Читать книгу Shadow House - Dan Poblocki - Страница 11

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»Autsch! Autsch! Autsch!« Dash verkrampfte sich, als er sich nach seinem Sturz am Fuß der Treppe aufzurichten versuchte, und stützte sich auf Azumis Schulter.

»Tut es so weh?«

»Meinst du, ich tu nur so?«, fauchte er.

»Beiß die Zähne zusammen!«, riet ihm Azumi, als ob es möglich wäre, den stechenden Schmerz zu ignorieren, der in seinem linken Bein hochschoss.

Trotzig wagte er einen ersten Schritt. »Na klasse, dann kann ich ab jetzt nur noch durch Larkspur humpeln. Das wird ein Spaß!« Er stieß einen lauten, langen Seufzer aus, als könnte er den Schmerz in seinem verstauchten Fußknöchel dadurch erträglicher machen.

»Komm!«, drängte Azumi. »Wir müssen einen besseren Platz finden, damit ich mir deinen Knöchel ansehen kann.«

Dash schaute zu der dunklen Wendeltreppe zurück. »Kannst du noch schnell einen Blick unter die Treppe werfen?«

Azumi wurde blass. »Warum?«

»Nur um ganz sicherzugehen, okay?«

Sie musterte ihn skeptisch, lehnte ihn dann aber doch an einen Türpfosten und lief die paar Schritte zurück. »Bist du dir sicher, dass du nichts geseh…«

»Nein!«

»Kein Grund, mich gleich anzuschreien!«

Über ihnen, im Treppenhaus, fing das Hämmern wieder an – Mrs Fox stand offenbar immer noch an der Tür des Schlafsaals.

»Entschuldige«, sagte Dash und verlagerte sein Gewicht leicht. »Seit ich weiß, dass Dylan … Ich sage es mal so: Seither scheint mein Verstand mein schlimmster Feind zu sein.«

Azumi betrachtete ihn noch einen Moment lang wortlos, dann bückte sie sich und schaute in das Dunkel unter der Wendeltreppe. Dash kniff angespannt die Augen zusammen, als er sich vorstellte, zwei Hände würden aus der Dunkelheit kommen und sich um Azumis Hals legen.

»Nur Wollmäuse«, verkündete Azumi, als sie sich wieder aufrichtete.

»Gut«, sagte Dash, obwohl er immer noch ein ungutes Gefühl hatte. »Das ist gut. Danke.«

Die beiden bogen um eine Ecke und gingen langsam diesen neuen Korridor entlang. Weil Dash vor Schmerzen die Zähne zusammenbeißen musste, rief Azumi für ihn nach Dylan.

Das ist alles nicht real, sagte sich Dash. Es ist nur ein böser Traum. Dylan lebt noch. Bestimmt schlafe ich irgendwo, in irgendeiner Parallelwelt.

Tapfer humpelte er weiter.

Schlimme Schmerzen, wie er sie hatte, sagen einem allerdings eindringlich, dass man hellwach und im Hier und Jetzt ist.

»Dylan!«, rief Dash verzweifelt.

»Schau mal, eine Bank!« Azumi deutete durch eine offene Tür in einen Raum mit verglasten Wänden, durch die ein bernsteinfarbenes Licht hereinfiel. Dort stand eine kunstvoll geschmiedete eiserne Bank, auf der maximal zwei Personen Platz hatten. Sie war umgeben von hohen, üppigen Pflanzen. Ein Wintergarten!

»Komm, dort kannst du dich ausruhen.«

Sie betraten den Raum mit den Glaswänden. Stöhnend ließ sich Dash auf die Bank plumpsen, während Azumi sich zum Gehen wandte. »Wo willst du hin?«, fragte er besorgt.

»Ich suche allein weiter. Wenn ich die anderen finde, komme ich mit ihnen hierher.«

»Auf gar keinen Fall!« Dash schüttelte vehement den Kopf und versuchte aufzustehen, sank jedoch gleich wieder zurück, als ein stechender Schmerz durch seinen Knöchel schoss.

»Alleine bin ich schneller.« Azumi beugte sich zu ihm hinunter, bis sie mit ihm auf Augenhöhe war. »Keine Angst, niemand verlässt das Haus ohne dich. Ehrenwort!«

Und noch bevor Dash sie festhalten konnte, drehte sie sich um und lief hinaus.

»Warte!«, rief er ihr nach, doch da fiel die Tür bereits zu. Klick! »Lass wenigstens die Tür offen!«

Sie winkte ihm durch die Glasscheibe lächelnd zu. Im nächsten Augenblick war sie verschwunden.

»Azumi!«, rief Dash flehentlich, aber sie konnte ihn nicht mehr hören.

Unter großer Mühe stand Dash auf und humpelte zur Tür. Die Klinke ließ sich nicht bewegen. Dash wischte seine verschwitzte Hand an seiner Shorts ab und versuchte es erneut, doch entweder klemmte die Tür, oder sie war verschlossen.

»Nein«, flüsterte er.

Langsam drehte er sich um und betrachtete seine neue Umgebung genauer. Durch das Glasdach konnte er zarte Federwolken am höchsten Punkt des tiefblauen Himmels sehen. Die Sonne war bereits hinter den Bäumen verschwunden. Sein Knöchel pochte, und seine aufgeschürften Unterarme brannten. Er war wieder allein. Eingesperrt! Er saß in der Falle.

Dash schob ein paar große grüne Blätter zur Seite, beugte sich vor und drückte sein Gesicht an die Glasscheibe. Das Gras draußen auf der Wiese flirrte wie Wellen, als würde ein sanfter Wind darüber streifen. Die Freiheit war so nah!

Konnte er sich darauf verlassen, dass Azumi zurückkam und ihn abholte?

Etwas Flaches, Weißes tanzte über die Wiese und wurde hin und her gewirbelt, bis der Wind es direkt zu Dash hinüberwehte.

Patsch!

Dash zuckte zusammen, als der Zettel direkt in seiner Augenhöhe an die Glasscheibe flog und daran haften blieb. Es war eine Zeitungsseite. Als er die Überschrift las, erstarrte er. Zögernd legte er den Kopf schief, um besser lesen zu können: Junger Schauspieler noch immer vermisst. Darunter war ein Foto von Dylan und ihm vor dem alten Studiogebäude abgedruckt. Dashs Herz klopfte zum Zerspringen, als er den Artikel überflog. Aus einer Psychiatrie geflogen … Zwillingsbruder getötet … landesweite Großfahndung … Und was am Ende des Artikels stand, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren: Vorsicht im Umgang mit dem Gesuchten … Dash Wright könnte gefährlich sein …

Ein weiterer Windstoß wirbelte das Papier wieder davon.

Dash sank rückwärts gegen die eiserne Bank. Er rang nach Luft, weil seine Kehle wie zugeschnürt war. Nein, dachte er, es ist ein Streich, ein Streich, wie er Dylan ähnlich sähe. Er zwang sich zu einem Lachen und rief laut: »Darauf falle ich nicht mehr herein!« Mit wem redete er überhaupt? Seine Panik trieb ihm den Schweiß aus den Poren.

Vorsichtig bückte er sich, ohne dabei seinen Knöchel allzu sehr zu belasten, und griff nach einem Stein, der unter einer Pflanze lag. Der Stein hinterließ ein Loch im Boden, das ihn an eine dunkle, klaffende Wunde erinnerte. Dash stützte sich an der Glaswand ab und warf den Stein mit aller Kraft gegen eine der Scheiben.

KLACK!

Der Stein prallte ab und fiel Dash vor die Füße.

Dashhh …

Hatte da jemand gerufen? Dash hätte geschworen, eine Stimme gehört zu haben, doch jetzt war es wieder gespenstisch still.

Er hob den Stein ein zweites Mal auf und warf ihn gegen die Tür. Bämm! Wieder prallte er ab und landete neben der eisernen Bank.

Dashhh!

Die Stimme klang nun schärfer, verzweifelter.

»Dylan?«, wisperte Dash. Er richtete den Blick auf die hohen, üppigen Pflanzen und sah, dass sich zwischen ihnen eine Art Tunnel auftat. Waren die Bäume plötzlich höher als vorhin? Die Schatten dunkler? Dash hatte nicht mehr das Gefühl, in einem Wintergarten zu sein, sondern in einem richtigen Wald. Er schluckte. Würde er gleich wieder durchdrehen? Er presste die Arme an die Rippen, als wollte er sich kleiner machen. Oder am liebsten gleich unsichtbar.

Da hörte er ein schrilles Knirschen hinter sich. Es klang wie die Seile, mit denen das Boot seiner Eltern im Hafen von Marina del Rey vertäut war. Er wirbelte herum und klammerte sich an die Rückenlehne der Eisenbank. »Ist da jemand?«

Kriii, kriii, kriii.

»Dylan? Spielst du mir einen Streich?« Dash musste an den Schatten unter der Wendeltreppe denken. »Es ist okay, wenn du das tust. Ich habe es verdient. Ich möchte es einfach nur … wissen

Eines der großen Blätter raschelte.

»Das ist nicht lustig!« Dash ging um die Bank herum und humpelte auf den gepflasterten Weg zwischen den Bäumen zu. Doch als er das Blattwerk zur Seite schob, wurde ihm schlagartig klar, dass das ein Fehler war.

Inmitten des kleinen Dickichts von Bäumen, auf einer kleinen Lichtung – die bis gerade eben noch nicht da gewesen sein konnte – schaukelte ein menschlicher Leichnam an einem pinkfarbenen Seil, dessen eines Ende wie eine Schlinge um seinen Hals lag, während das andere Ende an einem Ast über seinem Kopf festgebunden war. Es war der Leichnam eines Mannes mittleren Alters mit einem blutverschmierten Polohemd. Die dunklen Haare auf dem gräulich grünen Kopf waren eher spärlich. Und das Gesicht … das Gesicht … Wo ein Gesicht hätte sein sollen, war nur ein faseriger dunkler Brei zu sehen. Was von der Haut übrig war, wirkte gedehnt und unnatürlich straff, als wenn sich die Kinnlade schon vor Längerem abgelöst und die Gesichtszüge mit nach unten gezogen hätte. Wo einst die Augen gewesen sein mussten, taten sich zwei dunkle Höhlen auf, anstelle seiner Nase klaffte ein längliches Loch, und der Mund war zu einem stummen Schrei erstarrt.

Das Seil schwang erneut leicht hin und her. Krii-kriii-kriii.

Dash wich stolpernd zurück. Vor Entsetzen brachte er keinen Ton heraus. Das ist nicht real, sagte er sich, als bräuchte er nur zu blinzeln, und der Leichnam wäre verschwunden.

Stattdessen begann der verwesende Körper auf einmal zu zucken.

Dashs Entsetzen wuchs ins Unermessliche, als der Tote einen Arm hob und seine Finger um das Nylonseil an seinem Hals krallte. Das Seil wurde länger und dünner, bis es schließlich riss und der Leichnam zu Boden fiel. Er drehte den Kopf, bis es aussah, als würde er Dash mit seinen dunklen Augenhöhlen direkt anblicken. Grrrr. Ein Rasseln kam aus den Tiefen seiner zerfetzten Kehle.

Im selben Moment legte sich von hinten eine Hand auf Dashs Schulter.

Dash schrie auf und wirbelte herum. Er sah ein vertrautes Gesicht, nur wenige Zentimeter von seinem entfernt. »Azumi!«, rief er erleichtert aus.

»Dash!«, zischte sie. »Sei still!« Ihre dunklen Augen waren vor Schreck weit aufgerissen, und sie war so schmutzig, als wäre sie gerade durch einen Erdgraben gekrochen. Sie packte ihn am Handgelenk und zog ihn rückwärts.

Plötzlich krallten sich knochige Finger um seinen Hals. Die Nägel drückten sich tief in seine Haut. Dash konnte nicht anders – er stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus.

Shadow House

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