Читать книгу Marionette des Teufels - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 5
ОглавлениеIn der Wohnung der Toten war es trotz der eisigen Atmosphäre, angenehm warm gewesen, und so traf die Kommissarin der feuchte Nebel, der bereits am frühen Nachmittag von Inn und Donau heraufzog und sich zwischen den Häuserzeilen ausbreitete, ganz besonders empfindlich. Frierend hielt sie die Vorderkanten ihres hellbraunen Ledermantels zusammen und zog instinktiv den Kopf zwischen die Schultern. Für die Jahreszeit war sie nicht passend angezogen, trotz Jeans und Stiefel, aber wer wusste im Herbst schon, was passend war. Letzte Woche war es noch herrlich warm gewesen, fast Biergartenwetter und dann der plötzliche Einbruch, die ersten Vorboten des nahenden Winters.
Um sich aufzuwärmen, hätte sie sofort zu der Nachbarin gehen können, um deren Zeugenaussage aufzunehmen, doch zuerst brauchte sie eine kleine Auszeit. In ihrer großen Handtasche aus braunem Wildleder fand sie einen Müsliriegel in einer etwas gammligen Verpackung, in den sie hungrig hineinbiss. Während ihre Zähne die Körner zermalmten und die Kohlenhydrate ihr Gehirn wieder leistungsfähig machten, ging sie langsam die großbürgerliche Häuserzeile entlang. Neben dem Bürgersteig parkten unzählige Autos Stoßstange an Stoßstange, so, als würden sie sich aneinander kuscheln, damit sie nicht frieren mussten.
Franziska dachte über die Frau nach, die tot in ihrer Wohnung lag. Was hatte sie für ein Leben geführt? Was tat eine Sängerin eigentlich, wenn sie nicht gerade auf der Bühne stand und Opernarien schmetterte? Bestimmt unterschied sich ihr Leben ganz gravierend von ihrem eigenen. Nur wie? Das würde sie als Erstes herausfinden und dann natürlich, was jemanden dazu gebracht hatte, sie zu töten.
Obwohl das dreistöckige Haus in einer eher ruhigen Wohngegend lag, hatte sich eine Bäckereifiliale in einem der Nachbarhäuser angesiedelt. Beim Anblick der eingetrockneten Ausstellungsstücke im Schaufenster lief ihr das Wasser im Munde zusammen, doch sie konnte ja unmöglich mit Gebäck zur Befragung erscheinen. Ein Stück weiter stand die Tür zu einer Videothek offen. Im Schaufenster wurden auf großen Plakaten die neuesten Videos angeboten. Filme, die sie gern im Kino gesehen hätte, die sie aber wegen irgendeines Falles verpasst hatte.
Das Piepsen ihres Handys und die SMS ihrer Freundin Lisa, mit dem Wunsch sie zu treffen, erinnerten sie nur allzu schmerzlich daran, dass es neben dem aufzuklärenden Tod eines Menschen auch noch andere Dinge in ihrem Leben gab, die jetzt aber wieder einmal warten mussten. Im Gehen schrieb sie zurück:
Geht Leider nicht,
bin an einem neuen
mordfall, melde mich,
wenn ich wieder mehr
zeit habe! Liebe
grüße franziska
Lisa hatte in der Regel Verständnis für ihren Beruf. Wenn es nicht ging, dann ging es eben nicht. Mit Männern sah es in ihrem Leben jedoch schlecht aus. Die wenigen, mit denen sie sich eingelassen hatte, stellten sich im Nachhinein als zu unflexibel heraus, als dass Franziska die Beziehungen zu ihnen mit ihrem Beruf vereinbaren konnte. Sie wollte gut sein, alles richtig, wenn nicht noch besser zu machen, gehörte einfach zu ihrer Grundüberzeugung. Fehler konnten andere machen, das ließ sich entschuldigen. Bei sich selbst setzte sie höhere Maßstäbe an. Viel höhere.
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