Читать книгу Ein herrlicher Ort für das Unglück - Damir Karakaš - Страница 11

5.

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Ein hagerer französischer Rapper, seine Hose ist ihm fast über den Arsch gerutscht. Ich zeichne es so, als wäre sie bis zum Knie gerutscht. Er lacht. Dann zahlt er 1,50 Euro für die Karikatur, mehr hat er nicht.

Ich hatte sowieso vor, ihn als Lockvogel zu benutzen und mit seiner Hilfe eventuell einen größeren Fisch zu fangen, falls einer kommt und zuschaut.

Doch dieses Mal kommt niemand, ich warte. Stimmengewirr, ich drehe den Kopf: ein Streit dort, wo die Chinesen zeichnen. Sie streiten häufig und brüllen sich gegenseitig an: Sie können sich nicht einigen, wer den Kunden zuerst gesehen hat. Eine besonders harmonische Truppe sind sie nicht.

»Was ist denn da los?«, frage ich Shota, der gerade Pause macht und in ihrer Nähe positioniert ist.

Er sagt desinteressiert: »Sie streiten.«

Ich gehe näher heran, um zu sehen, was los ist, und um vor einer neuen Offensive etwas zu verschnaufen.

Es sind jedoch gar nicht die Chinesen, die streiten, sondern ein Japaner und ein Algerier. Sie sind neu hier, ich kenne sie noch nicht.

Einer der Zeichner flüstert mir zu, dass der Algerier hinter dem Rücken des Japaners einem Kunden mit Gesten hat suggerieren wollen, dass die Zeichnung nichts taugt. Dass ein eifersüchtiger Zeichner auf diese Art einem anderen das Geschäft verdirbt, geschieht häufig.

Der Algerier geht auf den Japaner zu und gibt ihm eine deftige Ohrfeige.

Der Japaner, der nur halb so groß ist wie der Algerier, stürzt sich mit Kamikaze-Schreien auf ihn und beißt ihm in die Brust. Man hat Mühe, sie zu beruhigen. Der erschrockene Tourist ist schon verschwunden, auf dem Papier eine Zeichnung seines Kopfes ohne Mund. Die anderen Zeichner beschimpfen beide.

Die Mehrzahl der Zeichner hier hat keine Dokumente, und es ist gar nicht gut, die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich zu ziehen.

Ich gehe an meinen Platz zurück und streife dabei Shota, der mit seiner Ziehharmonika in den Armen eingeschlafen ist. Ich bin absichtlich mit dem Fuß über ihn gestolpert, und als er aufspringt, lache ich und sage: »Excusez-moi.«

Er schaut mich nur an, reibt sich am Ohr und schläft wieder ein.

HALLO

FROM: ana.m@free.fr

Wie geht’s?

PS: Deine E-Mail-Adresse habe ich auf der Website des Kroatischen Schriftstellerverbandes gefunden.

Jemand hat sich vom Centre Pompidou gestürzt, man hört ihn aufklatschen und dann die Schreie der aufgeschreckten Touristen, zwischen die der Körper gefallen ist.

»Schrecklich«, sage ich und reibe mir die Augen, da ich gerade auf meinem ausgelegten Mantel eingeschlafen war.

Ich versuche nicht in die Richtung zu schauen, in der der Körper liegt – angeblich der einer Frau –, abgedeckt mit einem weißen Laken, das an einigen Stellen von Blut durchtränkt ist. Es kommen Notarzt, Polizei und Feuerwehrleute, die mit einem Wasserstrahl den blutverschmierten Beton reinigen.

»Sie zahlen zehn Euro, schauen sich die Ausstellung an und schmeißen sich vom Dach«, sagt Coca-Cola und kaut weiter auf dem Kebab herum, das er gerade gekauft hat. »Vielleicht gefällt ihnen die Ausstellung nicht«, lacht er.

Dann sagt er mit ernster Stimme: »Hauptsache, sie springen mir nicht auf den Kopf, während ich arbeite.«

»Ich gehe zum Saint-Germain«, sagt Shota. »Heute kann ich nicht mehr spielen.«

Nachdem Shota gegangen ist, kommt Hristo und schnippelt mit einer glänzenden Schere durch die Luft.

Hristo fertigt in Paris Scherenschnitte an: Er zieht im Nu ein Stück schwarzes Papier aus dem Täschchen an seinem Gürtel und schneidet mit nur einigen wenigen gut bemessenen Bewegungen geschickt den Schatten eines Profils aus dem Papier.

Ich gebe ihm gleich die zwanzig Euro von Shota, damit ich es nicht vergesse.

»Wie ist die Lage?«, fragt er mich und steckt das Geld in die Innentasche seiner Jacke.

»Vorhin hat sich jemand umgebracht. Mit einem Sprung vom Pompidou.« Er winkt ab und schnallt seinen Gürtel enger.

Eine halbe Stunde später stehe ich schon auf der Brücke von Notre Dame. Hier auf den Holzbänken operieren Albaner, Iraner, Bulgaren und der eine oder andere Chinese. Es gibt keine Kämpfe um die Plätze, aber es ist strengstens verboten zu zeichnen: Die Polizei ahndet das hier sehr rabiat. Hier laufen die Geschäfte immer, man muss nur die Augen und Ohren weit geöffnet halten. »Hey, Georgi«, grüße ich den Zimmernachbarn aus Hristos Wohnung. Er nickt und zieht den Hals in die Länge. Die Zeichner hier recken beim Zeichnen ständig die Köpfe in die Höhe. Sie sehen sich um wie Nagetiere, die dabei sind, ihre Löcher zu verlassen. Wenn jemand zwischen zwei Wimpernschlägen in der Ferne die Polizei erblickt, werden die Zeichenblöcke panikartig zugeschlagen und die Stühle unter den verdutzten Touristen weggezogen. Die Absprache lautet, dass zweimal gepfiffen wird, um die anderen zu alarmieren. Fffiuhh, fffiuhh!

Ich sehe auf und erblicke eine Streife, die sich nähert. Ein Polizist und eine Polizistin. Sie gehen langsam am Seineufer entlang. Vielleicht kümmern sie sich gar nicht um die Zeichner, vielleicht sind sie ineinander verliebt? Manchmal geschieht es tatsächlich, dass sich eine Streife überhaupt nicht um die Zeichner kümmert.

Ich gehe in den Park neben der Kirche, setze mich auf eine Bank und beobachte die Seine, die mit Kohle gefüllten Lastkähne, die über die grüne Wasserhaut dahin gleiten. Als ich den Kopf abwende, sehe ich die aus Stein gemeißelten Monster, die aus der uralten Kirchenfassade spähen.

Morana hatte Angst vor diesen Monstern. Ich fand sie immer eher lustig als schrecklich.

Ein herrlicher Ort für das Unglück

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