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14. Juli, Mittwoch - elf Jahre später

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Gelangweilt blätterte Athina die Tageszeitung Agelioforos von hinten nach vorne durch. Ihre Freundin Atridi war für einige Tage in ihr Sommerhaus ans Meer gezogen und Athina hatte abgelehnt mitzukommen, denn diese Bleibe war für ihren Geschmack nicht glamourös genug. Ihr Blick blieb an einer Nachricht hängen: Skelett in Höhle gefunden. Darunter war ein Ring abgebildet. Ihr Herz blieb fast stehen, das war der Ring, den sie Biglia vor fünf Jahren geschenkt hatte! ’Wer kann Angaben zu dem Besitzer des Rings machen? Bitte bei der Polizei melden!’

Vor drei Jahren hatte sie ihren geliebten Hexer zuletzt gesehen, daraufhin war er wie vom Erdboden verschluckt. Athina hatte sich auf die Suche nach ihm gemacht, umherziehende Roma befragt, war bis nach Rumänien gezogen. Bei ihren Fahrten über das ägäische Meer hatte sie auf den zahlreichen griechischen Inseln nach ihm geforscht. Umsonst, es war, als hätte es ihn nie gegeben.

Sie eilte zur Garage hinunter, mit Bedauern musste sie feststellen, dass Athina den roten Austin-Healey Sprite mitgenommen hatte, ihr blieb nur der silberfarbene Audi.

Während der Fahrt zur Polizei gingen ihr die letzten gemeinsame Jahre mit Biglia durch den Kopf: Immer wenn er für einige Tage aufgetaucht war, hatte sie sich bei Atridi abgemeldet und Krankenpflege bei ihrer Mutter vorgetäuscht. »Ich muss bei der Jungfrau Maria Punkte sammeln«, hatte sie gescherzt. »Hoffentlich hilft mir das, wenn ich dereinst vor dem Himmelstor stehe.« Zwölf Jahre lang war das so gegangen. Tagsüber hatte Biglia sie in der Magie unterwiesen, des Nachts hatten sie Sex gehabt. Dank des Sternenstaubes waren die Liebesakte von einer Intensität, von der nichtmagische Wesen nur träumen konnten.

Beflissen erhob sich der diensthabende Polizist, als Athina das Zimmer betrat. Mit einer solchen Schönheit hatte er nicht oft zu tun.

»Mein Name ist Athina Drosos. Ich komme wegen des Zeitungsartikels«, lächelte sie ihn an und schob ihm den ausgeschnittenen Artikel zu. »Ich habe den Ring erkannt. Er muss meinem Onkel Sotiris Vissi gehört haben. Er ist ein Familienerbstück. Schauen Sie nach, im Innern müssen sich die Initialen A. D. befinden.«

Der Polizist öffnete eine Schublade, entnahm ihr einen Umschlag und ließ den Inhalt auf die Schreibtischfläche gleiten. Biglias Ring. Er ging zum Fenster, drehte ihn zwischen den Fingern und studierte die Innenseite.

»Stimmt«, sagte er. »Wollen Sie ihn mitnehmen?« Und da sie nickte, schob er ihr ein Formular und einen Kuli zu. »Bitte Ihre Unterschrift, Frau Drosos.«

Athina unterschrieb und steckte den Ring in ihre Handtasche.

»Warum wurde keine Vermisstenanzeige aufgegeben?«, wunderte sich der Polizist. »Ihr Onkel muss doch schon vor mindestens drei Jahren verschwunden sein. Hat sich die Familie keine Sorgen gemacht?«

»Ach, Onkel Sotiris und die Familie«, lächelte Athina gequält. »Er war ein Sonderling, im Alter geistig verwirrt, hauste einsam in einem verlassenen Bergdorf, schoss mit einem vorsintflutlichen Gewehr auf uns, wenn wir ihn in seiner verfallenen Hütte besuchen wollten. Zu guter Letzt haben wir den Kontakt aufgegeben.« Athina senkte den Kopf, eine Träne fiel auf das Formular. »Wo haben Sie meinen armen Onkel gefunden? Wo ist er beerdigt?«

»Traurige Geschichte«, sagte der Polizist. »Mein Beileid.« Ihr die Hand zu geben, traute er sich nicht, zum einen fühlte er sich zu minderwertig, zum anderen trug sie kurioserweise Handschuhe. Er ging zum Computer, nach einigen Minuten kam er mit zwei Ausdrucken zurück. »Auf dieser Karte habe ich die Höhle im Gebirge angekreuzt, in der die Übereste Ihres Onkels gefunden wurden. Hier auf der Friedhofskarte von Agios Dimitrios in Ano Volos habe ich vermerkt, wo er beigesetzt wurde.«

Mit tränenumflorten Blick dankte Athina und nahm die Blätter entgegen.

Der Polizist starrte der blonden Frau hinterher. Den liebenlangen Tag konnte er nur an eines denken: »Eine Nacht mit diesem Engel zu verbringen, das wäre wie ein Blick ins Paradies.«


Einen Kilometer hinter dem Bergdorf Drakia parkte Athina den Wagen. Sie folgte einem Hirtenpfad, erreichte eine Gruppe von Felsblöcken, linker Hand stieg das Gebirge steil an, ein verwittertes Hirtenzeichen wies auf den Höhleneingang. Sie musste sich bücken und auf den Knien hineinrutschen. Drinnen war es düster, sie beglückwünschte sich, eine Taschenlampe mitgenommen zu haben. Der Lichtschein fiel auf die achtlos beiseitegetretenen Gebeine von Kali. Athina hatte damit gerechnet und eine Plastiktüte mitgebracht. Sorgfältig sammelte sie Schädel, Schulter- und Beckenknochen der Wölfin ein, mit gespreizten Fingern durchkämmte sie den trockenen Sandboden, selbst die winzigsten Knöchelchen erfühlte sie.

Im Licht der Lampe suchte die Magierin die Felswand nach geheimen eingeritzten Zeichen ab. Sie wurde fündig, konnte den Hinweisen folgen und begann in der hinteren Ecke der Höhle mit ihren behandschuhten Händen den losen Sand des Höhlenbodens beiseite zu räumen. Sie stieß auf Biglias Anhänger und seine Kralle, die schreckliche Waffe, tödlich wie ein Messer.

Schon wollte Athina sich mit dem Fund begnügen, als ihre Hand in der ausgehobenen Grube noch einen Gegenstand erfühlte. Es war eine silberne Dose. Sie kroch aus der Höhle heraus, draußen im Sonnenlicht öffnete sie den Verschluss. Ihr Atem beschleunigte sich, sie konnte nicht fassen, was sie da sah.

Es war der Fruchtbarkeitsstein! Ein wunderbar geschliffener, seltsam geformter Rosenquarz. Er glich einer hochschwangeren Frau, war durchscheinend und hatte im Inneren rosafarbene Einschlüsse in Form eines Fötus. Eine zunehmende, Leben bringende Mondsichel, die sich schützend über einen zweiten Mond schob, ein fünfstrahliger Stern und eine Schlange, das Symbol für Weiblichkeit, waren auf der Oberfläche eingraviert.

Sie wusste – Biglia hatte es ihr oft genug erzählt – dieser Stein war an der Küste von Zypern in einer einsamen Bucht, die den Roma heilig ist, gefunden worden. Die uralten Symbole bewirkten einen Zauber, der für Nachkommen der Roma sorgte. »Wenn der Stein unserem Stamm verloren geht«, hatte er verkündet, »ist er ohne jede Zukunft.«

Athina ahnte, was geschehen war: Biglia war sterbenskrank gewesen, hatte es trotz seiner Magie nicht mehr geschafft, zu ihr zu kommen. Da hatte er erst Kali mit der Kralle getötet, sich die Adern aufgeschlitzt, den Anhänger, die Adlerkralle und den Fruchtbarkeitsstein im Sand verborgen, sodass nur Eingeweihte sie fänden.

Nachts bei Vollmond ging Athina zu Biglias Grab. Im schäbigsten Teil des Friedhofs, umgeben von Gräbern, auf denen vergilbte Plastikblumen lagen, hatten die Behörden seine Knochen verscharrt. Mit bloßen Händen grub Athina ein Loch, legte die Gebeine von Kali hinein, strich die Erde glatt und steckte magische Plättchen in den trockenen Sand. »Lebe wohl, mein einziger Geliebter«, flüsterte sie. »Lebe wohl Kali, du treue Begleiterin.« Sie legte Biglias Talisman um ihren Hals und ging, ohne sich umzusehen, davon.

Die Magierin Athina besuchte das Grab nie wieder.

Der Engel mit den blutigen Händen

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