Читать книгу Carli macht Karriere - Cristina Zehrfeld - Страница 7
Einhunderttausend Zuhörer pro Jahr
ОглавлениеNach fünfjähriger Bauzeit ist das Konzerthaus völlig überraschend tatsächlich fertiggestellt worden. Seine Einweihung wurde mit unvorstellbarem Pomp gefeiert. Seit Carlis Taufe waren inzwischen exakt fünfundzwanzig Jahre und ein Tag vergangen. Über ein Jahr lang hatte Carli als Konzerthausorganist ohne eigenes Konzerthaus auskommen müssen. Doch nun war es vollbracht und alle, alle kamen, um der Eröffnung von Carlis Haus beizuwohnen. Der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker kam ebenso nach Leipzig wie der Ministerratsvorsitzende Willi Stoph. Hermann Axen reiste an und Kurt Hager, Frau Doktor Pille, Herr Fuchs und der liebe Sandmann. Unmöglich, alle aufzuzählen, denn insgesamt waren laut Presseberichten weit über einhunderttausend Menschen gekommen. Da die Presse der Republik aber für gewöhnlich schamlos untertrieb, sind es wohl eher über eine Million Menschen gewesen. Es gab eine Kundgebung und einen Festakt. Es wurden viele Reden gehalten und viele Auszeichnungen an die Erbauer verteilt. Schließlich gab es noch ein Eröffnungskonzert und eine Orgelweihe. Über hundert Reporter aus aller Welt berichteten über das gigantische Ereignis und wurden nicht müde, die Orgel und das um die Orgel herum gebaute Konzerthaus in höchsten Tönen zu loben. Freilich war die Orgel auch das stattlichste und modernste Instrument, welches die Republik je gesehen hat. Es verfügte über alle möglichen Werke, über Oberwerk und Unterwerk, Hauptwerk und Nebenwerk, Schwellwerk, Stellwerk, Beiwerk und Naschwerk. Außerdem hatte es sechstausendsechshundertachtunddreißig Pfeifen, von denen eine schöner pfiff als die andere. Es war einfach göttlich. Deshalb hat Carli keine Zeit verloren, um dem Haus und der Orgel zu Weltruhm zu verhelfen. Kaum war der Einweihungstrubel vorbei, hat Carli eine wöchentliche “Stunde der Orgelmusik” gestartet. Außerdem gab er zu allen sich bietenden Gelegenheiten Sonderkonzerte. Sonderkonzerte zur Leipziger Messe, Sonderkonzerte zum Leipziger Frühling, zum Leipziger Sommer, zum Leipziger Herbst und zum Leipziger Winter. Nicht zu vergessen die Sonderkonzerte für verdiente Werktätige, für vorbildlich organisierte Produktionsgenossenschaftler, für die bestkostümierten Karnevalisten der Saison und für Anrechtsinhaber des Konzerthauses. Carli spielte nun jährlich vor rund einhunderttausend Zuhörern. Da konnte selbst das renommierte Orchester von Professor Kurth nicht mithalten. Aber wir wollen nicht ungerecht sein: Die Orchestermusiker haben sich immerhin redlich Mühe gegeben.