Читать книгу Marionette des Teufels - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 23

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Franz Albert Mager war seit einem halben Jahr Witwer. Seine Frau hatte sich leise davon gemacht, unscheinbar, so wie sie es in den siebenundvierzig Jahren ihrer Ehe immer gehalten hatte. Die Wohnung sauber, zu jedermann höflich und nur nicht klagen. „Mit Gottes Hilfe wird es schon wieder“, hatte sie gesagt, und vielleicht war er wirklich gnädig zu ihr gewesen, auf ihrem letzten Weg. Zurück blieb ein Ehemann, der es nicht glauben wollte und mit der neuen, so nie geplanten Situation nicht umgehen konnte.

Unschlüssig sah sich Mager an diesem Morgen in der Wohnung um, bis sein Dackel Wastl auf ihn zugelaufen kam und ihm signalisierte, dass es Zeit war, nach draußen zu gehen. Doch zunächst musste er noch auf seine Tochter Ilona warten. Die kam jeden Morgen bei ihm vorbei, fragte, was sie einkaufen sollte und wusste es am Ende doch besser. Sie kümmerte sich um die Wäsche und das Essen und plauderte ein wenig unbeholfen mit ihm, wie er sehr wohl spürte. Sie hatte eigentlich keine Zeit, aber sie nahm sie sich, und das rechnete er ihr hoch an.

Als es klingelte, sagte er zu Wastl: „Jetzt hat das Mädel wieder unseren Schlüssel vergessen“, schüttelte gutmütig den Kopf und lief, ein kleines Lächeln die Mundwinkel umspielend, zur Wohnungstür. Wastl folgte ihm und bellte aufgeregt. „Psst, Wastl, du schreckst ja das ganze Haus auf!“

Vor der Tür stand Hauptkommissar Berthold Brauser und hielt ihm seine Dienstmarke entgegen. „Guten Morgen, Herr Mager, ich hoffe, ich störe nicht?“

Mager schüttelte den Kopf und bat den nur wenige Jahre jüngeren Kommissar herein.

Der Witwer wohnte in einer ähnlichen Siedlung wie die Brausers. Im Treppenhaus standen die gleichen ärmlichen Topfpflanzen, nur dass hier auch noch unzählige Schuhpaare vor den einzelnen Wohnungstüren herumlagen. Die Wohnung dagegen war aufgeräumt, fast ein wenig leer.

„Ich möchte Sie bitten, mir den Fundort der Waffe zu zeigen“, setzte Brauser an und warf einen Blick in die Küche. Auf der Anrichte standen ein Kaffeebecher und ein Brettchen mit einem Messer und einem Löffel darauf. „Ja, ja.“ antwortete Mager ein wenig abwesend und sah zur Tür. Brauser missverstand diesen Blick.

„Wenn Sie sich etwas Warmes anziehen wollen – ich hab das Auto gleich vor der Tür geparkt.“

„Ja, wissen Sie, ich muss aber noch auf meine Tochter warten.“ Der Kommissar blickte ihn fragend an und Mager fügte hinzu: „Sie hilft mir im Haushalt.“

„Wann kommt sie denn?“

Er sah auf die Uhr. „Eigentlich müsste sie schon da sein, ich dachte ja …“ Anstatt seinen Satz zu beenden, holte er einen Block und einen kleinen Bleistift aus der Schublade und schrieb mit der schönen, lange vernachlässigten Schreibschrift eines Drittklässlers:

Ich musste weg.

Mach alles so, wie du denkst

du weißt ja am besten, was ich brauche.

Dein Vater

Brauser hatte ihm über die Schulter geschaut, aber nichts verstanden. Doch Mager nahm Jacke und Hut, zog die Schuhe an und griff nach der Leine von Wastl.

„Wir könnten zu Fuß gehen, es ist nicht weit und der Hund muss auch raus.“

Brauser nickte und Mager sah ihn an, als wären sie alte Bekannte. Zwar war das Wetter nicht besonders einladend, aber bei einem Hund durfte man wohl nicht empfindlich sein. „Wo müssen wir denn jetzt hin?“, fragte der Kommissar, schlug den Kragen seiner Jacke hoch und schob fröstelnd die Hände in die Taschen. Doch der Nebel kroch klamm und erbarmungslos seine Wirbelsäule entlang. Die Sonne hatte am Tag zuvor wirklich nur ein Gastspiel gegeben.

„Äh, wie meinen Sie das?“

„Sie wollten mir den Platz zeigen, wo Sie die Waffe gefunden haben.“

„Ja, natürlich, hier entlang bitte“, rief Mager munter und ging bereits los, ohne auf seinen Begleiter zu warten. Der Dackel zog an der Leine und die beiden Männer folgten ihm.

„Immer dem Hund nach, der kennt den Weg.“ Seit sie die Wohnung verlassen hatten schien sich die Laune des Rentners aufzuhellen. Wahrscheinlich liebte er dieses Schmuddelwetter, dachte Brauser, der denselben Weg bereits kurz zuvor mit dem Auto entlanggefahren war. Doch von dort aus waren ihm die langweiligen Wohnblocks mit den immer gleichen Garagen davor und den Mülltonnen an der Straße nicht so endlos vorgekommen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit bogen Herr und Hund in einen gepflasterten Weg ein, der an einigen Garagen vorbei führte. An einer Seite wuchsen schmucklose Sträucher, die sicher ihrer Robustheit wegen ausgesucht worden waren, und auf der anderen gab es einen kleinen Zaun, der wohl was auch immer aufhalten sollte. Brauser betrachtete den Dackel. Vielleicht benötigte er, wenn er erst einmal in Pension war, auch einen kleinen vierbeinigen Freund, um mit ihm Gassi zu gehen, überlegte er kurz, das war bestimmt gesund.

„Ist es noch weit?“ Brauser hörte sich an wie ein quengelndes Kind.

„Da hinten am Wald.“ Mager zeigte mit dem Finger die Richtung an, aber die gesuchte Stelle lag im Nebel verborgen. Nicht weit, äffte Brauser den Rentner in Gedanken nach, beschwerte sich aber nicht.

„Wie oft muss so ein Tier am Tag eigentlich raus?“

Der alte Mann war stehen geblieben und Brauser bückte sich, um das Fell des Hundes zu streicheln.

„Zwei- bis dreimal am Tag. Am liebsten ist mir die Abendrunde vor dem Schlafengehen, da fühl ich mich nicht so allein.“ Brauser nickte, obwohl er nichts verstand. „Meine Frau ist immer am Nachmittag gegangen, aber jetzt sind wir zwei allein und müssen zusammenhalten, nicht wahr, Wastl?“ Er zog an der Leine und ging energisch weiter.

„Und da gehen Sie immer diese Strecke?“ Inzwischen waren die beiden Männer und der Hund auf einem Wiesenpfad, der Wald war in greifbarer Nähe.

„Abends immer. Sie führt an der Trinkhalle vorbei, da genehmige ich mir dann ein Bierchen und Wastl bekommt einen Keks. Das ist zwar nicht gesund, aber in unserem Alter spielt das doch keine Rolle mehr.“

„Und wie war das nun vorgestern?“

„Ja, da hab ich den Rudi getroffen. Der macht das auch so, nur ohne Hund. Und dann wurde es eben ein Bierchen mehr. Aber manchmal ist der Kummer einfach zu groß.“

Brauser nickte. Auf diesem Gebiet kannte er sich sehr gut aus.

„Anschließend bin ich dann auch ganz schnell nach Hause, obwohl …“

„Und dabei haben Sie die Waffe gefunden?“, unterbrach der Brauser seine Ausführungen.

„Nein. Das Bier hat auf einmal so gedrückt und da bin ich dann eben ein Stückchen in den Wald rein und …“

„Da haben Sie die Waffe gefunden.“

„Nicht gleich, nein. Ich hab mich an einen Baum gestellt. Das dauert ja bei mir immer schon ein bisschen, bei Ihnen auch?“

Brauser ignorierte die Frage.

„Und als ich gerade so schön dabei war, da dachte ich mir , Hört sich aber komisch an, wie du heute bieselst.“

„Und?“

„Na ja, bei dem Nebel sieht man ja nicht so gut, also habe ich mich gebückt und da lag dann die Waffe. Ich hab natürlich sofort aufgehört, ist mir ja auch direkt vergangen, obwohl es wirklich sehr gut ging.“ Er sah seinen Begleiter an, aber der nickte nur. „Meine Tochter, die Ilona, hat mir eine Taschenlampe geschenkt, sie sagt immer: Papa, wenn du mit dem Wastl immer so spät spazieren gehst, wirst du dich noch mal verlaufen, und dann zwinkert sie, weil ich glaube, sie weiß, dass ich nicht nur spazieren gehe.“ Der Witwer verstummte.

„Und?“, fragte Brauser, der seine Ungeduld nicht mehr länger verbergen konnte.

„Jedenfalls hab ich die Taschenlampe herausgeholt und mir die Pistole erst einmal genau angesehen und dann dachte ich mir …“

„Den Revolver.“

„Revolver?“

„Es war ein Revolver.“

„Ach so, ja. Ich kenn mich da nicht so aus. Jedenfalls dachte ich mir, Franz Albert, im Fernsehen nehmen sie so etwas nie in die Hand. Da hab ich dann mein Taschentuch herausgeholt und damit das Ding aufgehoben. War doch richtig so?“ Sie hatten den Waldrand erreicht und Mager war stehen geblieben, um die einzelnen Bäume zu vergleichen.

„Ja. Das war richtig so. Wissen Sie denn noch, wo genau die Waffe lag?“

„Sicher bin ich mir natürlich nicht. Aber ich glaube, es war dort hinten!“ Der Rentner nahm den Finger zuhilfe, um dem Kommissar die Richtung zu zeigen. Er deutete auf eine Baumgruppe, nur wenige Schritte vom Weg entfernt, eine zugegeben geeignete Stelle, wenn man einen Platz brauchte, um sich zu erleichtern. Gerade wollte der Rentner darauf losstapfen, als Brauser ihn am Ärmel packte und zurückhielt.

Halt, halt! Da schicken wir jetzt erst einmal die Spurensicherung hin. Vielleicht finden die ja noch etwas Brauchbares.“ Er fischte das Handy aus seiner Tasche und beschrieb den Kollegen den Weg zum Fundort.

Dann fiel ihm doch noch etwas ein. „Sagen Sie, war der Rudi eigentlich bei Ihnen, als Sie die Waffe gefunden haben?“ „Der Rudi? Nein, der wohnt doch drüben in Kohlbruck.“

„Ah ja! Haben Sie eigentlich eine Vorstellung, wer die dort hingeworfen haben könnte?“

„Keine Ahnung, ich kenne auch niemanden, dem eine Waffe gehört.“

„Und Sie sind wirklich jeden Tag um diese Zeit hier unterwegs?“

„Ja, immer um die gleiche Zeit.“

„Können Sie sich noch an den 17. August erinnern? Das war auch ein Freitag.“

„Das ist lange her.“

„Stimmt.“

„Da müsste ich nachdenken.“

„Tun Sie das. Ach, eines noch, die Spurensicherung wird zum Vergleich die Schuhe brauchen, die Sie vorgestern getragen haben.“

„Ja, aber …“ Mager sah zu seinen Füßen.

„Sie sind jetzt ein wichtiger Zeuge“, betonte Brauser und bemerkte, wie der alte Mann sich aufrichtete, „und sie bekommen sie selbstverständlich wieder zurück.“

***

Marionette des Teufels

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