – anstatt ihn zu konfrontieren.
Wir alle suchen instinktiv nach diesem starken Satz, der unangenehme Gespräche rasch beendet oder in rechte Bahnen lenkt. Sehr beliebt sind Sätze wie: »Nun bleiben Sie doch bitte sachlich!«, »Nicht in diesem Ton!«, »So lasse ich nicht mit mir reden!« Obwohl diese Sätze stark klingen, wirken sie nur gut in Situationen mit hierarchischem Gefälle. Wenn gleichberechtigte Partner miteinander reden, funktionieren sie selten. Weil sie den Gesprächspartner belehren, implizite Vorwürfe enthalten. Diese Sätze gehen nicht mit dem Partner mit, sie stellen sich in Opposition zu ihm.
Streiten ist nicht schwer, schweigen dagegen sehr
Natürlich fällt es uns schwer, einen Menschen zu pacen, der uns mächtig auf die Nerven geht, der uns angreift, beleidigt, Vorwürfe macht, kurz: unsere Erwartungen nicht erfüllt. »Wenn einer mir vorwirft, meine Spreadsheets seien lückenhaft, dann trete ich ihm vors Schienbein!«, sagt Luzia, die Chefcontrollerin eines Kosmetikkonzerns. Und wer würde sie dafür tadeln wollen! Luzia selbst. Sie meint: »Ich habe den Verdacht, dass derjenige, der mir einen Vorwurf macht, mich nicht persönlich treffen will. Er ist möglicherweise nur schrecklich ungeschickt beim Kommunizieren seiner Meinung.« Er sagt also nicht, was er meint. Was er meint, könnte zum Beispiel Folgendes sein: »Ich finde in Ihren Controllinglisten nicht die Zahlen, die ich suche und für meine Arbeit brauche! Wenn ich das so artikulieren könnte, würde ich das so artikulieren. Aber da meine Eltern, Lehrer und Professoren, Politiker, Mentoren und Vorgesetzten auch nur mit Vorwürfen kommuniziert haben, glaube ich irrtümlich, dass Vorwürfe die einzige Möglichkeit sind, meine Meinung zu äußern!«
Menschen meinen selten, was sie sagen. Gehen Sie vom Gegenteil aus: Ihr Gesprächspartner sagt Y, meint aber X. Was ist das X? Und dann pacen Sie das X. Als an Luzia der nächste unberechtigte Vorwurf herangetragen wird, rastet sie nicht mehr aus und prügelt verbal auf den »Angreifer« ein, sondern fragt pacend nach: »Wo sehen Sie denn eine Lücke? Welche Zahl vermissen Sie?« Und dann schweigt sie. Wie reagiert der »Angreifer«? Einer sagte in diesem Fall: »Wie? Wieso? Interessiert Sie das denn? Ja, darüber habe ich ehrlich gesagt noch gar nicht nachgedacht. Ich ging davon aus, dass es Ihnen als Chefcontrollerin sowieso schnuppe ist, was ich als kleiner Sachbearbeiter im Vertrieb für Zahlen brauche.« Und danach haben die beiden ganz vernünftig miteinander geredet und eine neue Kennzahl konstruiert. Weil Luzia so klug war, zu pacen, eine Frage zu stellen und dann den Mund zu halten.
Ich empfehle zur Aufnahme in alle Anforderungsprofile für Führungspositionen: »Muss die Klappe halten können!« Das ist eine Führungsqualifikation sine qua non.
Auch aus einem anderen Grund: Wer nicht schweigen kann, kann auch nicht denken.