Читать книгу Marionette des Teufels - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 21
ОглавлениеWeder vor seinen Freunden noch vor seinen Arbeitskollegen würde Hauptkommissar Berthold Brauser je zugeben, wie gut es sich für ihn anfühlte, nach Hause zu kommen und zu wissen, dass er sich hier nicht verstellen muss, dass er hier sein konnte, wie er war.
Seit über dreißig Jahren wohnte er schon in diesem Haus und genauso lange parkte er abends sein Auto in der Garage neben den Stellplätzen mit den Vogelbeerbüschen und ging den Plattenweg und die wenigen Stufen zu dem Mehrfamilienhaus, in dem er lebte, hinauf. Am Anfang hatte er noch von einem kleinen Anwesen im Grünen geträumt, mit Kinderzimmern und einem Hobbykeller für die Eisenbahn. Aber dann zerplatzte der Traum von eigenen Kindern, und irgendwann hatte er sich damit abgefunden, dass es keinen Sinn machte, sich ein eigenes Haus zuzulegen. Die Vespa hatte er behalten und zur Erinnerung in der Garage hinten quer gestellt, wo sie auf bessere Zeiten wartete. Brauser wusste nicht einmal, ob sie überhaupt noch anspringen würde, wenn er es probierte. Die Haustür stand offen, wie so häufig. Nur gut, dass noch nie jemand auf die Idee gekommen war, sich hier herumzutreiben. Aber leichtsinnig war es doch, und wie immer drehte er den Riegel, damit die Tür hinter ihm zuschnappte, sodass alle, die ins Haus wollten, klingeln mussten, wie es sich gehörte.
Auf dem Treppenabsatz standen eine paar elend aussehende Topfpflanzen, über die sich Brauser jeden Abend ärgerte, aber so waren die Leute: Das, was sie nicht in der Wohnung haben wollten, muteten sie anderen Mietern beim Nachhausekommen zu. Brauser stieg die Treppen hinauf. Im dritten Stock gab es zwei Wohnungen. Rechts wohnte Frau Bachmeier, eine alte Frau, um die sich Maria einmal am Tag kümmerte, und links die Brausers. Er schloss die Tür auf.
„Bertl, bist du das?“ Brauser zog sich gerade die Schuhe aus und stellte seine Aktentasche neben den Schuhschrank.
„Natürlich, wer sonst?“, antwortete er. Jeden Tag dasselbe.
„Hast du Hunger? Es gibt Rouladen mit Püree und Rotkraut. Ist schon fertig“, rief Maria und er ging ins Wohnzimmer, wo seine Frau gerade einen Korb Wäsche bügelte.
„Und wie!“, antwortete er und ließ sich auf einen Stuhl fallen, der neben dem Esstisch stand.
„Was macht der neue Fall?“ Maria fügte eine weitere gebügelte Feinrippunterhose dem ordentlichen Stapel, der auf dem Tisch hinter ihr anwuchs, hinzu.
„Soll ich vielleicht schon mal den Tisch decken?“, wich Brauser aus.
„Sie war eine Sängerin am Opernhaus, stimmt‘s? Das muss ganz schön aufregend sein.“ Der Kommissar lugte in den Wäschekorb, in dem nur noch zwei Teile lagen. „Ich könnte doch schon decken?“
Maria sah ihn über den Rand ihrer Brille fragend an. „Was ist, darfst du nicht darüber reden?“
„Ach, ich hab einfach keine Lust auf dieses Thema. Was gab’s denn bei dir heute?“
„Ich hab mich heute mal wieder mit Johanna getroffen. Stell dir vor, dem Schwertfeger seine Neue spinnt total. Jetzt will sie es als Model versuchen.“ Maria lachte abschätzig, legte die letzte Unterhose auf den Stapel und zog den Stecker. „Sie mag ja jung sein und Dieter gibt ihr vielleicht das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, aber eigentlich ist sie nur dumm und billig.“
„Sagt das Johanna?“, fragte Brauser müde und ließ sich am Tisch nieder, während seine Frau für ihn aufdeckte.
„Ja, und …“
Brauser zog sich die Zeitung heran und blätterte im Fernsehprogramm. Auch auf dieses Gespräch hatte er keine Lust, obwohl er natürlich wusste, dass Johanna Recht hatte. Dieter machte sich mit dieser Frau nur lächerlich, aber das musste er selbst herausfinden. Er selbst war nicht die Art von Freund, der anderen gute Ratschläge gab.
„Kommt heute wieder deine Serie?“
„Ja. Warum?“ Maria hielt mit der Püreeschüssel kurz inne und sah ihn fragend an, aber ihr Mann nickte nur.
„Ach, nur so.“ Dann blätterte er weiter.
„Du, Bertl, stell dir vor, bei der Margarethe war heute ein Mann, der wollte die Fernseher im Haus überprüfen, um zu sehen, ob wir auch in Zukunft noch das Satellitenprogramm empfangen können. Der sagte, dass das jetzt gar nicht mehr selbstverständlich ist, auch wenn wir uns erst kürzlich eine neue Anlage gekauft hätten. Ist das nicht eine Schweinerei? Und die alten Leute wissen es nicht und denken ihr Fernseher ist kaputt.“
In ihrer Aufregung stellte sie die Platte mit den Rouladen ein wenig zu heftig auf den Tisch, sodass etwas Soße auf dem abwaschbaren Schutz über dem Tischtuch landete. Schnell lief sie in die Küche, um einen Lappen zu holen. „Und dann wollte der Mann der Frau Bachmeier eine neue Anlage verkaufen, damit sie nicht denkt, ihr Fernseher ist kaputt“, schlussfolgerte Brauser. Eine geniale Strategie, dachte er, darauf muss man erst einmal kommen.
„Wollte der doch gar nicht“, rief Maria aus der Küche. „Er hat ein bisschen rumgeschraubt und schon ging alles wieder einwandfrei.“ Sie wischte die Soße auf, legte den Lappen zur Seite und gab ihrem Mann zwei Rouladen auf den Teller, bevor sie ihm die Schüssel mit dem Püree hinhielt. „Und zum Glück hat sie ja auch für unsere Wohnung einen Schlüssel, so konnte sie den Techniker auch bei uns reinlassen.“
„Wo kam der Kerl denn her?“ Er legte eine Roulade zurück, denn er war sich nicht sicher, ob sein Appetit heute für zwei reichen würde.
„Ach, Bertl, du immer mit deinem Misstrauen. Er kam von der Stadt und es war alles in Ordnung, glaub mir!“ Maria schöpfte sich vom Rotkraut auf, wobei sie den Saft vorher ablaufen ließ.
„Hat er sich ausgewiesen?“
„Das weiß ich nicht. Aber sei doch froh, so kostet uns das alles nichts.“
Brauser stöhnte, denn nun war ihm der Appetit völlig vergangen. „Dann sag der Frau Bachmeier bitte, sie solle solche Leute nur noch in unsere Wohnung lassen, wenn du daheim bist. Nein, sag ihr, sie soll gar niemanden in unsere Wohnung lassen.“
„Aber dieses Gratisangebot galt doch nur heute, weil er ohnehin in der Nähe war, hat er zu Margarethe gesagt.“
Natürlich waren die Rouladen köstlich wie immer. Brauser sah mit einem liebevollen Blick zu Maria hinüber. Beim Kochen machte ihr keiner was vor, aber manchmal war sie einfach zu naiv. Vielleicht musste er in Zukunft nur besser auf sie aufpassen, dachte er, und ahnte nicht, wie schnell sich seine Befürchtung bewahrheiten sollte.
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