Читать книгу Einfach mal die Klappe halten - Cornelia Topf - Страница 8
Warum nur wenige diese wunderbare Welt kennen
ОглавлениеVielleicht ahnen Sie es: Sie sind nicht allein. Ich habe dieses Buch auch deshalb geschrieben, weil ich in Coaching, Training, Beratung, aber auch im Privaten mehr und mehr Menschen treffe, denen immer stärker bewusst wird, dass zu viel geredet wird.
Auch für Worte gilt: Was zu viel ist, ist zu viel
Was Susi erzählt, kennt sicher jede(r): »Wenn ich mich mit meinem Partner streite, könnte ich mir hinterher auf die Zunge beißen. Ich sage jedes Mal Dinge, die ich hinterher bitter bereue. Und ihm geht es sicher nicht anders.« Verkäufer sagen mir: »Ich kann bei Preisverhandlungen einfach nicht den Mund halten! Ich fange viel zu schnell an, über Rabatte zu reden! Meine Rabattquote liegt weit über dem Durchschnitt! Mein Chef lässt das sicher nicht mehr lange durchgehen. Aber ich kann einfach nicht die Klappe halten, wenn der Kunde zu jammern anfängt.«
ÜBUNG
In welchen Situationen und mit welchen Gesprächspartnern reden Sie zu viel? Was ist dabei zu viel? Wo würden Sie lieber einen Punkt setzen?
Das war eine kleine, leichte Übung. Doch wenn Sie sie (auch nur gedanklich) mitgemacht haben, sind Sie einen großen Schritt weiter. Und haben vielen Zeitgenossen einiges voraus:
Die meisten Menschen merken nicht, dass sie bei bestimmten Gelegenheiten zu viel reden.
Sie registrieren es noch nicht einmal, wenn der Ehepartner, Kinder oder Kollegen sie darauf aufmerksam machen. Denn sie können es nicht fassen: »Aber was gesagt werden muss, muss doch gesagt werden!« Das heißt, sie erliegen dem Irrtum, dass nur etwas, was da ist, auch wirken kann. Sie können es sich buchstäblich nicht vorstellen, dass manchmal das Ungesagte mehr sagt als das Gesagte. Das übersteigt ihre Abstraktionsfähigkeit. Das ist schade, denn nur wer erkennt, dass er manchmal zu viel redet, kann schweigen. Und nur wer schweigt, betritt die wundersame Welt der Stille.
Erstaunliche Wirkung
Wenn Menschen ganz bewusst zu schweigen beginnen, wo sie früher unüberlegt geredet haben, dann entwickelt das eine beeindruckende Wirkung. Entweder auf ihren Gesprächspartner oder auf sie selbst. Meist auf beide.
Eine Büroangestellte erzählte mir: »In unserer Kaffeepause lästern meine Kollegin und ich meist über Vorgesetzte, Kollegen und Kunden. Gestern habe ich nicht so stark wie sonst mitgelästert, sondern öfter mal geschwiegen, ihr ganz bewusst zugehört, genickt, zustimmende Geräusche gemacht. Irgendwann kam sie vom Lästern zum Erzählen. Von ihrer Scheidung, den beiden Kindern, dem Hausverkauf. Ich wusste gar nicht, dass sie ihr Haus verkaufen muss. Deshalb war sie wohl in letzter Zeit öfters etwas zickig.«
Wer redet, kann nicht hören
Das muss man sich vorstellen! Da lebt und arbeitet man jahrelang mit einem Menschen zusammen, auf engstem Raum, und bekommt noch nicht einmal mit, dass er sein geliebtes Häuschen verkaufen muss! Weil wir zu viel quasseln und zu wenig zuhören. Wer schweigt, bekommt mehr mit von der Welt und ihren Menschen. Und wird ganz anders respektiert. Wir können uns vorstellen, dass die Kollegin, die ihr Herz über den drohenden Hausverkauf ausschüttete, sehr dankbar war, dass sich endlich jemand auch ihre Sorgen anhörte. Meist passiert das nicht einmal mehr in der eigenen Familie.
Ein Sachbearbeiter erzählte mir im Coaching, dass er sich wohl eine neue Arbeit suchen müsse. Ihm war nicht wohl dabei: »In diesen Zeiten? In unserer Branche wird gerade überall entlassen. Ich muss froh sein, dass ich noch Arbeit habe. Aber mein Chef bringt mich zum Wahnsinn!« Beide stritten sich jeden Tag mindestens zwanzig, dreißig Minuten. Ich schlug dem Sachbearbeiter vor, nicht seinen Arbeitsplatz zu wechseln, sondern seine Gesprächsstrategie. Ich empfahl ihm, sich im nächsten Streit jede zweite Erwiderung zu verkneifen und souverän zu schweigen. Er schaffte es nicht ganz. Er schaffte nur jede dritte. Trotzdem war nach zehn Minuten der Streit beendet: »Mein Chef hat sich nicht mehr so aufgeregt wie früher. Kein Wunder, ich hab ihm ja ein Drittel weniger widersprochen.« Aber hat der Sachbearbeiter dabei nicht etwas Sachliches verschwiegen, das er hätte aussprechen müssen? Nein, und das ist das Schöne daran: Wir können gut 50 Prozent von dem, was wir sagen, getrost weglassen – es macht keinen Unterschied. In Konflikten sollten wir manchmal sogar 100 Prozent weglassen.
ÜBUNG
Nehmen Sie sich vor, bei nächster Gelegenheit zu schweigen, und beobachten Sie die Wirkung Ihres Schweigens. Auf Ihren Gesprächspartner und auf sich. Vergleichen Sie die Wirkung mit der Wirkung im üblichen Verlauf eines Gesprächs. Wo liegen die Unterschiede? Wie stark sind sie? Wie äußern sie sich?
Wie stark wir zu schweigen verlernt haben, zeigt sich auch daran, dass bei einer so einfachen Übung oft ganz seltsame Fragen auftauchen: »Aber ich kann doch nicht schweigen, wenn mich jemand etwas fragt!«, wenden viele Menschen an dieser Stelle ein. Wer hat das verlangt? Natürlich verdient jede (nichtrhetorische, nichtsuggestive) Frage eine Antwort. Alles andere wäre grob unhöflich. Doch es fragt Sie ja nicht ständig jemand etwas, oder? Hinter dem seltsamen Einwand verbirgt sich der eigentliche Grund für die verbreitete Logorrhö:
Wir reden meist nicht überlegt, sondern reflexhaft.
Am deutlichsten wird das in Konfliktsituationen. Michael sagt zu Susi: »Du blöde Kuh, du!« Hinterher sagt sie zu mir: »Aber da muss ich mich doch wehren, wenn er so etwas sagt! Das kann ich doch nicht auf mir sitzen lassen!« Warum »sitzt« das auf Susi? Wie schon Eleonore Roosevelt sagte: »Es kann dich niemand beleidigen, dessen Beleidigung du nicht akzeptierst.« Man kann nur auf sich sitzen lassen, was man vorher akzeptiert hat. Was geht es mich an, dass Michael mich für eine blöde Kuh hält? Es reicht doch wohl, dass ich mich nicht dafür halte. Zumindest wäre das eine Überlegung wert. Aber nein, wir überlegen nicht, wir wehren uns sofort, reflexhaft und unüberlegt – und eskalieren damit den Streit! Natürlich ist es schwierig, in so einer Situation die Klappe zu halten und die Zote des Partners mit einem überlegenen, süffisanten Lächeln Marke »Red’ du nur, Alter!« zu übergehen. Gerade deshalb plappern wir doch: Es ist nicht besser, aber es ist leichter, als souverän zu sein. Deshalb lassen wir uns oft verführen, den Mund aufzumachen. Eingehend beschäftigen wir uns in Kapitel 3 mit all den Gründen, warum uns Schweigen manchmal so schwerfällt – auch wenn es besser für uns wäre.
Einige Menschen lernen, der Versuchung der vorschnellen Rede zu widerstehen. Eine Abteilungsleiterin zum Beispiel, die für ihre resolute Art bekannt ist, gestand mir: »Wenn der Streit jedes konstruktive Niveau verlassen hat, schweige ich oft gezielt und ausdauernd. Das hilft immer!« Warum? »Na, versuchen Sie doch mal mit einer zu streiten, die keinen Ton sagt. Das wirkt.« Entweder rennt der Streithahn zur Tür hinaus, was gut ist. Oder er beruhigt sich, wird weniger persönlich und etwas sachlicher – was noch viel besser ist. Aber Vorsicht:
Wer schweigt, sollte das niemals provokant oder trotzig tun.
Denn in dieser Form eskaliert das Schweigen selbstverständlich jede Kommunikation und führt zur Beziehungsbeschädigung. Ist das nicht erstaunlich? Man kann auf verschiedene Arten schweigen! Nämlich konstruktiv oder destruktiv. Geben Sie Ihrem Partner nie das Gefühl, dass Sie ihn anschweigen, schweigend anstarren, mit verschränkten Armen und verkniffenem Gesicht (Körpersprache!) auflaufen lassen, boykottieren. Vermitteln Sie ihm immer, dass Sie schweigend bei ihm sind, dem Gespräch folgen, sich Ihre Gedanken über ihn und das Gesprochene machen. Mit dieser Empfehlung im Hinterkopf können Sie sogar Schweigeregeln brechen. Eben sagten wir, dass man niemals auf eine Frage hin schweigen sollte. Selbst das ist erlaubt und wirkt überraschend gut, wenn Sie dabei die Beziehung wahren.
Es gibt einen unterschied zwischen trotzigem und zugewandtem Schweigen
Eine Hausfrau, Mutter und Gattin berichtete mir in einem Seminar über etwas, das viele Ehefrauen kennen: »Mein Mann kommt jeden Abend heim, grüßt mich und die Kinder, fragt uns, wie es geht, und erzählt dann von seinem Tag. Ich komme oft gar nicht dazu, von unserem Tag zu erzählen, weil sein Beruf natürlich viel spannender ist und mehr Geschichten hergibt. Also habe ich vorgestern zum ersten Mal auf seine Frage nicht mit dem üblichen höflichen ›Ja, gut, und dir?‹ geantwortet, sondern mich ihm einfach nur zugewandt, gelächelt und geschwiegen.« Es hat eine Weile gedauert, bis der Gatte das unerwartete Schweigen einordnen konnte, doch danach fragte er besorgt: »Schatz, was hast du? Ist etwas passiert?« An diesem Abend hörte er ihr zu. Wenigstens bedeutend länger als sonst üblich. Warum? Warum wirkt Schweigen oft so viel besser als Reden?