Читать книгу Die Stunden der Nacht - Daimon Legion - Страница 8
5
ОглавлениеNächtlicher Jäger
Dani traf ihre Vorbereitungen.
Ihre frisch cyanblau gefärbten Haare band sie zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammen, die silbernen Piercings nahm sie aus Ohren und Augenbraue, um nicht daran hängen zu bleiben, und die Fingernägel wurden verschnitten. Zwar konnte sie damit niemandem mehr die Augen auskratzen, doch ihr Gegner hatte ohnehin schärfere Krallen. Beim Nahkampf waren zu lange Spaten sowieso hinderlich.
Bei der Kleidung setzte sie auf unscheinbare Farben, robusten Stoff und gute Bewegungsfreiheit als auf Stil. Die Wahl fiel daher bescheiden aus, auf schwarze Hosen, Schuhe, Winterjacke, Wollmütze und Handschuhe. Inständig hoffte sie, dass keine Polizei sie anhalten würde, weil sie ausschaute wie für einen Bankraub bereit.
Schweigsam sah Jules ihr beim Anziehen zu.
Ihr Streit stand nicht mehr zur Debatte. Die junge Frau hatte sich einmal entschieden und er wusste, dass er sie nicht aufhalten konnte. Somit ließ er sie gewähren.
Die kleine Taschenlampe mit der UV-Birne steckte Dani wie eine Schusswaffe in ein am Gürtel befestigtes Holster. Wer gegen Ungeheuer ins Feld zog, brauchte keine Messer oder Stahlkugeln. Diese Geschöpfe kämpften mit anderen Bandagen und Jules gab ihr zur Unterstützung ein Säckchen getrockneter Kräuter mit. Dill, Mohn und Johanniskraut sollten laut seinen Büchern nützlich sein gegen die meisten hundeartigen Dämonen. Dill würde ihren Geruchssinn betäuben, der Mohn ihren Blick trüben und Johanniskraut ihre Haut reizen – es klang immerhin sehr nach einer Hilfe. Selbst ein Mensch wäre von der Mischung nicht sehr angetan, wenn er sie in die Nase bekäme.
Mit einer liebevollen Umarmung entließ er sie in die Dunkelheit.
Es war schon nach Mitternacht, da Dani meinte, über leere Fußwege, verwinkelte Gassen und stillgelegte Werkhöfe wie auch Gleisanlagen zu marschieren. Der Wind trieb kleine Eiskristalle frostig vor sich her. Wenn man die Geräusche aus den Häusern ausblendete, konnte man vermuten, die äußeren Viertel der Stadt seien ausgestorben. Ratten und Katzen jagten kreischend durch die Finsternis. Von irgendeinem der kahlen Bäume rief ein Käuzchen daher.
Zuerst lief Dani durch die Straßen ihres Gebiets. Und nichts passierte.
Hier und dort standen ein paar Menschen herum, rauchten vor einem Klub oder warteten auf die Straßenbahn oder einen Zug. Aber sehen konnte sie nichts Verdächtiges. Sie hörte auch keine seltsamen Geräusche oder irgendwoher einen Schrei.
Also ging sie weiter.
In Nachbarviertel war vor zwei Wochen ein Mädchen verschwunden, dreizehn Jahre alt. Am Abend hatte sie sich mit Freunden bei einem Spielplatz getroffen, ganz in der Nähe ihres Elternhauses. Trotzdem kehrte sie von dort nicht mehr zurück. Ihr Anorak wurde gefunden, zerrissen wie von einem wilden Tier. Mehr jedoch nicht.
Die Polizei ging von den üblichen Gewaltverbrechen aus. Diebe, Mörder, Vergewaltiger – Menschen. Die Herrn Beamten würden Dani oder Jules niemals glauben, wenn sie ihnen gesagt hätten, dass riesige Wölfe die Täter waren.
Bei besagtem Spielplatz sah die junge Frau sich noch mal um. Natürlich gab es keine Indizien mehr für das Geschehene, dennoch hätte sie vermutet, dass die Dämonen vielleicht alte Jagdrouten verfolgen könnten. Allerdings Fehlanzeige. Beim Tischtennisspiel trafen sich weiterhin Jugendliche, um Alkohol zu trinken und Gras zu rauchen. Eine Freiheit fern ihrer Familien, die sie ja bloß bremsten und bemutterten.
Ich Glückspilz, dachte Dani ironisch, weil ihre Eltern definitiv von keiner ihrer Eskapaden je erfahren hatten. Diese idiotischen Kinder hatten keine Ahnung, wie schwer das Leben sein konnte, wenn man keinen sicheren Hafen wie bei Mutter und Vater besaß.
Weiter.
In einer schmuddeligen Bahnunterführung kam es ebenfalls zu einem tragischen Zwischenfall. Er hatte sich direkt in der Silvesternacht ereignet. Zwei erwachsene Männer, Familienväter von durchaus wehrhafter Gestalt, verschwanden spurlos. Auf dem verschwommenen Film der Sicherheitskameras hatte sie etwas Großes gepackt und weggezerrt – wohin auch immer. Wie bei vielen Opfern würde ihr Tod ungelöst bleiben. In welcher Gruft wohl ihre Knochen verrotteten?
Seufzend lief Dani durch den weiß gestrichenen, doch mit Graffiti beschmierten Gang, um auf der anderen Seite sicher nach oben zu gelangen.
Nicht jedem ist dieser Erfolg vergönnt …
Die Zeit schritt voran und die Nacht blieb ereignislos.
Obwohl es bereits fünf Uhr morgens war, tönte aus manchem Fenster noch immer der Fernseher. Oder die lauten Stimmen von Menschen, die stritten, lachten, weinten, sich liebten.
Die Lampe schwang ungenutzt in Danis Hand mit.
Sie gähnte vor Langeweile.
Vielleicht war das Rudel diesmal nicht in der Gegend. Wenn in der Zeitung bald eine neue Vermisstenanzeige stünde, wüsste sie möglicherweise besser Bescheid über deren Gepflogenheiten bei der Menschenjagd. Sie sollte die ihr bekannten Fälle noch mal gründlich studieren.
Schnaufend trat sie eine leere Dose vor sich her.
Ein Marder schreckte auf und verschwand unter einem Auto.
Umsonst, dachte sie resigniert und peilte den Rückzug an. Alles umsonst.
Müde schlenderte sie den Heimweg entlang.
Ein alter Flaschensammler, ein zitterndes Muttchen und eine Gruppe betrunkener Halbstarker kamen ihr entgegen. Ohne Probleme zogen sie vorüber.
Ein ruhiger, kalter Tag kündigte sich langsam an. Krähen krächzten in verschiedenen Oktaven.
Bei einem Bäcker brannte bereits Licht und Dani überlegte ernsthaft, ob sie sich frische Brötchen leisten sollte. Quasi auch als Wiedergutmachung für Jules. In ihren Jackentaschen suchte sie nach ein paar Euros, als ihre Ohren unverhofft doch etwas vernahmen.
Ein kurzes, schnell erstickendes … Weinen? Ein Kind hatte geschrien, ein sehr kleines noch, und jemand hatte ihm rasch den Mund verboten, ehe es lauter werden konnte.
In einer Großstadt war diese verstohlene Geräuschkombination nie gut. Ein Täter wollte Aufmerksamkeit vermeiden. Egal ob von Mensch oder Dämon, ein Leben wurde bedroht. Es hoffte auf Hilfe.
Wie angewurzelt blieb Dani stehen.
Sie stand vor einem hohen Torbogen, dem Zugang zum unbeleuchteten Hinterhof eines Wohnhauses, welches bestimmt bessere Tage gesehen hatte, und dennoch in Benutzung schien. Die raue Fassade bröckelte und die hölzernen Fensterrahmen benötigten eine umfassende Renovierung. Hinter keiner Scheibe glimmte ein Licht, folglich mussten die etwaigen Bewohner schlafen.
Entschlossen, im Falle einer möglichen Gewalttat dem Opfer zu helfen, nahm Dani die Spur auf. Mit wachsamer Vorsicht trat sie unter den Bogen in den Schatten der Straßenlaternen ein.
Die seitlich angebrachte Haustür war verriegelt.
Ihr Licht einschaltend, ging die Frau nach hinten, auf den holprig gepflasterten Platz mit Rasenfläche, wo im Sommer bestimmt die Hausgemeinschaft unter einem weißen Plastikpavillon Steaks zu grillen pflegte. Jetzt im Winter wirkte das Gelände grau und schmucklos. Jemand hatte versucht, aus dem Eismatsch einen Schneemann zu brauen.
Vorsichtig beleuchtete der bläulich-weiße Lichtkegel die Rückwand des Hauses. Zu beiden Seiten des Türbogens gab es je eine Balkonreihe aus Holz, deren Körbe unterschiedlich gestaltet waren. Einige der moosgrünen Gestelle trugen leere Pflanzkübel, wurden mit Wäscheleinen bespannt oder als großer Katzenkäfig genutzt.
Alles schien still und friedlich.
Doch ihre Ohren hatten sich nicht getäuscht, also …
Ein Windstoß ließ ein weit offenes Fenster zuschlagen und Dani fuhr erschrocken zusammen. Suchend fand sie die Geräuschquelle und der Lichtschein tanzte über -
Etwas huschte in den Schatten.
Na bitte.
Dani schwenkte zurück und wieder wich es ihr aus. Fast lautlos sprang es von einem Balkon zum anderen und verbarg sich vor dem grässlichen kalten Licht. Rötliche Punkte funkelten auf.
Fangfrage, schmunzelte Dani in sich hinein, was ist schwarz und hat rote Augen?
„Ich weiß, dass du hier bist, Dämon“, sprach sie das fremde Wesen mit Bedacht an, „und glaube nicht, dass ich Angst vor dir habe. Du warst auf Beute aus, oder? Traust du dich jetzt schon zu den Menschen in die Wohnung hinein? Ganz schön frech von dir …“
Das fremdartige Geschöpf bewegte sich in seinem gezwungenen Versteck. Es war unruhig und knurrte.
Hastig versuchte Dani, es mit dem Licht zu erwischen, doch abermals huschte die Kreatur davon. Fort von den Balkonen, hüpfte diese auf das Blechdach des provisorischen Schuppens, unter dem die Mülltonnen und einige Hausmeistergerätschaften wie Eimer und Kehrbesen aufbewahrt wurden, und verschwand eilig in deren Schatten.
Es ist ein Wolf, wusste sie die schemenhafte Gestalt zu deuten. Nicht der grauäugige Wolf, doch mit Sicherheit ein Lichtfänger. Und er trägt etwas mit sich herum.
Ganz langsam kam Dani näher, die Lampe auf die Plastiktonnen gerichtet. Sie machte sich darauf gefasst, notfalls mit diesem Biest auf Fellfühlung zu gehen, um ihm die Beute zu entreißen. Eine alte Abneigung ließ ihre Nackenhaare zu Berge stehen, weil sie sich noch gut daran erinnern konnte, wie damals dieser andere Wolf gestunken hatte. Nach Blut und Speichel, nach brackiger, schimmliger Kanalisation. Wahrscheinlich schliefen diese Ungeheuer dort, um sicher vor dem Tageslicht zu sein …
„Lass das Kind frei!“, befahl Dani drohend.
Knurren antwortete ihr.
„Ich wiederhole mich ungern, Lichtfänger! Ich weiß ganz genau, was du dir da geschnappt hast!“
Das Knurren wurde bösartiger. Der Dämon fürchtete und verfluchte das Licht gleichermaßen und duckte sich tiefer davor weg. Ein rotes Auge hatte die Kontrahentin durch einen Spalt fest im Blick.
Dani konnte eine Bewegung erahnen. Durch die Lücke zwischen den Abfallbehältern schob er ihr tatsächlich etwas zu. Ein Bündel, eingewickelt in eine weiche rosafarbene Babydecke, die mit lächelnden Bärchen und Kätzchen bestickt war. Die Tiere glänzten jedoch blutbefleckt. Das kleine Leben darin rührte sich nicht mehr. Der Wolf hatte es getötet.
Bitter schmeckte Dani Galle auf ihrer Zunge vor Wut sowie Übelkeit. Unbewusst ließ sie die Hand sinken und das schützende Licht verlor einen winzigen Moment lang sein Ziel aus dem Visier.
Als hätte der Dämon dies beabsichtigt.
Mit einem Satz sprang er aus seiner Deckung hervor. Laut donnernd fielen die Tonnen zu beiden Seiten um und das schwarze Monster prallte kräftig gegen Danis Körper, dass sie unweigerlich zurückstraucheln musste und dabei die Taschenlampe aus der Hand verlor. Diese kullerte davon und kam mehrere Meter ab von der Frau zur Ruhe.
Das kalte Leuchten erhellte weiterhin den Hof.
Aus voller Kehle grollend stand der mörderische Wolf vor Dani und war gewillt, seine geschlagene Beute zurückzuerlangen. Mit gefletschten Zähnen, tropfend vor Geifer, ging er in Angriffsposition, bereit für einen zweiten Sprung, wenn sie es denn auf einen Kampf anlegte. Die Pupillen seiner rubinroten Augen waren eng geschlitzt und die Krallen seiner tellergroßen Tatzen kratzten über den Stein.
Ihre nächsten Schritte überlegend, musterte Dani ihren zotteligen Feind.
In ihrer Erinnerung war der Lichtfänger eigentlich so groß wie ihr Vater gewesen. Doch dieser hier war im Vergleich dazu winzig. Auf den ersten Blick konnte man ihn einfach mit einem schwarzen Schäferhund oder Neufundländer verwechseln. Fast hätte sie selbst geglaubt, einem Irrtum zu unterliegen, wenn nicht die verräterischen Augen wären.
„Du bist zwar nur eine halbe Portion, aber trotzdem ein Monster“, provozierte sie ihn bewusst mit ihrer Verachtung. „Du hast ja nicht mal Skrupel davor, ein wehrloses Baby zu töten.“
Mit der Pranke schlug er abschreckend nach ihr aus.
Die Drohgebärde schüchterte sie nicht ein. „Du verdammte Promenadenmischung!“
Sein einsetzendes Bellen hallte rau von den Mauern wider.
Wachsam sah sich Dani nach den Fenstern um, die den Hof auf der Innenseite umgaben. Sie fürchtete, das laute Gekläffe könnte die Anwohner aufwecken und ihr zusätzliche Schwierigkeiten bereiten. Das Letzte, was sie bei einem Kampf mit Teufeln brauchte, waren ungläubige Zeugen.
„Sei gefälligst still, die Leute schlafen noch!“, rügte sie ihn zwischen Spiel und Ernst.
Der Wolf sprang mutig einen Satz vor und schnappte.
Sofort wich Dani aus, griff geschickt in ihre Jackentasche, in das Kräutersäckchen, und pustete eine Handvoll davon dem Lichtfänger mitten ins pelzige Gesicht. Die Wirkung setzte prompt ein. Überrascht und verwirrt schreckte der schmale Bursche zurück und stieß zeitgleich ein grelles Heulen aus, als Nase und Augen begannen zu brennen. Er schnaubte, bockte, stolperte gegen die umgeworfenen Tonnen, kratzte und putzte sich mit den Vorderpfoten, nieste und winselte.
Weil er sich rollend über den Boden wand, nahm sich Dani vor, das Zeug bald säckeweise bei Jules zu bestellen. Vielleicht verkaufte sie es auch gewinnbringend als erprobten Dämonenschreck im Internet …
„Tja, unterschätze das liebe Rotkäppchen mal nicht, Wölfchen!“, konnte sie es nicht lassen, ihn zu verspotten. Dass die erste Runde an sie ging, stimmte die frisch getaufte Jägerin euphorisch.
Da hörte sie den Wolf jammern.
„Kaarn! Am kaarak far!“
Verwundert hob Dani die Brauen.
Das klang nicht nach der Stimme eines Mannes.
Was auch immer er eben in seinem aufkommenden Zorn reden mochte – der Wolfsdämon war noch sehr jung. Er hatte nicht mal leichten Stimmbruch! War er in Wirklichkeit nichts weiter als ein halbwüchsiger Welpe? Trotz seiner gefährlichen Drohungen sollte er selbst noch ein Kind sein?
Demnach hatte sie sich in ihrer Erinnerung nicht getäuscht. Ein erwachsener Lichtfänger war wesentlich größer. Tödlicher.
Und wie zum Beweis tauchte gleich neben ihr einer auf.