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Was lange währt

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Es ist nicht einfach für ein Genie, eine angemessene Wohnung zu finden. Seit einem Jahr probierte Carli inzwischen verschiedene Wohnmöglichkeiten aus. Zuerst war er in die Einliegerwohnung einer hübschen Villa in Markkleeberg gezogen, doch entweder passte das biedere Ambiente nicht zu Carli, oder Carli passte nicht zum biederen Ambiente, jedenfalls räumte er sein Domizil nach wenigen Wochen, um sie einem anderen Konzerthausmusiker zu überlassen. Er selbst zog ins Interhotel „Deutschland“. Dessen Lage auf dem Augustusplatz war ideal, denn es waren nur fünf Minuten Wegstrecke bis ins Konzerthaus. Außerdem hatte das Hotel erfreulicherweise eine sehr gepflegte Hotelbar, an der Tag und Nacht alles Lebensnotwendige von Cotnari und Murfatlar bis zu Rotkäppchen- und Krimsekt vorrätig war. Letztlich ersetzt aber selbst die beste Hotelbar nicht die eigenen vier Wände. Also hat Carli es wieder mit einer Wohnung versucht und ist auf die Stralsunder Straße im Ortsteil Mockau gezogen. Das konnte nicht gutgehen. Nachdem er nämlich im Hotel Deutschland quasi am Nabel der Welt zu Hause war, ist die neue Wohnlage für ihn einfach zu abgeschieden gewesen. Nun hätte Carli recht eigentlich auch gar keine Wohnung gebraucht, denn er war ja nun Tag und Nacht im Konzerthaus. Das war sein Zuhause. Doch der Zufall wollte, dass just zu jener Zeit ein gigantisches Wohnungsbauprogramm in der Republik umgesetzt wurde. Allerorten schossen stilvolle Plattenbauten wie die Pilze aus dem volkseigenen Boden. In Leipzig wurden Häuser gebaut, die waren so hoch, dass sie bis eine Etage unterm lieben Gott reichten. Eine Etage unterm lieben Gott zu wohnen, das reizte Carli dann doch. Natürlich bekamen nur die wertvollsten Menschen der Republik diese begehrten Wohnungen. Nur wichtige Menschen, nur unentbehrliche Persönlichkeiten, nur die Besten unter den Besten durften hier wohnen. Carli gehörte zu den Wertvollsten, Wichtigsten und Unentbehrlichsten unter den Besten, auch wenn es in der Republik naturgemäß sehr viele wertvolle Menschen gab. In Leipzig-Grünau sind Wohnungen für über dreißigtausend wertvolle Menschen entstanden. Weil es aber nur einen einzigen Carli gab und dieser Carli tausendmal wertvoller war als die anderen wertvollen Menschen, durfte er tatsächlich in die allerschönste Wohnung im Neubaugebiet Leipzig-Grünau einziehen, nämlich in die oberste Etage eines sechzehnstöckigen Punkthochhauses in der Garskestraße. Genaugenommen ist er sogar in die zwei obersten Etagen gezogen, denn er bekam eine Maisonette-Wohnung mit einhundertzwanzig Quadratmetern Wohnfläche. Carlis Wohnung in fast sechzig Metern Höhe bot eine phantastische Aussicht auf das ganze, noch unfertige Neubaugebiet, auf die noch unbefestigten und folglich schlammigen Parkplätze, auf eine Huckelpiste, die dereinst eine Straße werden würde, auf die Kräne und auf die Bauarbeiter, die Tag für Tag weitere Plattenelemente zu Hochhäusern im Neo-Bauhausstil zusammenfügten. Die Bewohner der tiefer liegenden Wohnungen hatten zwar keine ganz so tolle Aussicht, aber dafür hatten sie erstklassische Aussichten, von denen sie noch nichts ahnten: Sie hatten schon bald die Chance, tiefe Einsichten in das Leben eines genialen Musikers zu bekommen.

Carli macht Karriere

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