Читать книгу Ein herrlicher Ort für das Unglück - Damir Karakaš - Страница 15

8.

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Ich lebe im 13. Arrondissement, dem Glasgebäude des nationalen Telekommunikationskonzerns gegenüber. Es ist eine Einzimmerwohnung, dürftig eingerichtet und mit feuchten Wänden; aufgrund der Feuchtigkeit kann man im Winter die Fenster nicht gut schließen. Im Sommer, wenn die Fenster wegen der unerträglichen Hitze geöffnet sind, herrscht ein furchtbarer Lärm; unweit davon befindet sich das Gebäude der Verkehrspolizei, deshalb hört man in der Nacht Sirenen und das durchdringende Knacken der Funkgeräte.

Bevor Hristo einzog, hatte sein Landsmann Emil hier gewohnt, ein Student der Molekularbiologie am Institut Necker. Als die Toilette noch funktionierte, war in der Kloschüssel ein Mechanismus installiert, der einem Propeller ähnelte: ein sogenannter Scheißeschredderer. Jedes Mal, wenn man abzog, wurde der Schredderer automatisch in Gang gesetzt und verwandelte die Scheiße in einen Brei, damit sie leichter durch die schmalen und abgenutzten Rohre rutschte.

Hristo, der damals manchmal bei Emil übernachtete, hat mir erzählt, dass es gefährlich war, sich auf dieser Kloschüssel in eine Zeitungslektüre zu vertiefen und dann abzuziehen, da einem der Schredderer im Nu die Eier zermanschen konnte. Vor sechs Monaten ging der Schredderer kaputt und die Toilette wurde unbrauchbar. Auch der Abfluss der Dusche war verstopft, genauso wie das Miniwaschbecken neben der Kloschüssel.

Nur der Wasserhahn über der Spüle funktionierte. Die Vermieterin sagte Emil, dass er den Klempner rufen solle, sie meinte, sie wolle es bezahlen. Emil rief einen Klempner an. Eine Stunde später erschien ein Araber in weißem Jogginganzug und mit einem Kilo Pomade im Haar. Er zog eine Zange, die eher einer Pinzette ähnelte, aus der Tasche und stellte angeekelt fest, dass da nichts mehr zu machen sei. Schließlich verlangte er siebzig Euro, weil er ordnungsgemäß auf den Anruf reagiert und all das diagnostiziert hatte. Als er jedoch ebenfalls diagnostizierte, dass Hristo in der Wohnung war und drohte, ihm die Eier mit einer Schere abzuschneiden, verduftete er schleunigst. Die Vermieterin versprach Emil daraufhin, dass sie einen Handwerker finden würde, doch dann musste sie ganz plötzlich nach New York. Sie rief an und sagte, dass er bis zu ihrer Rückkehr kostenlos hier wohnen könne. Sie meinte auch, dass sie eine Lösung finden werde, sobald sie zurück sei. Emil zog wütend aus der Wohnung aus, und am nächsten Tag zog Hristo ein. Einige Tage später kam ihm die Idee, die Wohnung sogar unterzuvermieten. Er rechnete dabei mit Klientel aus dem Osten.

»Wem es nicht passt«, pflegte er zu sagen, »der soll ins Hilton gehen.«

Außer mir und Hristo leben noch sein Cousin Georgi in der Wohnung, ihr Landsmann Stefan und Andrej, ein Maler aus Moskau. Neben uns fünf ständigen Bewohnern sind zurzeit noch drei Zigeuner hier, Harmonikaspieler aus Rumänien. Wenn sie gerade nicht in der Metro spielen, stehlen sie in Supermärkten Eier, die sie zu Hause mit einer Nadel anstechen und aussaugen. Gestern haben sie in der Bäckerei die Sammelbüchse vom Roten Kreuz geklaut. Die ganze Nacht lang haben sie fröhlich Geldstücke gezählt und sie unter sich aufgeteilt. Hristo sagte ihnen, dass er ihre Miete auf zehn Euro pro Tag erhöhen würde, da sie gestern Nacht so viel Krach gemacht hätten. Er legt die Preise nach Instinkt fest: Wenn ihm irgendeine Schnute nicht gefällt, lässt er sie nicht einmal für hundert Euro pro Tag bei uns wohnen. Von mir kassiert er fünfzig Euro monatlich, von Andrej hundert Euro, Georgi und Stefan zahlen gar nichts.

Die Wohnung wirkt meistens wie ein Bahnhof: In den letzten Monaten defilierten hier Bulgaren, Chinesen, Rumänen, Moldawier, Serben, Bosnier, Ungarn, Polen, Albaner, Armenier, Türken und Kurden vorbei. Meist Malocher, die nach einer Schwarzarbeit suchen. Ein paar Nächte lang schlief auch ein Goran aus Belgrad hier.

Er wartete auf die Anstellung als Kellner in einem serbischen Café an der Ecke Sainte-Marthe und Saint-Maur. Während des Krieges waren wir beide mobilisiert gewesen, wir waren sogar am selben Frontabschnitt eingesetzt, nur auf entgegengesetzten Seiten. So hatten wir also aufeinander geschossen, und fünfzehn Jahre später schliefen wir in Paris auf derselben Matratze – wir lachten darüber.

Goran erzählte mir, wie viele Schwierigkeiten er gehabt hatte, bis er endlich in Paris war.

»Ihr Kroaten könnt wenigstens drei Monate hier bleiben und dann zurück, wir Serben dürfen nicht einmal das«, sagte er, wobei er ständig an seiner Hose zog. Das war wohl ein Tick von ihm.

Er sagte, dass er zunächst ein Visum für Frankreich beantragt habe, doch man habe ihn abgelehnt, als hätte er die Pest.

Also beantragte er ein Visum für Deutschland – wieder wurde er abgelehnt – und dann für Italien – wieder eine Ablehnung. Erst bei den Österreichern hatte er irgendwie Erfolg. Als er nach Wien kam, fand er eine Clique, mit deren Auto er bis nach Paris kam, und zwar dank der Tatsache, dass es zwischen Österreich und Frankreich keine Grenzen mehr gibt.

Es gab Tage, da herrschte in der Wohnung ein unerträgliches Durcheinander und Hristo rieb sich zufrieden die Pranken. Einige, die nur eine Nacht lang hier blieben, habe ich nicht einmal gesehen.

In den letzten Tagen waren vor allem Rumänen da, hauptsächlich rumänische Zigeuner. Sie sind über die Weihnachts- und Neujahrsfeiertage gekommen. Meistens kommen sie über die Feiertage nach Paris, um zu stehlen.

Hristo sagt, sie seien so geschickt, dass sie einem im Schlaf problemlos die Zahnprothesen aus dem Mund klauen könnten.

Manchmal kann ich es kaum fassen, mit was für Typen, mit was für Gesindel ich hier zusammen wohne. Ich tröste mich damit, dass es abgesehen vom günstigen Preis noch einen zweiten Vorteil gibt, nämlich den, dass ich hoffentlich etwas davon behalte, um es für eine Erzählung oder einen Roman nutzen zu können.


Ich latsche auf die Toilette, nehme die beschlagene Bierflasche in die Hand und pinkle hinein.

Auf dem Etikett steht Fisher, daran erkenne ich sie unter all den anderen Flaschen.

Jeder hat seine eigene Pinkelflasche. Ich kehre zurück zu meiner Matratze, und jetzt geht Stefan auf die Toilette. Andrej malt. Er streckt seine dünnen Beine durch, damit er die Details im oberen Teil des Bildes mit dem Pinsel erreichen kann.

Etwas später kommen Hristo und Georgi. Genauer gesagt: Zunächst zeigt sich Hristos riesiger Bauch. Er legt seinen Mantel auf den einzigen Stuhl in der Wohnung und kämmt vor dem Spiegel sein halblanges Haar, das vorne zu einem Pony geschnitten ist. Danach streichelt er den Heizkörper. Er hat ihn im Centre commercial am Place d’Italie gekauft; er selbst hat dreißig Euro hingeblättert, ich, Georgi und Andrej je zehn.

Stefan hat keinen Cent gegeben. Er war damals gerade dabei gewesen, sich einen dicken Pullover über den Kopf zu ziehen, von dem auffällig große Ohren abstehen. Dann warf er einen Blick auf die Armbanduhr ohne Glas und antwortete seelenruhig, dass er kein Geld habe. Früher hat Stefan in Sofia Geschichte studiert, jetzt arbeitet er neben dem Parc Bercy: Er hat im Supermarkt einen Einkaufswagen geklaut, ein Blechfass darin installiert und röstet jetzt illegal Kastanien. Sich und mich hält er für Intellektuelle, Hristo und Georgi für Primitivlinge. Als ich ihn kennenlernte, erzählte er mir zuerst eine Stunde lang auf Französisch von der ruhmreichen bulgarischen Geschichte. Mit Jahresangaben zu allen bedeutenden Schlachten; die Jahreszahlen sprach er besonders betont aus, langsam und mit langen Pausen zwischen den einzelnen Ziffern. Zwischen ihm und Hristo herrscht angespannte Stimmung. Da Stefan früher auch immer wieder mal bei Emil übernachtet hat, ist er der Meinung, dass auch er ein Recht auf einen Teil der Mieteinnahmen hat, die Hristo von den Untermietern kassiert. Mit ihm unterhalte ich mich auf Französisch, mit Hristo auf Serbisch und Französisch, obwohl ich Bulgarisch auch ganz solide verstehen kann, da es dem Kroatischen und Serbischen sehr ähnlich ist. Mit Andrej unterhalte ich mich auf Englisch.

Er ist einer der seltenen armen Maler in Paris, der sich weigert, Touristenportraits zu zeichnen.

Es ist ihm lieber, für drei Euro pro Stunde in einem türkischen Restaurant an der Bastille das Geschirr zu spülen.

Sein Plan lautet: Amerika.

Er sagt, dass es dort tolle Galerien und tolle Menschen gebe, die bereit seien, Risiken mit jungen, nicht etablierten Künstlern einzugehen. Er hat ein riesiges Stück Papier im Format von zwei mal zwei Meter über die Tapete gehängt, dort, wohin das meiste Tageslicht fällt. Seine Bilder sind völlig verrückt: Hasen fressen Hasen von einem Teller und Würste quellen Menschen aus den Augen. Vom ständigen Malen ist seine linke Schulter etwas deformiert und nach unten gerutscht. Andrej ist Vegetarier. Er isst nicht einmal Fisch, nichts, was Augen hat. Er sagt: »Vergleicht doch bitteschön mal, wie meine und wie eure Scheiße stinkt.«

Georgi ist der Jüngste unter uns. Klein gewachsen, mit einem schwarzen Schnauzer. Hristo sagt, es sei schade, dass er kein Gewichtheber geworden ist. Er erzählt, dass Georgi schon im Alter von drei Jahren problemlos Holz hacken konnte. Georgi operiert vor der Kirche Notre Dame. Er macht Fotokopien von Bildern mit Notre-Dame-Motiv. Dann zeichnet er über die Kopien und verstärkt mit einem Bleistift die Konturen; es ist wichtig, dass er gerade etwas zeichnet und den Künstler markiert, wenn sich Touristen nähern.

Touristen mögen es, wenn etwas vor Ort gezeichnet wird, wenn es live ist.


Hristo holt eine Konserve aus dem Kühlschrank. Er wirft sie Georgi zu und will auch mir eine zuwerfen, aber ich will nicht. Es sind Pferdefleischkonserven, die die bulgarische Gebirgsinfanterie zu verzehren pflegt.

Hristo behauptet, dass der Mensch stundenlang ohne Unterbrechung rennen kann, nachdem er eine von diesen Konserven gegessen hat, und zwar mit vollem Bauch. Er nennt sie liebevoll »Red Bull vom Balkan«. Einmal habe ich eine probiert, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass sie mir Energie zugeführt hat. Ganz im Gegenteil, ich hatte solche Beschwerden, dass ich zwar zwei Tage lang pausenlos gerannt bin, aber nur auf die Toilette. Hristo bezieht sie über Freunde aus Bulgarien, er verschlingt sie mit Genuss. Die anderen Bulgaren in unserer Wohnung fressen diese Konserven, die reichlich herb schmecken, auch gerne.

»War Gwizda hier?«, fragt Hristo und zerkleinert mit einer Schere das Fleisch in der Konservendose.

Mit dieser Schere macht er alles: Er schneidet Scherenschnitte, seine Finger- und Zehennägel, Fleisch … Wir schütteln beinahe gleichzeitig den Kopf.

Andrej verabschiedet sich und geht.

Georgi sieht ihm voller Verachtung nach.

»Dieser Typ ist schwul, hundertprozentig«, sagt er.

Dann kommen drei Harmonikaspieler und beginnen, ihre klimpernden Geldstücke zu zählen.

»Arretez!«, sagt Hristo. »Der Krach nervt.«

Er schaltet den Fernseher an, es laufen Nachrichten aus dem Irak, alles brennt.

Hristo hebt den Kopf und beginnt, laut zu schnuppern.

Mit weit geblähten Nasenlöchern schaut er zu dem Schlafsack, in dem Stefan liegt.

Er sagt: »Stefan!«

Stefan meldet sich mit verschlafener Stimme: »Oui?«

Hristo fragt: »Hast du deine Scheiße rausgetragen?«

»Je le ferai demain. Ich mache es morgen.«

»Bring sie raus. Es stinkt.«

Es gibt keine Toilettentür, die Kloschüssel hat keinen Deckel, und von dort zieht wirklich ein übler Gestank herüber.

Hristo sagt lauter: »Hast du mich gehört?«

Stefan drückt sich um die Antwort und murmelt, dass er schlafen will.

»Bring sie raus!«, schreit Hristo und weckt damit die Zigeuner, die unter einer grünen Plane hervorlugen.

Stefan schweigt und schiebt sich den Pullover unter den Kopf.

Hristo steht auf und macht einen Schritt auf Stefan zu.

»Bring die Tüte raus«, schreit er ihn an. »Das war das letzte Mal. Ich lasse dich schlafen und du veranstaltest so einen Mist.« Wütend kickt er die Dose über den Boden.

»Et ta merde sent le parfum? Deine Scheiße riecht nach Parfum, ja?«, antwortet Stefan.

Hristo brüllt: »Das ist meine Wohnung, ich entscheide hier, wessen Scheiße stinkt und wessen Scheiße riecht.«

Stefan sagt leise: »Das ist nicht nur deine Wohnung, sondern auch meine.«

Hristo schreit jetzt lauthals: »Hör mal zu, du Idiot …«

»Beruhigt euch doch«, sage ich.

»Bring sie raus«, sagt Hristo. »Außerdem hast du gestern ins Waschbecken gepisst.«

Darauf Stefan: »Das ist nicht wahr.«

»Hast du«, meldet sich Georgi aus dem Dunklen, »ich habe dich beobachtet.«

»Komm, bring sie endlich raus«, sage ich leise zu Stefan, »das ist nicht in Ordnung.«

Stefan steht widerstrebend auf und bringt die Scheiße raus.

Wenn Hristo schnarcht, kann man unmöglich neben ihm einschlafen.

Wenn man mit ihm im selben Raum einschlafen muss, geht das nur, wenn man vor ihm einschläft. Zum Glück geht er immer als Letzter schlafen. Er sieht fern und schläft dabei ein. Er schnarcht und wacht plötzlich auf.

Er fragt mich: »Schläfst du?«

Ich drehe mich von der Seite auf den Rücken und schüttle den Kopf.

Er sagt: »Lass uns spazieren gehen.«

»Jetzt?!«

»Komm schon«, sagt er, »leiste mir Gesellschaft.«

Wir gehen raus und laufen an der Seine entlang.

»Hast du gesehen«, fragt er, »was mir dieser Mann antut?«

Ich sage: »Ach, lass doch.«

»Wenn ich seinen Vater und seine Mutter nicht kennen würde«, zischte er, »würde ich ihn auf die Straße setzen.«

Plötzlich fällt ihm ein, dass er morgen seiner Schwester hundert Euro schicken muss. Sie und ihr Mann sind Landwirte in der Nähe von Plovdiv. Ihre beiden Kinder sind in der Ausbildung, hundert Euro sind viel Geld für sie, sagt er.

»Wenn du wüsstest, wie schön ihre Kinder sind!« Er wird sanft. »Wenn ich hinfahre, bringe ich ihnen immer alles Mögliche mit. Sie fragen ständig, wann ich wiederkomme.«

Dann hebt er zu einer Tirade über das Leben in Paris an, als er jung war. Einige Geschichten habe ich schon gehört, lasse ihn aber weiterreden. Er erzählt zum wer-weiß-wievielten Mal davon, dass die Touristen früher ganz anders gewesen seien, voller Vertrauen. Jetzt seien sie doch nur noch eine überhebliche und geizige Meute. »Die würden nicht mal Gott einen Knüppel überlassen, damit er den Teufel erschlägt, so geizig sind sie«, pflegt er zu sagen.

In seinen Geschichten verwendet er häufig das Wort »wir«. Unter diesem »wir« versteht er Bulgaren, Rumänen, Jugoslawen, eben die Menschen vom Balkan …

Für ihn gibt es keine Kroaten, Bosnier und Serben.

Hristo ist nämlich ein Jugonostalgiker, der Tito glühend verehrt.

»Als Tito noch lebte, war Jugoslawien für uns Amerika«, sagt er gerne. »Und schau dir mal an, wie es jetzt aussieht. Bulgarien gehört zu Europa, und wo seid ihr?«

Da er gerade den Eiffelturm sieht, beginnt er wieder zu erzählen, wie »wir« uns früher mit Fotoapparaten am Eiffelturm trafen, wir taten so, als würden wir amerikanische Touristen fotografieren und bekamen Geld und ihre Adressen von ihnen, um ihnen die Fotos zu schicken. Aber in den Kameras waren nie Filme.

»Ich erzähle dir das, damit du begreifst, wie vertrauensvoll die Verhältnisse damals waren«, sagt er. »Und heutzutage? Du rennst hinter einem Touristen her, um einen Scherenschnitt von ihm zu machen, und er rennt weg und hat Angst, dass du ihn ausplündern willst.«

Er wird nachdenklich, verschränkt die Hände hinter dem Rücken: »Es war noch nie so schlimm«, sagt er. »NIE«, wiederholt er mit Nachdruck. Dabei schüttelt er den Kopf. »Den ganzen Tag«, er zeigt seine fünf Wurstfinger, »für fünf beschissene Euro.«

Wir laufen immer weiter, sind beinahe schon am Louvre angelangt.

Da drehen wir uns um und gehen zurück.

Wir schweigen, wir schweigen lange.

Er schüttelt wieder den Kopf, sieht mich an und schaut sich vorsichtig um.

Er gibt mir ein Zeichen, näherzukommen. »Hör mir mal zu.«

Aus seinem Mund stinkt es nach verreckter Katze.

Er schaut immer noch um sich.

»Wir wollen eine Bank ausnehmen.«

»Was für eine Bank?«, frage ich.

»Eine Bank eben, du wirst doch wissen, was eine Bank ist.«

»Wer denn?«

»Wir«, sagt er. »Ich, du, Gwizda und Georgi.«

Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und gebe deshalb vor, dass ich husten muss. »Wie meinst du das?«

»Eigentlich ist Gwizda nicht begeistert davon, dass ihr beiden mitmacht.« Er tritt einen Schritt vor. »Aber ich habe ihm bei meinem Leben garantiert, dass ihr beiden das schafft. Warum solltet ihr nicht auch mal was verdienen?«

Ich weiß immer noch nicht, was ich sagen soll.

»Ich und Gwizda sind dabei, den Plan zu machen«, sagt er. »Du sollst dich bitteschön fit halten.«

Dieser Pole hat mir noch nie gefallen. Er war früher bei der Fremdenlegion, hat einen französischen Pass und hat im Streit einen Menschen umgebracht. Hristo hat ihn in Frankfurt im Gefängnis kennengelernt.

Hristo behauptet, dass Gwizda kein schlechter Mensch sei.

Dass er eine schwierige Kindheit gehabt habe, dass sein Vater ihn vor seinen Schwestern missbraucht habe.

Ich will Hristo sagen, dass mich Geschäfte mit Gwizda keineswegs interessieren, dass ich den Rest meines Lebens nicht hinter Gittern zubringen will.

»Weißt du was?«, sage ich. »Ich muss erst mal sehen, was mit den Verlegern wird.«

Das ist das einzige, was mir einfällt.

»Vergiss die Bücher.« Er winkt barsch ab. »Wenn du mal Geld hast, kannst du dir den Nobelpreis kaufen!«

Der Morgen dämmert und wir laufen nebeneinander her, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft.

»Kein Wort zu irgendjemandem«, sagt er, »vor allem nicht zu Stefan.«

Ich nicke, er sieht mich an, und ich nicke noch einmal. Wir nähern uns unserer Wohnung und er beginnt, wieder über Stefan herzuziehen.

»Dieser Hurensohn«, schimpft er.

Er wird wütend, tritt mit dem Fuß gegen eine Mauer.

»Du kannst bleiben, solange du willst, nur damit du es weißt. Du und Georgi. Aber wenn der sich nicht schleunigst ändert, fliegt er raus. Ich habe seine Philosophie satt. Er verdient am meisten von uns allen, er schläft, er isst aus dem Kühlschrank, und als er seinen Beitrag zum Heizkörper bezahlen sollte, hatte er plötzlich kein Geld. Dabei hortet er es heimlich. Der glaubt doch, ich bin dumm!«


Zum ersten Mal habe ich Hristo in einem arabischen Geschäft in Belleville getroffen, es war Ramadan, das Geschäft hatte die ganze Nacht geöffnet. Hristo war damals völlig am Boden. Ich war gekommen, um Bier zu kaufen, und während ich in der Schlange wartete, kamen zwei besoffene Typen herein. Hristo und ein Indianer in einem Poncho. Sie kauften nichts.

Torkelnd versuchten sie, das Gleichgewicht zu halten, und schauten sich die Übertragung des Rugby-Spiels zwischen Frankreich und Neuseeland an.

Frankreich führte, und sie grölten gemeinsam die Marseillaise.

Der Verkäufer kam plötzlich hinter dem Tresen hervor und schaltete vor ihren Nasen den Fernseher aus. Er sagte, dass dies hier ein Laden sei, in dem man etwas kaufen solle, und kein beschissener Fernsehraum. Dann sagte er noch, sie sollten sich verpissen. Hristo und der Indianer verließen mit gesenkten Köpfen den Laden.

Dann kam Hristo zurück, nahm sich ein Bier, stellte es rebellisch auf den Tresen.

Er suchte krampfhaft in seinen Taschen herum und zog am Ende fünfzig Cent heraus. Dabei beobachtete ihn der Verkäufer spöttisch. Ich gab Hristo zwei Euro, und er bezahlte das Bier.

Daran erinnert er sich häufig und sagt dann: »So was vergisst man nicht.«

In seiner Jugend war er Ringer gewesen, einer der besten in Europa. Er hat mir stolz vergilbte Zeitungsausschnitte gezeigt. Einmal war er sogar bei Olympia dabei.

Dann hatte er einen Verkehrsunfall, bei dem sein Bein verletzt wurde, und musste seine Karriere aufgeben.

Kurze Zeit später wanderte er nach Deutschland aus, wo er als Rausschmeißer in Nachtclubs arbeitete. In Deutschland lernte er auch seine Verlobte kennen, ein Mädchen aus Sofia.

Er stopfte alles verdiente Geld in einen Sack und entschloss sich dann, mit seiner Verlobten in Paris zu leben.

Das Geld aus dem Sack verstaute er in zehn leeren Marmeladengläsern, schraubte sie gut zu und vergrub sie im Bois de Boulogne. Einige Monate später fand seine Verlobte einen Liebhaber, einen Italiener, der im Zirkus an der Porte de Bagnolet Messerwerfer war, ließ alle Marmeladengläser mitgehen und verschwand mit dem Liebhaber nach Australien. In seiner Verzweiflung gab sich Hristo der Kriminalität hin. Er war mit Mafiosi aus dem ehemaligen Jugoslawien befreundet und saß zahlreiche Strafen in diversen Gefängnissen ab. Er pflegt zu sagen, dass er sich in jener Zeit seine Socke häufiger über den Kopf als über den Fuß zog.

Ein herrlicher Ort für das Unglück

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