Читать книгу Jahreskreise - Crisalis . - Страница 3

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In genau diesem Moment ging, wie von Geisterhand geöffnet die Türe auf, langsam, sanft und lautlos schwang sie nach innen und verharrte dann in halbgeöffneter Stellung. Alle drehten sich erstaunt und verstummend zur Tür, acht Männer und drei Frauen drehten sich gleichzeitig vom Sitzungstisch um und schauten weniger fragend als vielmehr auf Erlösung hoffend zur Türe. Die Sitzung hatte einen energetischen Tiefpunkt erreicht, die dominanten Männer in der Runde behaupteten sich durch rhetorische Redeschleifen und wiederholten ihre Standpunkte solange, bis andere Meinungen ausgeblendet waren. Eigentlich hätte es mit einer fähigen Sitzungsleitung, die die Ergebnisse zusammenfasst hätte, vor einer halben Stunde zu einem konstruktive Ende kommen können. Aber das war wohl nicht gewollt. Sie wären nicht zu einem Konsens gekommen, der der Geschäftsleitung behagen würde und so verharrten alle in einer gewissen Lähmung. Charlotte hatte diese Lähmung langsam in sich aufsteigen fühlen. Bevor diese Taubheit ihr Herz erreichte, visualisierte sie ein starkes, lebendiges, pulsierendes gelboranges Licht in ihrem Körper. Sie wusste, sie durfte durch diese endlosen Redeschleifen nicht so viel Energie und Vitalität verlieren, dass sie es nicht mehr schaffte, die wichtigen Punkte im Protokoll festhalten zu lassen. In dem Moment, wo sie es geschafft hatte, das Licht in ihr zu stabilisieren und es warm und gleichmäßig pulsierte, ging plötzlich leise und sanft die Zimmertüre auf. Ein Schauer durchrieselte Charlotte. Spannung hing in der Luft und Charlotte spürte wie einige der Männer nervös wurden. Immerhin hatten sie trotz sehr positiver Betriebszahlen über die Wegrationalisierung von 15% der Arbeitsplätze diskutiert, sodass es einigen gar nicht wohl in ihrer Haut war. Gedanken wie „Sabotage, Rache, Spionage“ waren nun im Raum förmlich zu hören, als die geöffnete Türe den Blick in den leeren Vorraum gewährte. Man spürte plötzlich eine Anwesenheit im Raum, die im starken Gegensatz zu der nüchtern, destruktiven Sitzungsatmosphäre stand. Doch bevor die Spannung zu sehr stieg, brach Muehlin mit einem leisen Schnauben die Stille. Als Vorsitzender der Geschäftsführung hatte er nicht nur die Sitzungsleitung sondern quasi auch das Hausrecht inne. Er wohnte sogar ein Stockwerk höher in der Penthouse- Wohnung. Nochmals schnaubte er verächtlich, als er spöttisch lachend sagte: „Das ist nicht etwa ein rächender Geist, sondern die Katze meiner Frau. Vielmehr war es die Katze meiner Exfrau. Denn sie hat es ja vorgezogen, sie bei mir zurückzulassen. Keine Ahnung, wie dieses Vieh schon wieder hier hereingekommen ist.“ „Aha“, dachte wohl nicht nur Charlotte, „das erklärt seine eisige Stimmung.“ Muehlin war aufgestanden und wies mit einem energischen, befehlsgewohnt ausgestreckten Finger der Katze die Tür: “Los, raus hier Cleo. Hier hast Du nichts zu suchen.“ Cleo ignorierte Muehlin völlig. Mit einem kleinen Maunzen und einem eleganten Satz sprang sie auf den langgestreckten Sitzungstisch. Und dann schritt sie mit erhobenem Haupt und Schwanz und wirklich dem Stolz einer Cleopatra Schritt für Schritt gemächlich die Länge des Sitzungstisches ab direkt auf Charlotte zu. Ihr tiefschwarzes Fell mit den weißen Pfoten spiegelte sich in dem dunkel schimmernden Kirschholz des Tisches. Alle Blicke folgten ihr. Muehlin machte eine ärgerliche aber hilflose Geste in Richtung der Katze. Es war offensichtlich, dass er sie nicht anfassen und vor allem sich nicht lächerlich machen wollte. So drehte er abrupt ab und rief nach seiner Sekretärin. Cleo war nun bei Charlotte angekommen. Sie setzte sich würdevoll genau vor sie hin und schaute ihr in die Augen. Charlotte musste lachen. Sie streckte langsam eine Hand aus und kraulte der Katze sanft den Nacken. Jetzt löste sich die Spannung, einige lachten leicht, andere fingen an, von ihren Katzen, Hunden oder Kindern zu erzählen. Als Muehlin mit Sekretärin im Schlepptau wieder hereinstürmte, saß Cleo zufrieden schnurrend auf Charlottes Schoss. Muehlin baute sich vor Charlotte auf, hinter ihm die Sekretärin mit einem Käfig in der Hand. Charlotte schaute verwundert von der Sekretärin zu Muehlin zu dem Käfig und streichelte die Katze weiter. Muehlin wurde ungeduldig: „Nun geben Sie sie schon her, damit wir hier weitermachen können.“ „Aber sie stört doch gar nicht, lassen Sie sie doch einfach bei mir.“ Einen Moment schaute er verärgert, die Sekretärin zog leicht die Schultern hoch. Dann plötzlich ging ein Leuchten über Muehlins Gesicht: „Na, dann behalten Sie die Katze doch gleich. Scheint ja eine Frauenkatze zu sein.“ Ruppig nahm er der Sekretärin den Käfig aus der Hand, stellte ihn neben Charlotte auf den Boden und entließ seine Sekretärin mit einer Handbewegung. Dann setzte er sich zufrieden schnaufend wieder auf seinen Platz. „Hauptsache, ich brauche diese Katze nicht mehr zu sehen, ich hätte sie sowieso ins Tierheim bringen lassen.“ Alle am Tisch schauten nun verwundert zu Muehlin und dann etwas verlegen zu Charlotte. Aber keiner sagte etwas und für Sekunden war nur das gleichmäßige Schnurren von Cleo zu hören. Charlotte war im ersten Moment auch zu verwundert, um etwas zu erwidern. Sie horchte in sich hinein und fühlte wie ein glückliches Gefühl in ihr das orange, gelbe Licht verstärkte. So nickte sie nur den fragenden Blicken zu und sagte: „In Ordnung, aber dann bitte ich, die Sitzung jetzt zu beenden. Ich muss dann wohl noch Katzenfutter und Streu kaufen, bevor die Läden schließen.“ Ein so direkter Pragmatismus brachte ihr von Muehlin einen anerkennenden Blick ein, doch Charlotte wartete nun nicht mehr auf seine Reaktion. Sie setzte Cleo vorsichtig in den Käfig, verabschiedete sich, in dem sie der Protokollantin ein paar Anweisungen gab, und ging dann mit einem „Auf Wiedersehen zusammen!“ zur Tür. Bei der Sekretärin hinterließ sie noch ihre Telefonnummer, falls Muehlins Ex-Frau vielleicht doch noch ihre Katze wieder haben wollte.

Als Charlotte beschwingt die Treppe hinunter ging, spürte sie, wie viel Freude durch diese Katze in ihr entstanden war. Und diese Freude hatte alle Müdigkeit wie weg geblasen. Cleo saß auch ganz zufrieden in dem Transportkäfig und schaute interessiert die Welt um sie herum an. Obwohl sie sich mitten in einem Büroviertel befanden, stieß Charlotte gleich an der Ecke auf einen kleinen Kiosk, der sowohl Katzenfutter wie auch Katzenstreu verkaufte. Kurze Zeit später stand sie am Bahnhof und fühlte sich zufrieden, fast schon glücklich. Die Besprechungen waren zwar zuerst sehr ermüdend gewesen. Sie hatte sich überflüssig und unqualifiziert gefühlt. Aber Cleo hatte die Situation völlig verändert. Als der Zug einfuhr, setzte sie sich auf einen Fensterplatz, kuschelte sich unter ihrem Mantel gegen das Fenster, steckte eine Hand beruhigend zu Cleo in den Käfig und schloss die Augen. Sie dachte über ihre Arbeit bei Synergia nach. Die Arbeit bei einem der weltweit größten Unternehmensberater war ein sicherer Job und gut bezahlt. Sie war als Frauenbeauftragte und Mediatorin angestellt. Aber die Mediation von sich neu zusammenstellenden Arbeitsgruppen und die Betreuung der Projekte wurden immer schwieriger. Das Klima wurde rauer, sie hatte das Gefühl immer mehr Energie und Zeit zu brauchen, um durch die Schutzmauern der KollegInnen durchzudringen. Und nun war auch noch das Thema Missbrauch in die höchsten Ebenen des Konzerns vorgedrungen. Nachdem das Thema so häufig durch die Presse ging und nach Meinung des Vorstandes gesellschaftlich relevant geworden war, war Charlotte aufgefordert worden, eine kleine Seminarreihe zu diesem Thema zu gestalten. Zumindest war selbst dem Vorstand klar, dass dieses Thema nicht mit einem einzigen Vortrag mal eben so abzuhandeln war. Sie seufzte. Nur für eine Weile die Welt ausblenden. Nur eine Weile in die warme Dämmerung des Halbschlafes fallen. Sie spürte, wie sie anfing zu driften, wie sie leichter wurde, in lichter Dunkelheit zu schweben begann. Da hielt der Zug erneut und auf die Plätze vor ihr setzten sich zwei Männer, die sich raumdominierend und selbstgefällig unterhielten. Geschäftsbeziehungen, Transaktionen, Börsenkurse, hervorragende Abschlüsse, nichts blieb den übrigen Fahrgästen erspart. Handygeklingel, Anweisungen an die unsichtbaren Gesprächspartner und im Anschluss leicht hingeworfene Späßchen an den Kollegen. Charlotte seufzte und grub sich tiefer in ihren Mantel. Es half nichts. An ein Entschweben war nicht mehr zu denken. Sie stand auf, um zur Toilette zu gehen. Auf dem Rückweg sah sie aus dem Augenwinkel eine akkurat umschnittene Halbglatze und einen wohl frisierten dunklen Lockenkopf. Perfekt sitzende Anzüge, Krawatten, schwarze Laptops auf dem Schoss. Der mit der Halbglatze war relativ klein und musste sich wohl deswegen entsprechend produzieren. Er erläuterte seinem Kollegen gerade voller Zufriedenheit, wie er es geschafft hatte, eine Angestellte, die schwanger geworden war, im Anschluss an ihren Erziehungsurlaub zu entlassen. Charlotte verstand die Geschichte nicht, sein Gesprächspartner wohl auch nicht, aber dieser merkte nun sichtlich interessiert auf. Ob er das noch einmal erklären könnte, wie das zu schaffen sei? Der Halbglatzköpfige erzählte nun mit wachsender Begeisterung und voller Stolz, dass sie grundsätzlich nur Arbeitsverträge abschlossen, die nie wirklich die Aufgabenbereiche der Angestellten beschrieben und dass sie deswegen das Arbeitsfeld der jeweiligen Problemfälle wegdefinieren konnten. Charlotte hatte sich langsam wieder auf ihren Platz gesetzt. Unauffällig legte sie die rechte Hand auf die Rückenlehne des Mannes. Da er relativ klein war, lag ihre Hand nun auf Höhe seines Hinterkopfes. Sie visualisierte sich selber unsichtbar, verband sich mit ihrer Fuchsenergie, füllte sich mit Liebe und Lichtenergie und nahm die Verbindung zum Universum auf. Als sie sich warm und voll anfühlte, sandte sie diese Energie aus ihrer Handfläche hinaus und lies es in das Scheitelchakra des Mannes einfließen. Sie hörte nicht weiter zu, konzentrierte sich ganz auf den Fluss von Liebe und Mitgefühl. Aus dem Universum, eintretend in ihr Scheitelchakra, durch ihren Körper hindurch, aus ihrer Handfläche in das Scheitelchakra des Mannes vor ihr. Sie spürte, wie seine Stimme plötzlich zögernd wurde. „Na ja, zum Schluss tat sie mir fast leid. Aber ihr Mann verdient ja gut!“ Sein Gesprächspartner schaute erstaunt auf. Charlotte legte nun die andere Hand auf die Rückseite des anderen Sitzes und konzentrierte sich darauf, nun Liebe und Licht in das Herzchakra des Lockenkopfes zu senden. Für eine Weile blieben beide Männer still. Plötzlich fragte der Lockenkopf seinen Sitznachbarn: „Kann sich eure Firma das denn nicht leisten? Ihr habt doch eine Betriebsgröße, bei welcher Vertretung organisierbar sein sollte.“ Es war als seien diese Worte ihm entschlüpft, ohne dass er selber wusste, wo sie herkamen. Er war völlig verblüfft. Sein Kollege gab einen erstaunten Laut von sich. Dann schwiegen beide Männer, ratlos schauten sie zum Fenster hinaus und vermieden es sich anzuschauen. Charlotte versuchte sich weiter darauf zu konzentrieren, Liebe und Mitgefühl fließen zu lassen, aber nun stieg ein großes fröhliches Lachen in ihr empor. Sie schloss die Augen, konzentrierte sich stärker. Doch plötzlich stutzte sie und schaute auf. Vor ihr stand der Lockenkopf. „Was zum Teufel….?“ Er ließ die Frage unbeantwortet, in seinem Blick lag weniger Ärger als vielmehr maßlose Verblüffung. „Was machen sie denn da?“ Charlotte wurde rot und lehnte sich zurück. Dann bahnte sich ein Lachen befreiend seinen Weg. Erstaunlicherweise lachte der Lockenkopf mit. Schüttelte den Kopf und setzte sich, nun eher nachdenklich, wieder auf seinen Platz. Die Männer vor ihr schwiegen nun, aber Charlotte sah aus den Augenwinkeln, dass sie immer wieder vorsichtige Blicke nach hinten schickten. Sie war ihnen eindeutig nicht geheuer. Kurze Zeit später waren sie sich einig, dass es Zeit für ein Bier war und sie zogen ab in Richtung Zugrestaurant. Charlotte seufzte. Vielleicht war es falsch, was sie machte. Tat sie das wirklich um Liebe und Mitgefühl in die Welt zu bringen, oder wollte sie nicht doch nur manipulieren? Nun, vielleicht war es o.k., wenn sie Menschen dazu manipulierte, Liebe und Mitgefühl zu empfinden. Sie schüttelte ihre Bedenken ab. Das war Unsinn. Mit Liebe und Mitgefühl konnte man niemanden manipulieren. Letztendlich fanden die Menschen dadurch ein Stück zu ihrem wahren Selbst. Nun schlief sie beruhigt ein und wachte erst kurz vor ihrem Ziel wieder auf. Als sie in Basel ankam, und über den zugigen Bahnsteig zum Ausgang ging, war sie etwas verschlafen. Plötzlich spürte sie, wie jemand neben ihr ging, sie beobachtete. Es war der Lockenkopf. Er zögerte. Charlotte war nun etwas verlegen. „Wie… wie haben sie das gemacht?“ Charlotte lächelte zögernd. „Was, was habe ich gemacht?“ „Nun, es wurde mir plötzlich ganz warm ums Herz. So gut habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Aber..“ nun zögerte er „..auch sehr traurig, plötzlich. Fast schmerzhaft.“ Nun war es an Charlotte, verblüfft zu sein. Eine solche Offenheit hatte sie nicht erwartet. Sie hatte wohl auch nicht erwartet, dass so viel bei ihm angekommen war, dass er so viel bewusst spüren konnte. Seltsam, dachte sie sich, wenn diese Geschäftsmänner im perfekt sitzenden Anzug noch so feinfühlig sind, wie können sie dann trotzdem so sein wie sie sind? Wie können sie dann diese Welt, in der sie leben, aushalten? Schweigend gingen sie nebeneinander her. Der Lockenkopf schien sich plötzlich einen Ruck zu geben. „Können sie das bei allen Menschen?“ Charlotte zögerte: „Nicht immer. Und meistens nur wenn sie es wollen, wenn sie es zulassen, wenn sie ein Bedürfnis danach spüren.“ Er nickte. Seltsamerweise schien er das zu verstehen. „Weil,… ich meine, meine Frau…, sie hat Depressionen. Sehr schlimm. Vielleicht wenn sie auch einmal etwas Wärme im Herzen spüren könnte?“ Er sprach schnell, abgehackt, als hätte er Angst vor seinen eigenen Worten. Die letzten Worte waren zögerlich, fragend. Charlotte lächelte. „Ja“ sagte sie schlicht. „Ich könnte es versuchen.“ Sie waren nun am Ausgang angekommen und blieben stehen. „Wie könnte ich sie denn erreichen?“ „Sie können mich gar nicht erreichen.“ sagte Charlotte bestimmt. Sie spürte, wie er zurückzuckte. Sie lächelte. „Ihre Frau muss mich erreichen.“ Er schaute fragend. „Ihre Frau muss den ersten Schritt tun. Wenn sie das nicht kann, hat es keinen Zweck. Dann wird es einfach nur von ihnen ihr übergestülpt. Das wird nichts bringen.“ Für einen Moment sah er so aus, als fühlte er sich ertappt. Aber als Charlotte ihm nun eine Karte in die Hand drückte, wagte er zu fragen: „Aber wie soll ich ihr denn begreiflich machen….“. „Nun, “ sagte Charlotte sehr ernsthaft, „erzählen sie ihr einfach, was sie erlebt haben. Nicht mehr und nicht weniger.“ Er schaute mehr als zweifelnd. Sie nickte ihm noch einmal zu und ging dann zügig in Richtung Tram. Er blieb noch stehen, schaute auf die Karte in seiner Hand. „Charlotte Lesab, Heilerin, Tel. 079-8899661“. Nur eine Handynummer, keine Adresse. Er stellte erstaunt fest, dass er zu gerne gewusst hätte, wo sie wohnt. Und was ihn noch mehr erstaunte, ausnahmsweise nicht, um eine Möglichkeit zu finden sie anzubaggern. Gewiss, sie war interessant, attraktiv auf eine geheimnisvolle Weise. Und er würde sie gerne wiedersehen. Aber nicht deswegen. Er spürte, dass das eine andere Dimension war.

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