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ZUM GELEIT

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Es ist nicht ganz leicht, die Geschichte Asconas zu schreiben, schon weil es nicht ganz leicht ist, Ascona zu definieren. Man könnte auch sagen, dass es unmöglich ist. Zumindest ich habe es nicht fertiggebracht.

Ich habe im Laufe der Jahre vielen Menschen, die Ascona bewohnen oder bewohnt haben, diese Frage gestellt; vielleicht fünfzig oder sechzig von ihnen. Ich habe hundert oder zweihundert Antworten bekommen; je nachdem, ob ich die Frage im Winter oder im Sommer stellte, bei schönem Wetter oder bei Regen und Sturm, während des Krieges oder im Frieden, in einer Zeit des allgemeinen Wohlergehens oder der Not, am Montag oder am Dienstag.

So viele Antworten sind natürlich – keine Antworten. Aber vielleicht ist es das Richtigste, was man über Ascona sagen kann, dass niemand genau weiss, was Ascona ist.

Manchmal habe ich mich auch gefragt, ob es Ascona überhaupt gibt. Auf den Landkarten ist es vermerkt, und von Zürich, Berlin, Paris oder New York aus war ich relativ sicher, dass es Ascona gibt. Die Unsicherheit begann erst – und beginnt immer wieder, wenn man in Ascona selbst ist; falls es ein Ascona gibt.

Als ich mich an diese Arbeit machte, dachte ich mir, dass sie so schwer nicht sein würde; da Ascona ja klein ist, müste – so schloss ich messerscharf – es einfacher sein, seine Geschichte zu schreiben, als etwa die Geschichte einer grossen Stadt. Das war ein Irrtum.

Ich könnte nicht einmal sagen, wie ich diese Geschichte schreiben würde, wenn ich noch einmal ganz von vorn zu beginnen hätte. Ich weiss nur, dass jeder meiner Freunde aus Ascona, das, was ich auf seine Erzählungen hin schrieb, für richtig hielt, und alles, was sich auf Berichte anderer stützte, für grundfalsch erklärte. Dies legte mir den Schluss nahe, dass für jeden Ascona etwas ganz anderes ist als für die anderen. Und die zweite Folgerung für mich war, dass ich über Ascona nur so schreiben konnte, wie ich Ascona sehe, spüre, rieche, empfinde – und liebe.

Da niemand in Ascona zu der Überzeugung zu bringen ist – ich habe die entsprechenden Versuche schon längst eingestellt –, dass nur er oder sie allein über Ascona Bescheid weiss, muss ich damit rechnen, dass sie alle auch über dieses Buch den Kopf schütteln werden. Vielleicht werden sie auch die Köpfe über dieses oder jenes schütteln, was sie mir selbst erzählt haben. Weil sie es mir an einem Montag erzählt haben – und das Buch an einem Dienstag lesen. Denn was ist Zeit in Ascona? Eine Woche kann dort wie ein Jahr sein und ein Jahr wie eine Stunde.

Vielleicht ist dies das grosse Geheimnis von Ascona.

Als ich mich entschloss, dies Buch zu schreiben, dachte ich an so etwas wie Vollständigkeit. Alles, was sich in Ascona je zugetragen hat, sollte Erwähnung finden und alle die Menschen, die Ascona sind. Auch das hat sich als unmöglich erwiesen. Nicht annähernd alle, die in diesem Buch vorkommen müssten, haben darin Platz gefunden. Diejenigen, die unerwähnt blieben, mögen mir verzeihen. Wie übrigens auch diejenigen, die ich auftreten liess … Vielleicht sollte sich diese Verzeihung ausdehnen auf mein ganzes Unterfangen, über Ascona zu schreiben. Aber habe ich wirklich geschrieben? Habe ich nicht nur geträumt? Muss man nicht zu träumen beginnen, wenn das Wort Ascona fällt?

Ein Wort nur. Vielleicht ist es nicht mehr. Vielleicht ist es eine Welt, und vielleicht ist es doch nur ein Traum.

Einer der klügsten Männer der Weltgeschichte hat gesagt, er wisse mit zunehmendem Alter immer mehr, dass er nichts wisse. So geht es mir mit Ascona. Als ich mich entschloss, dies Dorf zu erforschen, glaubte ich, eine Menge über Ascona zu wissen. Und jetzt?

C. R.

Ascona

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